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Die Krise – und der Quatsch mit dem sinkenden Wohlstand

Letzte Woche habe ich mich ein wenig über Frank Schirrmacher und seine Kapitalismuskritik lustig gemacht. Ich unterstellte, um es kurz zu machen, dass der Kafka-Experte – http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8924245.html – wie Gregor Samsa eines Morgens als Käfer erwachte, sprich die Welt nicht mehr verstand, und dafür die Welt verantwortlich macht.

Schirrmachers Katastrophismus ist so unseriös wie die Dreifachverwertung einer wissenschaftlichen Arbeit. Man muss ihm aber zugute halten, dass er als Feuilletonist eine Lizenz zum Blödsinn hat. Bei anderen Autoren sollte man keine Nachsicht walten lassen. Ich lese zwar selten die „Zeit“, weil mir die Zeit fehlt, der oft selbstverliebten Salbaderei vieler Autoren zu folgen; da mir jedoch von einem sehr geschätzten Kollegen der Artikel von Bernd Ulrich und Marc Brost empfohlen wurde, habe ich das getan:

http://www.zeit.de/2011/32/Staatsverschuldung

Natürlich ist der zentrale Gedankengang des Artikels richtig, wenn auch nicht originell: übermäßige Schulden bedeuten für einen Staat wie für ein Individuum eine Einschränkung der Handlungsfreiheit und können daher gerade von Anhängern eines starken Staates nicht als Dauerzustand akzeptiert werden. Mir scheint aber, der Artikel offenbart bedenkliche Mängel in der Analyse und in den Vorschlägen zur Abhilfe.

Was ist der tiefere Grund für die gegenwärtige Schuldenkrise, fragen Brost und Ulrich, und sie antworten:

„(Der) Grund ist schlicht dieser: Seit zwei Jahrzehnten befindet sich der Westen in einem relativen Abstieg, der Automatismus von immer mehr Wohlstand bei immer weniger oder allenfalls gleich viel Arbeit ist zerbrochen. Dafür gibt es viele Ursachen, hier seien nur der Aufstieg der Schwellenländer, die Anti-Terror-Kriege und die von der Ökologie gezogenen Grenzen genannt.“

Bullshit.

  1. „Aufstieg der Schwellenländer“ sprich China und Co. China liefert uns billige Waren, was unseren Wohlstand hebt, nicht senkt. China liefert uns einen riesigen Markt, was unseren Wohlstand hebt, nicht senkt. Die Weltwirtschaft ist doch, das wissen wir seit David Ricardo, kein Nullsummenspiel, bei dem der Wohlstand des einen auf Kosten des Wohlstands der anderen geht.
  2. „Anti-Terror-Kriege“. Gemessen an den Ausgaben für das Militär zur Zeit des Kalten Kriegs kosten die gegenwärtigen Einsätze Peanuts. Und der potenzielle Gewinn (zum Beispiel durch das irakische Öl) stellt die Kosten in den Schatten.
  3. „Die von der Ökologie gezogenen Grenzen“. Häh? Gewiss, der Atomausstieg wird kosten. Aber er kann kaum als Grund dafür herhalten, dass wir schon jetzt angeblich  weniger Wohlstand und – ganz gewiss – höhere Staatschulden haben, zumal die USA, das mit am höchsten verschuldete Land, bislang bei ökologischen Maßnahmen eher zurückhaltend agiert haben. Auch hier übertrifft der potenzielle Gewinn durch die Ausnutzung von Energiequellen, die kostenlos geliefert werden (Sonne, Wind, Wasser) und die Einsparung von Energie durch höhere Effektivität (Wärmedämmung, Hybridmotoren usw.) die Kosten bei weitem.

 

Da sie den Grund für die steigende Staatsverschuldung nicht richtig benennen, können Brost und Ulrich keine vernünftige Strategie für ihre Eindämmung und ihren Abbau nennen. Tatsächlich bemühen die Autoren diese Begründung im weiteren Verlauf ihrer Argumentation auch gar nicht. Diese Begründung – der „relative Niedergang des Westens“ – suggeriert eine Fallhöhe, die der Artikel gar nicht hat – und die das Schuldenmachen auch nicht hat. Tatsächlich haben wir so hohe Schulden, weil Politiker gern Geld ausgeben – auf der Rechten gern in Form von Geschenken an die Bessergestellten, auf der Linken in Form von Geschenken an die Schlechtergestellten – und ungern Geld sparen, sprich ihre Klientel enttäuschen. Und weil ihr Klientel – „We, the people“ – es gern sehen, wenn bei anderen gespart wird, aber ungern selbst zur Kasse gebeten werden. Die wohlhabendere Hälfte der Gesellschaft möchte niedrige Steuern haben und dafür bessere Gymnasien und Universitäten haben, möglichst umsonst; die weniger wohlhabende Hälfte möchte, dass die da oben mehr Steuern zahlen und dafür mehr Hartz IV, Wohngeld, Kindergeld usw. erhalten.

Beide – die da oben und die da unten – verhalten sich absolut rational.

Brost und Ulrich stellen den Sachverhalt jedoch so dar:

„Die Sache geht aber noch tiefer.“ (Noch tiefer als was eigentlich? Egal.) „Neoliberale haben ein erotisches Verhältnis zu sozialen Unterschieden. Die sind für Liberale eine Feier ihrer eigenen Leistung; wenn sie religiös sind, auch Vorschein göttlicher (Leistungs-)Gerechtigkeit. Dem Sozialdemokraten hingegen sind soziale Gegensätze peinlich, er möchte sie ausgleichen, freilich ohne dabei die eigene Besserstellung zu gefährden. Und seit sich die Linken nicht mehr trauen, bei den Reichen etwas zu holen, müssen sie umso mehr in die Schulden gehen, um soziale Benachteiligung zu kompensieren.“

Bullshit.

Liberale teilen mit Sozialdemokraten die Überzeugung, dass sich Leistung lohnen muss. Weil nur wenige aus eigenem Antrieb arbeiten würden, wenn sie das gleiche ohne Arbeit verdienen könnten; und weil nur wenige nach Höchstleistungen streben würden, wenn es dafür keine Belohnung geben würde. Gerhard Schröder und Kurt Beck sind nur zwei der prominenteren Sozialdemokraten, die das klar ausgesprochen haben.

Es ist kontraproduktiv, Liberale so zu diffamieren, wie es Brost und Ulrich tun. Im Übrigen gibt es einen Unterschied zwischen Einkommensunterschieden und sozialen Unterschieden. Liberale, so könnte man ihr Credo formulieren, sind gegen soziale Unterschiede – die Festigung von Ungleichheit in Milieus, die Abschottung von Privilegierten ebenso wie die Ghettoisierung von Unterprivilegierten – und für Einkommensunterschiede – die Schaffung von Anreizen für Leistung.

