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Was ist die oberste Regel der Streitkultur in offenen Gesellschaften? Ist alles nur Meinung oder wie wehrhaft ist unsere Demokratie?

Ein Gastbeitrag von Bruno Heidlberger

Anmerkungen zu einem Text von Thea Dorn, „Warum Streit gut ist“, in der Wochenzeitung Die Zeit Nr. 37 vom 05. Sep.2019, S. 12, Essayistin, Schriftstellerin und festes Mitglied in der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“, die sich  immer wieder gegen Denkverbote wendet. In diesem Fall ist Jürgen Habermas gemeint.

Vorbemerkung zum Thema:

Der Vormarsch der Gefühle zielt auf die Zerstörung des Rechtsstaates und die der offenen Gesellschaft. So erinnerte die Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Ereignisse in Chemnitz an eine wesentliche Unterscheidung: „Es gelten bei uns Regeln, und die können nicht durch Emotionen ersetzt werden; das ist das Wesen unseres Rechtsstaates.“[1] Recht zielt auf Normativität und Allgemeinheit und nicht auf Einfühlung und Subjektivität. Statt die Grundlage unseres Zusammenlebens zu wahren, biedern sich die Neuen Rechten „Volkes Stimme“ an. Wer Recht mit Leben oder Recht mit Gefühl gleichsetzt, beraubt das Recht seiner normativen Autonomie. Frauke Petry sagte auf dem Parteitag 2015 in Hannover: „Wir brauchen die Ängstlichen, um Mehrheiten zu bewegen.“ Dementsprechend appelliert die Neue Rechte nicht an die Vernunft oder an den Intellekt, vielmehr an das, was die Menschen fühlen, was auch als „gesunder Menschenverstand“ bezeichnet wird. Gemäß der umfangreichen Studien der österreichische Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak, die sich intensiv mit Vorurteilsforschung beschäftigt hat, instrumentalisierten alle rechtspopulistische Parteien „eine Art von ethnischer, religiöser, sprachlicher, politischer Minderheit als Sündenbock“ für die meisten – wenn nicht alle – aktuellen Sorgen und Probleme. Diese stellten die jeweilige Gruppe als gefährlich dar, als Bedrohung „für uns“ oder für „unsere Nation“. Wodak kennzeichnet dies als „Rückkehr zu vormodernistischem Denken, also vor der Aufklärung“.[2]

Problemstellung: Das Paradox der offenen Gesellschaft

 „Lasst uns streiten!“, „Argumente statt Gefühlsduselei!“ fordert Thea Dorn in ihrem Essay und folgt dabei dem Philosophen der offenen Gesellschaft, Sir Karl. R. Popper. In ihrem Text versucht sie zu erklären, warum streiten gut ist und Denkverbote, wie sie Jürgen Habermas und diejenigen, die sich selbst für fortschrittlich hielten, erteilt hätten, schlecht. Wer produktiv argumentieren wolle, müsse davon ausgehen, dass seine Behauptungen nicht die letzte Wahrheit seien. Jedes Argument gelte nur solange, bis es von einem besseren Argument abgelöst werde oder wie Karl R. Popper formuliert: „Die westliche Tradition des Rationalismus, die von den Griechen herkommt, ist die Tradition der kritischen Diskussion – die Tradition des Untersuchens und Prüfens  von Vorschlägen oder Theorien  durch den Versuch, sie zu widerlegen (Elenchos).“[3] „Der Liberalismus“, so Popper weiter, setze „seine Hoffnung nicht auf eine Übereinstimmung der Gesinnung, sondern auf die gegenseitige Befruchtung“. Im Prinzip sei jede Meinung berechtigt, allein wer den Holocaust leugne, „meint Thea Dorn“, disqualifiziere sich als ernst zu nehmender Diskussionspartner.  Nun stellen sich folgende Fragen: Hat Jürgen Habermas oder andere Denkverbote erteilt? Ist jede Meinung, bis auf die Holocaust-Leugner, so berechtigt wie die andere? Wenn die Struktur einer offenen Gesellschaft darin besteht, dass alles widerlegt werden kann, kann dann nicht auch die Struktur der Offenheit von ihren Feinden widerlegt werden? Wie gehen wir mit diesem Paradox und den selbst erklärten Feinden der liberalen Gesellschaft um?

