avatar

151 Jahre „Das Kapital I.“ – 200 Jahre Karl Marx (4)

Zwischenbetrachtung und Betrachtung zur ökonomischen Wirklichkeitskonstitution

Im neuen Jahr könnte sei es das bereits im Jahr 2017 Geschriebene vergessen sein sei es neue Leser hinzugekommen sein. Darum versuche ich zwei Klappen mit einer Fliege zu schlagen (oder so) und verbinde die noch ausstehende Reflexion der Wertkritik bzw. Fetischismuskritik Marxens mit einem Rückblick auf das bereits Vorgetragen.

Da die ersten Artikel etwas zurückliegen und ich noch andere Themen bearbeitete, hier wegen des leichteren Zugriffs die Links

https://starke-meinungen.de/blog/2017/01/14/150-jahre-das-kapital-i-199-jahre-karl-marx-1/#more-6723

https://starke-meinungen.de/blog/2017/02/02/150-jahre-das-kapital-i-199-jahre-karl-marx-2/#more-6722

https://starke-meinungen.de/blog/2017/05/07/150-jahre-das-kapital-i-199-jahre-karl-marx-3/#more-6793

Es war ausgehend vom Begriff des Reichtums von Ricardo und Marx der Schritt zur Analyse der Ware und des Geldes. Nun kann man das Kapital nicht einfach als eine alternative Ökonomie oder Kritische Ökonomie begreifen, ohne seinen grundlegenden kritischen Ansatz zu verstehen. Er war ja nicht Wirtschaftsminister oder Universitätsprofessor und fügte sich dann eine Reihe von Epochen der Theoriebildung als weiteren „Ansatz“ ein, sondern er hatte die zu seiner Zeit bekannten, paradigmatischen Theorien des Geldes reflektiert, die sich prima facie widersprechen und sich ausschließen. Aber seine dialektische Methode war in der Lage, alle diese Theorien im Lichte einer Gesellschaftskritik im umfassenden Sinne einer sowohl philosophischen als auch wissenschaftskritischen Methode einzufügen. Die Reihenfolge der von ihm dargestellten Kategorien von Ware und dann Geld und seine drei grundsätzlichen Bestimmungen, die im Nacheinander und Nebeneinander während der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus ist nicht historisch, sondern logisch (im Sinne einer Reallogik, die Strukturen erfaßt). Adam Smith, im weiteren Sinne der Physiokratie zuordbar und Ricardo setzten sich vom – teilweise noch nicht vollständig oder überhaupt ausgearbeiteten Theorien beinhaltenden Merkantilismus ab. Das grundsätzliche Verständnis von Reichtum: Reichtum, das ist Geld, und Geld das war in deren Verständnis die metallische Währung, vor allem auch in Barrenform von Gold und Silber, ein Veständnis, daß man auch Bullionismus nannte, das sich aus dem enlischen bullion (‚Münzbarren‘, ‚ungemünztes Edelmetall‘) herleitet. Marx entscheidet sich weder für die merkantistische „Theorie“ oder einer der metallischen, quantitätstheoretischen, nominalistischen, konventionalistischen Geldtheorien, sondern leitet diese aus gesellschaftlichen Prozessen ab, sei es der Alltag des gemeinen Bürgers sei es der von Unternehmern, Politiker, Bankern usw. Alle diese Bürger scheinen wie Leibnizens fensterlose Monaden unabhängig voneinander ihre Pläne zu machen, aber im Grunde leitet sich das Ergebnis des Handelns oder Verhaltens aus den Verhältnis ab, in denen sie und ihre Produkte zueinander im Verhältnis stehen. Das Verhältnis z.B. eines Kaffeearbeiters in Brasilien und die eines frühstückenden Arbeiters in Deutschland ist nicht so einfach überhaupt zu erkennen, denn es leitet sich nicht aus dem unmittelbaren Verhalten der Einzelnen ab, sondern alle stehen in einem anonymen sozialen Konnex, der sich tendenziell so verselbständigt, daß es nur noch durch immense theoretisch-kritische Anstrengungen überhaupt zu erkennen ist. Er mag Kaffee trinken, aber er weiß nicht, ob es eine Kaffeearbeiterin oder ein Kaffeearbeiter ist, die ihn geernten hat, wer ihn dann weiterverarbeitet, etwa geröstet hat, es sei denn er mach es wie ich und kauft ihn in einer privaten Rösterei, wo man schon mal die Maschine zu gesicht bekommt. Er oder jemand für ihn hat ja meist den Kaffee nicht einmal persönlich vom Produzenten bekommen und das Ganze ist ein Kreislauf von Kreisläufen. Der erste Band des Kapitals thematisiert erst einmal nur den Produktionsprozeß des Kapitals, der zweite dann den Zirkulationsprozeß und der dritte nähert sich Schritt für Schritt den Strukturen wie sie dann in der Wirklichkeit sich präsentieren, etwa das was Marx mit einem christlich-theologischen Ausdruck Trinität nennt oder die trinitarische Formel von Kapital, Boden, Arbeit: „Kapital – Profit (Unternehmergewinn plus ZInis), Boden – Grundrente, Arbeit – Arbeitslohn“(Kapital Bd 3, MEW 25, S. 822)

