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Demokratie im Zangengriff der Extremen

Erst Biden/Harris, nun Macron/Barnier: Radikale von rechts und links erwürgen die geschwächten Parteien der Mitte. Die Autoritären triumphieren. Auch Deutschland ist davor nicht gefeit. Die Neuwahl im Februar bietet vielleicht die letzte Chance, nach dem Scheitern der Ampel eine stabile Regierung zu bilden, die die gewaltigen Probleme angeht. Sonst: Westen, gute Nacht!

Die Ereignisse in Paris und die sich abzeichnende rechtsextreme Trump-Regierung in den USA zeigen, wie bedeutungslos die wochenlange mediale Erregung bei uns über den angeblichen Sturz der Scholz-Regierung durch die FDP war. In Frankreich wurde Barniers liberal-konservatives Minderheitskabinett von Präsident Macron in einem dramatischen Akt durch eine unheilvolle Querfront des vom Linkspopulisten Melenchon geführten linken Lagers gemeinsam mit den Rechtsradikalen von Marine Le Pen hinweggefegt. Die zweitgrößte Nation der EU, ein Mutterland der Demokratie, steht nun führungslos da. In der schwersten Krise des Westens seit Jahrzehnten.

Um zu verstehen, wie historisch dieser Einschnitt ist, muss man sich kurz vorstellen, BSW, SPD und Grüne würden bei uns mit der AfD die Regierung stürzen – ohne Rücksicht darauf, was danach kommt. Das sich schon länger anbahnende vorzeitige Ende der Ampel-Regierung ist gemessen daran fast ein Petitesse.

Gleichzeitig macht Trump auch durch seine Personalauswahl klar, dass er wild entschlossen ist, die USA, das (noch) führende Land des Westens, auf einen hochgefährlichen autoritären, radikalen und isolationistischen Kurs zu steuern. Mit breiter Unterstützung im Kongress und auch in der Bevölkerung.

Deutschland eine Insel der Seligen?

Die Demokraten – die so genannte Partei in den USA und die demokratischen Kräfte in Frankreich – haben zu diesem doppelten Desaster kräftig beigetragen. Die von Biden kurzfristig eingesetzte Ersatz-Präsidentschaftskandidatin Harris hat, nur unwillig unterstützt vom linken Flügel ihrer Partei, nicht überzeugend dargelegt, wohin sie das Land führen will. Und deshalb verloren. In Frankreich hat Macron durch die unüberlegt angesetzte Neuwahl sich selbst der Mehrheit im Parlament beraubt und die einst „Grande Nation“ nicht nur faktisch unregierbar gemacht, sondern sie auch den Links- und Rechtsextremen ausgeliefert. Und die gemäßigten Linke – die einstige Staats- und Volkspartei der Sozialisten und die Grünen – haben beim Verrat an der Republik mitgemacht. Das ist fast das Schlimmste.

Deutschland bildet im Vergleich dazu noch beinahe eine Insel der Seligen. Zwar sieht es danach aus, dass die AfD am 23. Febraur zweitstärkste Partei wird, aber zusammen mit dem ähnlich gesinnten BSW bringt sie es in den Umfragen nur auf etwa ein Viertel der Stimmen. Während Konservative/Christdemokraten und Sozialdemokraten/Sozialisten in anderen EU-Staaten sich selbst marginalisiert haben, steht die Union mit über 30 Prozent recht stabil da und hat voraussichtlich nach der Neuwahl, wenn nichts Dramatisches mehr passiert, die Wahl, entweder mit der SPD oder den Grünen eine Regierung mit klarer Mehrheit im Bundestag zu bilden. Ohne Gefahr durch die radikalen Kräfte.

Gewaltige Aufgaben für Merz

Auf dem wahrscheinlichen neuen Kanzler Friedrich Merz liegen schon jetzt riesige Erwartungen, nicht nur in Deutschland. Während völlig unklar ist, wohin das Nachbarland Frankreich steuert, und in den USA unter Trump ab Januar das Schlimmste zu befürchten ist, könnte er zum last democratic man standing in den führenden Ländern des Westens werden. Von ihm und seiner Regierung dürfte – gemeinsam mit den europäischen Verbündeten – abhängen, ob die Ukraine noch eine Überlebenschance hat, wenn Trump ihr die amerikanische Unterstützung entzieht. Und er muss nach den großteils verlorenen Ampel-Jahren rasch die gewaltigen Aufgaben in der Wirtschafts-, Energie-, Klima- und Migrationspolitik und bei der Verteidigung angehen, damit nicht auch bei uns die extremistischen Kräfte weiter Zulauf bekommen, weil eine wachsende Zahl von Bürgern den demokratischen Parteien aller Couleur nicht mehr zutraut, ihre Probleme zu lösen.

Egal was man von Merz hält und wie man zur CDU/CSU steht, kann man ihm daher schon jetzt nur Erfolg und Glück wünschen. Denn Putin und die anderen Autoritären dieser Welt warten nur darauf, dass die Demokratie auch in Deutschland scheitert.

Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er war Politikchef der „Woche“ und politischer Autor bei zeit-online. Seine Hauptthemen sind Gesellschaftspolitik, Migration, Integration und die Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde.

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