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Über die Ästhetik der Differenz des Boykotts von Wissenschaftler*innen und Ohnmachtsgefühle der Macht

Foto: imago images / snapshot

Ein Gastbeitrag von Volker Beck

Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, haben zahlreiche und Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen einen Aufruf gegen die BDS-Resolution des Bundestags veröffentlicht. Unser Gastautor Volker Beck findet dazu deutliche Worte.

Sorgfältig inszeniert, mutig und ambitioniert meldeten sich am diesjährigen Tag der Menschenrechte – keine 24 h nach Verabschiedung des Kulturetats durch den Deutschen Bundestag – über zahlreiche Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen mit einem Aufruf namens „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ auf der Bühne des Deutschen Theaters zu Wort. Ein so breites Bündnis von vom Bund und den Ländern alimentierten Institutionen hat man lange nicht gesehen. Die „Süddeutsche Zeitung“ spricht von einem „kulturpolitischen Erdbeben“.

Und was ist die Menschenrechtsfrage, die diese im positivsten Sinne des Wortes illustreste wie halbstaatliche Runde an diesem Tag zusammengebracht hat, in dieser Zeit, in der wohl über 80 Millionen Menschen auf der Flucht sind, viele davon im Mittelmeer ertrinken oder an europäischen Küsten erbärmlich stranden, in der in Belarus eine mutige Bevölkerung, allen voran eine demokratische Bewegung der Frauen, seit Wochen unerschrocken gegen staatliche Repression auf die Straße geht, in der in Hongkong die Menschen gegen den Verlust ihrer Freiheit kämpfen, in der im Iran Frauenrechtlerinnen in großer Zahl in Gefängnissen sitzen, Oppositionelle wie vermeintliche Homosexuelle erhängt werden, in Saudi-Arabien Folter und unmenschliche Strafen genauso an der Tagesordnung sind wie die Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger*innen und mehr als eine Million von Uiguren im Westen Chinas in Lagern sitzen?

Keine einzige davon. Stattdessen nutzten die Initiatoren das Ausrufezeichen des Tages der Menschenrechte sie für ein Bühnenspiel der besonderen Art: für Kritik an einem Beschluss des Bundestages. Das ist völlig in Ordnung, denn glaubwürdige Menschenrechtsarbeit beginnt vor der eigenen Haustür.

Theatralische Inszenierung, bei der man indes etwas im Nebel stochert

Die auf der Bühne des Deutschen Theaters Versammelten sind über „die Anwendung der BDS-Resolution des Bundestages“ besorgt und wenden sich gegen eine nicht nähere spezifizierte „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“. Weltoffenheit, so wie sie von den aufrufenden staatsnahen Institutionen verstanden wird, setze „eine politische Ästhetik der Differenz“ voraus, „die Anderssein als demokratische Qualität versteht“. Die Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen sehen ihr Konzept der Differenz gefährdet durch einen im Mai 2019 gefassten Bundestagsbeschluss, der sich gegen jede Form des Antisemitismus und die BDS-Bewegung wendet, deren Kürzel für „Boycott, Divest, Sanction“ steht und die sich so gegenüber Israel positioniert.

Man stochert beim Text des Aufrufes etwas im Nebel, was die Aufrufer dieser theatralischen Inszenierung denn nun eigentlich genau meinen und wollen. Der Bundestagsbeschluss wendet sich ja ausdrücklich nur gegen die finanzielle Unterstützung von Organisationen, „die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen,“ und gegen „Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen“. Nicht mehr und nicht weniger. Dadurch würden aber „wichtige Stimmen beiseite gedrängt“, beklagt der Aufruf. Welche Stimmen und warum konnte man auf Journalistenanfrage wohl allerdings nicht sagen. Und wie weit man bei der Inklusion differenter Stimmen gehen will, sagte man auch nicht. Das irritiert: Unser Grundgesetz ist eine Verfassung der wehrhaften Demokratie. Sie nennt die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Grenze, unsere Gesellschaft hat sich als Lehre aus der Geschichte der Bekämpfung des Antisemitismus – zugegebenermaßen mehr oder minder erfolgreich – verschrieben und Handlungen, die geeignet sind, „das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören,“ sind sogar strafbar.

