Manche Leute meinen, es gebe zwei Versionen von „Hallelujah“: eine heilige oder doch religiös angehauchte, die Ur-Fassung sozusagen, mit den Strophen 1, 2, 6 und 7, und eine profane Version, nämlich die Strophen 3, 4 und 5. Die Produzentin von „Shrek“ nannte die Strophe 4 sogar „schmutzig“ und ließ Rufus Wainwright für den Film eine gesäuberte Version davon singen. Aber wir haben schon gesehen, dass auch die beiden ersten Strophen die Bibelhelden ironisch zitieren und von den schmutzigen Tricks der Musik und der Liebe handeln.
Worauf man mit Ludwig Thomas „Münchner im Himmel“ ausrufen kann: „Luja sog i!“
https://www.youtube.com/watch?v=VvdEgkqei6c
Die profanen Verse – den Text findet man wie immer unten – führen das Thema der ersten beiden Strophen folgerichtig weiter ins Dunkle hinein, in die Schäbigkeit der Affären und die Ödnis lieblose Ehen. Eine Wiederbegegnung in einem Zimmer, vielleicht in London, vielleicht in Paris, mit Blick auf den Marble Arch oder den Arc de Triomphe, in dem sich einst zwei Liebende trafen, nun aber zwei, die einander fremd geworden sind, deren Beziehung kalt und kaputt ist.
Früher, da hatte ihr Sex etwas Sublimes, Transzendentales, fast Religiöses: Sie machte ihm nichts vor, zeigte ihm ihr Begehren, und wenn er sich in ihr bewegte, so war es, als regte sich auch der Heilige Geist mit jedem Atemzug: Hallelujah! Aber heute ist sie ihm auch beim Sex verschlossen, er weiß nicht mehr von ihr als Harry von Sally, als sie ihm in Katz‘s Deli einen Orgasmus vormachte.
Das erinnert an Erich Kästners tieftraurige „Sachliche Romanze“:
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Luja sog i.
Erst in der fünften Strophe ist wieder von Gott die Rede, wenn man denn annehmen will, die Zeile „You don’t really care for music, do you?“ aus der ersten Strophe beziehe sich auf den Herrn Zebaoth. (Und wenn man sich die Musik im Sketch zu Ludwig Thomas Münchner im Himmel anhört, möchte man meinen, der Herrgott verstehe wirklich wenig davon.) Cohen also: Vielleicht gibt es einen Gott, aber rede mir nicht von Liebe, denn da geht es nur darum, wer am schnellsten ziehen und schießen kann, und ich war nie schnell genug. Und was nächtliche Orgasmen und plötzliche Erleuchtungen angeht: sie sind nicht das echte Gotteslob; das ist vielmehr das Lob der Kalten und Gebrochenen. Das Lob Hiobs.
Du sagst, Ihr sagt, ich würde damit den Namen des Herrn missbrauchen, aber erstens kenne ich diesen Namen gar nicht und zweitens kann es dir, kann es euch doch egal sein. Denn – und nun kommt Cohens Gedicht langsam zum Punkt, und es ist eine Selbstrechtfertigung des Dichters und Sängers: das Licht ist doch in den Wörtern.
Diese Selbstapologie Cohens – und wir unterstellen, dass er bei aller Ironie doch sich selbst meint – erinnert an die Rechtfertigung, die Goethe seinen Gott dafür finden lässt, Faust – und Goethe selbst – seinem Pakt mit dem Teufel zum Trotz am Ende nicht Mephisto und der Finsternis zu überlassen: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. „I did my best, it wasn’t much“: das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis. Und: „I couldn’t feel, so I tried to touch“: das Ewig-Weibliche zieht uns hinan. Gretchen, Helena, Maria; Batseba, Dalila, die übergriffige Mutter, die den jungen Leonard Cohen an den Küchenstuhl fesselt, um ihm die Haare zu schneiden. Dass auch die Sinnlichkeit einen tastenden Weg – „feel your way“, singt Olivia Newton-John in „Grease“ – zur Erkenntnis des Sublimen eröffnet, wissen viele Religionen, nur nicht das Christentum.
Und: immerhin habe ich die Wahrheit gesagt, habe nicht versucht, euch zu täuschen.
Mag sein, alles ging schief, ist schief, das Werk musikalisch an Davids geheimem Akkord gemessen unzulänglich lyrisch nur manchmal erleuchtet. Daran aber wird nichts und niemand gemessen, nicht am Gelingen, sondern nur an der Wahrhaftigkeit des Bemühens.
Hallelujah.
Wer das nicht augenzwinkernd und letztlich heiter singen kann, sollte es lieber lassen.
I’ve heard there was a secret chord
That David played, and it pleased the Lord
But you don’t really care for music, do you?
Well it goes like this
The fourth, the fifth
The minor fall, the major lift
The baffled king composing Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Well your faith was strong but you needed proof
You saw her bathing on the roof
Her beauty in the moonlight overthrew you
Well she tied you to a kitchen chair
She broke your throne, and cut your hair
And from your lips she drew the Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Baby I’ve been here before
I’ve seen this room, and I’ve walked this floor
I used to live alone before I knew you.
I’ve seen your flag on the marble arch
Our love is not a victory march
It’s a cold and it’s a broken Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
There was a time when you let me know
What’s really going on below
But now you never show it to me, do you?
And remember when I moved in you
The holy dove was moving too
And every breath we drew was Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Maybe there‘s a God above
But all I‘ve ever learned from love
Was how to shoot at somebody who outdrew you
It‘s not a cry that you can hear at night
It‘s not someone who has seen the light
It‘s a cold and broken Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
You say I took the name in vain
I don’t even know the name
But if I did, well really, what’s it to you?
There’s a blaze of light in every word
It doesn’t matter which you heard
The holy or the broken Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
I did my best, it wasn’t much
I couldn’t feel, so I tried to touch
I’ve told the truth, I didn’t come to fool you
And even though it all went wrong
I’ll stand before the Lord of Song
With nothing on my tongue but Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah
Es ist erschreckend, dass bei Ihnen so viele ähnliche Synapsen feuern wie bei mir:
„Luja, sog I!“
„Als sie einander acht Jahre kannten…“ (gesungen von Lindenberg)
Rufus Wainwright…
Ist ja sympathisch, aber irgendwie auch eine Last so eine Begabung zu haben…
Manchmal jedenfalls.
Vielen Dank für den Hinweis auf Lindenberg. Das ist eine sehr schöne Vertonung, ich kannte sie nicht.
Das gebrochene „Lobe den Herrn“ ist das schwerste aller Gebete. Und Not lehrt keinesfalls Beten. Jedenfalls nicht das „richtige“: https://starke-meinungen.de/blog/2025/04/04/weil-not-nicht-beten-lehrt/