Ein „erotisches Verhältnis zu sozialen Unterschieden“ könnte man allenfalls einigen linken Sozialromantikern unterstellen, die klassenbewusste Arbeiter für bessere Menschen halten. (Die beiden englischen Filme „Brassed Off“ und „The Full Monty“ bringen die zwei verschiedenen Sichtweisen gut auf den Punkt. Während bei „Brassed Off“ der Untergang einer Zeche und ihrer Blaskapelle elegisch betrauert wird, feiert „The Full Monty“ die Bergarbeiter und Blechbläser, die sich als männliche Stripper neu erfinden.)

Dass „sich die Linken nicht mehr trauen, bei den Reichen etwas zu holen“ und deshalb „umso mehr in die Schulden gehen (müssen), um soziale Benachteiligung zu kompensieren“, ist ebenfalls ein Märchen. Nicht nur Linke, sondern auch Liberale und Konservative holen sich heute dank der progressiven Einkommensteuer einen Prozentsatz vom Einkommen der Besserverdienenden, von dem die Sozialdemokratie früher kaum zu träumen wagte.

Ja, die Superreichen können die Steuer umgehen. Aber selbst wenn man Soros, Gates, Buffet und Co. so besteuern würden, wie sie es verdienten (und wie es manche von ihnen fordern), wäre materiell wenig gewonnen. Allenfalls würden sie weniger in ihre Stiftungen stecken, ohne dass der Staat wirklich so viel besser da stünde. Denn das Problem ist nicht die fehlende Steuerbasis. Das Problem sind die ausufernden Ausgaben. Genauer: die so genannten Sozialausgaben.

Diese Ausgaben zerfallen grob gesagt in zwei Ausgabenarten:

  1. Geschenke an die Wohlhabenden: Gymnasien, Universitäten, Elterngeld, Ehegattensplitting, Steuerschlupflöcher, die Möglichkeit, aus der solidarischen Kranken- und Rentenversicherung auszusteigen usw.
  2. Geschenke an die weniger Wohlhabenden: „Sozialhilfe“ aller Art, insbesondere Arbeitslosengeld und Hartz IV, Kindergeld, Wohngeld, kostenlose Kindergärten, Grundschulen usw.

Die Geschenke der ersten Art gehören restlos gestrichen. Dafür freilich können die Besserverdienenden – zumindest auf mittlere Sicht und fest versprochen – eine Steuererleichterung verlangen.

Die Geschenke der zweiten Art sind weitgehend ein Gebot der Gerechtigkeit. Insbesondere dort, wo sie verhindern sollen, dass Kinder unter dem – selbst verschuldeten oder unverschuldeten – Los ihrer Eltern leiden. Deshalb können Sozialkürzungen nicht die einzige Antwort auf die Staatsverschuldung sein, ja nicht einmal die Hauptantwort.

Die einzige Möglichkeit, die absolute und relative Höhe der Staatsausgaben zurückzufahren, besteht also darin, dass es wenige Bedürftige und mehr Arbeitende gibt, d.h. wenn die Wirtschaft so wächst, dass auch schlechter Qualifizierte einen Job bekommen. Deshalb ist es so fatal, wenn Autoren wie Brost und Ulrich so tun, als sei in der Periode des „relativen Niedergangs“ kein Wachstum mehr zu erwarten.

Das Gerede vom „Ende des Wachstums“ wird befeuert von einer falschen Vorstellung, die Marx im ersten Satz des „Kapitals“ etwa wie folgt formulierte (ich zitiere aus dem Gedächtnis): „Der Reichtum der Nationen stellt sich dar als eine ungeheuere Warensammlung.“ Das ist Unsinn. Mindestens ebenso wichtig wie Waren sind Dienstleistungen. Rolls Royce etwa baut nicht nur Düsenmotoren, sondern wartet die verkauften Motoren weltweit. Apple lässt zwar seine Geräte in China bauen, aber der entscheidende Anteil des Werts wird in Kalifornien generiert, wo die Dinge entworfen werden.

London ist dank Finanzdienstleistungen erst nach dem Niedergang der britischen produzierenden Industrie zu einer der wichtigsten und reichsten Städte der Welt aufgestiegen. Israel hat sich in den letzten dreißig Jahren neu erfunden und exportiert heute mehr Software und IT-Knowhow als Jaffa-Orangen. Thailand schuldet einen nicht unwesentlichen Teil seines Wohlstands den Dienstleistungen seiner hübschen Mädchen und Jungen. Und so weiter. Die Vorstellung, nur das sei ein Wert, was man anfassen könne, war schon im 19. Jahrhundert falsch und ist es im 21. erst recht.

Was nicht heißt, dass es keine Grenzen des Wachstums gäbe.

–          Diese Grenzen sind oft geographische Grenzen – also Zollabgaben, die Waren für die einheimischen Produzenten teuerer machen, ausländischen Produzenten Absatzmöglichkeiten nehmen und inländische Produzenten davon abhalten, genauso effektiv zu produzieren wie ihre ausländischen Konkurrenten. Also: Weg mit den Handelsbarrieren.

–          Eine ähnliche Wirkung haben Subventionen. Also: Weg damit.

–          Nach wie vor stimmt, dass wir eine wissensbasierte Ökonomie sind. Wer die eigenen Bildungsreserven nicht ausschöpft und Bildungsprivilegien verteidigt, wer das Märchen weitererzählt, dass erfolgreiche Leute intelligente Kinder haben und weniger erfolgreiche Leute weniger intelligente, wie es Sarrazin tut, und damit die sozialen Unterschiede verteidigt und verfestigt, der sorgt in der Tat dafür, dass sich Deutschland als Bildungsrepublik abschafft.

–          Nach wie vor stimmt, dass wir weltweit konkurrieren um die besten Köpfe. Rassismus verträgt sich nicht mit dieser Suche. Der Rassismus bildet eine Grenze des Wachstums.

–          Und natürlich kosten die Techniken, die uns länger leben lassen, auch Geld. Auch die Dienstleistungen. Wenn wir sie bezahlen wollen, müssen wir länger arbeiten. Was übrigens in vielen Fällen auch der Gesundheit dient. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Abschaffung der Zwangspensionierung, frühere Einschulung, Abschaffung des Sitzenbleibens, Verkürzung der Zeit bis zum Abitur, Verkürzung der Lehre, Straffung der Studiengänge usw. ist machbar und sinnvoll.

Wie man sieht, habe ich hier zwei Dinge geleistet, die ich letzte Woche nicht geleistet habe. Ich habe eine grundsätzliche Kritik an der Marx’schen Werttheorie geleistet, und ich habe gezeigt, was meines Erachtens in der Krise zu tun ist. Diese Maßnahmen weder als „links“ noch als „rechts“ einordnen. Der Abbau von Privilegien, von Rassismus und Bildungsbarrieren ist im weitesten Sinne „links“; der Abbau von Handelsschranken,  Subventionen und Altersgrenzen könnte man eher „rechts“ verorten.

