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Neid und Missgunst

Ich habe bereits meinem Ärger über den plumpen Professoren-Humor in der Biografie des Kaisers Friedrich II von Olaf B. Rader Luft gemacht. Diese dröge Lebensbeschreibung, die aus unerfindlichen Gründen als Standardwerk gilt, verglich ich mit der funkelnden Biografie von Ernst Kantorowicz. Wie es scheint, ist sich Rader des Unterschieds in der schriftstellerischen Potenz bewusst und grenzt sich von Kantorowicz ab – in einer Art jedoch, die jede Fairness vermissen lässt.

Rader nennt die Friedrich-Biografie von Kantorowicz zwar zutreffend „berauschend und bedrückend“, um sich gleich darüber zu beschweren, dass sie „auch noch heute einen beträchtlichen Ruhm als wissenschaftliche Biographie des Kaisers“ genieße, was sie „gar nicht ist und nach dem Verständnis des Autors auch nie sein sollte.“

Das stimmt wohl, wenn „wissenschaftlich“ gleichzusetzen ist mit thesenarm und fußnotenvoll. Aber das ist schon wieder Polemik. Geben wir zu, dass der Ruhm der Kantorowicz-Biografie wenig mit seinem wissenschaftlichen Rang zu tun hat. Sondern mit den literarischen, ja dichterischen Fähigkeiten des Autors. Das aber will Rader nicht gelten lassen und wird gemein:

„Die Bekanntheit des Buches hat mit den teilweise dramatischen Lebensumständen von Ernst Kantorowicz zu tun“, schreibt der in der DDR 1961 Nachgeborene, „die die vielen politischen und intellektuellen Brechungen des 20. Jahrhunderts exemplarisch spiegeln.“

Diese „dramatischen Lebensumstände“ sind, kurz zusammengefasst: Kantorowicz war nach eigenem Bekenntnis ein „national gesinnter Jude“ und Homosexueller, der zum engeren Zirkel um den Dichter Stefan George gehörte, sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete, nach dem Krieg den Freikorps angehörte, die gegen die Abtretung von Gebieten an Polen kämpften, den Spartakusaufstand in Berlin und die Räterepublik in München niederschlugen. Dennoch musste er 1938 emigrieren und landete in den USA, wo er mit Senator McCarthy Probleme bekam, mit J. Robert Oppenheimer befreundet war und 1963 starb.

Rader insinuiert, die Bekanntheit des Buches hänge vor allem damit zusammen, dass Kantorowicz Jude war. Denn national gesinnt und homosexuell waren ja viele, der George-Kreis hat noch in der Bundesrepublik viele Anhänger und einen großen Einfluss gehabt, Kriegsfreiwillige und selbst Freikorps-Leute gab es ja auch viele. Besonders an Kantorowicz ist nur, dass er als Jude trotz seiner nationalen Gesinnung emigrieren musste. Ob dieses Leben die „politischen und intellektuellen Brechungen des 20. Jahrhunderts exemplarisch spiegele“, ist eine andere Frage. Wenn der Antisemitismus eine „Brechung“ ist, vielleicht.

Olaf B. Rader war fast 30 Jahre alt, als die DDR der Bundesrepublik beitrat, was ja auch „dramatisch“ für viele „gelernte Ossis“ war; ich würde aber nicht unterstellen wollen, seine Friedrich-Biografie sei trotz ihrer Schwächen hauptsächlich wegen der Biografie des Autors, die eine der wesentlichen „Brechungen“ des 20. Jahrhunderts spiegele, bekannt.

Wie dem auch sei: Rader irrt. Das Buch von Kantorowicz war bei seinem Erscheinen 1927 schon eine Sensation, und nicht wegen der „dramatischen Lebensumstände“ des Autors, der erst durch das Werk „schlagartig berühmt“ wurde, wie es bei Wikipedia heißt. Es wird heute wegen seiner sprachlichen und intellektuellen Brillanz gern gelesen, und als rückwärtsgewandte Utopie, als Gegenentwurf zu einer Geschichtsteleologie, die alle Entwicklungen auf die Moderne zulaufen lassen.

Das Buch derart abzutun, wie es Rader tut, ist schlicht gemein – und verrät mehr über Rader, als ihm selbst lieb sein kann. Über Kantorowicz hingegen sagt diese unfaire und unzutreffende Kritik schlicht gar nichts aus.

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8 Gedanken zu “Neid und Missgunst;”

  1. avatar

    Da ja immer wieder neue Quellen gefunden werden, ist es eigentlich naheliegend, daß ein neueres Werk historisch genauer ist als ein schon 1927 erschienenes Werk.
    Auch Gibbon und Mommsen gelten nicht mehr unbedingt als das Maß aller Dinge, auch wenn sie immer noch lesenswerter sind als einige ihrer „fachlich“ besseren Nachfolger.