Was heute Ökonomen Volks- und Betriebswirtschaftler tun und denken nannte Marx Vulgärökonomie, die nichts tut, „als die Vorstellungen der in den bürgerlichen Produktionsverhältnissen befangenen Agenten dieser Produktion doktrinär zu verdolmetschen, zu systematieren und zu apologetisieren. Es darf uns also nicht wundernehmen, daß sie gerade in der entfremdeten Erscheinungsform der ökonomischen Verhältnisse, worin diese prima facie abgeschmackt und vollkommene Widersprüche sind – und alle WIssenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen -, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen -, wenn gerade hier die Vulgärlkonomie sich volkommen bei sich selbst fühlt und ihr diese Verhältnisse um so selbstverständlicher erscheinen, je mehr der innere Zusammenhang an ihnen verborgen ist, sie ist aber der ordinären Vorstellung geläufig sind.“(a.a.O. 825)

Was normalerweise Thema der ökonomischen Wissenschaft ist, interessiert Marx nicht vorrangig, also Zusammenhänge des Weltmarkts, Konjunkturen, Bewegung der Marktpreise, Perioden des Kredits, Zyklen der Industrie und des Handels, Abwechslung von Prosperität und Krise. Die wirkliche Bewegung der Konkurrenz usw. liegt außerhalb des Plans, es geht um die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem idealen Durchschnitt. (vgl. a.a.O. 839)

Was hier im Dritten Band zusammenfassend gesagt wird, finden wir auch in den zwei Varianten der ersten deutschen Auflage und der zweiten, wo explizit sich etwas über den Fetischismus des Geldes findet.

Hier handel Marx ab das Verhältnisgefüge, wie es erscheint und dabei das eigentliche Wesen verbirgt. Nimmt man nur die Erscheinungsform und will damit Marxens Kritik der Politischen Ökonomie verstehen, kommt man leicht zu Ergebnissen, die nicht verwundern. Die objektive Werttheorie bzw. Kritik sei Blödsinn, weil  das Wesen, das dargestellt wird, also eine Idealisierung, die notwendig ist, um überhaupt etwas zu begreifen, stimme nicht mit den Alltagserfahrungen überein, sei also falsifiziert. Darüber wundert sich allerdings Marx nicht, weil man schon die Eismühle der Abstraktion bemühen muß, um den idealen Durchschnitt, der ja in der Wirklichkeit höchstes mal zufällig auftritt, nicht sehen, hören schmecken oder messen kann. Was beim Merkantilsmus auftritt, Metalle, die den Wert der Waren messen, darf nicht einfach vorausgesetzt werden. Darum müht sich Marx ab Geld als Maß der Werte (1. Bestimmung) zu erklären, mit Hinweisen darauf, daß Währung wie der Pfund noch daran erinnern, daß das Gewichtsmaß Pfund dazu dient, den Wert darzustellen, die Qualität also wichtig ist nicht die Quantität. Der Merkantlismus hat natürlich auch Quantitätstheorien und das Geld als Zirkulationsmittel ersetzt die Geldmenge durch die jeweilige Geschwindigkeit der Transaktionen, wie wir gesehen haben. Aber in der Epoche zwischen 16 und 19 Jahrhundert, wo Kolonialismus und Merkantilismus vorherrschen, wurde ja, weil Metallismus vorherrschte die Geldmenge durch Zufuhr von Gold aus Lateinamerika usw. erhöht und damit die Ausdrucksform inflationiert. Es ist ja nicht der Gebrauchswert des Goldes, sondern seine Idealität im Wert, die entscheidend ist, es kann durch wertlose Zettel ersetzt werden. Lange Zeit war ja faktisch und dann bloß de jure das Geld in anderen Formen umtauschbar in Gold. Aber Gold war ja selbst eine Ware und Arbeitsprodukt der extraktiven Industrie. Bis dann das nicht mehr ging und auch gar nicht mehr so viel Gold verfügbar ist, wie die Zirkulation benötigt. In der Krise wird aber Geld gegenüber Waren bevorzugt, weil sie universell umtauschbar sind. Geld als Geld (3. Bestimmung) kennt „suspendierte Münzen“ oder wenn dies verallgemeiner wird, den Schatz. Das hat vorkapitalistische Vorläufer (Marx nennt jemanden der nur G-W-G erheischt sogar verrückten Kapitalisten), Platon und Aristoteles kritisieren das Geld in Form von Schatz, aber auch später Rousseau. Das ist das, was heute als „Gier“ bezeichnet wird und mit allerlei antisemitische Konnotationen behaftet ist, insbesondere der Zins als äußerster Fetisch ist davon betroffen. Und hier wären wir dabei, was wir noch nachtragen wollten und was auch mit dem Begriff der Ideologie bezeichnet wird.

