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Die Bühne betritt: der Mutbürger

Das politische Klima der Berliner Republik ist gereizt. Obwohl es dem Land im Großen und Ganzen gut geht, herrscht weit verbreitet schlechte Laune. In den Sozialen Medien des Internets kommt es neben Übellaunigkeit zu regelrechten Hass-Exzessen. Unser Autor Klaus Kocks wünscht sich in die Republik der Wutbürger eine Rückkehr zu einem zivilisierteren Umgang, auch zwischen politischen Gegnern. Zumindest die liberal Gesinnten von Links und Rechts sollten miteinander reden können. Er prägt den Begriff des Mutbürgers.

Die Medien dieses Landes sind dem inneren Wesen nach oft selbstbezüglich, bis der Arzt kommt. Sie betrachten sich gegenseitig und halten das für die Welt. Ist das nicht ein Paradox: Der Spiegel betrachtet sich im Spiegel? Wie soll das gehen? Aber Journalisten interessiert in erster Linie, was andere Journalisten über sie denken. Das wirkliche Leben ist in dieser notorischen Nabelschau eine zu vernachlässigende Größe.

Wenn man nicht an die Fakten glauben kann, dann müssen eben manchmal die Fakten dran glauben. Das gilt nicht nur für den Boulevard. Zu den nachdenklicheren Blättern der Republik gehört die Hamburger Wochenzeitung ZEIT, in der sich im wöchentlichen Wechsel der Chefredakteur der WELT, Ulf Poschardt, und Anja Reschke, die Moderatorin des TV-Magazins „Panorama“ (ARD), über Skandale in dem Sozialen Netzwerk TWITTER auslassen. Es soll sich dabei um eine linke und eine rechte Sicht jeweils auf den „Twitter-Tiefpunkt“ der Woche handeln. Twitter darf man für die Berliner Republik inzwischen zu Recht als ein Binnenmedium der politischen Klasse bezeichnen, in dem die Reviere des Haltungsjournalismus markiert werden.

Die Journalisten der ZEIT berichten also in der Kolumne „Vertwittert“ darüber, was abwechselnd der Journalist der WELT und die Journalistin von PANORAMA über das Journalistenmedium TWITTER denken, insbesondere darüber, wer sich hier jüngst aus der politischen Klasse blamiert habe. Es sind Exzesse der Selbstbezüglichkeit zu erwarten; und das wird auch bedient. Jüngst empört sich Anja Reschke über einen Tweet von Norbert Bolz, in dem dieser von einem „kulturellen Bürgerkrieg“ spricht, was sie für eine Blamage hält. Zugegeben: Ich selbst muss bei manchen Tweets von Bolz gelegentlich schlucken, da er zumindest den Anschein erweckt, seine liberal-konservative Position nach rechts zu öffnen. Mir gegenüber hat er das mal mit dem Hinweis verteidigt, das alles sei ja nur „Rollenprosa“.

Wenn der verehrte Leser hier jetzt nicht weiß, wer Norbert Bolz ist, so ist das keine Schande. Frau Reschke wusste es, so hat es zumindest den Anschein, auch nicht so recht.  Sie greift, auch das eine im politischen Journalismus leider um sich greifende Unsitte, auf einen alten Wikipedia-Artikel zurück und nutzt dessen längst überholte Angabe zur aktuellen Information. Schlecht recherchiert. Nein, gar nicht recherchiert. Es stimmen die Fakten nicht. Ebenso falsch ist die Einordnung von Bolz als „Kommunikationsprofi“. Der Mann ist akademischer Geisteswissenschaftler und nicht TV-Ansagerin (wie Frau Reschke) oder PR-Manager (wie der Autor dieser Zeilen).

Ausführlich beschäftigt sich der Text von Frau Reschke mit der Frage, was Herr Bolz denn mit kulturellem Bürgerkrieg gemeint haben könnte. Die Kolumnistin räumt umfangreich ein, dass sie davon keinen Schimmer habe. Zu Bürgerkrieg fallen ihr nur Syrien, Somalia und Libyen ein. Dass diese drei Konflikte hinreichend mit einem Bürgerkrieg erklärt sein könnten, das wollen wir an dieser Stelle lieber nicht hinterfragen. Aber schon, dass diese Journalistin vom NDR den Philosophen Bolz einer „Trollarmee“ zuordnet, der aus Eitelkeit nur auf Clicks aus sei. Bolz ist erkennbar weder anonymer Troll (wir sehen ihn mit Klarnamen und Foto) noch setzt er eitel auf „clickbaits“; einfach falsch, unwahr. Aber man versteht schon, der Haltungsjournalismus zielt nicht auf Publikumsgunst; das interessiert in der ARD ohnehin niemanden, die sie alle gut situiert im bequemen Hafen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks untergebracht sind. Eher schon ihren Kollegen vom SPRINGER-Blatt. Aber das ist, wie Kipling sagt, eine andere Frage.