Thea Dorns Vorstellungen von einer streitbaren Demokratie

Thea Dorn schreibt, dass Streit zu einer offenen Gesellschaft gehört, ja, dass er sie am Leben erhält und kulturellen Veränderungen ermögliche. Dies zeichne offene von geschlossenen Gesellschaften“ aus. “Es gäbe aber „Verhärtungen“ und „immer aggressivere Lagerbildungen“. Die Kontrahenten (wer?) seien „überzeugt“, dass „ihr Gegenüber ein gefährlicher Blindgänger“ sei, den es „zu entschärfen“ gelte. Wer ist hier gemeint, ein überzeugter Rassist, jemand, der sich nicht an Kopftuch tragende Frauen gewöhnen will oder jemand, der Witze über das dritte Geschlecht macht  oder jemand, der für geschlechtergerechtes Schreiben plädiert?

Man solle sich bewusst machen, so Dorn weiter, in komplexen Gesellschaften sei nicht klar, was „die Wahrheit ist“. Vor allem müsse man zuhören, weil dann „Meinungen und weltanschauliche Positionen“ durch Streit in Bewegung geraten“ könnten. Wer aber den Holocaust leugne, so Dorn, disqualifiziere sich als Diskursteilnehmer.

So weit so gut, dabei werden aber wichtige Fragen umschifft. Wie halten wir es mit den Widersachern der offenen Gesellschaft?  Soll man Leute, die politische Gegner „entsorgen“ und die auf Flüchtlinge schießen lassen wollen, ins Fernsehen einladen? Eins sei für Dorn jedoch klar, dass wir diejenigen, die „überzeugt seien, dass Europa seine Grenzen rigider schützen solle, oder Genderunterricht ablehnen“ nicht „ebenfalls wie bösartig Verwirrte“ behandeln dürften, „denen man konsequent das Wort entziehen solle“. Mit ihnen müsse man „die streitbare Auseinandersetzung“ suchen.

Gegen wen schreibt hier Dorn an? Wer ist gemeint? Etwa Maybrit Illner, Anne Will, oder Sandra Maischberger? Eher wohl nicht. Wie aber soll man sich verhalten, wenn das Gegenüber vor 3 Mio. Zuschauern die Gelegenheit nutzt, etwa gegen Flüchtlinge, Ausländer, Schwule und Leben, gegen die Gleichstellung von Frau und Mann zu hetzen und gar für die Orbanisierung Deutschlands plädiert? Zeigt man Verständnis oder muss man hier nicht klar machen, dass dies den Werten unserer offenen Gesellschaft widerspricht? Sollte man solchen Leuten überhaupt eine solch große Bühne zur Verfügung stellen?

Abrüsten, Avantgarde! Habt Verständnis für „besorgte Bürger“!

Irritierend ist die neue streitlustige Position von Dorn zum einen deshalb, weil Dorn noch am 28. März 2019 in der Zeit unter der Überschrift Abrüsten, Avantgarde! eine „Emanzipationspause“ fordert und fragt: “Müssen diejenigen, denen primär die offene Gesellschaft am Herzen liegt, wirklich alles daransetzen, diejenigen, in deren Kopf und Gemüt sich auch Werte von geschlossenen Gesellschaften bewahrt haben, von eben diesen Werten abzubringen? Ich fürchte, diese Strategie wird eher das Gegenteil bewirken […] dann können wir das liberale Projekt gleich beerdigen.“

Die ehemaligen Opfer von Diskriminierung sollten, so Dorn, selbst „Mehr Toleranz üben“ und anderen nicht „das Gendersternchen vorschreiben“ oder „verbieten Dekolleté-Komplimente“ oder Witze über das Dritte-Geschlecht zu machen. Wird hier Kritik mit Verbot gleichgesetzt? Aber, es gibt weder Verbote schlechte Witze zu machen noch das Verbot, daran Kritik zu üben. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass die frei geäußerte Meinung nicht eingeordnet und bewertet werden darf.