Die BDS-Positionen ist keine Meinungsäußerungen wie jede andere

Unbestreitbar: freie Rede, Wissenschaft und Kultur sind wichtige Anliegen, sie sind gegen Angriffe zu verteidigen. Der Schutz dieser Rechtsgüter des Grundgesetzes ist aller Ehren wert, freilich auch in den Grenzen, die eine wehrhafte Demokratie setzt.

Jedoch kann ich mich gar nicht erinnern, dass als in letzten Jahren in Berlin das Pop-Festival wegen der Teilnahme israelischer Künstler boykottiert wurde, dass dies diese Aufrufer auf den Plan gerufen hätte, dagegen die Freiheit der Kunst zu verteidigen.

Ebenso wenig kann ich mich entsinnen, die Stimmen dieses Unterzeichnerkartells bei der Verteidigung der Wissenschaft vernommen zu haben, als Achille Mbembe 2018 höchtspersönlich dafür sorgte, dass die israelische Psychologieprofessorin Shifra Sagy von einer Wissenschaftskonferenz in Stellenbosch, Südafrika, ausgeladen wurde. Wohlgemerkt, sie wurde aus dem Programm herauskomplimentiert, nicht wegen ihrer politischer Haltung, weil sie womöglich beispielsweise eine Anhängerin Netanjahus oder Bennetts ist, gewiss nicht, oder weil sie wissenschaftlich umstrittene Thesen vertritt, nein, allein weil sie jüdische Israelin ist.

Deshalb ist die BDS-Position auch keine Meinungsäußerung wie andere, es ist ein Boykott, somit eine Handlung, gegen Menschen, weil sie jüdische Israelis sind, oder gegen Waren oder Dienstleistungen, weil sie aus dem jüdischen und demokratischen Staat stammen. Es handelt sich zumindest um mittelbare Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft und der Religion, wie sie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz untersagen will, weil ein solches Verhalten dem Menschenbild des Grundgesetzes widerspricht. Hinzu kommt: Die Abgabe einer Erklärung im Außenwirtschaftsverkehr, durch die sich ein Inländer an einem Boykott gegen einen anderen Staat beteiligt (Boykott-Erklärung), ist in Deutschland verboten. Ein Staat, der solche Gesetze hat, der Israels Existenz und Sicherheit zu seiner Staatsräson erklärt hat, kann Projekte zum Boykott Israels nur bei Strafe seiner Selbstparadoxierung finanzieren.

Und deshalb sind  der BDS-Boykott und der Boykott der Boykotteure eben auch noch lange nicht dasselbe. Der Boykott von BDS ist der Angriff auf die gleiche Würde und die gleichen Rechte von jüdischen Israelis, der Boykott von BDS zielt nicht auf die Identität von Menschen oder Organisationen ab, sondern allein auf ihre Boykotthandlung und ihren Aufruf dazu. Eine unschuldige Neutralität ist in Sachen BDS für Kultureinrichtungen schlechthin unmöglich: Wer eine Veranstaltung mit einem BDS-Unterstützer plant, erspart sich Ärger, wenn er jüdische Israelis gar nicht erst einlädt. Das zeigen die Erfahrungen von Berlin wie von Stellenbosch und mit BDS weltweit.

Bleibt die Kritik „missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfes“. Keine Kleinigkeit, wie bei jedem missbräuchlichen Vorwurf. Mit falschen Vorwürfen sollte man sich nie gemein machen. Und man findet sie dennoch allerorten. Dagegen hilft nur eine Kultur der Kritik. Nicht alle Unterzeichner sind allerdings mit falschen Vorwürfen sonst so sorgfältig, wie man es angesichts des unterzeichneten Aufruftextes von ihnen erwarten würde: Das Zentrum für Antisemitismusforschung wird mit einem Vertreter als Teil des Teams eines Jahrbuches auf der Webseite aufgeführt, das in seinen von der AKP-nahen SETA-Stiftung finanzierten jüngsten Ausgaben dem renommierten islamischen Theologie-Professor Mouhanad Khorchide, wie kritischen Islamwissenschaftler*innen und der Imamin Ates eine islamfeindliche Agenda unterstellt. Als Aussage missbräuchlich bis lebensgefährlich, zumindest für die Muslime auf der Liste, die man so angeht. Darauf durch den Autor angesprochen, sieht man sich beim ZfA nicht dazu veranlasst, etwas zu unternehmen[1]

Sucht man im Geraune des Aufrufes nach Konkretisierungen des Unkonkreten, nach klaren Standpunkten und Beispielen für das beklagte Unrecht, wird man lediglich an einer Stelle wirklich fündig: bei der „Debatte um Achille Mbembe“.

