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Aus meinem Songbuch (2): Every Night I Sing The Blues

Über „Backstage Blues“ schrieb ich: „Aber der Text ist nicht geklaut, es sind keine Erfahrungen aus zweiter Hand, sondern … die Erlebnisse zahlloser Clubauftritte …“. Bei diesem Song hingegen ist alles aus zweiter Hand, und mit Absicht. Es ist der Versuch, einen kommerziellen Country-Song zu schreiben, mit allen Ingredienzen des Genres, oder doch einer bestimmten Unterart des Genres, einschließlich der witzigen, oft tiefsinnigen Formulierungen, die dafür sorgen, dass die Klischees erträglich bleiben. Und ich muss in aller Bescheidenheit sagen, das ist hier ganz gut gelungen.

Klaus Kluges Melodie ist auch sehr schön. Weniger gelungen finde ich das Arrangement, hier in einer Neuaufnahme aus 2016, die sich aber eng an das Original vom Album „Backstage Blues“ hält. Ich wollte immer einen Wechselbass und etwas mehr Tempo, aber Klaus, der mir für den Text nur eine Vorgabe machte, nämlich dass die Zeile „move on down the line“ darin vorkommen müsse, beharrte auf diesem Arrangement, und spätere Versuche, mit „Jumpin’ Pete“ meinen Vorstellungen näher zu kommen, waren nicht durchweg zufriedenstellend.

Gut, aber warum ausgerechnet ein Country-Song? Als ich den schrieb, war ich ja Sänger der „Berlin Blues Band“, die den Song auch als Single herausgab. Zum Job war ich aber wie die Jungfrau zum Kind gekommen: eigentlich wollte ich nie Bluessänger sein. Schlagzeuger George Kanne kannte mich aus einer Gruppe namens „Rough Enough“, einer Art Stones-Verschnitt, in der auch Eddie Volkamer spielte, der später als Keyboarder auch zur Blues Band stieß, und obwohl wir George aus „Rough Enough“ rausgeschmissen hatten (er flog später auch aus der Blues Band, lange Geschichte, tut nichts zur Sache, er ist inzwischen ja auch tot, de mortuis nil nisi usw. ), schlug mich George als Sänger von Klaus Kluges neuer Band vor. Natürlich sagte ich zu: die Truppe war viel professioneller aufgestellt als „Rough Enough“, es winkten Clubauftritte und sogar, meinte Klaus, ein Plattenvertrag; aber ein Blues-Sänger war (und bin) ich nicht. Und damals konnte ich auch nicht Blues-Harp spielen, was ein Bluessänger können sollte, wenn er nicht Gitarre spielt. Kann ich jetzt auch nicht, aber ich kann so tun.

Und obwohl ich damals – 1983 wurde die Band gegründet – den  Blues mochte und immer noch mag, lag die Zeit, da ich fast nichts anderes hörte, schon damals sehr lange zurück; Ende der 1960er Jahre war ich regelmäßiger Besucher im Marquee Club in London gewesen, hatte Eric Clapton mit John Mayall’s Bluesbreakers und mit Cream erlebt, den sehr jungen Peter Frampton mit The Herd, damals einer R&B-Truppe, Rory Gallagher mit Taste und natürlich Alexis Korner mit seiner Blues-Truppe. Aber damit war mein Bedarf an weißem Gitarrenblues eigentlich gedeckt, und als ich etwas später die schwarzen Vorbilder entdeckte, Jimmie Cox, Willie Dixon, B.B. King, Freddie King und natürlich Muddy Waters und Howlin‘ Wolf, ging es mir so, dass ich nicht mehr als zwei, drei Songs hintereinander hören mochte.

Mir waren immer die Blueser, die ins Rockgeschäft gingen, lieber: Chuck Berry vor allem, Jimmy Reed auch, und natürlich Bo Diddley, den ich in den 1970ern in New York in einem kleinen Club erlebte: er spielte eigentlich immer dasselbe, aber es war so großartig, dass man auch nichts anderes hören wollte. Neben mir ganz vorne an der Bühne stand der Schauspieler Jon Voight und flippte völlig aus. Na, und von diesen Leuten führte der Weg denn doch eher zu den Rolling Stones, Pretty Things und anderen Musikern, die zwar gelegentlich einen Blues spielten, aber eben nicht nur.

Kurzum, eigentlich war ich für eine Bluesband nicht der richtige Sänger; aber es traf sich, dass Klaus Kluge der Band auch kein richtiges Blues-Programm verpasste. So war der Song, den sie gerade einstudierten, als ich zum Vorsingen kam, „Singin‘ The Blues“ von Melvin Endsley, was ja eigentlich ein Country-Song ist und etwa von Marty Robbins aufgenommen wurde. Ich sang es jedenfalls so, wie ich es von Guy Mitchell her kannte, und Klaus meinte, das passe schon.

Die Country-Musik hatte ich auf meinem Berliner Internat eher widerwillig kennengelernt: Im amerikanischen Soldatensender AFN gab es jeden Tag von fünf bis sechs eine Rocksendung, „Frolic Art Five“, die wir nie verpassten. Vor der Sendung aber lief „Stick Buddy Jamboree“, eine Country-Sendung, und weil wir keine Sekunde „Frolic At Five“ verpassen wollten und das alte Röhrenradio eine gewisse Zeit zum Aufwärmen brauchte, machten wir es früher an, und ich bekam daher immer die letzten Songs der „Jamboree“ mit; die ich zwar verachtete, aber doch nicht aus dem Kopf bekam.