Mit dem Begriff der Ideologie bezeichnet Marx allgemein ein verkehrtes Bewusstsein, welches sich über seine eigene historische und soziale Genesis täuscht und sich als autonome Macht missversteht. Ideologie ist folglich ein Begriff, der Bewusstseinsformen thematisiert und kritisiert, die nicht allein Erscheinungen kapitalistischer Vergesellschaftung sind. In diesem Kontext zielt die marxsche Ideologiekritik darauf, philosophische Abstraktionen und idealistische Weltbilder auf religiöses Bewusstsein und politische Herrschaftslegenden zurückzuführen und ihre gesellschaftliche und geschichtliche Bedingtheit zu beleuchten. Der Fetischismus ist eine der Formen von Ideologie, der eine bestimmte Funktion hat und ein ebenso bestimmten Inhalt, der anders als andere Formen verdinglichten gesellschaftlichen Verhältnisse in einer sozio-ökonomischen Gegenständlichkeit seinen gesellschaftlichen Realgrund hat, der nur durch Selbstkritik des Erkenntnisgrundes in Frage gestellt werden kann.

Der Fetischcharakter der kapitalistischen Produktionsweise beinhaltet die notwendig falsche Wahrnehmung der Realität. Der marxsche Fetischbegriff bezeichnet also den verfälschenden Erkenntnisgruind, der für den Sachverhalt der falschen Wahrnehmung der Realität verantwortlich ist, dem die sachliche Vermittlung von Vergesellschaftung als Realgrund korrespondiert, den Marx als Verdinglichzung benennt und zwei Aspekte hat:

Es ist (…) schon in der Ware eingeschlossen, und noch mehr in der Ware als Produkt des Kapitals, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Produktionsbestimmungen und Versubjektivierung der materiellen Grundlagen, welche die ganze kapitalistische Produktionsweise charakterisiert.“MEW 25, S. 887

Die eine Dimension ist der Sachverhalt der realen Objektivation eines sozialen Verhältnisses in einem Ding, also Wert, der als Ware, Geld, Kapital und Zins erscheint. Der Begriff der Verdinglichung bezeichnet kein Bewusstseinsphänomen, sondern die Realität sozio-ökonomischer Formgegenständlichkeit (wie Geld, Kapital etc.), die Marx folgendermaßen erklärt: Das Kapital gewinnt „mehr und mehr eine sachliche Gestalt, wird aus Verhältnis immer mehr Ding, aber Ding, das das gesellschaftliche Leben im Leib hat, (…) sich zu sich verhaltendes Ding, sinnlich-übersinnliches Wesen; und in dieser Form von Kapital und Profit erscheint es als fertige Voraussetzung auf der Oberfläche. Es ist die Form seiner Wirklichkeit oder vielmehr seine wirkliche Existenzform.«

Die Real-Verdinglichung des Sozialen ist durch eine Verselbstständigung gekennzeichnet, eine „Versubjektivierung der materiellen Grundlagen“. Dies ist die zweite Dimension der Verdinglichung. In Modifikation des Entfremdungsbegriffs thematisiert Marx den Sachverhalt der Verselbstständigung der Verdinglichung als Herrschaft des »automatischen Subjekts«: die in sich maß-, ziel- und rastlose »Selbstverwertung« des Wertes als »Selbstzweck«.(MEW 23, S. 167ff) Es ist dies die „Verkehrung des Subjekts in das Objekt und umgekehrt“ MEGA II/4, S. 62f ) die nun nicht mehr wie in den Pariser Manuskripten als Entfremdung von einem ontologischen Wesen des Menschen begriffen wird, sondern als Beherrschung der Menschen durch selbstgeschaffene, aber naturwüchsig sich gestaltende soziale Verhältnisse.

Die Menschen werden also durch das, was sie tun, wovon sie aber kein adäqutes Bewußtsein haben, bestimmt. Hierbei bezeichnet der Fetischcharakter nicht die sozio-ökonomische Formgegenständlichkeit und Verdinglichung sozialer Beziehungen, sondern die gleichermaßen objektiv gültige Gedankenform und die falsche Wahrnehmung des gesellschaftlichen Seins. Diese Paradoxie ist scheinbar ein Widerspruch, denn in der Erscheinung zeigt sich diese als das, was sie ist: ein gesellschaftliches Verhältnis von Sachen wie Ware, Geld, Kapital, Zins, um gleichzeitig ihr Wesen bzw. Sein zu verschleiern, daß die realen sozial-vermittelnden Eigenschaften der Dinge, diesen nicht als Dingen an sich selbst, sondern als Objektivationen eines spezifischen sozialen Verhältnisses zukommen. Diese Wahrnehmung ist nicht kontingent, sondern der Selbstverrätselung der sozialen Realität im Kapitalismus geschuldet. Es geht in der Kritik des Fetischismus nicht nur um die falsche wesensmäßige, sondern auch um die adäquate Ebene der Erscheinung oder dem realen Schein der ökonomischen Gegenständlichkeit der Realität, die eine verkehrte Konstitution der Realität selbst ist, die in der spezifischen Form der menschlichen Praxis in kapitalistischen Gesellschaften gründet, die als eigentliche Ursache falscher Wahrnehmung, d.h. als die eigentliche Verkehrung entschlüsselt wird.

