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Karl Marx muss weiter träumen – zur Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen

„Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seinen Bedürfnissen“, so stellte sich Karl Marx das Schlaraffenland vor. Die klassenlose Gesellschaft werde es jedem ermöglichen, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. In den bisherigen Versuchen hat es mit der Realisierung nicht geklappt. Sie wurden 1990 beendet, weil beide Versprechen vom real existierenden Sozialismus nicht erfüllt werden konnten.

Manche glauben, die Digitalisierung werde uns die Arbeit abnehmen, und wenn wir´s nur richtig anstellten, dann ließe sich das Ziel doch noch erreichen. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könne man gewissermaßen auf Sparflamme schon einmal anfangen, sich auf die arbeits-lose Gesellschaft der Zukunft vorzubereiten.

Ich denke nicht, dass es so kommt. Wie bei der ersten und zweiten industriellen Revolution werden Arbeitsplätze wegfallen. Vor 200 Jahren arbeiteten 80 Prozent in der Landwirtschaft, heute sind es noch 4 Prozent. Und sie produzieren ein vielfaches mehr. Hätte man die Bauern vor 200 Jahren gefragt, sie hätten vielleicht gedacht: dann muss ich ja nicht mehr arbeiten und bekomme trotzdem zu essen. Die Arbeit ist durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft aber nicht ausgegangen. Sie hat sich vom Feld in die Fabrik verlagert.

Auch durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze wegfallen. In der Industrie und im Handel. Weil mehrere Sektoren unserer Wirtschaft gleichzeitig betroffen sein werden und weil die Veränderungen nicht linear sondern eher exponentiell verlaufen, wird der Strukturwandel schneller ablaufen und uns vor größere Herausforderungen stellen, als dies bisher der Fall war.

Künstliche Intelligenz, Roboter, neue Vernetzungen würden dazu führen, dass uns die Arbeit ausgeht. Deshalb helfe nur ein arbeitsloses Grundeinkommen. Zwei Fliegen mit einer Klappe also: die Arbeitsplatzsorgen bekämpft und den alten Traum von Marx endlich erfüllt.

Auch diesmal wird es nicht so kommen. Wir haben Arbeit, weil Menschen Bedürfnisse haben. Und wir bekommen Geld dafür, weil wir in organisierter Arbeitsteilung zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer Menschen beitragen, die uns dafür bezahlen.

Diese Bedürfnisse verändern sich mit den Möglichkeiten und sind, darauf kommt es hier an, prinzipiell unbegrenzt. Wir können heute noch nicht wissen, was sich die Menschen in 30 oder 40 Jahren wünschen werden. Bei uns stand 1990 auch noch kein Handy auf dem Wunschzettel. Aber wir wissen schon, dass es auch Weihnachten 2050 Wunschzettel geben wird.

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Über Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz (68) gehörte von 1994 bis 2013 dem Deutschen Bundestag an und war 2000 Generalsekretär der CDU. Von 2005 bis 2013 war der Politiker aus Münster Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) und Dean des Global Diplomacy Lab. Der Jurist ist verheiratet und hat mit seiner Frau vier erwachsene Kinder.

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