Im Anfang waren weder Revolution oder Krieg noch nationale oder gar völkische Aufwallung. Der British North America Act vom 1. Juli 1867 war das Resultat pragmatischer Überlegungen, langwieriger Verhandlungen und spätimperialer Regierungsklugheit. Statt auf pathostriefende Beschwörungen von hohen und höchsten Werten und Bezugnahmen auf vorgeschichtlichen Mythen setzten die Fathers of Confederation auf das konkret Machbare: Peace, Order and Good Government. Das klingt für manche Ohren unheroisch, gar langweilig. Doch boring is better, wie das kanadische Nachrichtenmagazin Maclean’s vor einigen Jahren titelte. Mit der Gründung des Dominion of Canada vor 150 Jahren begann die letzte Etappe des Rückzugs Großbritanniens vom nordamerikanischen Kontinent, der sich formal bis 1982 hinzog. Und es begann die erstaunliche Geschichte eines Staates, der im Unterschied zu den europäischen Nachfolgestaaten der großen Reiche dem Prokrustesbett eines verengten nationalistischen Selbstverständnisses unaufhaltsam zu entfliehen scheint.
Die Gründung des neuen Staates war schon seit einem Jahrzehnt im Schwange gewesen. Die kleinen Kolonien im Osten des Landes, New Brunswick und Nova Scotia, kämpften um ihr wirtschaftliches Überleben und hofften auf infrastrukturelle und ökonomische Anbindung an einen größeren Markt. Die Province of Canada, die heutigen Provinzen Ontario und Québec, war aufgrund des französisch-englischen Gegensatzes und der zahlreichen offenen Rebellionen ohnehin nur schwer zu regieren. Es spricht Bände, dass während des 26-jährigen Bestehens dieser Provinz die Hauptstadt nicht weniger als sechsmal wechseln musste. Dem fernen Großbritannien waren die finanziellen Belastungen aufgrund imperialer Überdehnung zu groß geworden. Und schließlich lauerte im Süden ein ebenso expansionswilliger wie hochgerüsteter Nachbar, dessen gerade beendeter Bürgerkrieg als Negativbeispiel für die verheerenden Wirkungen entfesselte Gewalt im Namen der Nation diente.
Es entstand ein rasch expandierender neuer Staat, dessen rechtlicher Status im britischen Commonwealth sowie dessen innere Organisationform und Funktionsweisen weder dem herkömmlichen Nationalstaat europäischer Prägung noch den aufstrebenden imperialen USA entsprach. Dem kanadischen Historiker Ian McKay zufolge, war Kanada bereits in seiner Entstehungsgeschichte nicht als ein Projekt gedacht, das eine als essentiell gedachte Nation begründen oder einen als homogen und leer imaginierten Raum besiedeln sollte. Vielmehr handelte es sich bei dem „Projekt Kanada“, um die allmähliche (und durchaus konfliktreiche) Herausbildung eines spezifischen liberalen Herrschafts- und Gesellschaftsmodells, dem ein besonderes Verständnis für die Heterogenität des Raumes und der darin lebenden Menschen zugrunde lag.
Diese evolutionäre, mit Bedacht auf ständige Erweiterung hin ausgerichtete liberale Sicht auf Kanada als Staat jenseits von Imperium und Nation spiegelt sich auch in der Abfolge und teilweise parallelen Existenz der großen kanadischen Geschichtserzählungen. Die erste große Meistererzählung stand noch ganz im Banne europäischer Geschichtsmythen und verortete die kanadische Nationsbildung im Zeitalter der Eisenbahnen und Weltkriege. Das von den Vätern der Konföderation – spät im 20. Jahrhundert auch um die Mütter und Töchter erweitert – geschaffene Gemeinwesen entwickelte demnach erst durch Industrialisierung, Kommunikationsrevolution und Weltkrieg gemeinsame Erfahrungsräume. Noch immer gilt die Schlacht bei Vimy vom Frühsommer 1917 vornehmlich englischsprachigen weißen Eliten als Geburtsstunde der kanadischen Nation. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts knüpften zwei an der Oberfläche gegensätzlich scheinende Identitätskonstruktionen hier an. Seit Lester Pearsons erfolgreicher Vermittlung in der Suezkrise von 1956 und dem darauf folgenden Engagement in internationalen Friedensmissionen unter UN-Mandat erfreute sich die Vorstellung von Kanada als peacekeeping nation unter Liberalen großer Beliebtheit. Der konservative Premierminister Stephen Harper hingegen forcierte die Remilitarisierung kanadischer Sicherheits- und Außenpolitik über das peacekeeping hinaus und versuchte diese mittels geschichtspolitischer und symbolischer Rückbezüge, in einem dezidiert nationalen Narrativ zu verankern. Sowohl die liberale als auch die konservative Nationskonstruktion hatten ihren historischen wie logischen Ort in den Erfahrungswelten der beiden Weltkriege, dem vermeintlichen Coming of Age der kanadischen Nation.