Die Aufhebung des Fetischismus ist demnach auch keine bloß theoretische Frage, sondern die der Aufhebung der das Bewusstsein konstituierenden Form gesellschaftlicher Verhältnisse und der aus diesen resultierenden Praxis:

Die verdrehte Form, worin die wirkliche Verkehrung sich ausdrückt, findet sich natürlich reproduziert in den Vorstellungen der Agenten dieser Produktionsweise.“MEW 26.3, S. 445

Marx hat dies als Vernunft in unvernünftiger Form kritisiert, weil diese die Autonomie der Individuen in Heteronomie verwandelt. Fetischkritik muß die kapitalistische Produktionsweise als ein gesellschaftliches Verhältnis dechiffrieren, dessen Herrschaftscharakter dinglich vermittelt ist und dennoch entweder unmittelbar als natürliche und unveränderbare, gar beste aller Welten erscheint. Da dies vor allem in der Krise zu Protest geht, ergibt sich daraus gleichermaßen das Phänomen des falschen Antikapitalismus, bei dem Zinsen und Banken oder personalisert BankerInnen oder auch PolitikerInnen für die kapitalistische Krise verantwortlich gemacht werden. Es ist genau hier das Phänomen des Fetisches, d.h. eine Kritik, die sich an den oberflächlichen Erscheinungsformen des Kapitalismus festmacht, an der besonders augenfälligen Verselbstständigung der Produktionsverhältnisse im Wert heckenden Wert, wie sie z.B. im Zins, den Aktien, Börsenkursen oder der falschen Exklusion von Staat und Markt erscheint. Partikulare Phänomene der Verselbstständigung der kapitalen Ökonomie werden aus ihrem Gesamtkontext gerissen. Sie werden nicht als Momente der gesellschaftlichen Totalität erkannt, sondern lediglich als Auswüchse angeprangert, für die vor allem die Gier einiger Menschen verantwortlich sind, wobei die Geschichte zeigte, daß insbesondere den Juden die Schuld dafür gegeben wurde. Auch wenn es durchaus auch stimmt, daß wie wir es schon in der Form des Geldes als Schatz ansatzweise und im Kapital als solchen, mit Gier produzierenden Elementen kapitalistischen Ökonomie zu tun haben, handelt es sich um einen falschen, nicht bloß verkürzten Antikapitalismus, zu dem er oft linkerseits verharmlost wird. Der muß kritisiert werden, nicht nur, weil darin eine urbürgerliche, gar protestantische Leistungsideologie oder Arbeitsethik sich verbirgt, der im Hass auf müheloses Einkommen, leicht erworbenen Reichtum sich manifestiert, der in populären Sprüchen wie: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ oder „Arbeit macht frei“ auf bekannten Konzentrationslagern, wo man den von Natur aus faulen und gierigen Juden mal so richtig zeigen wollte, was schaffendes statt raffendes Kapital ist. Adorno versuchte den Fetischcharakter in einem Brief an Benjamin zu thematisieren.

„Der Fetischcharakter der Ware ist keine Tatsache des Bewußtseins, sondern dialektisch in dem eminenten Sinne, daß er Bewußtsein produziert. Das besagt aber, daß das Bewußtsein oder Unbewußtsein ihn nicht einfach als Traum abzubilden vermag, sondern mit Wunsch und Angst gleichermaßen ihn beantwortet. Durch den sit venia verbo Abbild-Realismus der jetzigen immanen­ten Fassung des dialektischen Bildes geht aber gerade jene dialektische Macht des Fetischcharakters verloren.“(Briefe Adorno Benjamin, S. 672f)

Bei Marx gibt es die berühmte Stelle, auf die noch einzugehen ist:

„Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings außerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand.“(MEW 23, 86)