Dass Ray Charles, den ich schon damals verehrte, mit Songs wie „You Don’t Know Me“ oder „I Can’t Stop Loving You“ Country-Standards aufnahm, war mir nicht klar. Fast 20 Jahre später verbrachte ich mehrere Tage in New York damit, Rays Album „Modern Sounds in Country And Western Music“, dem ersten Crossover-Album, in New Yorker Plattenläden zu suchen. Schließlich besorgte mir ein Dealer, dem ich in Harlem dafür 20 Dollar gab, das Album.

Aber ich greife vor. Als die Beatles Buck Owens‘ „Act Naturally“ aufnahmen, war mir (und eben nicht nur mir) sozusagen von den Königen des Rock höchstselbst die Erlaubnis erteilt, Countrymusik zu mögen; es folgten die Byrds mit Gram Parsons und ihrem Album „Sweetheart Of The Rodeo“; Bob Dylan mit „Nashville Skyline“; die Rolling Stones haben viele wunderbare Country-Nummern aufgenommen, wenn auch immer leicht ironisch eingefärbt, etwa „Honky Tonk Women“ und das exquisite „Girl With Far Away Eyes“. Und von da ging es zu den Originalen, Hank Williams, Johnny Cash, Dolly Parton, George Jones, Willie Nelson, Merle Haggard und so weiter. Und als ich diesen Song schrieb, hatte ich gerade Don Williams entdeckt. Eigentlich wünschte ich mir damals, er würde den Song aufnehmen. Der Song enthält auch in der zweiten Strophe einen Verweis auf seinen Song „Yellow Moon“ und das gleichnamige Album.

Ansonsten ist der Song ein Exemplar der Gattung „I Wanna Go Home“. Das Original wurde von Danny Dill und Mel Tillis geschrieben, die klassische Aufnahme ist von Bobby Bare: Junge vom Land zieht nach Norden in die große Stadt, um Karriere zu machen, scheitert und sehnt sich nach seinem ländlichen Zuhause in den warmen Südstaaten, seiner Familie und dem dort wartenden treuen Mädchen. „Tulsa Time“ von Danny Flowers ist auch so ein Song, den Don Williams und Eric Clapton aufgenommen haben. Aber es gibt zahllose. Auch „Goodbye Yellow Brick Road“ von Elton John und Bernie Taupin und „Sittin‘ On The Dock Of the Bay“ von Otis Redding gehören dazu: „I left my home in Georgia, headed for the Frisco Bay …“. Das beste Exemplar des Genres ist vielleicht „Green Green Grass Of Home“ von Curly Putman, gesungen vom großartigen Tom Jones, weil die Heimkehr endgültig in den Bereich der Fantasie verbannt ist, des Traums eines zum Tode Verurteilten in der Nacht vor der Hinrichtung. Bob Dylan macht sich in seinem Buch über die Philosophie des modernen Songs über Bobby Bares Lied lustig. Natürlich ist das Zuhause mit Mama, Papa und den lieben Geschwistern ein im Kern reaktionäres Idyll, und das treue Mädchen hat längst einen Versicherungsmakler geheiratet. Klar. So ist das.

Trotzdem macht es Spaß, mit dem Genre zu spielen, zu sehen, was man aus dem Klischee herausholen kann. Und in meinem Song ist, um Klaus Kluge zu zitieren, „viel Schönes drin“. Zum Beispiel der Gegensatz zwischen dem kalten, abweisenden Wind und den warmen, willigen Frauen in New York City. Oder zwischen dem „gelben Mond und den hellen Sternen“ (eigentlich eine Unmöglichkeit: Wenn der Mond richtig hell ist, kann man die Sterne nicht sehen) in Texas und dem Neonlicht in New York. Die Beschreibung der Kneipe mit ausgelaugten Huren und müden Gesichtern verdankt sich – siehe „Backstage Blues“ – einem Auftritt in einem Sylter Bordell, wo wir, glaube ich, aus Versehen einmal einen Gig bekamen. Mir gefällt, dass die Augen des treuen Mädchens nicht blau, sondern dunkel sind, und die Punchline ist gut, richtig countrymäßig: „Home’s just one man’s pride too far away“. Zwischen mir und Zuhause steht nur mein Stolz.

Been there, done that. Countrysong geschrieben. Vielleicht gelingt es mir irgendwann, ihn so zu singen, wie ich ihn mir im Kopf vorstelle. Don Williams ist leider tot und kann ihn nicht mehr aufnehmen. Klaus auch, George, Eddie …

 

Wind blows cold in New York City

I’ve got sunshine on my mind

There’s a place I could call home

Somewhere down near San Anton‘

Guess I’ll have to move on down the line

New York women are warm and willing

They’ll take you in and treat you kind

But I can’t forget a Texas night

Yellow moon and the stars so bright

I’ve got a country lady on my mind

Every night I sing the blues

Neon light shines so bright, brings me down

Got to shake this city dust right off of my shoes

Told the folks back home I’d make the big time

I’d come back home a star some day

But I still play in empty places

For worn-out hookers and tired faces

And home’s just one man’s pride too far away

Every night …

Close my eyes I can fantasize

About the way it might have been

Home is somewhere in your dark eyes

But I thank the Lord you can‘t see the state I’m in

Every night …

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