Dies ist nun gleich in mehrfacher Hinsicht ein sehr schlechtes Beispiel. Der afrikanische Philosoph verleugnete nämlich sein Engagement für den BDS., wurde aber unzähliger Aktionen für und im Kontext von BDS überführt[2]. Und er ist nicht nur ein Kritiker israelischer Politik, sondern auch klassische antijudaistische Ressentiments wie der jüdische „Rachegott“ gehören zum rhetorischen Repertoire des von erzkonservativen katholischen Geistlichen unterrichteten Philosophen. Er wurde auch nirgendwo ausgeladen oder mundtot gemacht. Im Gegenteil: Die Ruhrtriennale fiel zwar aus, seine deshalb nicht gehaltene Rede wurde gleichwohl in der „Süddeutschen Zeitung“ abgedruckt.

Absurde Ohnmachtspose bei gleichzeitiger Machtdemonstration

Absurd ist die „Ohnmachtspose“ von vielen hundert Millionen schweren Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen. Trotz Kaskaden israelkritischer Berichterstattung in Presse wie öffentlich-rechtlichen Rundfunk reihen sie sich damit in das Gejammer derjenigen ein, die behaupten, man könne hierzulande nicht mehr Israel kritisieren, ohne seine Karriere aufs Spiel zu setzen: „Indiskutabel ist … der Gestus, … sich … zu Opfern eines angeblichen staatlichen Maulkorbs [zu] stilisieren. Das ist kontrafaktisch. Und es nährt ein hässliches Narrativ, wonach man in Deutschland jeden kritisieren darf, nur „die Juden“ nicht.“ stellte Ronen Steinke korrekt fest. Man wagt es kaum zu fragen: Ist das Nähren dieses Narrativs nicht schon selbst wieder antisemitisch?

Außergewöhnlich und einzigartig ist der Aufruf, der auf der Bühne des Deutschen Theaters zur Aufführung kam, nicht nur in seiner mäandrierenden Argumentation: Es ist nicht etwa ein Aufruf von Persönlichkeit oder Prominenten, Intellektuellen und Personen mit Funktionen in wichtigen Organisationen, sondern eine Machtdemonstration von einem Teil der wichtigsten kulturellen und einiger weniger wissenschaftlicher Institutionen, vom Goethe-Institut und dem Humboldtforum, der Kulturstiftung des Bundes über die Berliner Festspiele bis zum Zentrum für Antisemitismusforschung: Es ist ein Arbeitskreis von 21 Organisationen mit 14 Unterstützungsorganisationen. Als Berater nennt die Initiative institutionell, illustre Persönlichkeiten wie die Friedenspreisträgerin Assmann, den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung Krüger, den Chefkorrespondenten des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios Berlin, Stephan Detjen sowie den Leiter der Kultur- und Kommunikationsabteilung des Auswärtigen Amtes Görgen.

Alles Menschen und Institutionen mit vielfältigen Zugängen zu Regierung und Parlament. Man hat wohl nicht versucht, diese Zugänge zu nutzen. Denn enttäuscht sind in Gesprächen viele Abgeordnete der Koalition wie Opposition darüber, „dass [die] Kultureinrichtungen vorher auch niemals mit [den Parlamentariern] darüber gesprochen haben.“

Haben sich die Vertreter der Kulturinstitutionen in ihrem Gremien abgesichert?