Der Begriff des Fetischismus erläutert sich aber besser, wenn wir ihren allgemeineren Charakter betonen, der ja bis hin zu komplexere Theorien wie den Zins gehen. Das können wir zwar erst erklären, wenn wir den Übergang von Geld als Geld, d.h. Geld als Schatz (G-W-G) zum Geld als Kapital gemacht haben, aber wir wollen hier schon mal den terminus ad quem kenntlich machen. Denn von Fetischismus ist auch anderswo die Rede und Marx hat das im ersten Band formuliert im Wissen der komplexeren Formen aus seiner Forschung, die er in der Darstellung dann ausblickhaft erwähnt. Hier also der Fetischismus des Zinses schon mal erwähnt:

„Es ist ganz so ihre immanente Eigenschaft, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die Eigenschaften eines Birnbaums, Birnen zu produzieren. Und als solch zinstragendes Ding verkauft der moneylender sein Geld an den industriellen Kapitalisten. Da es sich erhält, sich erhaltender Wert ist, so kann der industrielle Kapitalist es retournieren nach beliebig kontrahierter Frist. Da es bestimmten Mehrwert, Zins, jährlich schafft, vielmehr in jedem Zeitraum Wert ihm anwächst, so kann er auch diesen Mehrwert jährlich oder in jeder andren konventionell bestimmten Frist ein den Verleiher zahlen. Das Geld als Kapital wirft ja ebenso täglich Mehrwert ab, wie die Lohnarbeit. Während der Zins bloß ein unter besondrem Namen fixierter Teil des Profits ist, erscheint der Zins hier als das dem Kapital als solchem, vom Produktionsprozeß getrennt, und daher nur dem bloßen Eigentum desselben, dem Eigentum von Geld und Ware [Geschuldete], getrennt von den Verhältnissen, die diesem Eigentum den Charakter des kapitalistischen Eigentums, weil den Gegensatz gegen die Arbeit, geben; [der Zins erscheint als] nur dem bloßen Eigentum des Kapitals, und daher dem Kapital eigentlich, eigentümliche Mehrwert‘ Schöpfung, während der industrielle Profit umgekehrt als bloßer Zusatz erscheint, den der Leiher durch seine produktive Anwendung des Kapitals (oder wie das auch ausgedrückt wird, durch seine Arbeit eds Kapitalist; Funktion als Kapitalist = Arbeit hier gesetzt; ja mit der Lohnarbeit identifiziert; indem der wirklich im ||896| Produktionsprozeß fungierende industrielle Kapitalist in der Tat als tätiger Agent der Produktion, als Arbeiter gegenüber dem faulen, untätigen Verleiher des Gelds erscheint, der die Funktion des Eigentums getrennt und außerhalb des Produktionsprozesses bekleidet), i.e. Exploitation der Arbeiter sich vermittelst des geliehnen Kapitals erwirbt.

Der Zins, nicht der Profit, erscheint so als die aus dem Kapital als solchem, und daher als aus dem bloßen Eigentum des Kapitals strömende Wertschöpfung des Kapitals; daher die von dem Kapital eigentümlich geschaffene Revenue. In dieser Form wird es daher auch von den Vulgärökonomen aufgefaßt. In dieser Form ist alle Vermittlung ausgelöscht, und die Fetischgestalt des Kapitals wie die Vorstellung von dem Kapitalfetisch fertig. Die Gestalt erzeugt sich notwendig dadurch, daß das juristische Eigentum des Kapitals von seinem ökonomischen sich trennt, und die Aneignung eines Teils des Profits, unter dem Namen Zins, einem von dem Produktionsprozeß ganz getrennten Kapital an sich oder Kapitaleigentümer zuströmt.“(MEW 26.3. 353f)

Die drei Bände des Kapitals (und hier die Theorien über Mehrwert) sind kein deduktives System wie das Rationalismus, wo alles aus einen Prinzip erklärt wird, sondern es wird (als Möglichkeit) das ganze System vorausgesetzt, um es dann nach und nach einzuholen. Die Werttheorie finden wir nicht in einem Anfangskapitel, sondern das ganze Werk ist sie, das Ziel ist nicht ohne den Weg begründet, obwohl es ja idealsiierter Erkenntnisgegenstand ist.

Der Fetisch, wie er im Merkantilismus vorliegt bezieht sich auf Gold, es erscheint wertvoll. Das Material ist für die Fetischisierung geeignet, weil es seltener ist als andere Materialien. Daher wird das Wertvolle auch dem Material beigemessen. Marx wies drauf hin, daß die Kolonialzeit viel Gold nach Europa brachte und das ist auch ein Moment, daß den Fetisch ein Stück weit relativiert, gar zerstört. Auch die Loslösung des Geldes als Mittel der Zirkulation von einem bestimmten Material ist ebenso wichtig. Geld ist im falle des metallischen aber auch eine Ware der extraktiven Industrie. Kredit und Zahlungsmittel erhalten aber auch zunehmende Bedeutung. Ein Kredit ist ja auch ein Form von Geld, das zirkulieren kann, wie das beim Wechsel der Fall ist. Die Beziehungen zur Einsicht, daß der Wert auf abstraker Arbeit beruht, auf notwendige Durchschnittsarbeit, sind heute vergessen oder im schlimmsten Falle verleugnet.

