Können, sollen syrische Flüchtlinge nach dem Ende der Tyrannei zurückgeschickt werden? Aus Prinzip ja, allerdings sicher nicht sofort. Und nicht alle. Dennoch ist die Debatte darüber richtig und notwendig. Und keineswegs verwerflich. Auch und gerade nicht im Wahlkampf.
Diskussionen über Asyl, Flucht und Migration werden schon immer gerne bar jeder zumindest tieferen Sachkenntnis geführt. Dafür umso hitziger. Und meist ergebnislos. So ist es auch jetzt zu befürchten. Kaum war das blutrünstige Regime des Assad-Clans am Wochenende nach mehr als einem halben Jahrhundert endlich gestürzt worden, forderten Politiker vornehmlich der Union, die ca. eine Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die in Deutschland leben, zurück zu weisen. Genauso schnell hielten andere dagegen, das gehe überhaupt, sei zynisch, menschenverachtend und bloße Wahlkampfrhetorik zugunsten der AfD. Beides erkennbarer Unsinn.
Wie oft hilft es, sich die Sache nüchtern anhand der tatsächlichen, auch rechtlichen Lage anzuschauen.
1. Das Asylrecht im Grundgesetz wurde nach dem Ende der Nazi-Tyrannei im Bewusstsein der millionenfachen Verfolgung und Ermordung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen geschaffen, um solche Menschen fürderhin zu schützen, auch weil es andere Länder nicht getan hatten. Nicht um alle Notleidenden der Welt aufzunehmen. Die Allermeisten, die in Deutschland Asyl beantragen, bekommen es deshalb auch nicht und werden nicht als asylberechtigt anerkannt.
Schutz nur auf Zeit
Das gilt auch für die etwa eine Millionen Menschen aus Syrien, die seit 2015 oder schon vorher kamen. Stattdessen erhielten sie und erhalten auch Flüchtlinge aus anderen Ländern in der Regel sogenannten subsidiären Schutz, weil und solange ihnen bei einer Rückkehr Gefahr für Leib und Leben droht. Wenn das nicht mehr gegeben ist, müssen oder sollten sie das Land wieder verlassen, da sie keines Schutzes mehr bedürfen.
Daher ist es auch vollkommen folgerichtig, dass das Bundesamt für Flucht und Migration sofort entschieden hat, alle noch nicht beschiedenen Anträge von Syrern vorerst zurückzustellen. Was nicht bedeutet, dass die nun alle abgewiesen werden und auch die abgeschoben werden können, die bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden. Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie sich die Lage in Syrien entwickelt. Nicht von der Debatte hier.
Flüchtlinge wollen zurück
2. Die meisten tatsächlichen Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück, sobald es ihnen gefahrlos erscheint. Deshalb bleiben ja auch die allermeisten der schätzungsweise 100 Millionen Menschen auf der Welt, die ihre Heimatländer wegen Bürgerkriegen, Hungersnöten, Natur- und sonstigen Katastophen verlassen mussten, in unmittelbaren Nachbarstaaten. Oder fliehen – wie auch Millionen Syrer – innerhalb ihrer Länder in andere, sicherere Regionen. Nur die allerwenigsten kommen nach Europa.
Auch von den Syrern in Deutschland dürften nun viele auf gepackten Kofferen sitzen, um zu ihren Familien, in ihre Häuser, Dörfer und Städte zurückzukehren und ihre Heimat wieder aufzubauen – falls dort nicht unter den neuen Machthabern eine neue, islamistische Diktatur entsteht oder ein neuerlicher Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, diesmal vor allem der Türkei entbrennt. Das abzuwarten, würde allerdings heißen, dass man die Syrer wahrscheinlich nie, mindestens für lange Zeit nicht zurückschicken könnte. Auch deshalb ist die Debatte jetzt richtig.
3. Eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge würde genauso wie eine Neujustierung der Asyl- und Flüchtlingspolitik durch die künftige neue Bundesregierung die Akzeptanz und Unterstützung in der Bevölkerung für Schutzbedürftige stärken. Und der AfD, dem BSW und sonstigen Ausländer- und Migrationsfeinden Wasser abgraben. Denn es würde einerseits zeigen, dass die deutsche Politik die Schutzverpflichtung aus dem Grundgesetz und dem Europäischen und internationalen Völkerrecht ernst nimmt, andererseits jedoch Recht und Gesetz gelten. Und es würde Platz und Aufnahmemöglichkeiten für andere schaffen, die Schutz brauchen.