Deshalb sind sie wahrscheinlich nur durch Regierungen zu verwirklichen, die ein linkes und ein rechtes Klientel vereinen: eine Große Koalition, Rot-Grün oder Rot-Schwarz. Das ist übrigens der Grund, weshalb Schwarz-Gelb in Schwierigkeiten ist. Lager-Koalitionen, so sehr sie das Herz von Parteiideologen höher schlagen lassen, sind nicht mehr zeitgemäß.

 

 

 

 

 

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62 Gedanken zu “Die Krise – und der Quatsch mit dem sinkenden Wohlstand;”

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    @Stefanie: Das sind gute Fragen: Warum erfüllen manche Eltern die Aufgabe der Erziehung nicht ausreichend? Wird die Gruppe größer? Welche Ursachen hat das?

    Vor einiger Zeit habe ich das Buch von Marita Vollborn,Vlad Georgescu „Brennpunkt Deutschland“ gelesen. Dort habe ich einige Antworten auf die oben gestellten Fragen gefunden.

    Marita Vollborn und Vlad Georgescu beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Verschwindens des Faktors Arbeit in Deutschland, den materiellen Problemen und den Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Gesundheit und Psyche der Betroffenen und deren Angehörigen. Es ging auch um die Folgen von Hartz IV.

    Im Jahr 2011* bezogen durchschnittlich 4.692.203 Personen in Deutschland Arbeitslosengeld II. Quelle: http://de.statista.com/statist.....ittswerte/

    In den Jahren 2006 und 2007 waren über 40 Prozent aller Arbeitslosen Langzeitarbeitslose.

    Die Arbeitslosigkeit konzentriert sich insbesondere auf gering qualifizierte Personen. Die Arbeitslosenquoten von Personen ohne Berufsabschluss liegen erheblich über den durchschnittlichen Arbeitslosenquoten. Quelle:
    Daten und Fakten: Arbeitslosigkeit
    http://www.bpb.de/themen/T4KCM.....gkeit.html

    Arbeitslosigkeit führt zu Mutlosigkeit und Hilflosigkeit und reduziert deshalb eine aktive Herangehensweise an Probleme. Quelle: Folgen der Arbeitslosigkeit http://www.bpb.de/themen/1XDG0.....gkeit.html

    Im Kapitel Losgelöst und am Boden zerstört (Kann man so googeln.) werden weitere Probleme genannt (Depressionen, verringerter Selbstwert, Angstgefühle, Gesundheitsrisiko, Suchtgefahr, mangelnde Strukturierung des Tagesablaufes usw.). Sicher trifft dies nicht für alle zu, war für mich aber nachvollziehbar. Die Kinder wachsen damit auf.

    Liebe Grüße

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    @Kerstin

    Die Freiheit des Kindes ist natürlich ein anderes Paar Schuhe als die der Eltern. Dennoch sagt unsere Verfassung, also unser Grundgesetz, dass das Erziehungsrecht der Eltern ein Grundrecht ist.

    Zu sagen, durch Zwang wie Ganztagsschulen wie das Freiheitsrecht der Kinder gestärkt und deshalb müssen die Eltern zurück stecken, funktioniert nicht so einfach.

    Ausgangspunkt der Diskussion war ja, Chancen fürs Leben geben. Diese Chancen eröffnen natürlich mehr Freiheit, als wenn ein „fertiger Mensch“ viele Möglichkeiten überhaupt nicht wahrnehmen kann, mangels Fähigkeiten. Und hier ging es um die, deren Eltern eben keine Sorge dafür tragen, dass ihre Kinder gefördert werden.

    Dass nicht alle Kinder und Eltern automatisch wegen diesen wenigen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden dürfen, da sind wir uns ja nun einige.

    Bei den anderen gilt es abzuwägen, ob die Freiheit die Tage selbst zu gestalten respektive durch die Eltern gestalten zu lassen, zurück stecken muss vor einem einem wie auch immer gearteten Versuch, zwangsweise Chancen zu verbessern.

    Ohne Abwägung zwischen den konkreten Gründen warum der Staat verpflichtet sein könnte, diesen Kindern zwangsweise Bildung zu geben, kann man das nicht einfach so sagen, denn die Freiheit ist unser höchstes Gut und es braucht gute Gründe, die einzuschränken und muss dann auch noch Aussicht auf Erfolg + das mildeste Mittel sein und ich denke, das kann man nicht einfach aus dem Arm schütteln, sondern bedarf wirklich umfassender Überlegungen und Rechtfertigungen.

    Ist für das Kind besser, reicht nicht, denn damit könnte man z.B. auch zwangsweise Morgengymnastik von denen verlangen, die was übergewichtig sind etc.

    Mir ging es auch nicht um eine grundsätzliche Ablehnung. Schulpolitik interessiert mich im Grunde nicht wirklich. Es ging mir halt darum, dass viel zu schnell in Deutschland die Freiheit eingeschränkt wegen „erstrebenswerter“ Ziele. Ob aber ein Ziel erstrebenswert ist, das sieht jeder anders und selbst wenn man einen breiten Konsens in der Gesellschaft hat, gibt es bei allem viele, die das anderes sehen. Und in dem Moment, in dem dann noch ALLE betroffen sind, auch die, welche den Zweck auch ohne Zwang erreichen, wird es für mich kritisch und es wäre mir lieber, wenn es andere Lösungen gebe.

    Ich stimme Ihnen zu, Kinder fit fürs Leben zu machen ist zuvorderst Aufgabe der Eltern und nur wenn es hier niemanden gibt, sollte es so sein, dass der Staat sich drum kümmert. Vor 20 gab es das nicht, dass ganze Hauptschulen unebschulbare Kinder haben. Was dieses unbeschulbar bedeutet,was ich nicht sicher. Meine Nachbarin verwendet den Begriff und durch sie hörte ihn zum ersten Male. Ich vermute, dass die einfach nicht in der Lage sind, Hauptschulstoff zu erfassen. Kann aber auch falsch liegen.

    Man müßte sich zuvorderst fragen, wie kommt das, dass eine nicht kleine Gruppe entstanden ist, die ihre Kinder so vernachlässigen, dass sie Hauptschuldunterricht nicht schaffen. Das ist für mich eigentlich die entscheidende Frage, die aber in der Diskussion nicht angepackt wird. An den Symptomen wird rumgebastelt, aber Untersuchungen, wie so eine Gruppe derart anwachsen konnte, ist mir nicht bekannt.

    Auch finde ich Sarrazin hier nicht weiterbringend. Er spricht von Menschen, die es gewöhnt sind, dass der Staat für sie aufkommt und nie gelernt haben, Eigeninitiative zu entwickeln und/oder auch gar kein Interesse daran haben. – grob sinngemäß wiedergeben.

    Das ist mir aber zu kurz gesprungen und für mich keine befriedigende Erklärung, denn das wirkliche WARUM beides fehlt, wieso Menschen nicht voran kommen wollen, und zwar in wachsenden Zahl.

