Karsten Schroeder bat mich, etwas über „Gimme Shelter“ zu schreiben. Das ist schwer. Einmal, weil Greil Marcus in seiner damaligen Besprechung des Albums „Let It Bleed“ und da besonders dieses Songs – Dezember1969 – das meiste schon gesagt hat (aber wenn man danach geht, worüber soll man noch schreiben?), dann aber, weil der Song vor allem musikalisch wirkt, nicht textlich, und ich mir vorgenommen habe, generell nicht über die Musik zu schreiben, weil man sich ja doch nicht einigen kann. Wer Mick Jagger nicht mag, wird nicht anfangen, ihn zu mögen, weil ich sage, er spiele hier wunderbar Harp; so wie ich immer noch nicht Punk mag, auch wenn ich intellektuell nachvollziehen kann, was die Bewegung damals wollte.
Ich rede nicht zufällig von Punk, denn um die Zeit, da „Let It Bleed“ – seinerseits eine Antwort auf „Let It Be“ von den Beatles – herauskam, war schon mit amerikanischen Bands wie MC5, The Stooges, The Fugs die Bewegung in Gang gekommen, die gegen die preziös und prätentiös gewordene Rock-Szene eine Art Primitivismus propagierte, der freilich ungefähr so echt war wie sein Vorläufer in der Kunst des 19. Jahrhunderts. „Gimme Shelter“ war mit seinen drei Akkorden und seiner Haltung, die später von den Punkrockern als „No Future“ zelebriert wurde, so etwas wie ein Gruß in diese Richtung. „Sehr apokalyptisch“ kommentierte Jagger später, und insofern bemerkenswert aktuell. Aber eben nicht Punk Rock nicht zuletzt dank der Soul-Stimme von Merry Clayton, die dafür gesorgt hat, dass der Song von kaum einer Band gecovert werden kann: wer verfügt schon über eine solche Sängerin?
Der Text (wie immer unten nachzulesen) handelt also von Kriegsangst und Bürgerkriegsangst: Der Sturm bedroht mein Leben, der Krieg ist nur ein Schuss entfernt, schon fegt das Feuer durch die Straßen wie ein wilder Stier, der sich verirrt hat; Vergewaltigung und Mord, eine steigende Flut der Gewalt, in der ich untergehen werde. Unschwer sind die Bezüge auf Vietnam, auf den Kalten Krieg und die Rassenunruhen, manche Leute sagen der Aufstand in Watts 1965.
Freilich, und das ist erst recht nicht die Haltung des Punk, endet der Song mit der Antwort auf diese Vision des Untergangs: Liebe, Schwester, ist nur ein Kuss entfernt. Nothing you can do, but you can learn how to feel inside… : All you need is love …
Ich hätte gern geschrieben, dass die Stones mit diesem Song eine Kurfassung von Bob Dylans „Shelter From the Storm“ geleifert haben, aber der Song kam erst 1975, ist also eher die Langfassung von „Gimme Shelter“: In a world of steel-eyed death, and men who are fighting to be warm / Come in, she said I’ll give ya shelter from the storm.
Dass es die Aufgabe der Frauen sei, den mit dem stahläugigen Tod beschäftigten Männern Schutz vor dem Sturm zu bieten, mag man heute bezweifeln; dass die Liebe irgendeine Antwort gibt auf Mordlust und Vergewaltigung, wie sie am 7. Oktober 2023 durch Südisrael fegte; auf steigende Fluten; auf den Krieg, den Wladimir Putin in die Ukraine getragen hat, halte ich für eine sentimentale Illusion, und das war sie auch damals im Kalten Krieg, wo die Einteilung der Erde in waffenstarrende und militärisch etwa gleich starke Blöcke die Illusion der Gleichwertigkeit oder Gleichunwertigkeit der Systeme nährte und ein Sting meinte, etwas Tiefsinniges zu sagen, wenn er sang, die Russen liebten doch auch ihre Kinder. Tun sie das? Tun das die Palästinenser? Warum opfern sie sie dann zu Zehntausenden auf den Altären des stahläugigen Todes?
Die Musik ist hier kompromissloser als der Text. Gut so.
Oh, a storm is threat’ning
My very life today
If I don’t get some shelter
Oh yeah, I’m gonna fade away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
Ooh, see the fire is sweepin‘ our very street today
Burns like a red coal carpet, mad bull lost its way
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
Rape, murder!
It’s just a shot away
It’s just a shot away
Rape, murder!
It’s just a shot away
It’s just a shot away
Rape, murder!
It’s just a shot away
It’s just a shot away
The flood is threat’ning my very life today
Gimme, gimme shelter, or I’m gonna fade away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
It’s just a shot away
It’s just a shot away
It’s just a shot away
I tell you love, sister, it’s just a kiss away
It’s just a kiss away
It’s just a kiss away
It’s just a kiss away
It’s just a kiss away
Kiss away, kiss away
… frei nach Schiller; spät kommt er – doch er kommt! 😉
( … ääähm, wer ist Karsten Schroeder?)
Wer ist „hans“?