 Ging es am Ende gar nicht um einen Diskurs, sondern eher um kulturpolitischen Theaterdonner? Denn das kulturpolitische Erdbeben, das die Süddeutsche Zeitung konstatiert, beruht eben gerade auch auf der kulturpolitischen Verankerung der unterzeichnenden Institutionen. In den Stiftungsräten und Kuratorien sitzen Bundestagsabgeordnete und Regierungsvertreter. Wer mit seiner Institution und nicht etwa nur als Person und Leiter der Institution in einem Arbeitskreis mitmischt und einen Aufruf unterzeichnet, muss das freilich in seinen Gremien absichern. Wir sind ein demokratisches Land. Kulturpolitik ist nicht mehr Sache der Fürsten, sondern demokratischer Institutionen. Leiter solcher Institutionen sind keine Erben der Fürsten und keine Alleinherrscher. Sie sind trotz vielfältiger Freiheit immer wieder auch demokratisch zurückgebunden. Keine interne Ordnung der Institutionen ist wie die andere. Aber kein Direktor und keine Direktorin, kein Generalsekretär und keine Präsidentin ist absolutistische Herrscher*in ihrer Institution. Wer sich anschickt, als Institution und nicht nur als leitende Persönlichkeit derselben, einer Entscheidung des Bundestages entgegenzutreten, hat und muss sich dafür in seinen Gremien die Legitimität geholt haben oder holen. Daher stellen sich eine Reihe von Fragen, der Kreis soll sich ja bereits seit Mai getroffen haben:

Wann hat Herr Krüger mit seinem Kuratorium von 22 Bundestagsabgeordneten über seine Beschwernisse der Selbstzensur, die von dem BDS-Beschluss für seine Mitarbeiter angeblich ausgehen, gesprochen? Wann hat der Generalsekretär des Goethe-Instituts mit seinen Abgeordneten in der Mitgliederversammlung und dem aufsichtsführenden Auswärtigen Amt seine Sorgen für die Arbeit der Organisation angesichts des BDS-Beschlusses geteilt? Und hat der Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, der das Bündnis nur beraten hat, der politischen Ebene des Hauses, also Abgeordneten wie Heiko Maas und Michelle Müntefering oder Michael Roth, die den Bundestagsbeschluss gegen BDS mitgefasst haben, über seine Aktivitäten unterrichtet? Und wie liefen die Gespräche von Herr Dorgerloh mit den fünf Abgeordneten und vier Regierungsvertretern im Stiftungsrat des Humboldtforums?

Das und viel mehr wüsste die demokratische Öffentlichkeit gern. Und das ist ihr gutes Recht.

Die Diskussion über Antisemitismus, BDS und Grenzen demokratischer Auseinandersetzung wird im nächsten Jahr genauso weiter zu führen sein, wie die Frage, welches demokratisches Selbstverständnis und welche Dialogfähigkeit die Kulturinstitutionen des Bundes auszeichnet.

Volker Beck ist Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (Ceres) der Ruhr-Universität Bochum. Er saß von 1994 bis 2017 für die Grünen im Bundestag.

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3 Gedanken zu “Über die Ästhetik der Differenz des Boykotts von Wissenschaftler*innen und Ohnmachtsgefühle der Macht;”

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    In Frankreich hat der Gesetzgeber BDS-Aktivitäten strafbewehrt untersagt. Er ging also wesentlich weiter als der Bundestag mit seinem nicht rechtlich bindenden Appell. Dies wurde teilweise vom EGMR wieder in Frage gestellt.

    https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/anti-israel-bewegung-erzielt-teilerfolg-vor-egmr

    Dieses Motiv des Schuldkomplexes „nur in Deutschland“ entlarvt sich somit als Problem des deutschen Selbstbildes und der nicht aufgearbeiteten Geschichte. Man fühlt sich durch die deutsche Schuld für die Shoah nicht frei, schalten und walten zu können gegenüber den Juden, wie manche wohl gerne würden. Man hält sich für den Musterknaben, der man aber weder von der Haltung noch von den Taten her ist. Interessant, dass dieses Motiv sowohl im ‚Plädoyer‘ wie in einem Beitrag von Schüler-Springorum dazu vorkommt.

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    Ein solcher BDS-Beschluss ist nur in Deutschland möglich. Das ist mehr als klar. Aber dass heisst auch, dass er nicht aus sich selbst heraus bestehen kann, sondern nur vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. In Großbritannien z.B. steht dieser Beschluss nicht auf der Agenda.

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