    Dies müßte für mich mal untersucht werden und dann bitte erst über Lösungen nachdenken und die dann bitte auch offen diskutieren ohne dass direkt die Moralkeulen kommen, wenn sich mal jemand dabei vergriffen hat. Sachlich widerlegen, aber bitte keine Moralkeulen. Auch die Forderung zwangsweise Ganztagsschulen ist häufig moralinsauer, wenn dann kommt, im Sinne der Gleichheit etc. und alles andere sei neoliberal. Eines der größten Hindernisse für mich in gesellschaftspolitischen Debatten ist, dass ständig moralisiert wird. Aber jemand der gegen diese Vorstellungen argumentiert, muss noch lange nicht unmoralisch sein, das Gegenteil kann der Fall sein, er vertritt halt nur nicht die Ansichten, die gerade als moralisch besonders wertvoll anerkannt sind. Zeitgeist sollte nie Argumente ersetzen. Sieht man schön z.B. an der Legalisierung von Homosexualität. Unvorstellbar für uns, dass dies verboten war. Einzig unvorstellbar für mich, dass heute noch Homosexuelle nicht wie Heterosexuelle heiraten dürfen. Staatliche Diskriminierung ist das in meinen Augen. Diese Ansicht hatte ich nicht immer. Fand das früher schon irgendwie richtig, dass sich Homosexuelle nur verpartnern dürfen.

    Ihr Ansatz, frühzeitig alle Kinder zu erfassen und so frühstmöglich zu bemerken, dass Defizite bestehen, die ausgeglichen werden müssen, finde ich grundsätzlich richtig. Auch wenn ich nicht weiß, wie man es umsetzten könnte, dass wirklich so breit gefächert alle Kinder gescreent werden. Auch wenn man nie wird erreichen können, dass wirklich keiner so durchs Raster fällt – man nehme nur Ihr Beispiel, sehr bemüht, alle Möglichkeiten wahrgenommen, denn langwierig, bis erkannt wurde, was vorliegt -.

    Was dann aber tun mit den Kindern, die auffällig sind, wie die Eltern dazu bekommen, dass sie sich kümmern, welche Einrichtungen kann man diesen anbieten, was, wenn es nicht wahrgenommen wird etc. sind Fragen, mit denen ich überfordert bin und mir erst einmal einen wirklich Überblick verschaffen würde. Und hier auch nochmal, solange man nicht untersucht hat, was die konkreten Ursachen dafür sind, dass es eine anwachsende Gruppe von nicht hinreichend geförderten Kindern gibt, ist es ein rumdoktern an Symptomen.

    Z.B. bei Migrantenkindern wird immer gesagt, Sprache sei das a und o. Es wird also von den Eltern gefordert, dass sie Deutsch lernen, um das dann auch den Kindern beizubringen. Klingt auf den ersten Blick sehr logisch. wie kommt es aber, dass zig Kindern, heute selbst Eltern oder zumindest über 30, Eltern hatten die kaum oder nur gebrochen Deutsch sprachen und dennoch nun selbst Kinder haben, die auf Gymnasien gehen. Dass diese Kinder mit Eltern ohne Deutschkenntnisse sogar selbst auf Gymnasien waren. Jeder wird jemanden kennen, dessen Eltern z.B. aus Anatolien kamen, gebrochen Deutsch sprachen, vielleicht nicht einmal schreiben konnten, aber hinter den Kindern saßen und kontrollierten, dass die Hausaufgaben machen. Dass die Mütter putzen gingen oder gehen, um Geld für das Studium der Kinder zu sparen. Ich kenne einige. Daher diese Weisheit, Deutschkenntnisse seien der Schlüssel, ist für mich ne Binsenweisheit.

    Noch mal zu der frühkindlichen Erziehung. Mit allem haben Sie recht, je mehr da passiert, um so mehr Chancen haben die Kinder und zwar unabhängig von ihrem Ausgangspunkt. Mit der bestmöglichen Förderung das meiste rausholen. Wird jeder unterschreiben können.

    In meeinen Augen ist es nicht nur ungerecht, sondern auch der völlig falsche Weg, den Eltern Kindergeld zu zahlen. Dieses ganze Geld sollte für Einrichtungen verwendet werden, die allen Eltern offen stehen, und Kindern was bieten. Sei es Ganztagsschulen, sei es eine Ausweitung der Musikschulen etc. Aber das Geld an die Eltern auszuzahlen ist für mich der völlig verkehrte Weg, denn das Geld in einem Pott für Investitionen in Kinder, wäre weit aus effektiver. So wurschteln die Eltern mit dem Geld so vor sich hin, viele brauchen es gar nicht, andere verwenden es nicht für ihre Kinder und wie anderen nützt es nichts, weil es nicht reicht, um Musikschule, Ganztagskrippe etc. zu zahlen. Geballt das Geld investiert, könnte aber viel für Kinder auf die Beine gestellt werden.

    Zu den türkischen Schulen. Dass Erdogan das forderte, fand ich unmöglich. Konnte den Ärger darüber verstehen. Momentan dreht er ja auch wieder die ganz große Kugel. Aber gegen die Schulen an sich habe ich nichts. Im Gegenteil. Die Kinder von türkischstämmigen Eltern bekommen Türkisch früh mit. Haben also bestimmte Kenntnisse, bei denen es schade wäre, wenn die nicht gefördert würden. Türkisch ist aber keine Sprache, die in der globalen Welt wichtig wäre. Genauso unwichtig wie Deutsch. Es kann also nicht sein, dass staatliche Schulen Türkisch anbieten und damit dann das Angebot anderer Sprachen automatisch um eine Sprache einschränken müssen, die aber wichtig sind mit Blick in unsere globale Welt. Die staatlichen Einrichtungen können das also nicht leisten, sollten sie auch nicht, denn andere Sprachen sind wichtiger. Es wäre aber jammerschade, wenn das Potential an Türkischsprechenden bei uns nicht weitestgehend ausgeschöpft würde. Von daher finde es absolut super, dass es nun angeboten wird und zwar für alle. Denn es wird auch andere geben, die aus was für Gründen auch immer es wollen, dass ihre Kinder vielleicht statt Französisch Türkisch lernen. Daher, finde es absolut unterstützenswert. Was hinzukommt, viele der türkischstämmigen bei uns, mir wurde mal gesagt aus einer zuverlässigen Quelle 90%, spreche kein Hochtürkisch, was dann insbesondere für Akademiker, die in die Türkei gehen, große Schwierigkeiten bedeutet, weil sie von Arbeitskollegen wegen der Sprache nicht akzeptiert werden. Auf dieser Schule wird aber das erforderliche Hochtürkisch beigebracht und das andere bisher praktizierte, ist eine prima Grundlage um drauf aufzubauen. Aber selbst, wenn jetzt nicht das Problem mit dem Hochtürkisch bestünde, es ist super, wenn vorhandene Kenntnisse einer Sprache früh ausgebaut werden und da die Gruppe der Türkischstämmigen bei uns 3 Millionen (?) ausmacht, wäre es einfach Verschwendung, das Sprachpotential brach liegen zu lassen.