Ist Habermas ein autoritärer Denker?

Zum anderen ist Dorns Kehrtwende zu einer demokratischen Streitkultur zwar erfreulich, aber auch unaufrichtig, weil sie nicht sich, sondern den Diskurstheoretiker Jüngern Habermas kritisiert, den Streit mit der AfD und ihren Anhängern „unterdrückt“ zu haben, ihm sogar „autoritäre Denkmuster“ unterstellt. Im November 2016 habe Habermas in den Blättern für deutsche und internationale Politik dafür plädiert, sich mit den Rechtspopulisten nicht ernsthaft auseinanderzusetzen, sondern ihnen mit der Strategie der „Dethematisierung“ zu begegnen. Den Parteien habe er geraten, „diese Art von ’besorgen Bürgern’, statt um sie herumzutanzen, kurz und trocken als das ab[zu]tun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus.“

Am Beispiel von Habermas, so Dorn, zeige sich exemplarisch, was seit Jahren schief laufe. In einer Verkehrung der Verhältnisse wird Habermas von Dorn zum Sündenbock erklärt, weil er Denkverbote verordnet haben soll. Entscheide Habermas und diejenigen, „die sich selbst für fortschrittlich halten“, „worüber diskutiert werden darf und worüber nicht?“, fragt Dorn empört. Verwundert stellte ich fest, dass Dorn ein neurechtes Narrativ bedient, man dürfe seine eigene Meinung nicht frei äußern. Während vor allem die CSU und Teile der CDU, aber auch der national-konservative Flügel von SPD und FDP und der Linken, von 2016-2018 viel Verständnis für die „besorgten Bürger“ und ihre Forderungen aufbrachten, vor allem aus Angst, Wähler zu verlieren, galt für die Medien offenbar vornehmlich nur die Quote.  So machten sie ihre politischen Repräsentanten erst zu einer bürgerlichen und wählbaren Partei. Wären die Medien Jürgen Habermas’ Empfehlung gefolgt und hätten sich mit den Repräsentanten der „besorgten Bürger“ kritisch auseinandergesetzt und diese auch nicht ständig eingeladen und um sie „herumgetanzt“, würde die AfD heute vielleicht nicht im Bundestag sitzen.

Jetzt ist es zu spät. Die Saat ist aufgegangen mit den traurigen Folgen. Es sei erinnert an Walter Lübcke, Henriette Reker, Siemens-Chef Joe Kaeseroder den ARD Journalisten Georg Restle, den Meuthen einen „totalitären Schurken“ nannte. Thea Dorn schwingt sich nun plötzlich zur Verteidigerin der offenen Gesellschaft auf. Stutzig wird man, wenn Dorn ganz im Habermas‘schen Sinne für eine konstruktive Streitkultur plädiert und Regeln einfordert, aber dann als „Oberstes Gebot konstruktiven Streitens“ darauf hinweist – „halte es nicht für restlos ausgeschlossen, dass du dich irrst und dein Gegner im Recht ist.“ Wenn es um Alltägliches und Menschliches geht ist das eine gute Regel. Aber gilt das auch für die Politik, vor allem für die Kader der AfD und für die hartgesottenen „besorgten Bürger“?

