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Songs von Leonard Cohen (5): Lover Lover Lover

Ich bespreche diesen Song nicht wegen der schönen Musik, obwohl der Samba-Rhythmus unwiderstehlich ist und ich es schön finde, dass Leonard Cohen hier in seiner normalen Stimme singt – in einer Tonlage, in der ich auch singen kann – und nicht in der zuweilen künstlich wirkenden tiefen Stimme, die sein Markenzeichen ist.

Aber, wie gesagt, um die Musik geht es mir auch bei dieser Besprechung nicht, sondern um den Text. Um einen der ersten Songs, in denen sich Cohen unmittelbar mit seiner jüdischen Identität auseinandersetzt. Wenn Matti Friedman Recht hat (sein Buch „Who By Fire“ ist eines der besten Bücher über populäre Musik, die ich kenne): Wenn Friedman also Recht hat, entstand dieser Song, oder eine erste Fassung davon, als Cohen 1973 spontan nach Israel fuhr, um irgendwie beim Jom-Kippur-Krieg von Nutzen zu sein, vielleicht als Arbeiter in einem Kibbutz, und in Tel Aviv von einer Musiker-Truppe aufgegabelt wurde, die für die kämpfenden Soldaten und Soldatinnen spielte.

Friedman behauptet, dass Cohens Fahrt nach Israel zugleich eine Flucht war – vor der Ehe und dem Vater-Dasein, vor dem Show-Geschäft, vor einer künstlerischen und existenziellen Krise; und dass sich diese Krise während dieses ungeplanten Truppenbetreuungseinsatzes auflöste. Das dürfte schwer nachzuprüfen sein; Fakt ist jedoch, dass Cohen kein Jahr später das Album „New Skin for the Old Ceremony“ – produziert von John Lissauer, der zehn Jahre später auch das Album „Various Positions“ produzierte, auf dem sich „Hallelujah“ befindet – herausbrachte, das allgemein als Neubeginn seiner Karriere angesehen wurde.  Das Album enthält auch das Lied „Who By Fire“, eine weitere Auseinandersetzung mit dem Judentum; auf den Song gehe ich in einem weiteren Beitrag dieser Serie von Cohen-Exegesen noch ein.

Nun bin ich bekanntlich skeptisch gegenüber biographischen Erklärungen von Kunstwerken, wenn sie nicht selbst – wie Cohens „So Long Marianne“ oder  „Suzanne“ – autobiographisch daher kommen. Und wenn sie so daher kommen, finde ich sie oft langweilig, wenn sie nicht über das Autobiographische hinausgehen. „Suzanne“ finde ich darum besser als „So Long, Marianne“, weil der Song bei aller autobiographischen Detailtreue – das Haus am Ufer, der Tee, die Mandarinen – über die Einzelheiten der Beziehung hinauswächst und einen Frauen-Typus thematisiert.

Und so fiel mir bei „Lover Lover Lover“ – bevor ich Friedmans Buch gelesen hatte – zunächst nur auf, dass der Song (den Text findet man unten) in zwei Teile zerfällt: da sind die Strophen, in denen der Sänger mit Gott und seiner Identität als Jude hadert; und da gibt es den immer gleichen Refrain, in dem er, scheinbar abgelenkt, seine Liebhaberin bittet, zurückzukommen; wie denn für die meisten Menschen das Ringen mit existenziellen Fragen am Ende weniger wichtig ist als das Verlieren und Wiederfinden der Liebe. Was schon Grund genug wäre, diesen Song gut zu finden.

Er funktioniert also auch ohne Bezug auf den Jom-Kippur-Krieg und Israel; aber der Bezug gibt ihm eine weitere Dimension, die, wenn man sie einmal erspürt hat, einen nicht loslässt.

Beginnen wir mit der ersten Strophe. Der Sänger bittet seinen Vater – im Folgenden wird klar, dass damit Gott gemeint ist –, ihm einen neuen Namen zu geben. Der, den er jetzt benutzt, ist beschmiert mit Angst und Schmutz und Feigheit und Scham.

Viele Juden wollten – manche mussten – nach der sogenannten Judenemanzipation in Europa ihre Namen ändern. Hießen sie bisher nach ihrem Vater – also wie mein Urgroßvater Joseph ben Samuel, Sohn des Schmuel oder ben Salomon, oder Sohn des Mendel, also Mendelssohn -, so mussten sie jetzt wie die Christen „ordentliche“ Familiennamen annehmen. Manche nannten sich nach ihrer Stadt – Posener etwa – oder nach einer Stadt, die sie für romantisch hielten, weshalb es  unglaublich viele Oppenheims und Oppenheimer gibt. Andere wollten einen Namen, der schön klingt: Veilchenfeld, Rosenbaum, Gold oder Goldfinger. „Cohen“ allerdings blieb meistens Cohen – oder Kohn, Kahn, Kahane; denn der Name ist eine Ehrenbezeichnung und bedeutet, dass man zur Priesterkaste der Kohanim gehört.

Doch auch Namen wie Frankfurter und Mannheimer, Rosenfeld oder Blume halfen nicht viel, denn sie wurden sofort als „jüdisch“ gelesen. Also wollten viele Juden auch die loswerden. Zu Cohens Vorbildern gehörte der kanadische Dichter Irving Layton, der als Israel Pincu Lazarovitch geboren wurde. Und da gab es Issur Danielowitsch, aus dem Kirk Douglas wurde. Oder Robert Allen Zimmermann, der sich dann Bob Dylan nannte. Und viele, viele andere.