    Liebe Grüße

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    @ Stefanie: Hier noch eine Ergänzung von mir.

    … über das erste Mädchen in Deutschland, die mit Down-Syndrom Abi machte und studieren wollte.

    Früher hat man diese Kinder im Hinterzimmer versteckt. Heute ist man gerade bei Kindern mit Down-Syndrom sehr weit in der Förderung. Auch die Lebenserwartung dieser Kinder ist heute höher, als Erwachsene können sie teilweise ein selbstbestimmtes Leben führen. Auch hier gilt: Die Frühförderung ist wichtig.

    In der Hauptschule noch etwas erreichen zu wollen, ist nicht unmöglich, aber eben viel schwieriger. Die frühkindliche Phase ist wichtig. Es gibt viele Möglichkeiten der Therapie, z. B. die Bewegungstherapie, Ergotherapie. Wichtig sind natürlich die Bewegung (Schaukeln, Klettern, Trampolinspringen usw.) und das freie Spiel mit allen Elementen. Es sollte nicht nur von den Eltern abhängig sein, ob die Hilfe das Kind erreicht.

    Kennen Sie die bewegte Schule?

    Also Therapeuten gehören sicher auch an Schulen oder in Kindergärten mit Problemkindern. Es braucht ein Problembewusstsein.

    Liebe Grüße

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    @ Stefanie: Liebe Grüße auch von mir. Ich äußere hier natürlich auch nur meine Meinung. Also mein Sohn wurde nicht auf eine Sonderschule abgeschoben, ich war sehr glücklich eine Schule für ihn gefunden zu haben. Natürlich suche ich immer noch nach alternativen Möglichkeiten (z. B. Integration), das sensibilisiert auch für das vorhandene Schulsystem. Mein Beispiel sollte vor allem verdeutlichen wie entscheidend die frühkindliche Entwicklung für die weitere Schulkarriere sein kann und welche bedeutende Rolle auch die Eltern dabei spielen. Jedes Jahr, das hier vergeudet wird, ist verloren und vergrößert die Probleme.
    Natürlich ist es wichtig unter welchen Bedingungen ein Kind aufwächst. Die Frage ist doch, wie erreiche ich die Eltern und damit auch die Kinder und welche Hilfestellungen sind nötig und gegebenenfalls möglich.

    Jetzt habe ich doch noch den Artikel in der Sächsischen Zeitung vom 19. 02. 2008 zu einer möglichen Motivation von Privatunterricht gefunden: radikalkonservative Protestanten – bibeltreu und sendungsbewusst. Kreationisten Hilfe! Ich halte mich für sehr tolerant. Diese Toleranz erreicht seine Grenze, wenn mir Intoleranz begegnet.

    Der Freiheitsgedanke sollte doch die Rechte der Kinder auf einen bestmöglichen Bildungsabschluss nicht einschränken. Die Gesellschaft muss sich letztlich auch fragen, was sie will. Die Freiheit der Kinder muss doch auch berücksichtigt werden.

    Persönlich fand ich die Diskussion um die „türkischen Schulen“ sehr scheinheilig, wenn man gleichzeitig andere private Schulen genehmigt. Ich weiß die christlich-jüdische Tradition. Natürlich sollte der Staat über die Träger aller privaten Schulen Kontrolle ausüben, er bestimmt die Regeln.

    Die Frage von nicht beschulbaren Kindern (Gibt es so etwas?) kann ich nicht beantworten. Allerdings halte ich nichts von der Idee der Bildungsgutscheine. Da sind doch wieder die Eltern gefragt. Wen erreiche ich denn da? Dann sollte man, nach meiner Meinung, lieber in die Schulen investieren oder zusätzliche Soziologen und Psychologen beschäftigen.

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    @Kerstin

    Es gibt nicht, wo ich Ihnen widersprechen möchte. Mein Beitrag vorher war auch nur ein grundsätzlich, dass verpflichtende Ganztagskrippen – und Schulen sehr wohl etwas sozialistische haben, indem sie die ganze Gesellschaft aus angeblichen Gerechtigkeitsgründen dem Zwang unterwirft, Kinder staatlich erziehen zu lassen. Dass diese staatliche Erziehung in fundamentalem Gegensatz zu dem stehen können, was Eltern ihren Kindern vermitteln und bieten wollen – und damit meine ich nichts Verfassungsfeindliches oder Verwahrlosung etc., sondern einfach nachvollziehbare „legitime“ Interessen.

    Auch habe ich selbst keine Aktien in religiösen oder „türkischen Schulen“ – an letztere dachte ich hierbei, weil ich einiges drüber las und viele der Gründe verstehen kann, warum Eltern diese für ihre Kinder wollen und tw. 1,5 Stunden pro Strecke dorthin in Kauf nehmen. Die Schulen sind scheinbar auch sehr gut, wenn auch der Träger umstritten ist.

    Auch wie dies ganz sicher kein Streiten für religiöse Schulen. Ich in dafür, dass Religionsunterricht rein gar nichts in der staatlichen Schule zu suchen hat. Es kann nicht sein, dass der Staat dafür sorgt, dass Kinder in einer staatlichen Einrichtungen religiös Erziehung unterstützt. In meinen Augen sollte dies im rein privaten Bereich – eingeschlossen Privatschulen – stattfinden. Von daher bin ich auch gegen Islamunterricht. Was ich indes für wichtig halte, dass im Rahmen von Geschichte oder was auch immer, die Inhalte der jeweiligen Religionen, deren geschichtlichen Einflüsse etc. vermittelt werden als eine Art Überblick, so wie man auch geschichtliche Epochen oder Inhalten von Büchern durchnimmt.

    Ich denke es sollte es sein, dass der Staat ein Angebot zur Verfügung stellt, dass jeder die Möglichkeit hat, die notwendige Schulbildung und auch die höchst möglichen Abschlüsse zu erzielen und daneben die Menschen Einrichtungen organisieren können, die sie lieber hätten oder einfach nur zwischen den bestehenden Angeboten frei wählen dürfen.

    Die Einschränkung der freie Wahl der Eltern insgesamt sollte wirklich nur nach einer sehr gewissenhaften Abwägung erfolgen, welche die Freiheitsrechte hinreichend berücksichtigt und möglichst nicht einschränkt. Wird diese Freiheit eingeschränkt, müssen dafür höherwertige Güter beeinträchtigt sein und die Einschränkung nicht nur verhältnismäßig, der Zweck – also das höherrangige Gut – muss erreichbar sein und es darf kein Mittel zur Verfügung stehen, was eine geringere Einschränkung bedeutet und den Zweck ebenso erreichen kann. Generelle Gerechtigkeit reicht für mich als Zweck hierbei nicht aus. Da muss schon mehr kommen. Dass es mehr gibt, weiß ich, wogegen ich mich nur wehrte, dass man eben einfach lapidar sagt, es sei gerechter und das allein reicht aus, 90 % der Bevölkerung massiv einzuschränken. Denn das ist höchst ungerecht diesen 90% gegenüber.