Die Normativität der offenen Gesellschaft  und ihre Wehrhaftigkeit

Das Zulassen von anderen Meinungen, wie es die Vertreter der Neuen Rechten in Bezug auf die Postmoderne fordert, impliziert das Zulassen von Pluralität, in der das Andere sich nicht im Namen einer übergeordneten Normativität ausweisen muss. Ohne überindividuelle Normativität lassen sich aber keine universellen Werte formulieren. Der Werterelativismus, sonst Ausdruck vielfältiger Interessen und einer Streitkultur in offenen Gesellschaften, scheint zu versagen, wenn reaktionäre politische Kräfte mit ihren mit der Demokratie inkommensurablen Sprachspielen an ihren Grundfesten rütteln. Wenn jeder über seine Wahrheit und seine Ethik verfügt, ist es sinnlos, zu argumentieren und das Gegenüber mit Gründen überzeugen zu wollen. Wenn alles erlaubt ist, wenn man meint, alles sagen zu dürfen, geht es einem nicht um Konsens oder Kompromiss, sondern um exklusive Macht. Denn wenn die Macht das letzte Wort hat, entscheidet sie auch über Recht und Moral und darüber, was wahr und erlaubt ist. Dann wird Recht zu Unrecht und Moral zur Unmoral. Dann darf auf Flüchtlinge geschossen, politische Gegner dürfen erschossen und Minderheiten entrechtet werden. Politische Säuberungen dienen dem Machterhalt. Wahr ist dann, was dem Machterhalt nutzt.

Unsere liberale und soziale Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaat  ist laut Grundgesetz nicht verhandelbar. Er wurzelt in den Erfahrungen des Holocaust und steht in der Tradition von Aufklärung und Französischer Revolution. Toleranz, Liberalität und das Recht auf Asyl sind kein Beiwerk der Demokratie auf die man verzichten kann, sondern neben Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ihr Kern.

Die Entscheidung für einen rationalen Standpunkt ist immer eine moralische Entscheidung

Kann eine Argumentationsform vor einer anderen ausgezeichnet werden? Kann man rational für einen rationalen Standpunkt plädieren? Für Popper ist der Schritt, rational argumentieren zu wollen letztendlich ein Entscheidungsschritt, der Glaube an die Vernunft. Offensichtlich ist dann, dass diese Entscheidung Konsequenzen hat für unsere Lebensführung und für unsere Einstellung unseren Mitmenschen gegenüber. Die Entscheidung für oder gegen einen rationalen Standpunkt ist deshalb immer eine moralische Entscheidung. „Es ist die Entscheidung, sich an die Vernunft zu binden.“ Auch der Irrationalismus, schreibt Popper, wolle „die Vernunft verwenden, aber ohne jedes Gefühl der Verpflichtung; er will sie verwenden und fallenlassen, wie es ihm gerade beliebt.“ Den Irrationalismus sieht er eher als Nährboden für autokratische und antihumanitäre Systeme. Popper weiß, dass sich hier unterschiedliche Wert- und Normsysteme gegeneinander stehen. Gleichwohl glaubt Popper, dass wir es den anderen Menschen schuldig sind, sie als vernünftige Wesen zu behandeln. So betrachtet sei sein Angriff auf den Irrationalismus ein moralischer Angriff.[4] Wann immer eine bestimmte Meinung zu dem Normsystem der offenen Gesellschaft in Widerspruch steht ist sie abzulehnen, z.B. die Idee der Horde, einer organischen, vorzivilisatorischen Gesellschaftsform, die dem modernen Menschen mit seinem Drang nach individueller Freiheit nicht entspricht. Auch dann, wenn die Macht an das Privileg einer Klasse, einer ethnischen Gruppe oder gar an eine Einzelperson gebunden und nicht das Ergebnis einer Wahl ist. Popper brandmarkte Propheten einer Staatsdoktrin, die den Kult des Allgemeinen propagieren und bei der das Individuum zu kurz kommt und auf dessen Altar die Grundrechte der Menschen geopfert werden.

Der neurechte Relativismus zerstört die offene Gesellschaft

Führende Vertreter der Neuen Rechten, wie Alan de Benoist oder Armin Mohler, suchten schon in den 1980er Jahren aus der postmodernen Wendung in der Philosophie politischen Nutzen zu ziehen, indem sie die Postmoderne als Gegenaufklärung interpretierten und die liberale Demokratie mit ihrer Normativität von Grund- und Menschenrechten kurzerhand in einen Totalitarismus umdeuteten. Gebe man, frohlockt de Benoist in seiner Schrift Kritik der Menschenrechte, „den Gedanken der Universalität auf“, so sei es möglich, „das gesamte Modell zum Einsturz“ zu bringen.[5] „Anstatt das Sollen aus dem Sein herzuleiten“, gehe der Universalismus umgekehrt vor. „Universalismus“, erklärt de Benoist, bedeute, „nicht die Dinge objektiv zu sehen, sondern von einer übergreifenden Abstraktion auszugehen, aus der sich das Wissen um die Natur der Dinge ableiten soll“.[6]

