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Auf der Jagd nach den acht fehlenden Leben

Der gestiefelte Kater war einmal ein furchtloser Held, ein feliner Zorro, Rächer der Enterbten, nur lustiger. Doch nun ist er selbst ein Gejagter: Hinter ihm ist der Tod her, Mönchskutte, rote Augen, Wolfsgrinsen, Sichel, und der Kater hat schon acht seiner neun Leben aufgebraucht. Zunächst versteckt er sich in Mama Lunas Katzenpension, wo er seinem Ende entgegendämmert. Doch auch für den Entstiefelten gibt es keine Ruhe.

Auf seinen Kopf ist nach wie vor ein Preis ausgesetzt, und auf den sind Goldlöckchen und die drei Bären scharf. Nachdem diese dsyfunktionale Verbrecherfamilie die Katzenpension auf der Suche nach dem Kater auseinandergenommen haben, tun sie sich mit dem Gejagten zusammen, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen: Sie wollen einen Plan klauen, der den Weg zum „Wunschstern“ weist und sich im Besitz von Jack Horner befindet. Der wiederum ist ein verrückter Kapitalist, Elon Musk ohne den jungenhaften Charme, fett, rücksichts- und gewissenslos. Der Stern soll ihn zum größten Zauberer der Erde machen.

Und so jagen sie durch eine verzauberte Landschaft, die mal wie die Straße zur Hölle in Chris Reas gleichnamigem Song daherkommt, vergiftet, verbrannt und dunkel, mal wie „Pepperland“ von den Beatles, wo unheimliche Kunstblumen in den wolkenlosen Himmel wachsen. Unterwegs gabeln sie noch Pussy Samtpfote auf, eine Superheldin, die der Kater in einem seiner früheren Leben am Altar stehenließ. Außerdem werden sie von Perro begleitet, einem potthässlichen Chihuahua, der sich in der Pension als Katze ausgegeben hat, sich als Therapiehund versteht und unfähig ist, in irgendjemandem etwas Böses zu erblicken: vielleicht die gruseligste Gestalt im ganzen Film. Und hinter ihnen allen stakt unaufhaltsam der Tod.

„Der Gestiefelte Kater 2“ ist ein Märchenfilm in der Nachfolge Hans-Christian Andersens. Er muss versöhnlich und moralisch korrekt ausgehen. Am Stern kommt es zum Showdown, bei dem Horner besiegt wird und in den Orkus verschwindet; Goldlöcken begreift, dass sie die echte Familie, die sie sucht, längst in Gestalt der Bären besitzt; Pussy lernt, ihrem ungetreuen Kater zu vertrauen; und er selbst auf die acht Leben und das endlose Abenteuer zugunsten des Glücks im Hier und Jetzt mit Pussy verzichtet. Und mit Perro, der am Kater klebt wie ein Klimaaktivist an der Fahrbahn und dessen Therapeutensprüche hier in Erfüllung gehen. Und der Tod? Lässt es fürs Erste bewenden.

Joel Crawfords Animationsfilm ist ein klassischer Road Movie mit Anleihen bei Sergio Leones Italowestern, Frank Tashlins „Aschenblödel“ mit Jerry Lewis, Frank Capras „It’s A Wonderful Life“, dem Zauberer von Oz, Alice im Wunderland und den gebrochenen Superhelden von Marvel Comics. Vor allem aber ist er eine Meditation über die Sterblichkeit. Nur eins ist er nicht: ein Kinderfilm.

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5 Gedanken zu “Auf der Jagd nach den acht fehlenden Leben;”