Weitgehend ausgeschlossen von diesem Narrativ blieb jener beträchtliche Teil des kanadischen Staates und seiner Bevölkerung, der die Konföderation v.a. als angelsächsische Machtaneignung und die in den Weltkriegen temporär eingeführte Allgemeine Wehrpflicht als tiefen Einschnitt in angestammte eigene Rechte begriff. Zwar war das frankophone Kanada 1867 ebenfalls mit vergleichsweise weitgehenden und auf Erweiterbarkeit ausgerichteten Freiheits- und Souveränitätsrechten ausgestattet worden, Eingang in das dominante Narrativ fand die Binationalität, begleitet von massiver Gewalt und fortlaufenden Sezessionsdrohungen, allerdings erst seit den 1960er Jahren. Zur Bewahrung der staatlichen Einheit öffneten Pearson und seine Nachfolger im Amt das anglokanadische Deutungsmonopol auf Canadianness, billigten der abtrünnigen Provinz Québec nicht zuletzt in der kulturellen Selbstverwaltung zahlreiche Sonderrechte und erhoben das Französische zur zweiten offiziellen Amtssprache. Selbst frankokanadische Rebellen und Separatisten, wie der 1885 wegen Landesverrats hingerichtete Führer der Métis Louis Riel, haben heute nahezu unumstrittenen einen festen Platz im kanadischen Pantheon. Mittlerweile gilt die Provinz Québec ganz offiziell und parlamentarisch abgesegnet als eine eigenständige Nation innerhalb eines geeinten Kanadas. Insbesondere für Pierre Trudeau, der den Frankokanadiern dieses formelhafte Zugeständnis nationaler Eigenheit immer verweigert hatte, besaßen die staatliche Einheit und die Herstellung einer alle Kanadier einschließenden kollektiven Identität oberste Priorität. Im Ergebnis hat die Anerkennung der Binationalität Kanadas die Vorstellung von der Existenz eines einheitlichen Identitätskerns jedoch nur erodieren lassen.
Ausgerechnet Pierre Trudeau entzog durch einen politischen Schachzug, der bis heute wie ein tiefer Riss in der westlichen Welt der Nationalstaaten nachwirkt, dem nationalen Narrativ vollends die Grundlagen. Die Politik des Multikulturalismus, 1971 als ausgleichende und letztlich aufhebende Kraft im anglo-französischen Gegensatz eingeführt, begleitet von der Öffnung der Einwanderungsgesetzgebung für bis dahin auch in Kanada unerwünschte Zuwanderergruppen, hat ein zuvor ohnehin schon unvollkommenes und fragiles nationales Selbstverständnis in etwas Neues transformiert, dessen Charakter von identitärer Pluralität und Hybridität geprägt ist. Die seit über vierzig Jahren andauernde Neuerfindung der kanadischen Erzählung im Zeichen des auch heute noch quicklebendigen Multikulturalismus äußert sich nicht nur in der Anerkennung von Differenz in der kulturellen Folklore, im Stadtbild, in Schulbüchern oder in der staatlichen Bereitstellung einer Vielzahl von Rechten und Möglichkeiten, sondern auch in einer nachholenden Inklusion kultureller Minderheiten in das historische Narrativ. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der besondere historische Beitrag einer spezifischen kulturellen Gruppe zum Wohlergehen aller gedankt wird: bevor heute am 1. Juli Canada Day gefeiert wird, beging man am 21. Juni National Aboriginal Day, am 24. Juni Saint-Jean-Baptiste Day und am 27. Juni Multiculturalism Day. Darüber hinaus haben nahezu alle Premiers seit Trudeau senior unabhängig ihrer politischen Zugehörigkeit die Ungleichbehandlung, Diskriminierung oder Exklusion von Minderheiten offen benannt und sich im Namen des kanadischen Staates förmlich für begangene Verbrechen entschuldigt. Keineswegs hat das multikulturelle Narrativ jedoch die binationale oder die anglokanadische Nationskonstruktion vollständig abgelöst. Vielmehr hat es einen neuen Rahmen gesetzt, innerhalb dessen auch nationale Erzählungen ihren Platz finden, jedoch eingebettet bleiben und fortwährend mit vielfältigen, weniger konkurrierenden als vielmehr sich einander ergänzenden Erzählungen, korrespondieren
Das vorerst letzte Kapitel dieser fortschreitenden Erweiterung des kanadischen Narrativs ist noch nicht zu Ende geschrieben. Die autochthone Bevölkerung, die Inuit in den arktischen Gebieten und die über das ganze Land verstreuten First Nations, war bis vor kurzem weder Teil des Nationalbildungsprozesses noch wurde ihre Leidensgeschichte als Kolonisierte im eigenen Land mit der allgemeinen Geschichtserzählung verwoben. Dies scheint sich allmählich zu ändern. Die kulturelle und politische Aufwertung des Nordens ist, im Zeichen der ressourcenbedachten Politik der arctic sovereignty sicherlich nicht ganz uneigennützig, seit 1999 das selbstverwaltete Territorium Nunavut geschaffen wurde in vollem Gang. Von noch größerer Bedeutung wird die Aussöhnung Kanadas mit den Stämmen der First Nations sein. Mit der 2008 eingerichteten Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission, die primär die Verbrechen an den First Nations aufarbeiten sollte, wurde ein noch immer fortdauerndes Gespräch etabliert, das unter Justin Trudeau erste politische Früchte auch in Form von materiellen Wiedergutmachungsleistungen zu tragen beginnt. Der allerdings bei weitem noch nicht gelöste Kern der Auseinandersetzung betrifft auch das nationale Selbstverständnis und die daran hängende Erzählung: Bei der Frage um Landbesitz und Landnutzungsrechte wird sich erweisen, wie weit der zutiefst liberale kanadische Erweiterungsansatz der nationalen Erzählung unter den Bedingungen modernen kapitalistischen Wirtschaftens tatsächlich trägt.