Objektivität reduziert de Benoist, wie Mohler, auf sogenannte Tatsachenwahrheiten. Er kritisiert Kant, der die Menschenrechte aus der Freiheit des Willens und der Würde ableitet. A priori festgelegte Prinzipien lassen sich für de Benoist nicht auf eine empirische Realität anwenden. Auch widersprächen diese den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Kants Universalismus vernachlässige die „moralischen Verpflichtungen der Gemeinschaft“ gegenüber, der man angehöre, die „hauptsächlich auf Gebräuchen und Gewohnheiten“ fußten.[7] Deutlich wird: Die Naturalisierung der Ethik führt bei de Benoist unter Berufung auf die Postmoderne zum ethnischen Nationalismus sowie zu kulturrelativistischen Positionen und zur Verabschiedung des Universalismus.

Die offene Flanke Thea Dorns

Für Dorn gibt es scheinbar keine universelle Vernunftnorm, die der Demokratie a priori vorausgeht. Politik wird weitgehend verkürzt auf Meinungen, gleichwertige Weltanschauungen und Perspektiven. Wahrheiten sind bei Dorn relativ. Allein der Holocaust ist nicht verhandelbar. Das ist zu wenig! Muss nicht der Werterelativismus versagen, wenn reaktionäre politische Kräfte mit ihren Wahrheitsansprüchen an den Grundfesten der liberalen Demokratie rütteln? Losgelöst von Nützlichkeitserwägungen oder sozialen Interessen formuliert das Bundesverfassungsgericht grundsätzlicher: Es versteht die Grundrechte als „objektive Wertordnung“. Auch verbietet das Grundgesetz im Art. 79 Abs. 3 mit der „Ewigkeitsklausel“ jegliche Veränderung der Art. 1 und 20. Die Menschenwürde gilt im Grundgesetz als auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte absolut – als „Norm der Normen“. Popper ist nicht nur der Philosoph der offenen Gesellschaft, sondern auch ein Widersacher ihrer Feinde. Wir dürfen nicht vergessen: „Alle politischen Extremisten meinen das, was sie sagen und herausschreien – ob rechts oder links […] das ist eine Lehre, die wir in peinlichen Lektionen gelernt haben,“[8] schrieb Carl Zuckmayer 1966.


[1] Zit. von Marlene Grunert: Wenn’s erst gefühlig wird, FAZ 06.10.2018, S. 8.

[2] Ruth Wodak: Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Wien 2016, S. 18.

[3] Karl R. Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt, München 61991, S. 172.

[4] Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. II,  München 6 1980, S. 296.

[5] Alain de Benoist: Kritik der Menschenrechte. Warum Universalismus und Globalisierung die Freiheit bedrohen. JF 2004 Berlin, Klappentext Rückseite.

[6] Ebd., S. 6.

[7] Ebd., S. 50ff.

[8] Carl Zuckmeyer: Als wäre es ein Stück von mir, Frankfurt/Main 200733, S. 30f.

Der Essay basiert auf Gedanken, die der Autor bereits in seinem Buch „Wohin geht unsere offene Gesellschaft? 1968‘ – Sein Erbe und seine Feinde“, Logos Verlag Berlin 2019, formuliert hat.

Zum Autor: Bruno Heidlberger, *1951,1987 Promotion zum Dr. phil., Studienrat für Geschichte, Politik, Philosophie. Lehraufträge an der TU Berlin und an der MHB Brandenburg. Autor, Verfasser von Essays und Rezensionen in philosophischen und politischen Fachzeitschriften.