    Es ging mir also nur ums Prinzip, ohne dass ich hierbei eine abschließende Meinung hätte.

    Ein Punkt, den hatte ich noch vergessen, Sie schrieben, die Kinder werden auf Sonderschulen abgeschoben. (Das mag auf ihren Sohn zutreffen, dazu komme ich noch später.). In Großstädten sieht es wohl anderes aus. Sonderschulklassen dürfen wohl nur 10 (?)Schüler haben. Das heißt, wenn die Klassen voll sind, kommen die Kinder auf die Hauptschule. Meine Nachbarin ist an einer Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt. Sie erzählte mir das und sagte, 90 % ihrer Schüler seien nicht beschulbar, gehörten auf Sonderschulen. Für sie sei es ein Erfolg, wenn die Jugendlichen beim Schulabgang ihren Namen richtig schreiben könnte. Ich konnte das zunächst kaum glauben. Die Kinder sagt sie, können auch motorisch die grundlegensten Sachen nicht. Es gebe viele, die werde rückwärtslaufen können noch einen Ball fangen können. Sie sagt, die müßten auf Sonderschulen, weil wir mit unserer Klassenstärke kaum eine Chance haben, sie zu fördern und die 10 %, die beschulbar sind, gehen auch unter, weil man sie einfach ebenfalls nicht ihren Fähigkeiten entsprechen fördern kann und sie daher nicht unterfordert, sondern auch weit unter den Möglichkeiten bleiben.

    Ihr Kind scheint eine andere Beeinträchtigung zu haben. Ähnliches habe ich von Eltern mit behinderten Kindern gehört. Hier habe ich noch keine abschließende Meinung, bin aber nachdem was mir erzählt wurde, sehr dafür, dass man wirklich die Möglichkeiten faktisch und nicht nur auf dem Papier schafft, dass diese Kinder in „normalen Schulen“ eingegliedert werden und parallel entsprechende Förderung bekommen, je nach Beeinträchtigung. Sehr schön fand ich die Meldung über das erste Mädchen in Deutschland, die mit Down-Syndrom Abi machte und studieren wollte. Finde ich so klasse.

    Ich weiß nicht, was bei Ihrem Kind ist, wünsche Ihnen aber sehr, dass Sie doch noch etwas finden, von dem Sie sagen, dass ist die geeignete Schulform für mein Kind.

    Liebe Grüße

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    @ Stefanie: Das waren jetzt aber viele Argumente, ich werde versuchen sie aus meiner Sicht abzuarbeiten.

    Grundsätzlich habe ich nichts gegen private Schulen. Konkurrenz belebt das Geschäft, ist auch meine Auffassung. Dafür müssen die staatlichen Schulen auch konkurrenzfähig sein. Sind sie das auch? Ich will hier nicht über die Lehrer herfallen, es gibt Gute und Schlechte. Private Schule suchen sich nicht nur ihre Schüler sondern auch ihre Lehrer aus (manchmal werden die dann nicht einmal gut bezahlt). Ich habe mich für die staatliche Schule entschieden, die Auswahl in der Umgebung war einfach zu gering. Für mich gehört zur Selbstständigkeit eines Kindes auch, dass es alleine zur Schule kommt. Es geht also vor allem um die Qualität der staatlichen Schulen.

    Letztes Jahr war ich Elternvertreter in der Klasse meines Sohnes als ich die vielen Ausfallstunden beklagte, durfte ich mir eine Menge Gründe anhören. Eigentlich sollte die mir doch im Sinne meines Kindes egal sein. Oder? Meine Frage war nicht als Angriff gegen die Lehrer gedacht, sondern war reine Sorge. Anschließend habe ich mich gefragt, warum ich mich jetzt so schlecht fühle.

    Als mein großer Sohn in die Schule kommen sollte, habe ich mich mit verschiedenen Lern- und Lehrmethoden beschäftigt und verschiedene Schultypen betrachtet. Meine Söhne gingen in einen Ökumenischen Kindergarten, ich war sehr begeistert von dem Kindergarten. Es war ein sehr schönes warmes Klima, die Kinder standen im Mittelpunkt, wir waren tolerant. Also prima. Durch eine Elterninitiative wurde dann eine private Schule gegründet. Die Religion spielte natürlich auch eine Rolle. Es hatte für mich manchmal fundamentalistische Züge nicht so sehr in der Beziehung zur Religion sondern in der Ablehnung der staatlichen Schule. Meine Mutter (heute 70) war im Übrigen die Einigste in ihrer Klasse, die nicht am Religionsunterricht teilnahm, ihre Mutter hatte es verboten und sie hatte viele Gründe dafür. Meine Mutter hat das als sehr schlimm in Erinnerung, weil sie deshalb einiges auszustehen hatte von Seiten ihrer Lehrer. Soviel zum Thema Religionsfreiheit. Wie viel Religionsfreiheit wird denn den Atheisten bzw. Andersgläubigen in konfessionellen Schulen eingeräumt? Wie viel Religion brauchen wir denn heute?

    Die Europa-Schule in manchen Großstätten finde ich toll, zu weit weg für uns.

    .. ich bin für einen schnellen und massiven Ausbau der Ganztagsbetreuung, dass Eltern die Chance haben, Kinder betreut zu bekommen, während sie arbeiten (ihr Zitat)

    Finde ich gut, sofern es Elternwunsch ist. Auch hier sollte Qualität eine Rolle spielen. Wenn die Computerspiele und Fernsehen nur in den Hort verlagert werden, kann man es auch lassen.

    Die mit Problemen verpflichten in Einrichtungen zu gehen, während man den anderen erlaubt zu spielen, vor allem deren Eltern erlaubt, zu erziehen wie man will und nicht es dem Staat zu einem großen Teil überlassen? (Ihr Zitat)

    Ein normaler Kindergarten kann Entwicklungsstörungen nicht beseitigen, da gehört therapeutische Hilfestellung her, diese kann sehr spielerisch sein und Spaß machen. Hier muss man an die Eltern ran. Dazu gehört aber auch Ehrlichkeit. Leider hat es bei mir viel zu lange gedauert, ehe ich das ganze Ausmaß der Störung meines kleinen Sohnes begriff und es hat zu lange gedauert bis ihm geholfen wurde. Problemerkenntnis: 4 1/2 Jahre; Terminvergabe SPZ 3/4 Jahr; Wartezeit integrativer Kindergarten 3/4 Jahr usw. Ich hatte alle Vorsorgeuntersuchungen absolviert und mich immer belogen. Mutter-Kind-Interaktion fatal. Wir kämpfen noch heute, vielleicht wäre uns viel erspart geblieben, wenn wir (man) früher reagiert hätten. Mein Sohn ging gerne zu seinen Förderstunden, dafür habe ich noch einmal meine Berufstätigkeit aufgegeben. Kann das jeder?