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    Da ich den Film noch nicht gesehen habe, kann ich die Kritik am Film nicht recht einordnen. Sieht der Tod zu gruslig aus oder wird zu leichtfertig, brutal und zu oft gestorben? Ist die Musik dabei zu Moll oder schrill? Sind die Bilder zu düster oder zu schnell? Als Steven Spielberg in Deutschland seinen Film »BFG« vorstellte, sagte er in einem Interview „Ich bin mit den Märchen der Gebrüder Grimm aufgewachsen. Und die waren wirklich Furcht einflößend, meist ohne versöhnliche Werte oder ein versöhnliches Ende. Sie waren wie eine Art Denkzettel für Kinder“.
    https://www.welt.de/vermischtes/article157086731/Vor-was-Steven-Spielberg-als-Kind-Angst-hatte.html Ich dachte: Was sind schon die Märchen der Gebrüder Grimm gegen die Geschichten und Bilder des 2. Weltkrieges, den Holocaust und den damals aktuellen Kriegen, wie dem in Vietnam, mit denen ich ebenfalls aufwuchs. Obwohl, wie habe ich mich gegruselt, als bei Prof. Flimmrich »Das kalte Herz« mit Erwin Geschonneck lief. Bei meinen Kindern wollte ich umsichtiger sein, ohne ins andere Extrem zu verfallen und sie dabei zu sehr in Watte zu packen, denn die Welt ist oft grausam. Deshalb las ich gern Empfehlungen, wie diese, ob nun für Filme oder Computerspiele, denn ich war mit der Wende in eine gänzlich neue Medienwelt eingetreten. Der musikalische Leiter unseres Singeclubs in der DDR erzählte uns einmal, dass man ihm, der einen Puppenspieler mit Gitarre begleitete, untersagt hatte, in einem Kinderheim Grimms Märchen darzubieten, damit die Kinder keine Angst bekämen. Wer hätte sie auch trösten sollen? Einmal beobachtete ich mein Kind, wie es nachdem es einen Märchenfilm mehrmals gesehen hatte, plötzlich die Gefährlichkeit des Wolfes begriff und ängstlich reagierte. Es ist ja nur ein Märchen, trösteten wir ihn. Per Leo würdigt in seinem Buch »Tränen ohne Trauer« sogar „eine kleine Riege von deutschen Autoren, die nach dem 2. Weltkrieg tatsächlich Weltliteratur geschaffen haben – für Kinder“ (S. 115). Die dort genannten Geschichten von Ottfried Preußler, Michael Ende und James Küss hatte ich nach der Wende meinen Kindern auch angedeihen lassen, bis diese anfingen selbst zu wählen. Was da gelegentlich aus dem Fernseher dröhnte, ließ mich manchmal verzweifeln. Es ist zunächst unser eigener Echoraum, der zu uns spricht. Die Kinder heute haben ganz andere Sehgewohnheiten und als Eltern sind wir oft damit überfordert, deren Konsum zu kontrollieren und verlieren dabei auch schnell an Einfluss. Kinder werden zu Kindergeburtstagen ins Kino eingeladen, sehen auch Filme in der Schule. Wer da genauer nachfragt und anschließend eine Teilnahme untersagt, weil zwar die Altersfreigabe erfüllt wird, man den Film jedoch als Erwachsenenfilm einordnet, fühlt sich schnell als Spielverderber. Ich glaube, das wichtigste ist, zu trösten und den Kindern einen Ausweg, sei es den Ausgang, zu zeigen, wenn es sie dann doch zu sehr gruselt (überwältigt).

    1. avatar

      Nun habe ich den Film »Der gestiefelte Kater 2« im Kino gesehen. Ist es ein Kinderfilm? Eher nicht. Inzwischen wird im Internet ein Alter von 8-9 Jahren empfohlen. Gleichzeitig sollte man als Eltern immer beachten, dass Märchen, wie die der Gebrüder Grimm, ursprünglich „nicht für Kinder gedacht waren, sondern für Erwachsene“ „Dementsprechend gibt es Gewalt und sexuelle Anspielungen.. “. https://www.gruenschnabel.at/infoportal/aktiv/wie-gewalt-in-marchen-auf-kinder-wirkt/ Vielleicht hätte man die FSK 12 vergeben können, um zu gewährleisten, dass sich die Eltern vorab mit dem Film auseinandersetzen und das Kind nicht alleine mit den Bildern fertig werden muss, denn der Tod, der dem Gestiefelten Kater mit spitzer Wolfsschnauze und blutroten Augen eine »Nahtoderfahrung« bereitet, scheint mir nichts für schreckhafte Kinder. Dies hätte sicher einen großen Aufschrei seitens der Filmvermarkter gegeben. Ich kann mich noch gut an eine solche Diskussion zu den späteren Harry-Potter-Filmen erinnern. Für einen Erwachsenen war es ein rauschendes Feuerwerk für die Sinne und an Anspielungen auf andere Märchen. Zwei Lehren hält der Film auch bereit: Gehe nicht leichtfertig mit dem Leben um. Man muss trotzdem im Alter nicht trostlos im Altersruhestand verweilen.

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    Kinderfilm ist eigentlich die falsche Kategorie. Es sollte Familienfilm heißen, denn ins Kino, wo dieser Film läuft, gehen die Kinder nur in Begleitung der Eltern. Und die müssen auch etwas geboten bekommen. Das war schon bei Walt Disney so (in „Bernhard und Bianca“ bin ich als kleiner Junge in Begleitung meiner Mutter gegangen, und ihr hat der Vorfilm mit den Albatrossen und deren Bruchlandungen besonders gefallen) – das ist auch bei der deutschen Kindersendung par excellence so, der Sendung mit der Maus. Die Sachgeschichten sind auch für Erwachsene lehrreich (wer weiß schon, wie Kartoffeln für die Gastronomie industriell geschält werden), und Käpt’n Blaubärs Seemannsgarn können Kinder teilweise gar nicht verstehen, etwa dieses: https://kinder.wdr.de/tv/die-sendung-mit-der-maus/av/video-kaeptn-blaubaer—der-weihnachtselch-100.html.

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      Das ist richtig, lieber Jens Breitenbach, und ich würde im Gegensatz zu Ihnen behaupten, der deutsche Kinderfilm kranke oft (nicht immer) daran, dass er diesen Aspekt vernachlässige. Aber dieser Film ist in dem von Ihnen beschriebenen Sinn auch kein Familienfilm.
      https://www.welt.de/kultur/article240021391/Bibi-und-Tina-Zu-Detlev-Bucks-neuem-Film-kann-man-nur-sagen-O-Mann.html
      Ein positives Beispiel:
      https://www.welt.de/print/welt_kompakt/kultur/article164457447/Jeder-kann-Storch-sein.html

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