Während des Kriegs in Bosnien hat die Bundesrepublik Hunderttausende von dort aufgenommen. Auch von ihnen sind die meisten nach dem Ende des Kriegs rasch wieder in ihre Heimat gegangen. Freiwillig. Ich habe im Somme einen von ihnen kennengelernt. Er hat den Krieg als kleines Kind erlebt. „Ich war drei, als ich auf dem Balkon spielte und ein serbischer Scharfschütze auf mich schoss. Die Kugel flog nur knapp an meinem Kopf vorbei“, berichtete er. Die Familie floh nach Deutschland, fuhr später zurück, musste jedoch erleben, dass sie als Bosniaken und Muslime in ihrer geteilten Heimatstadt von den Kroaten unterdrückt wurden: „Gute Jobs bekommen dort nur Angehörige der kroatischen Oberschicht.“ Deshalb kehrte die Familie wieder nach Deutschland zurück – als Migranten, nicht als Flüchtlinge. Vater und Sohn arbeiten nun hier als Elektriker.
Eine Frage der Menschlichkeit
Auch von den Kriegsvertriebenen aus der Ukraine sind bereits viele zurückgefahren, als die russischen Angriffe zeitweise nachließen. Oder schlicht, weil sie trotz aller Gefahren und dem ständigen Bombardement Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihren Freunden und Verwandten und ihrem gewohnten Leben hatten und haben. Ich kenne eine Reihe von ihnen, um die ich mich gekümmert habe. Mir erschien es teilweise verrückt, wenn ich die Nachrichten aus der Ukraine und ihren Heimatstädten verfolge. Aber es war und ist ihre Entscheidung, die ihnen keine deutsche Behörde, kein noch so gut meinender Helfer, Aktivist oder Flüchtlingsgegner abnehmen kann oder darf.
Am Ende geht es um Mitmenschlichkeit. Nichts anderes. Deshalb sollte jeder, der in der Debatte mitreden will, mindestens einmal Menschen erleben, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Ich werde heute zu einer syrischen Familie mit vier kleinen Kindern aus Aleppo fahren, die ich seit längerem betreue, wenn es wieder einmal gilt, die Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern, komplizierte Anträge für Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschläge zu stellen oder wenn eines der Kinder Probleme in der Schule hat, weil die Lehrerinnen nicht begreifen, welche Folgen Kriegstraumatisierungen gerade für kleine Seelen haben.
Schutz auch für Assad-Schergen?
Politisch jedoch muss anders debattiert und entschieden werden. Da geht es nicht um humanitäre Einzelfälle, sondern um die generellen Linien. Deshalb darf und muss darüber auch im beginnenden Bundestagswahlkampf gestritten werden, ohne Schaum vor dem Mund. Gerade da. Denn bei der Wahl geht es ja um die künftige Politik, auch und gerade bei Migration und Integration, einem der brennendsten Themen. Wer stets danach ruft, die Demokratie zu verteidigen, sollte eine berechtigte Debatte deshalb nicht unterdrücken wollen.
Um es zum Schluss zuzuspitzen: 2015/16 sind auch zahlreiche Schergen des Assad-Regimes nach Deutschland gekommen, weil der damals den Krieg gegen das eigene Volk zu verlieren schien, bis ihn Putin-Russland und die iranischen Mullahs mit ihrern Mördertruppen retten. Darunter Offiziere seiner Armee und Folterknechte (von denen einige hier vor Gericht stehen oder verurteilt wurden). Wenn nun wieder Assad-Helfer nach Deutschland fliehen, weil sie zurecht befürchten, unter den neuen Machthabern verfolgt oder getötet zu werden: Sollen die dann Schutz erhalten?
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er war Politikchef der „Woche“ und politischer Autor bei zeit-online. Neben Themen wie Migration, Integration und der Verteidigung der Demokratie beschäftigt er sich notgedrungen auch mit Krieg & Frieden.
Der von Ihnen im Blog benannte 1949er Artikel 16 Abs. 2 des Grundgesetzes hat, wie unsere ganze Verfassung, Autoren.
Das waren einzelne zurückgekehrte Emigranten, meist aus der SPD.
Sie waren eine Minderheit unter den Emigranten. Noch mal:
DER EMIGRANT WILL IN DER REGEL NICHT ZURÜCK.
In der Emigration hätte der Gedanke an Rückkehr jegliches Ankommen in der neuen Heimat mental erschwert.
Wobei ich beobachte, dass es die Erwachsenen aus der Ukraine sind, die sich den Gedanken an Rückkehr verbieten. Weil es der Integration abträglich ist.
Wobei ich beobachte, dass Kinder aus der Ukraine, die viel integrationsfähiger wären, sich an den deutschen Schulen der Integration verweigern.
Der Artikel 16 Absatz 2 des 1949er Grundgesetzes war übrigens erst der zweite Merksatz, gezogen aus den Verbrechen, welche Deutsche überall auf der Welt begangen hatten.