Man kann durchaus die Wertkritik Marxen apagogisch begründen, indem man annimmt die Begründung über die Durschnitts-Arbeitszeit wäre falsch. Dann würde es ja funktionieren, wenn Waren, die in wenig Zeit produziert werden, sich immer in Waren, die mit mehr Zeit produziert werden äquivalent austauschen lassen. Solche Unternehmer, die mehr Zeit bezahlen müssen, etwa den Lohn, die Zeit, die im Bau der Produktionsmittel stecken usw. würden über kurz oder lang pleite gehen. So kann der Schwenker zu Relationen von Werten zu absoluten Wert-Größen führen. Das können wir auch sehen in dem bereits oft zitierten Brief an Kugelmann, den wir hier mal vollständig bringen, weil er genau das auf den Tisch bringt, was „Kritiker“ der Werttheorie immer übersehen.

An Kugelmann, 11. Juli 1868

… Ich danke Ihnen bestens für Ihre Zusendungen. An Faucher schreiben sie ja nicht. Dies Manneken Pis kömmt sich sonst so wichtig vor. Das ganze, was er erreicht hat, ist, daß ich, wenn eine 2. Ausgabe kömmt, bei betreffender Stelle über die Wertgröße dem Bastiat einige obligate Hiebe geben werde. Es geschah nicht, weil der III. Band ein eigenes und ausführliches Kapitel über die Herren der „Vulgärökonomie“ enthalten wird. Sie werden es übrigens natürlich finden, daß Faucher und Konsorten den „Tauschwert“ ihrer eigenen Sudeleien nicht aus der Masse verausgabter Arbeitskraft sondern aus der Abwesenheit dieser Verausgabung, nämlich aus „ersparter Arbeit“ ableiten. Und der würdige Bastiat hat diesen, jenen Herren nach seiner Manier nur viel früheren Autoren „abgeschrieben“. Seine Quellen sind natürlich dem Faucher et Cons. Unbekannt.

Was das „Centralblatt“ angeht, so macht der Mann die größtmöglichste Konzession, indem er zugibt, daß wenn man unter Wert sich überhaupt etwas denkt, man meine Schlußfolgerung zugeben muß. Der Unglückliche sieht nicht, daß, wenn in meinem Buch gar kein Kapitel über den „Wert“ stünde, die Analyse der realen Verhältnisse, die ich gebe, den Beweis und den Nachweis des wirklichen Wertverhältnisses enthalten würde. Das Geschwätz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständiger Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft. Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmten Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen. Und die Form, worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der Tauschwert der Produkte.

Die Wissenschaft besteht eben darin, zu entwickeln, wie das Wertgesetz sich durchsetzt. Wollte man also von vornherein alle dem Gesetz widersprechenden Phänomene „erklären“, so müßte man die Wissenschaft vor der Wissenschaft liefern. Es ist gerade der Fehler Ricardos, daß er in seinen ersten Kapitel alle möglichen Kategorien, die erst entwickelt werden sollen, als gegeben voraussetzt, um ihr Adäquatsein mit dem Wertgesetz nachzuweisen.

Allerdings beweist andererseits, wie sie richtig unterstellt haben, die Geschichte der Theorie, daß die Auffassung des Wertverhältnisses stets dieselbe war, klarer oder unklarer, mit Illusionen verbrämter oder wissenschaftlich bestimmter. Da der Denkprozeß selbst aus den Verhältnissen herauswächst, selbst ein Naturprozeß ist, so kann das wirklich begreifende Denken immer nur dasselbe sein und nur graduell, nach der Reife der Entwicklung, also auch des Organs, womit gedacht wird, sich unterscheiden. Alles andere ist Faselei.

Der Vulgärökonom hat nicht die geringste Ahnung davon, daß die wirklichen, täglichen Austauschverhältnisse und die Wertgrößen nicht unmittelbar identisch sein können. Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben gerade darin, daß a priori keine bewußte gesellschaftliche Reglung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blindwirkender Durchschnitt durch. Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhangs gegenüber darauf pocht, daß die Sachen in der Erscheinung anders aussehn. In der Tat, er pocht darauf, daß er an dem Schein festhält und ihn als letztes nimmt. Wozu dann überhaupt noch Wissenschaft? Aber die Sache hat hier noch einen anderen Hintergrund. Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretischer Glaube in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist also absolutes Interesse der herrschenden Klasse, die gedankenlose Konfusion zu verewigen. Und wozu anders werden die sykophantischen Schwätzer bezahlt, die keinen andren Wissenschaftlichen Trumpf auszuspielen wissen, als daß man in der politischen Ökonomie überhaupt nicht denken darf?