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4 Gedanken zu “Was ist die oberste Regel der Streitkultur in offenen Gesellschaften? Ist alles nur Meinung oder wie wehrhaft ist unsere Demokratie?;”

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    Hallo Herr Weller,

    was heute die Mütter/Väter des Grundgesetzes zu Merkels Entscheidung und der deutschen Flüchtlingspolitik sagen würden, wissen wir nicht. Wie Carlo Schmid (SPD) und Hermann von Mangoldt (CDU), die das Asylrecht im Grundgesetz, nicht nur Deutschen, die wegen „Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden“ im Ausland verfolgt wurden, sondern allen politischen Flüchtlingen der Welt garantierten, heute „Merkels Politik der offenen Grenzen und die Einschleusung von islamischen Männermassen“ gutheißenen“ würden, wie Sie polemisch formulieren, wissen wir nicht. Die Welt von heute und ihre Probleme sind völlig andere. 1. Waren die Grenzen offen und es ging um die Frage, ob die Grenzen geschlossen werden sollten unter Hinnahme einer humanitären Katastrophe, 2. wurde es mit Österreich abgesprochen, 3. wurden keine „Männermassen eingeschleußt“. Niemand hat behauptet, dass dafür der Asylparagraph gedacht war. Es war eine einmalige humanitäre Entscheidung, die sich nach Aussage Merkels, nicht wiederholen wird. Dies kann man gut oder schlecht finden. Vor allem musste schnell entschieden werden, um mögliche Tote zu vermeiden. Frau Merkel sprach sich mit Faymann ab. „Er schildert ihr die Lage, spricht von einer Notsituation, von den Bildern von der Autobahn, warnt vor Gewalt, möglichen Toten. Ungarn verfolge eine Eskalationsstrategie. Merkel ist sofort überzeugt, dass sich die Flüchtlinge nur mit Gewalt aufhalten lassen und dann eine humanitäre Katastrophe droht. Dass Österreich und Deutschland deshalb ihre Grenzen nicht werden verschließen können.“ Merkel übernahm Verantwortung, ihr gebührt mein Respekt und all denjenigen, die dabei geholfen haben. (https://www.zeit.de/2016/35/grenzoeffnung-fluechtlinge-september-2015-wochenende-angela-merkel-ungarn-oesterreich/komplettansicht)

    Die Welt und die damit einhergehenden Herausforderungen und Verantwortung ist heute eine andere. Die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2018 lag die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht waren, bei 70,8 Millionen – im Vergleich zu 2011 (42,5 Mio.) 67 Prozent davon kommen aus Syrien, Südsudan, Jemen, Irak, Ukraine. Eine kurzfristige Behebung der Migrationsursachen ist infolge von Klimawandel, Überbevölkerung und ökologischer Probleme nicht in Sicht. Hauptlast tragen die unmittelbar an die Krisengebiete angrenzenden Staaten. Wir brauchen einen neuen Blick auf die Welt. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Der erste Schritt ist Tatsachen anzuerkennen. 2015 führte dies bei einigen Politikern der CDU und der CSU zum Umdenken. Im Sommer 2019 einigte sich die Große Koalition auf ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es ist das erste Mal, dass ein Gesetz die längst bekannte Realität, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, anerkennt. Frau Merkel hat recht gehabt. „Deutschland ist ein starkes Land. Wir schaffen das!“ Deutschland hat die Flüchtlingssituation, trotz aller Schwierigkeiten, besser bewältigt als zu erwarten war. Gleichwohl ist die Integration noch nicht abgeschlossen. Deutschland hätte es übrigens noch besser geschafft, wenn AfD-Vize Alexander Gauland sich der Lösung der Probleme nicht verweigert hätte: „Wir wollen das gar nicht schaffen.“

    Objektiv gesehen, sind die Probleme, die die AfD anspricht um ein vielfaches geringer, als viele andere Probleme, mit denen unsere Gesellschaft zu kämpfen hat, ja sie schafft noch zusätzliche Problem. Zudem leugnet sie viele der entscheidenden Probleme, wie den Klimawandel und die Tatsache, dass wir ein Einwanderungsland sind. Bei der Haushaltsdebatte hielt Martin Schulz Alexander Gauland vor, „komplexe politische Sachverhalte auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land“ zu reduzieren. Dieses sei „ein tradiertes Mittel des Faschismus“. Die Migranten seien für Gauland „an allem schuld“. Auch an der Ermordung von Daniel H.? Sündenböcke sind schnell gefunden.