Das Wort vom kulturellen Bürgerkrieg ist richtig, wenn man die Umgangsformen der Empörungskommunikation in den Leserforen des Internets und untereinander in den Sozialen Medien betrachtet. Die Wutbürger prägen zunehmend die Umgangskultur im Land. Es herrscht eine Freund-Feind-Stimmung, die manchmal sogar offen zur Gewalttätigkeit aufruft. Im Falle eines hessischen Politikers ist es schon zu Mord auf der häuslichen Terrasse gekommen.

Was die Haltungsjournalistin Reschke, eigentlich eine sehr angenehme liberale Frau, dazu bewegt, diese Ebenen der Debatte zu vermengen, mag verstehen, wer will. Der Hase ihres empörten Kommentars liegt für mein Gefühl ohnehin woanders im Pfeffer. Möglicherweise ist es so, dass in der Blase des Selbstbezüglichen der Twitterer Norbert Bolz als stigmatisiert gilt und man deshalb an einem Rufmord nur zu gerne mitwirken will; kultureller Bürgerkrieg eben. Die Häme gegen Bolz zeigt, dass er recht hatte, wenn er schrieb: „Erkenne die Lage: Es herrscht kultureller Bürgerkrieg.“

Disclaimer: Ich kenne Norbert Bolz persönlich wie akademisch und schätze ihn. Ich kenne Anja Reschke weitläufiger, schätze sie aber auch. Eine Linksliberale und ein Konservativ-Liberaler. Beides keine Vertreter eines reaktionären Nationalismus. Eher Kosmopoliten unterschiedlichen Zuschnitts. Und trotzdem diese Feindseligkeit. Wutbürger, links wie rechts. Es ist zum Heulen. Ich wünsche mir die Wiedergeburt des Mutbürgers.

Was ist ein Mutbürger? Dem edlen Ritter des Mittelalters wurde von den Minnesängern nachgesagt, dass er einen „hohen muot“ habe. Das war das höchste Lob in dieser Zeit. Mut meinte hier nicht nur eine erhöhte Risikobereitschaft und gute Laune. Mut bezeichnete die ganze Einstellung des Mannes, sein Denken und Handeln. Mut war ritterliche Tapferkeit. Nun weiß damit, was den Minnesängern vor siebenhundert Jahren als Ritterlichkeit lobenswert erschien, heute kein Mensch mehr etwas anzufangen, jedenfalls nicht in Berlin. Dazu zählte nämlich nicht nur Ehre, Beständigkeit, Treue und Anstand, sondern auch Demut, Zurückhaltung und maßvolle Großzügigkeit, überhaupt eine alles umfassende Gelassenheit. Davon ist der Wutbürger unserer Tage weit entfernt.

Wenn in meinem Berliner Kiez (nicht die beste Gegend, zugegeben) Fragen der Ehre diskutiert werden, dann werden Verbalinjurien schnell auch einmal physisch. Dem Straßenverhalten im Ghetto entspricht, wie sich die streitenden Menschen verbal gebären, insbesondere im Schutze der Anonymität, die ihnen die Sozialen Medien des Internets gewähren. Meinungsverschiedenheiten sind nach kürzester Zeit Feindschaften, die selbst vor Morddrohungen nicht zurückschrecken. Der Begriff der „hate speech“ soll als Hasskommunikation sogar Eingang in strafrechtliche Erwägungen finden. Es soll schon Staatsanwaltschaften geben, die Facebook und Twitter durchkämmen. Die ursprüngliche Netzidee war eine andere.

Der Engländer spricht seit dreihundert Jahren vom „gentleman“, wenn er ritterliche Tugenden meint. Nun bedeutet der Begriff „gentle“ für den heutigen Realschüler „sanft“; das ist aber ein absichtsvolles Missverständnis. Die „gentry“ bezeichnet den Adel, meist den verarmten Landadel, aber immerhin jemand, der nicht bäuerlicher oder bürgerlicher Abkunft ist, und zwar auch dann, wenn er gelegentlich reichlich grob sein kann. Klassenkampf gibt es bis heute, auch von oben. Dem Gentleman werden trotzdem gute Manieren nachgesagt. Das gilt aber nur im Innenverhältnis der eigenen Klasse. Manieren sind, im Gegensatz zur Etikette, Verhaltensweisen, die das Zusammenleben der besseren Kreise untereinander angenehm gestalten sollen. Die Etikette dagegen ist eine ausgrenzende Tugend. Wer sie nicht beherrscht, ist kein wohlgeborener Gentleman, sondern, wenn schon nicht Bauer oder Prolet, so doch nur ein gewöhnlicher Kaufmann („tradesman“).