Jedoch satis superque. Jedenfalls zeigt es sich wie sehr die Pfaffen der Bourgeoisie verkommen sind, daß Arbeiter und selbst Fabrikanten, und Kaufleute mein Buch verstanden und sich darin zurechtgefunden haben, während diese „Schriftgelehrten“ (!) klagen, daß ich ihren Verstand gar Ungebührliches zumute…

KARL MARX

So weit der Brief. Natürlich gab es Versuche den Wert über Nutzentheorien zu begründen. Die kardinalen Nutzentheorien scheiterten, weil keine Quantifizierung gelang, so konzipierte man ordinale, wo nur noch daß jemand etwas mehr als ein anderes vorzieht, quantitativ zu formulieren ist. Aber was jemand nützlich findet, ist höchst subjektiv. Noch niemand hat erkären können, warum sich on the long run immer gleiche Waren auf gleiche Preise hintendieren, wenn diese nur subjektiv sind und in der Beschaffenheit der Waren gründen sollen.

Das nächste Mal sind weiterhin schon vorausgesetzte Sachverhalte einzuholen. Der Übergang zum Kapital innerhalb der Wertlogik wird dargelegt.
Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

5 Gedanken zu “151 Jahre „Das Kapital I.“ – 200 Jahre Karl Marx (4);”

    1. avatar

      Ausführlich findet man zum Thema „Weltkonstitution und historische Praxis“ ein Kapitel bei Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre bei Karl Marx S. 113ff. Da weist Schmidt auf die 1. Marxsche Feuerbachthese hin, nach der der herkömmliche Materialismus die Wirklichkeit als in der Anschauung gegebenes Objekt, „nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv“ aufgefaßt habe und dann darauf, daß das Problem der Weltkonstituion bei Marx wiederkehr, „als sie versucht, vermittels des Praxisbegriffs sowohl das idealistische Erzeugungsmoment als auch das Moment der Bewußtseinsunabhängigkeit am äußeren Sein zu retten“. In diesem Sinne wird eine bei Kant vorliegende erkenntnistheoretische Problematik bei Marx – in der Deutung des nicht-dogmatischen, kritischen Marxismus – weitergeführt. Kant hatte gezeigt, daß die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis auch die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände der Erkenntnis sind, d.h. die Wirklichkeit sofern sie im Bewußtsein ist, sich einer Synthesis des Mannigfaltigen zur Einheit verdankt, die zwar keine pathische Projektion ist, aber doch vom Subjekt geleistet wird. In der Kant nachfolgenden Tradition wurde das Subjekt historisiert und verflüssigt, bei MArx taucht das wieder auf im Sinne der organisierten gesellschaftlichen Arbeit als im Lebensprozeß Gestalt annehmende „generel intellect“(Marx), das Wirken des die individuellen Tätigkeiten übergreifenden „Gesamtarbeiters“, die Marx als Wahrheit des idealistischen Begriffs von Subjektivität dechiffriert. Nun erweist sich die gegenständliche Wahrheit in der Praxis, hinsichtlich der Natur im naturwissenschaftlichen Experiment, wobei im Bereich der Gesellschaft das Problem schwieriger zu lösen ist wegen des antagonistischen Charakters der Gesellschaft und weil die Menschen auf allgemein geltende Fiktionen sich beziehen wie das Geld, die ja nicht aus dem materiellen Substrat erklärbar sind. Daß – wie das im Merkantilismus der Fall war – nur Geld als Reichtum galt und damals Gold gemeint war, das fetischisiert wurde, besagt, daß es eine andere Wirklichkeitskonstitution gibt als die in sinnlicher Erfahrung und Experiment vorliegende, nämlich eine fetischistische, die unvermeidbar, aber durchschaubar ist, was die Leistung von Marx im Kapital war. Die Welt, wie sie in unserem Bewußtsein vorliegt, ist eine immer schon konstituierte, ein Konstitutum des Subjekts. Bei Kant hieß das Transzendendalsubjekt und blieb im Dunkeln, mehr als daß es existierte, aber nicht wie Sinnesdinge, konnte Kant nicht sagen (im Paralogismuskapitel). Adorno bezog sich auf Sohn-Rethel und sprach davon, daß im Transzendentalsubjekt gesellschaftliche Arbeit sich verbirgt. Jeder einzelne Denkende hat ein Erkenntnisvermögen, daß gesellschaftlich bedingt ist und nur so sichert, daß jeder jederzeit Erkenntnis mit anderen teilen kann. Ausführlich hat das neben Sohn-Rethel Rudolf Wolfgang Müller in Geld und Geist gezeigt, wie das zusammenhängt. Die Gegenstände, wie sie im Bewußtsein aller sind, sind also Konstituta, die einer vorgängigen, aber unbewußt bleibenden Tätigkeit des gesellschaftlichen Subjekts sich verdanken. Diese bewußt zu machen war schon Thema bei Fichte, Schelling und Hegel, auf je eigene Weise. Was unter Wirklichkeit verstanden wird, unterscheidet sich allerdings. Wie das bei Marx – aber auch schon bei Hegel – gedacht wird, ist, daß z.B. ein Lebendiges, nicht als bloßes Objekt betrachtet wird, als Einzeles, Isoliertes, sondern in seiner Allgemeinheit, d.h. Leben. Der Mensch ist nichts außerhalb seines Lebensprozeßes, sondern ist wirklicher Mensch nur im Stoffwechselprozeß mit der (lebendigen) Natur. In einer warenproduzierenden Gesellschaft konstituiert sich der Mensch allerdings als so ein isoliertes Wesen, ist von sich als Allgemeinem entfremdet. Daher die Rede von Warenfetischismus, Verdinglichung, Entfremdung bei Marx. So kann es unterschiedliche Wirklichkeitskonstituionen geben, z.B. eine ästhetische hinsichtlich von Kunstwerken oder dem Naturschönen, eine fetischistische im Aberglauben oder in der Perversion, in der ja z.B. Kleidungsstücken eine eigenartige Macht zugeschrieben wird, die diese von sich aus gar nicht haben können, was dann einen fließen Übergang zur Projektion haben kann, die aber zur Wahrnehmung immer gehört, so daß die falsche oder pathische Projektion von einer, die wirklichkeitstüchtig ist, unterscheidbar ist, sofern in dieser die Reflexion nicht ausfällt.
      Eine lemmatische Skizze zwar nur, aber hoffentlich einigermaßen verständlich ausgedrückt.