    Nicht die Migration, sondern der Klimawandel ist die größte Bedrohung und Herausforderung – für uns alle. Wir bzw. unsere Kinder und Kindeskinder sitzen alle in einem Boot. Die grundsätzliche Haltung zu den globalen Problemen, wie Klimawandel und globale Migration in Hinblick auf Aufnahme, und Integration von Flüchtlingen und Migranten sowie innere Sicherheit, erfordern ethische und normative Antworten. Die Menschheit befindet sich in einer Krise – und es gibt keinen anderen Ausweg aus dieser Krise als die Solidarität zwischen den Staaten und den Menschen. Offenbar haben sich Schmid und Mangold vom Glauben an die Vernunft der Menschen, an ihre Rationalität und vom Glauben an die Gültigkeit universeller Rechte bei ihre Entscheidung leiten lassen. Für Popper ist der Schritt, rational argumentieren und handeln zu wollen letztendlich ein Entscheidungsschritt. Offensichtlich ist dann, dass diese Entscheidung Konsequenzen hat für unsere Lebensführung und für unsere Einstellung zu uns und zu unseren Mitmenschen. Wenn Sie Merkels Entscheidung falsch fanden ist das ihre Wertentscheidung.

    Unsere liberale und soziale Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaat ist laut Grundgesetz nicht verhandelbar. Toleranz, Liberalität und das Recht auf Asyl sind kein Beiwerk der Demokratie auf die man verzichten kann, sondern neben Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ihr Kern. Grundrechte müssen eingehalten werden. In Deutschland hat das Recht auf Asyl Verfassungsrang; es ist ein Grundrecht. Das Bundesverfassungsgericht versteht die Grundrechte als „objektive Wertordnung“. Sollten Sie anderer Meinung sein ist das ihr gutes Recht, nur kann und werde ich Ihre Meinung nicht teilen.

    Um eine Antwort jenseits der Gesetzestexte zu geben: Asyl zu gewähren, notiert der Journalist Jochen Bittner:

    „Wir tun es aber auch, um uns in unserer Humanität nicht zu schwächen. Das mag klingen wie ein Gutmenschen-Argument, ist aber die Verteidigung einer Grundnorm, die noch unterhalb der Verfassung angesiedelt ist. An ihrem tiefsten Ende leben Menschenrechte und Demokratie vom Glauben an die Richtigkeit ihrer selbst. Lässt ein Staat Inhumanität zu, und sei es in Form unterlassener Hilfeleistung, untergräbt er das Ziel jeder Staatlichkeit, nämlich eine Sphäre zu schaffen, in der der Mensch, kantisch gesprochen, nie Mittel, sondern immer Zweck an sich ist. Wie schnell Menschen und Staaten moralisch abstumpfen und als Ganzes erodieren können, wenn diese Grundnorm erst einmal gebrochen ist, zeigt sich immer wieder – von den KZs des „Dritten Reiches“ über die Gemetzel von Ruanda bis zu den Feuerkäfigen des IS.“

    (Das Gegenteil von Dankbarkeit, Kriminelle missbrauchen das Asylrecht. Warum tun wir uns diese Leute an? Zeit, über eine andere Einwanderungspolitik nachzudenken. Von Jochen Bittner, 2. Januar 2017 DIE ZEIT Nr. 1/2017, 29. Dezember 2016)
    Natürlich können wir nicht die „ganz Welt“ aufnehmen, wir sollten Migration und Asyl unterscheiden, und Kriminelle und Islamisten abweisen. Natürlich brauchen wir eine europäische Lösung. Gleichwohl sollten die Grenzen offen bleiben. Bitte keine Wachposten, keine Schusswaffen.