    … für mich nicht selbstverständlich, dass man Eltern zwingen kann, dass sie ihre Kinder nicht zu Hause unterrichten …

    Mein Sohn wäre ein solches Kind. Es gibt keine passende Schule für ihn. Aber ich könnte ihn auch nicht unterrichten und man muss schon die Motivation für solche Wünsche mit betrachten. Ich will auch, dass er unter anderen Kindern aufwächst. Wissen Eltern immer was richtig ist?

    Die nette Omi von nebenan fragen, die sich freuen würde, Kinder um sich haben und ihre eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro im Monat zu geben.

    Da kenne ich mich nicht so sehr aus. Allerdings spielen da sicher auch Versicherungsfragen eine Rolle und die Angst es könnte etwas passieren.

    Angst ist für mich ein Hauptthema heute.

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    @Kerstin

    „Viel wichtiger sind für mich verpflichtende Untersuchungen, um Probleme rechtzeitig zu erkennen. “

    Und dann? Die mit Problemen verpflichten in Einrichtungen zu gehen, während man den anderen erlaubt zu spielen, vor allem deren Eltern erlaubt, zu erziehen wie man will und nicht es dem Staat zu einem großen Teil überlassen?

    „Die Bildungsungerechtigkeit entsteht ja an anderer Stelle. Zunehmend haben sich ganze Gruppen aus der staatlichen Schule verabschiedet.“

    Hierbei muss man zunächst begründen, welches Recht der Staat hat, den Eltern zu versagen, zu entscheiden, wie ihre Kinder gebildet werden. Es ist für mich nicht selbstverständlich, dass man Eltern zwingen kann, dass sie ihre Kinder nicht zu Hause unterrichten und statt dessen in Schulen geben müssen. Auch die privaten Schulen sind vom Staat kontrolliert, so dass auch hier der Staat letztlich bestimmt, was Kindern beigebracht wird. Wir haben Religionsfreiheit. Wenn Eltern nun wünschen, dass dies im Schulalltag eingebunden ist, bleiben ihn nur private Schulen, da der Staat das nicht macht. Eltern, denen es wichtig ist, dass die Kinder bilingual aufwachsen, dass sie z.B. die Sprache der Verwandten sprechen, sollen einfach akzeptieren, geht
    nicht, müsst ihr drauf verzichten, weil das können nur Privatschulen leisten und die wollen wir nicht wegen der Gerechtigkeit und Geldmangel?

    Von daher ist es schon lässig, mit dem Argument Gerechtigkeit und Geldmangel zig Freiheitsrechte vom Tisch zu wischen.

    „Jetzt will ich doch anmerken, was die sozialistische Schule für mich ausmacht.“

    Für mich ist es sozialistisch, wenn man seine Kinder unter Zwang vom Staat erziehen lassen muss und wenn Kinder den ganzen Tag in einer Einrichtung sind, wird es schwierig Dinge, die man ihnen dort beibringt, auszureden. Wenn dann noch wie von Ihnen gewünscht Privatschulen abgeschafft werden, haben Eltern faktisch keine Chance mehr, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Kind ohne massiven Einfluss Dritter, die sie nicht selbst auswählen können, großziehen wollen.

    Man nehme Stuttgart 21. Ganze Schulklassen waren auf den Demos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ALLE Schüler einer Klasse die gleiche Meinung haben, was den Bahnhof anbelangt. Erst recht nicht alle Eltern. Dennoch waren ganze Klassen da, um dort mit demonstrieren. Das ist unsäglich und solche politischen Dinge haben in Schulen nichts zu suchen.

    Unabhängig davon, ich bin für einen schnellen und massiven Ausbau der Ganztagsbetreung, dass Eltern die Chance haben, Kinder betreut zu bekommen, während sie arbeiten, so sie dass wollen. Aber auch hier, der Staat maßt sich an, genau zu bestimmen, wie Eltern ihre Kinder betreuen lassen. Die nette Omi von nebenan fragen, die sich freuen würde, Kinder um sich haben und ihre eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro im Monat zu geben, geht nicht. Auf Kinder darf nur aufpassen, wer dafür registriert ist und es muss ein bestimmtes Entgelt dafür bezahlt werden, was sich kaum einer leisten kann. Eigenen Kindergarten aufmachen, Pustekuchen, alle Vorgaben müssen eingehalten werden und machen es damit Elterninitiativen faktisch nahezu immer unmöglich, weil die Hürden zu hoch sind.

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    @Stefanie: verpflichtende Ganztagsbetreuung

    Sie schreiben, das ist mir zu sozialistisch. Jetzt will ich doch anmerken, was die sozialistische Schule für mich ausmacht. Da ging es nicht nur um eine schulische Ausbildung und eine Berufs- bzw. Studienvorbereitung sondern auch um die Bildung zum sozialistischen Menschen, also sehr ideologisiert. Ich denke da besteht schon ein Unterschied zu einer Gesamtschule im heutigen System. Gleichzeitig wüsste ich auch nicht, wo ich die Hobbys meiner Kinder nach einer verpflichtenden Ganztagsbetreuung unterbringen sollte.

    Die Bildungsungerechtigkeit entsteht ja an anderer Stelle. Zunehmend haben sich ganze Gruppen aus der staatlichen Schule verabschiedet. Dabei werden nicht nur die Schüler benachteiligt, deren Eltern das Schulgeld von privaten Schulen nicht zahlen können, sondern auch Schüler in ländlichen Gebieten, die keine entsprechende Schule bieten können. Gleichzeitig haben die staatlichen Schulen mit Finanzproblemen und Lehrermangel zu kämpfen.

    Ein weiteres Problem sehe ich in der Abschiebung von schwierigen Schülern in Förderschulen und die Undurchlässigkeit des Systems. Der Leistungsdruck bereits in der Grundschule ist enorm, die Hilfe der Eltern wird vorausgesetzt und das zeitige Sortieren ist für Spätzünder schlecht. Da ist eine enorme Angst der Eltern: Was wird aus meinen Kind wenn es das Gymnasium nicht schafft? Andererseits gibt es auch Desinteresse.

    „Sarrazin verlangt in seinem Buch schon verpflichtende ganztätige frühkindliche Erziehung.“ (Ihr Zitat)

    Ich denke auch, dies sollte nicht verpflichtend sein, dann könnte man ja auch die Schule eher beginnen. Man muss sich auch fragen, ob denn der Besuch eines Kindergartens automatisch zu besseren Schülern führt. Dies ist dann doch auch vom Kindergarten abhängig. Viel wichtiger sind für mich verpflichtende Untersuchungen, um Probleme rechtzeitig zu erkennen. Da wurden ja auch schon Änderungen z. B. bei den ärztlichen Untersuchungen (zeitliche Abstände) vorgenommen. Bei bestehenden Problemen immer wie ein Bettler vorm Arzt zu stehen, ist auch nicht wirklich motivierend. Ich denke, da ist ein Umdenken nötig.