    Interessanter als sein Werk schein mir aber Kantorowicz selbst.
    Gibt es eine empfehlenswerte Biographie über sein Leben ?

    1. avatar

      Lieber Gerald Wissler, ich werfe Professor Rader nicht vor, dass sein Werk „historisch genauer“ ist als das Buch von Kantorowicz, was man auch immer unter „historisch genau“ meinen mag. Was ich ihm vorwerfe, ist die Unterstellung: „Die Bekanntheit des Buches hat mit den teilweise dramatischen Lebensumständen von Ernst Kantorowicz zu tun“. Das stimmt eben nicht.
      Allgemein wird diese Biographie empfohlen:
      https://www.deutschlandfunkkultur.de/robert-e-lerner-ernst-kantorowicz-eine-biographie-die-zwei-100.html

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        Danke für den Tip.
        Ist so verspätet, weil ich nur noch selten am PC sitze.

  2. avatar

    Kantorowicz‘ Friedrich-Biographie habe ich mit Vergnügen gelesen. Das Buch von Rader kenne ich nich. Bei der Lektüre Ihrer Antikritik hier fiel mir eine Passage aus Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ ein:
    „Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen, nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im üblen Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.“
    Rader- „thesenschwach und fußnotenstark“ – hat sich aber vielleicht nur an die Maxime gehalten, nach der Belesenheit vor Neuentdeckungen schützt.
    Es ist immer ein Ärgernis und schlichtweg unwissenschaftlich, wenn Wissenschaftler die Werke anderer Autoren bzw.deren Rezeption mit tatsächlichen oder angeblichen Lebensumständen in Beziehung setzen und diskreditieren. Besonders, wenn die Beziehzng, wie Sie in diesem Falle herausarbeiten, auf falschen Prämissen beruht.

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      Vielen Dank für das heute wieder so treffende Zitat von Egon Friedell: Tatsächlich ist doch der Amateur (mit der Liebe schon in der Bezeichnung) derjenige mit der meisten – weil immer freiwillig bleibenden – Begeisterung für seine Tätigkeit. Bei dem/der ‚Professionellen‘ (Professor) mischt sich alles mit der Zeit mit finanziellen Zwängen/Notwendigkeiten, professorate ‚Leitfossilien’, Gruppenzwängen, Taktierereien, Machtspielchen usw. und nur wenigsten gelingt es, den eigenen Elfenbeinturm vor dem Zugriff des Kollektivs zu schützen.
      Der Muff unter gewissen Talaren, Alan Posener brachte das Beispiel, resultiert möglicherweise aus einem trostlosen Sicherheitsbedürfnis (..lieber sorgfältig zitieren, als selber Thesen aufstellen) und gebiert nichts anderes als Neid. Ein Aspekt des real existierenden Wissenschaftsbetriebes. Ob es aber typischerweise etwas mit dem Dasein als „gelernter Ossi“ zu tun hat, wenn man meint, man müsse in einer wissenschaftlich gemeinten Aussage berücksichtigen, dass ein Autor national gesinnter Jude ist, bezweifle ich allerdings. Eher wohl damit, dass die Identitätspolitik immer Identitätspolitik bleibt, gerade auch dann wenn sie vorgibt, abschaffen zu wollen, dass Identität eine Rolle spielt.

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        Lieber KJN, ich habe nicht behauptet, dass Rader deshalb die Bedeutung der Biographie Friedrichs II. von Kantorowicz schlechtmacht und das fortdauernde Interesse daran vor allem dem Schicksal des Autors als Jude zuschreibt, weil er „gelernter Ossi“ sei. Ich habe das schlicht mit Neid und Missgunst erklärt, und die sind überall zu finden.

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        Ja, lieber Alan Posener, das haben Sie ja ausdrücklich nicht geschrieben. Ich wollte aber dennoch was zu dem „gelernten Ossi“ sagen, weil diese nicht für ihre Arbeit relevante Unterstellung vielen jüngeren Wissenschaftlern in der Wende-Zeit die Stellung gekostet hat. Und das waren Leute, denen konnte zumindest in meinem Fach kaum ein Wessi (auch ich nicht) das Wasser reichen. Nun ist das lange her, Räder ist in etwa mein Jahrgang und Ihren Eindruck der Missgunst teile ich ja und halte ihn für allgegenwärtig im Wissenschaftsbetrieb. (Vielleicht ist es doch nicht immer ratsam, sein Hobby zum Beruf zu machen.)

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