Das weltmännische Standesbewusstsein des englischen Gentleman hörte ich kürzlich in der Hansestadt Hamburg durch den Spruch wiederbelebt, dass es auf der Welt „nur Hamburger gebe oder Frisöre“. Zu der Welt der ritterlichen Gentlemen gehören heutzutage nach unserem Verständnis allerdings nicht mehr Wesen wie der Zyniker Boris Johnson, die einem Populismus frönen, der aus dem Reaktionären und Rechtsradikalen erwachsen ist.  Kein Gentleman, der Herr. Aber es gibt ihn noch, zum Beispiel in dem konservative Demokraten, der als Sprecher des Unterhauses berühmt geworden ist, John Bercow, Sohn osteuropäischer Einwanderer. Man mag ja von den Debatten im britischen Parlament halten, was man will: Es waren Debatten. Es war der liberale Versuch, sich gegen den rigorosen Rechtspopulismus zu stemmen. Mutbürgerlich völlig in Ordnung.

Mit der wunderbar großen Stimme des körperlich eher kleinen John Bercow (der als Konservativer übrigens mit einer linken Politikerin verheiratet ist) sollte man das Land zur Ordnung rufen: ORDER. Wir sollten das Gift der Wutbürgerei nicht in unsere Herzen lassen, jedenfalls aus unseren Manieren tilgen und uns auf Tugenden des Mutbürgers rückbesinnen. Zumindest im Binnenverhältnis der Liberalen, gleich welcher Orientierung. Zuviel erwartet?

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14 Gedanken zu “Die Bühne betritt: der Mutbürger;”

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    Ich kann Herrn Ziegler bzgl. Bolz nur zustimmen. Bolzens Tätigkeit kann man m.E. seit einiger Zeit nicht mehr als eine originär wissenschaftliche bezeichnen, denn es fehlt bei ihm an allen Ecken und Enden an Analytizität und Diskussionswillen. Er ist vielmehr ein Aphoristiker, der hauptsächlich im Modus des Behauptens arbeitet und binnen eines Absatzes auf eine wirklich eindrucksvolle Anzahl sozial-philosophischer Theorien rekurrieren kann – unabhängig davon, wie sehr sich diese wechselseitig widersprechen. Insbesondere geht ihm auch das Behaupten steiler Thesen weitgehend argumentationsfrei von der Hand (siehe Twitter). Daher ist es nicht mehr als eine Randnotiz, dass er von kulturellem Bürgerkrieg redet. Dieses Wort erfüllt kaum einen ernstzunehmenden Sinn vielmehr geht es hier um den Sound, den es vor sich her bläst.
    In diesem Sinne: Si tacuisses … aber schon seit längerer Zeit.

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    Anja Reschke ist also linksliberal? Dann ist Georg Restle wohl konservativ und Christian Klar Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion.

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    Zwei Anmerkungen zu einem gutgemeinten Aufruf:

    1) Ohne die „Wut“bürger und deren (neue) Sprachrohre („achgut“ et al.) gäbe es diesen Aufruf nicht, weil es keine Debatte mehr gäbe. Der Resonanzraum veröffentlichter Meinung bestünde im Kern aus ARD/ZDF/ZEIT/SPIEGEL/FAZ/SZ/WELT, die sich auf einen nicht mehr hinterfragten Zulässigkeitsraum weitgehend linksliberaler Wirklichkeitsbeschreibungen und Wertungen geeinigt hatten, die Eintönigkeit ab und an noch unterbrochen durch einzelne Artikel in FAZ und WELT, die gegen den Stachel löcken.

    2) Es gibt nach wie vor keinen Ort für die gewünschte „Mutbürger“debatte. Das gewählte Beispiel für „links“ macht das deutlich – Reschke ist in der ARD nicht irgendwer, sondern Leiterin des NDR Programmbereiches Kultur und Dokumentation. Und eine pars pro toto Vertreterin des ARD-Mainstreams, soweit man das an Veröffentlichungen von ARD Führungsfiguren auf twitter oder ihren Auftritten in ARD-Sendungen überhaupt beurteilen kann. Wenn für sie jemand wie Norbert Bolz bereits die Grenze zum Rechtspopulismus übertritt (gemeint ist natürlich Rechtsradikalismus) – mit wem sollte man wo als konservativer „Mutbürger“ denn bitte noch offen diskutieren können?