Der erste Merksatz stand in Artikel 16 Absatz 1 des 1949er Grungesetzes. Er lautete:
„Kein Deutscher darf in einen ausländischen Staat ausgeliefert werden.“
Willy Brandt, Exilant und Widerstandskämpfer, war Bundeskanzler – der beste, den wir hatten. Auch andere vor dem Nazi-Regime Geflohene wie Ernst Reuter kehrten nach dem Krieg zurück, um Aufgaben im neuen demokratischen Staat zu übernehmen. Andere zogen es nach schrecklicher Verfolgung vor, in ihren Zufluchtsländern zu bleiben. Aber noch einmal: In meinem Beitrag geht es nicht um politisch Verfolgte, sondern um Kriegsflüchtlinge.
Es ist legitim, die Debatte zu führen, sobald klar ist, wie es mit Syrien weitergeht. Und dieser Zeitpunkt ist (leider) nicht jetzt. Die Aussetzung von laufenden Asylverfahren durch das BAMF ist nachvollziehbar, denn der Asylgrund der politischen Verfolgung durch das Assad-Regime ist entfallen. Aber alles andere ist eine Ansammlung von Fragezeichen und genau daher ist die Debatte verfrüht. Israel scheint mit Teilen Syriens eine eigene Agenda zu haben. Die Türkei ebenso. Der Iran und die Hisbollah lecken temporär ihre Wunden, werden aber kaum ihr Interesse an Syrien verlieren. Russland ist ohnehin mit einer sehr eigenen imperialistischen Agenda unterwegs, die Syrien trotz des immer gerne plakatierten momentanen Gesichtsverlust nicht ausschließt. Putin ist ein schlechter Verlierer. Der IS könnte von der Unsicherheit profitieren. Also was ist derzeit in Syrien so sicher, dass man JETZT das Thema von staatlich initiierter Rückkehr auf den Tisch bringt?
Wer wirklich in einer Diktatur gelitten hat (und das nicht nur vorgibt), der hat in der Regel keine Lust auf Rückkehr in die „Kalte Heimat“.
Das betraf die von Ihnen genannten Menschen, die 1933 bis 1945 aus Deutschland entkommen sind.
Das betraf 33.471 von der Bonner Republik 1963 bis 1989 freigkaufte politische Gefangene.
Rückkehrer sind Menschen, die eingebunden sind in ein Netzwerk von Polit-Aktivisten. In z.B. Parteien. Die politische Ziele verfolgen mit ihrer Rückkehr.
Und bei aller tatsächlichen politischen Verfolgung:
Die allermeisten einst politisch Verfolgten haben
KEINESWEGS
den Anspruch, Politik zu gestalten.
Ich habe nicht über Exilanten und politisch Verfolgte geschrieben, sondern über Kriegsflüchtlinge. Sicherlich werden sich die meisten von denen, wenn sie zurückkehren, nach den schrecklichen Erfahrungen mit der „Politik“ von Assad nicht politisch engagieren, so wie sich ja auch in der ehem. DDR weniger nach den Diktaturerfahrungen politisch engagieren. Darum geht es aber gar nicht. Sondern darum, ob man sie ggfs. auch gegen ihren Willen aus dem Land weist.
Wie wollen Sie einen deutschen Staatsbürger der „man“ ja mit 5 Jahre Aufenthaltstitel und Einkommen wird („Regeleinbürgerung“) …
https://www.gesetze-im-internet.de/stag/__9.html
… wie wollen Sie diesen Grenzen seinen Willen nach Syrien abschieben ?
Eingebürgerte kann man selbstverständlich wie alle deutschen Staatsbürger nicht ausweisen. Wenn sie allerdings eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen – was nach dem neuen Gesetz die Regel sein dürfte – kann ihnen grundsätzlich die dt. Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden, falls sie in schwerwiegender Weise gegen hiesige Gesetze verstoßen oder die öffentliche Sicherheit gefährden. Die meisten Kriegsflüchtlinge aus Syrien dürften jedoch (noch) keinen deutschen Pass besitzen, weil a) die meisten Flüchtlinge – wie geschrieben – in ihre Heimat zurückwollen, sobald es geht, b) die dt. Bürokratie auch hier langsam mahlt.
Vor einer ähnlichen Situation stand die Bundesrepublik ja vor rund 30 Jahren schon einmal, als eine große Zahl Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenen Jugoslawien in Deutschland Schutz suchte. Wie viele von ihnen kehrten kurz nach Ende des Krieges wieder in die Heimat zurück? Und was spricht dafür und was dagegen, dass es mit den Kriegsflüchtlingen aus Syrien anders laufen sollte?
Viele, wenn nicht die meisten sind damals nach Bosnien, Kroatien und die anderen ehem. jugoslawischen Republiken zurückgekehrt. Dort hatte jedoch nicht ein entsetzliches Clan-Regime das Land mehr als ein halbes Jahrhundert lang zugrunde gerichtet. Dennoch, wie geschrieben: Die meisten Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück. Das weiß ich auch deshalb, weil ich mich seit langem um Flüchtlinge kümmere, darunter eine Familie aus Aleppo. Mehr dazu können Sie in der Weihnachtsausgabe der christlichen Zeitschrift „Publik-Forum“ lesen.