Furcht und Dreck und Feigheit und Scham: die Merkmale des Diaspora-Juden, des Shtetl-Juden, der in stetiger Angst vor Pogromen der christlichen Nachbarn lebte, und der auch in Wien oder New York das Kainsmal des Andersseins nicht loswerden konnte, ja erst, so die Zionisten – und nun sind wir bei Israel und den Krieg – diese Scham und die Feigheit loswerden könnte, wenn er einen eigenen Staat hätte, selbst Bauer und Handwerker, Fabrikarbeiter und Soldat sein würde. Viele, die nach Palästina gingen, ließen ihre Namen in Europa zurück. Aus David Grün wurde David Ben-Gurion. Aus meinem Cousin Hans-Peter Posener wurde Yochanan Peres.

Gott aber – um zum Lied zurückzukehren – lässt sich nicht erweichen: Ich habe dich in diesen Körper eingeschlossen, um dich zu prüfen; wie er ja das Volk der Juden auserwählt hat, um sie zu prüfen – und zu prüfen – und zu prüfen. Und mit diesem Körper kannst du kämpfen oder einer Frau eine Freude machen. Ein „oder“, das vielleicht auch ein „und“ sein muss, wenn man in Israel lebt, und eben nicht nur dort.

Und wieder bittet der Sänger: den Körper will ich aber nicht, ich will ein hübsches Gesicht und ein ruhiges Gemüt; wobei das englische Adjektiv „fair“ die Doppelbedeutung „hübsch“ und „hellhäutig, blond“ hat. Man erinnert sich an Thomas Manns Tonio Kröger, der den hübschen, blonden und ein wenig tumben Hans Hansen liebt und um seine Unkompliziertheit beneidet: „Frei vom Fluch der Erkenntnis und der schöpferischen Qual leben, lieben und loben in seliger Gewöhnlichkeit! Noch einmal anfangen?“ „Then let me start again, I cried …“

Wäre man böse, könnte man sagen, der Zionismus wollte aus jüdischen Tonio Krögers jüdische Hans Hansens machen. So etwas hätte mein Vater sagen können, vielleicht hat er es irgendwann mal gesagt. Es ist eins der Themen in Amos Oz‘ wunderbarem autobiographischem Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“. Gelungen ist die Verwandlung nicht, zum Glück, und auch Cohen kann nicht „frei von schöpferischer Qual“ leben, kann nicht aus seiner Haut in eine „new skin“ schlüpfen; und wenn, bleibt es doch die „old ceremony“, das alte Ritual des Ringens und Haderns mit Gott und mit der Liebe.

Und wieder antwortet Gott: Ich habe dich nie verlassen. Ihr habt den Tempel gebaut, ihr habt mir das Gesicht verhüllt. Will sagen: ihr macht euch Bildnisse, ihr wollt mich nicht sehen, wie ich bin, was ich will. Ich will nämlich, dass ihr Juden bleibt, mit dem Kainsmal, mit dem Hass, mit der Scham, die andere euch aufdrücken wollen. Wie Bob Dylan in „Neighborhood Bully“ über den Juden sagt: „He’s always on trial / for being alive“: Ihm wird immer der Prozess gemacht, bloß weil er am Leben ist. Franz Kafka lässt grüßen.

Und plötzlich klärt sich nach dieser Antwort Gottes die Stimmung des Songs auf: Möge der Geist dieses Lieds sich rein und stark erheben, ein Schild für dich sein gegen den Feind. Wie ein Psalm Davids, wo immer wieder Gott als Schild bezeichnet wird, wie in Psalm 3:

„Ach, HERR, wie sind meiner Feinde so viel und erheben sich so viele wider mich! Viele sagen von mir: Er hat keine Hilfe bei Gott. Sela. 4 Aber du, HERR, bist der Schild für mich, du bist meine Ehre und hebst mein Haupt empor.“

Das So-Sein, das Jude-Sein akzeptieren hieße dann: nicht mehr weglaufen, egal, wo man ist.

Und das „Lover lover lover come back to me“ wäre vielleicht nicht die Klage des von seinen existenziellen Gedanken abgelenkten Sängers, sondern der Wunsch der Liebhaberin oder des Liebhabers, der zuhause geblieben ist: Komme sicher zurück, meine Liebe, ich warte.

Oder die Aufforderung Gottes an den verlorenen Sohn, den assimilierten Juden: Komm zurück zu mir. Ich warte. Aber nicht ewig.

Ein sehr guter Song.

 

I asked my father
I said, father change my name
The one I′m using now it’s covered up
With fear and filth and cowardice and shame

Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me

He said, I locked you in this body
I meant it as a kind of trial
You can use it for a weapon
Or to make some woman smile…

Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me

Then let me start again, I cried
Please let me start again
I want a face that′s fair this time
I want a spirit that is calm

Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me

I never never turned aside, he said
I never walked away
It was you who built the temple
It was you who covered up my face

Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me

And may the spirit of this song
May it rise up pure and free
May it be a shield for you
A shield against the enemy…

Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me
Yes and lover, lover, lover, lover, lover, lover, lover come back to me

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2 Gedanken zu “Songs von Leonard Cohen (5): Lover Lover Lover;”

  1. avatar

    Großartige Auslegung des Textes, den ich so wirklich noch nicht verstanden hatte. Vielen Dank. Und auch deswegen, weil meine Urururgroßmutter Christiane Rosine Gold hieß.

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