    Offene Diskussionen leben von zwei Grundvoraussetzungen – einer halbwegs neutralen öffentlichen Bühne (existiert in Deutschland nicht, weder links noch rechts) und der Bereitschaft, die Argumentation des Gegenüber als zumindest legitim anzusehen (existiert in Deutschlands linksliberalem Spektrum ebenso nicht).

    Und deshalb wird das nicht funktionieren. Seid nett zueinander hat als Aufruf lange Tradition, ist aber historisch wirkmächtig nur dort, wo mehrere Seiten wenigstens annähernd über das gleiche Machtpotential verfügen. Das gilt auch für die Demokratie und ihren öffentlichen Diskussionsraum.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

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      Hatte ich Reschkle ebenso eingeordnet? Und die Differenz von links vs rechts der ZEIT zugewiesen? Ich habe sie als linksliberal bewertet; das scheint mir auch für eine grüne Hierarchin der NDR möglich. Für den Mut des Mutbürgers braucht es kein Form; es ist eine „Haltung“. Ups. KK

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    Hr. Norbert Bolz, ein Prof. mit Charakter und Verstand, u.a.:

    • Multikulturalismus ist das stillschweigende Eingeständnis, dass die Integration gescheitert ist.
    • „Integration“ wird ein fauler Zauber bleiben, so lange die führenden Politiker nicht bereit sind, zu lernen, was es mit dem Islam auf sich hat.
    • Die verzögerte Berichterstattung über die antisemitischen Demonstrationen erinnert doch sehr stark an die Kölner Sylvesternacht: Musste man warten, bis das Bundeskanzleramt die Richtung vorgab?
    • Das vollends entnazifizierte Deutschland ist das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, in dem sich diejenigen, die „schon länger hier leben“, alles gefallen lassen.

    Anja Reschke hatten wir hier.

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      Das Werk von Bolz umnfasst, jedenfalls in meinen Regalen, so etwa zehn wesentliche Bände. Das meint mein Hinweis, ich kennte ihn akademisch. Das erscheint mir Ihre Zitatensammlung etwas unterkomplex, Herr Hans. KK

    2. avatar

      Ich habe Herrn Bolz vor vielen Jahren an der Universität in einem allerbestens besuchten Seminar erlebt (Populismus) und finde diese Selbstzuschreibung von „Rollenprosa“ sehr nachvollziehbar. Nach meiner Meinung disqualifiziert ihn das aber als Philosophen. Ich jedenfalls habe keine Lust, so eine uneigentliche Rollenprosa zu lesen. Die Leute sollen ihre Tarnkappen ablegen und sich bequemen, authentisch nachzudenken (Mutbürger) und unter Berücksichtigung all ihrer Kenntnisse – z.B. indem man auch die naturwissenschafltiche Lage der Dinge (Klimawandel) mit berücksichtigt – argumentieren. Beispielsweise nicht einfach den Grund für die Angst ausblenden und nur die Angst analysieren. M.a,W. sie sollen den Leser nicht für dumm verkaufen.
      Medienwissenschaftler wie Herr Bolz sind anscheinend irgendwie angeekelt vom öffentlichen Diskurs, finden sozusagen, dass in der Suppe Salz fehlt und kippen kräftig Salz nach. Das ist eine manipulative, antiphilosophische Haltung. Für sich genommen ist das dann nur Salz und völlig ungenießbar. Und weil viele so verantwortlungslos denken, kippen viele Salz hinein und alles schmeckt dann zwar nicht mehr fade, aber völlig versalzen und ist vollends ungenießbar.