    Noch einige Anmerkungen zu Ihrer ersten Stellungnahme bezüglich der Ermordung von Daniel H.:
    In einem demokratischen Rechtsstaat darf es in Hinblick auf die rechtliche Beurteilung einer Straftat keinen Unterschied machen, ob ein Flüchtling einen Deutschen oder ob ein Deutscher einen Deutschen tötet. Auch gibt es keinerlei Kausalität zwischen den Ereignissen in Chemnitz und Merkels Flüchtlingspolitik. Auch wenn man keinen einzigen Flüchtling 2015 ins Land hätte gelassen, was schier unmöglich gewesen wäre, es sei denn, man hätte geschossen, dann hätte der Daniel H. auch von einem anderen Migranten oder von einem Deutschen getötet werden können. Ich denke nicht, dass die Kanzlerin dabei in der Haupt- und Mitverantwortung, wie die Neue Rechte gebetsmühlenartig behauptet, steht. Außerdem: Kollektivschuldvorwürfe stehen in Widerspruch zum Strafrecht moderner Demokratien und zum Artikel 33 Genfer Abkommen IV, diese gehen von der individuellen Verantwortlichkeit aus. Nicht nur in Kriegen und bewaffneten Konflikten hat Kollektiv- und Sippenhaftung wiederholt zu Menschenrechtsverletzungen geführt, vor allem während des „Dritten Reiches“. Die Hetze gegen Flüchtlinge ist unmenschlich, verallgemeinernd und schüchtert ein. Michel Abdollahi und Antje Gündner starteten unter dem Eindruck der Ereignisse in Chemnitz eine Petition an Angela Merkel. Darin heißt es:
    „Ich bete bei jeder Meldung darum, dass es kein Ausländer ist, damit der Hass sich am nächsten Tag nicht wieder gegen uns richtet. Wir sind nicht alle Islamisten, weil ein paar Verbrecher unseren Ruf in den Dreck ziehen. Aber der Bundesinnenminister verurteilt alle Migranten, weil sich ein paar nicht benehmen können und straffällig werden. Ich kann wirklich nichts dafür, dass sich einige Migranten in Deutschland nicht benehmen.“
    Michel Abdollahi und Antje Gündner #OffenerBrief an die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die Bundesregierung, changeorg.com, letzter Zugriff: 27.10.2018.

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    Hallo Herr Weller, ich verstehe Ihre Kritik nicht. Welchen Bezug hat diese zu meinem Text? Der Text steht doch gar nicht im Widerspruch zu Ihrer Forderung, auch die Menschenwürde des ermorderten Schreiners zu achten. Der Prozess gegen die Täter ist Ausdruck dieser Achtung. In meinem Text will ich deutlich machen, dass bei jedem politischen Streit die Achtung der Menschenwürde nicht außer Acht gelassen werden darf und dass alle politische Systeme, die die individuellen Grundrechte aushebeln, inhuman sind. Die Menschenwürde gilt universell und ist die oberste staatliche Norm. „Die Würde des Menschen ist unabtastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt“ (GG Art. 1, Satz 1). Und weiter: „Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ (GG Art.1, Satz 2). Ich glaube nicht, dass man Art. 1 als „links“ bezeichnen kann. Er ist Ausdruck tiefster Humanität. Für nichts anderes habe ich plädiert.

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      Ich glaube kaum, dass die Väter des Grundgesetzes Merkels Politik der offenen Grenzen und die Einschleusung von islamischen Männermassen gutheißen würden. Dafür war der Asylparagraph nicht gedacht. Darüber muß diskutiert werden dürfen, insbesondere angesichts der unzähligen Straftaten gegen Deutsche durch Merkels Gäste. Wer diese Diskussion verweigert, kann sich nicht hinter dem GG verstecken, das ist reine Feigheit vor der Realität.

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    Was ist eigentlich mit der Menschenwürde des ermordeten deutschen Schreiners in Chemnitz und seiner Familie? Und der vielen anderen deutschen Opfer? Ihr Linken seid doch Heuchler, die Angst vor den Fakten haben.

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