    1. avatar

      Den neuen Band der MEGA ist noch nicht in meinen Händen, da muß ich noch ein wenig warten. Aber der Artikel enthält Dinge, die ein Marx-Leser – sofern er sich beim Lesen etwas dachte – weiß. Daß der Band 3 der MEW sehr spät überhaupt erst erschien und Texte zusammenstellte, die aus der Zeit der Auseinandersetzung der sog. Junghegelianer stamm, ist schon länger bekannt. Die Schriften dienten der Selbstverständigung und läßt tatsächlich die geistige Entwicklung von Marx nachvollziehen. Erst einmal kritisierte Marx Hegel mit Feuerbach und Feuerbach mit Hegel, woraus auch die sog. Feuerbachthesen hervorgingen. Dann distanzierte Marx sich – nach einer Auseinandersetzung mit Max Stirner von seinem eigenen Feuerbachismus, wobei MArx nicht einmal alles aus Feuerbach rausholte, was hätte gehen können, die Arbeiten von Alfred Schmidt, (Emanzipatorische Sinnlichkeit) und Falko Schmieder sind da einschlägig. Insgesamt ist die Auseinandersetzung – jeder Junghegeliander – zu denen gehörte auch Marx – eine Polemik, die vor allem den anderen jewils Theologie vorwarf. Dazu vgl. Wolfgang Eßbach, Die Junghegeliander. Man findet in dem geistigen Klima auch Antisemitismus, etwa in Feuerbachs Wesen des Christentums, bei Bruno Bauer zunächst einen moderatern, den Marx in der Judenfrage polmisch bedachte, wobei einige Autoren Bauerparaphrasen für Marx hielten und dann auch Marx für einen Antisemiten hielten, was falsch war, obwohl was Marx über Juden schrieb auch nicht das gelbe vom Ei ist. Ich habe mich dazu auch – per audio in freies-radio.net nachzuhören , geäußert.
      Die westliche Marxaneignung hat die Deutsche Ideologie meist als zu positivistisch kritisiert, die östliche bezog sich positiver darauf, aber verschlimmbesserte sie. Die neue MEGA-Deutsche Ideologie dürfte wie die MEGA-AUssgabe des Dritten Bandes wieder einige Fehler der Marxaneignung beheben.
      Den Artikel kann ich inhaltlich weitgehend folgen. Nur das Reißerische, daß es kein Buch Deutsche Ideologie gab, hätte gelassen werden können, das war immer bekannt.

    2. avatar

      Das ist ja höchstinteressant 🙂

      Aber in der Philosophie gibt es etwas Ähnliches: Friedrich Nietzsche hat niemals ein Werk namens „Der Wille zur Macht“ verfaßt; das Buch dieses Namens wurde von Elisabeth Förster-Nietzsche und Heinrich Köselitz aus nachgelassenen Fragmenten des großen Philosophen zusammengestellt.
      Zur Unbrauchbarkeit dieses Kompilats haben Giorgio Colli und Mazzino Montinari im Kommentar zu Band 6 ihrer Kritischen Studienausgabe (dtv) alles Notwendige gesagt, so daß (zumindest in der deutschsprachigen Nietzscheforschung) „Der Wille zur Macht“ daher nicht mehr als Werk Friedrich Nietzsches angesehen wird. Zu Recht. 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top