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    @Stefanie: Genau das ist der Punkt:“Aber nach etwas drüber nachdenken, bekomme ich ein bisschen Bauchweh. Weil dieses zwangsweise für alle gleiche Chancen herstellen eine Kehrseite der Medaille hat, nämlich Einschnitte in der Freiheit alle derer, die das nicht wollen – und zwar auch bei denen, die das gar nicht brauchen. Wollen wir wirklich als Gesellschaft unser System unter Freiheitsbeschränkung für alle nach einer Gruppe ausrichten, die – Hausnummer, keine Ahnung, nur Schätzung, – keine 20 %, eher wohl nur 10 % unserer Bevölkerung ausmachen.“

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    „Tatsächlich haben wir so hohe Schulden, weil Politiker gern Geld ausgeben – auf der Rechten gern in Form von Geschenken an die Bessergestellten, auf der Linken in Form von Geschenken an die Schlechtergestellten …“

    … mit dem kleinen, aber bedeutenden Unterschied, daß die sogenannten Schlechtergestellten mit dem Geld keine Spekulationsblasen anheizen, sondern es ausgeben und damit die Realwirtschaft befeuern. Was würde wohl passieren, wenn alle rund 7 Millionen Hartz 4-Berechtigte jeweils 1000 Euro auf die Hand erhielten? Das wären nur 7 Milliarden Euro insgesamt – ein Fliegenschiß gegenüber den aberhunderten von Milliarden Euro, die für die angeblich so wichtige Bankenrettung ausgegeben wurden. Sie würden das Geld umgehend ausgeben, um ihren Lebensstandard zu verbessern, der Staat würde einen respektablen Teil seiner Investition kurzfristig über höhere Steuereinnahmen refinanzieren, die Beschäftigung würde zunehmen, die Sozialkosten sinken.

    en Kreislauf der Realwirtschaft bringen. Was würde wohl passieren, gäbe man den knapp 3 Millionen Erwerbslosen

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    Der Artikel hat vieles, das ich unterschreiben kann. Zwei Sachen sind mir aber aufgestoßen:

    1. Steuererleichterungen sind keine Steuergeschenke. Der Staat nimmt sich, was seine Bürger erarbeiten und hier etwas maßvoller zu sein, ist kein Geschenk, sondern weniger wegnehmen.

    Hier von Geschenken zu sprechen finde ich fatal, denn die Denke, dass dem Staat das Geld seiner Bürger zusteht – um es zu verteilen – ist weit verbreitet. Der Staat ist für seine Bürger da und dazu gehört, dass er maßvoll mit dem Geld seiner Bürger waltet, denn es ist nicht sein Geld. Es ist das Geld der Bürger, was er wegnimmt.

    Das mit dem maßvoll Verwalten schrieben Sie ja, so dass wir im Ergebnis wieder übereinkommen, dass der Staat unbedingt die Ausgaben kürzen muss und dafür gibt es viel Potential, ohne dass eine Kürzung der Sozialleistungen die einzige mögliche zum Sparen wäre.

    Vor allem muss der Staat sich auf seine Aufgabenerfüllung beschränken und nicht zig Behörden, Organisationen etc. unterhalten, die letztlich so aus dem Ruder gelaufen sind, dass die eigentliche Aufgabenerfüllung nicht mehr der deutliche Schwerpunkt ist, sondern die Behörden, Organisation etc. selbst, deren Erhaltung und Ausweitung, die immer träger und gefräßiger wurden.

    Bei Subventionen sind wir uns eh einig.

    2. Ihr Angriff auf Sarrazin. Sarrazin verlangt in seinem Buch schon verpflichtende ganztätige frühkindliche Erziehung: um eben gleiche Chancen zu schaffen. Er schreibt also das Gegenteil von dem, was Sie ihm unterstellen.

    Er sieht nicht aufgrund der Herkunft eine Chancenlosigkeit, sondern aufgrund der Umgebung und um dies zu durchbrechen, will er für ALLE verpflichtend eine staatliche Umgebung schaffen, die jedem Fördermöglichkeiten zukommen lassen soll. Das ist sein Lösungsvorschlag und das Gegenteil von,

    „Wer die eigenen Bildungsreserven nicht ausschöpft und Bildungsprivilegien verteidigt, wer das Märchen weitererzählt, dass erfolgreiche Leute intelligente Kinder haben und weniger erfolgreiche Leute weniger intelligente, wie es Sarrazin tut, und damit die sozialen Unterschiede verteidigt und verfestigt, der sorgt in der Tat dafür, dass sich Deutschland als Bildungsrepublik abschafft.“

    – soziale Unterschiede verteidigen und vor allem VERFESTIGEN.

    Denn er will es ja aufbrechen. Mir ist daher nicht nachvollziehbar, wie man zu der Aussage von Ihnen gelangen kann. Zudem er ausdrücklich sagte, die Herkunft, Gene, machen wenn überhaupt 20 % der Entwicklung aus, der maßgebliche Einfluss für die Entwicklung sei die Umgebung.

    Wenn Sie sich selbst als liberal sehen, wäre in Bezug auf Sarrazin und seinen Lösungsvorschlag für mich persönlich zu diskutieren, ob wir wirklich wollen, dass alle Kinder dem Zwang ausgesetzt werden, in Ganztagskrippen und Schulen zu gehen, wegen einer Gruppe – deutsch – und anderstämmiger, was auch Sarrazin immer wieder betonte, dass es eben kein Problem nur der Zuwanderer sei – die gesamte Gesellschaft in die Pflicht nehmen sollen. Als man anfing das zu diskutieren, war ich für diese verpflichtende Ganztagsbetreuung, weil ich wie Sarrazin denke, hier könnte eine Lösung liegen. Aber nach etwas drüber nachdenken, bekomme ich ein bisschen Bauchweh. Weil dieses zwangsweise für alle gleiche Chancen herstellen eine Kehrseite der Medaille hat, nämlich Einschnitte in der Freiheit alle derer, die das nicht wollen – und zwar auch bei denen, die das gar nicht brauchen. Wollen wir wirklich als Gesellschaft unser System unter Freiheitsbeschränkung für alle nach einer Gruppe ausrichten, die – Hausnummer, keine Ahnung, nur Schätzung, – keine 20 %, eher wohl nur 10 % unserer Bevölkerung ausmachen.

    Mir ist also der Gedanke Sarrazins zu sozialistisch. Staatliche Erziehung vom frühsten Alter an für alle, löst kein Behagen bei mir aus. Da ich aber keinen besseren Vorschlag habe, bin ich aktuell wohl ambivalent – wie man so schön sagt – zu diesem Thema eingestellt.

    Sarrzins Ansatz ist also für mich in der Tat diskussionwürdig, aber nicht, weil er Strukturen, wie Sie behaupten, verfestigen will, sondern weil er auf Kosten der Freiheit der gesamten Gesellschaft einer kleiner Gruppe mehr Chancengleichheit verschaffen will.

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