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        Lieber Roland Ziegler..
        „Medienwissenschaftler wie Herr Bolz sind anscheinend irgendwie angeekelt vom öffentlichen Diskurs,..“
        An dieser Stelle würde ich gerne in Erinnerung rufen, daß Gefühle wie Ekel – wie alle Gefühle – ihre Berechtigung oder besser: Ursache haben (nein! – es gibt keine ‚falschen‘ Gefühle) und Philosphen müssten eigentlich auch schon mal über das Denken selber nachgedacht haben: Was ist es anderes, als ausformulierte, in einen systematischen Zusammenhang gebrachte Gefühle..
        Nun gut, Philosophie, ein Thema für sich. Ich stolpere immer wieder ber sowas, wie „uneigentlich“. Das sind Begriffe, für dessen Verständnis mir Gene oder der hohe IQ fehlt, wahrscheinlich beides und bevorzuge daher die Geistesgeschichte, die ich für relevanter halte. (Ähnliche Motive vermute ich auch bei Bolz.)
        „.. finden sozusagen, dass in der Suppe Salz fehlt und kippen kräftig Salz nach. Das ist eine manipulative, antiphilosophische Haltung.“
        Zu „Salz in der Suppe“ oder ‚Versalzen‘, was wohl soviel, wie verunreinigt bedeuten soll, würden mir ein paar Bissigkeiten einfallen, die ich uns beiden aber ersparen, denn ich habe keinen Grund, Sie zu verärgern. Nur vielleicht der – geistesgeschichtlich, nicht philosophisch zu verstehende – Hinweis: Das ‚Salz in der Suppe‘ ist schon seit jeher allen Bescheidwissern und Bessermenschen, seien es Antijudaisten, Faschisten oder wissenschaftlichen Antisemiten ein Gräuel gewesen. Und wer wissenschaftliche Erkenntnisse als absolut setzt, was derzeit Mode ist, hat von Naturwissenschaft, ja von der ganzen Veranstaltung ‚Wissenschaft‘ keine Ahnung und hat den Pfad der Aufklärung längst verlassen und ist nicht mehr, als ein religiöser Eiferer. Wer, wie Bolz, mehr ‚Salz in der Suppe‘, also Diskurs fordert, hält dagegen und ist auch das Gegenteil von „manipulativ“. Ich kann Ihnen nur dringend raten, darüber nachzudenken. Und ich sage Ihnen das nicht, um sie zu ärgern. Sie driften gerade ins Totalitäre ab und das finde ich sehr schade.

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        Lieber KJN, ich glaube Sie haben mich schlicht falsch verstanden. Es ging mir darum, dass Herr Bolz keine Rollenprosa schreiben und nicht polemisch reden sollte, sondern sachlich und authentisch: dann und nur dann wenn er von mir gelesen werden möchte (was ihm wahrscheinlich egal sein dürfte). Dazu gehört, dass er seine Kenntnisse und sich als ganzen Menschen nicht ausblendet. Wie Sie sicher unschwer erkennen können, ist dieser Gedanke nicht faschistisch. In dem Buch von Adorno „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ (1967!), das ich Ihnen empfehlen möchte, können Sie u.a. lesen, dass bereits die alten Nazis nicht wirklich an ihre eigenen nationalistischen Thesen geglaubt haben, sondern sich durch besonders schrille – nicht authentische – Redeweisen immer auch selber überreden mussten. Es hat gejuckt und sie mussten kratzen.

        Nehmen wir den aktuellen Thunbergschen Satz von dem „brennenden Haus“. Dies ist natürlich ein Gleichnis, gemeint ist, dass die Erde sich erwärmt, mit krisenhaften Folgen. Wir hatten diese Tatsache bereits diskutiert. Aus dieser Tatsache resultiert Angst. Herr Bolz analysiert diese Angst jedoch als Angstreligion. Er abstrahiert anfangs von dem Grund – die Erwärmung – und daher gibt es in der Betrachtung keinen mehr. Dann ist die Angst grundlos und da fällt ihm dann ein, es könnte ja eine Art Religion sein. Wogegen ja nichts sprechen würde, wir haben ja nichts gegen Religion. Aber die Analyse ist eben falsch bzw. unvollständig. Der Grund ist die Gefahr der Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Wenn jemand im wörtlichen Sinn in einem brennenden Haus sitzen würde und daraufhin Angst bekäme, würde Herr Bolz sicher keine Angstreligion attestieren, sondern – hoffentlich – bei den Löscharbeiten mithelfen.

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        Achso, das Salz: Nein, Salz in die Suppe schütten bedeutet nicht „verunreinigen“. Vielleicht überlegen Sie noch einmal, was es bedeutet. Und was es bedeutet, wenn man sagt, es fehle Salz in der Suppe.

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        …oder in aller Kürze: Ich fürchte Herr Bolz glaubt selber nicht daran, was er sagt. Wenn er nicht zu seinem spezifischen Publikum reden würde, würde er anders reden. Das gefällt mir nicht und halte ich auch für unphilosophisch (unangemessen für einen Philosophen).

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        (Weil man ja gerne falsch verstanden wird: Ich wollte mit dem Hinweis auf die Redeweisen der alten Nazis Herrn Bolz nicht als Nazi bezeichnen, das ist er sicher nicht.)

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