Die Überzeugungskraft des kanadischen Nationsverständnisses liegt nicht darin, dass es fehlerfrei wäre, sondern dass ihm auf sehr pragmatische Weise eine große Bereitschaft zur Selbstkorrektur und Erweiterung eigen ist. Der Publizist John Ralston Saul beschrieb diese Erweiterung des kanadischen historischen Narrativs bildhaft als einen immer weiter ausgreifenden Kreis, der nicht nur vermeintlich randständige Erinnerungen einholt, gar ins Zentrum rückt, sondern letztlich Peripherie und Zentrum des nationalen Gedächtnisses vollends miteinander verschmelzen lässt, Mehrheit und Minderheiten als gesellschaftliche Unterscheidungskategorien auflöst. Premierminister Justin Trudeau griff diesen Gedanken auf, als er Kanada als ein postnationales Gemeinwesen ohne verbindlichen identitären Kern beschrieb. In einer Zeit, wo nationale Meistererzählungen in der westlichen Welt zumindest kurzfristig wieder Konjunktur haben, mögen solche geradezu experimentellen Entwürfe von Gesellschaft vielleicht belächelt oder als Sonderfall angesehen werden. Doch könnte es jenseits aller Auf- und Abschwünge nationaler oder imperialer Selbstentwürfe lohnenswert sein, die kanadische Entwicklung im Auge zu behalten. Denn möglicherweise sehen wir hier unsere eigene Zukunft.
Zu Frau QUistorp’s „multikulti“-Beispiel fällt mir als erstes ‚Denkmalschutz‘ ein. Wr ein schönes, aber verlottertes altes Haus umbaut, bekommt in Deutschland oft von diesen Bürokraten verboten das Haus lebenswert umzubauen, also die Dächer zu bewohnbaren neuen Stockwerken zu erweitern. Wien ist da liberal, andere deutsche Städte (südlich des Mains) sind es nicht. In manchen Regionen wieder reißen viele Bauherren (und Bau-Frauen) schöne alte Häuser ab, um mehr billigen Wohnraum (und damit mehr Miete) zu generieren. Das ist in meinen Augen zu bedauern, also auch der inflexible Denkmalschutz.
Multikulti ist nicht mehr positiv besetzt wegen dieser „Schutz“-Ideologie. Kanada ist da lockerer. Die unterschiedlichen Kulturen werden zwar in ihrer Eigenart betont, aber nicht im „ursprünglichen“ Sinne gepflegt und konserviert. Das Ahornblatt der Kanadier macht eine neue Einheit aus der sich bereits zu Assimilation entschlossenen Verschiedenheit. Assimilation und Differenzierung wird symbolisiert. Gefördert wird also die Anpassung durch bewusste De-Thematisierung der Unterschiede, weil Unterschiede eben für Kanadier selbstverständlich sind. Übertragen auf die feministische Debatte: De-Thematisierung von Geschlecht!. Seht es als selbstverständlich an, dass Frauen und Männer verschiedene Rollen einnehmen können und transformieren in eine je individuelle Performanz. Anerkennung von Verschiedenheit erleichtert das Leben.
Danke für den inhaltssreichen Text Herr FUnck,
leider hat sich die deutsche Mulitkultidebatte nur an Träumen von Multikulti in Kanada
ein Vorbild genommen und sich jahrelang nicht für das Quoten und Qualifikations und Punkte
system in kanada interessiert, so getan, als könnten wir einfach die USA und Kanda kopieren,
was auch vielen Gründen nicht geht, aber lernen kann man voneinander,
vor allem am besten das Beste und dazu würde in kanada gehören,
dass die endlich das fracking und Tar sands projekt aufgeben und den Inuit, vor allem
den Inuit frauen ihr Land und ihre Sicherheit und Rechte zurückgeben.
Uralte Einwanderungsländer zwischen zwei Ozeanen und mit einer Einwanderung
von gebildeten Muslimen aus Indien kann man nicht mit der Situation in Deutschland vergleichen,obwohl es unzählige internationale Konferenzen zum Thema Migration gibt und
Einwanderung und die letzte im Auswärtigen Amt war, sogar mit einer Modenschau
verbunden-Was die ausländischen Referenten von Deutschland oder der EU wissen,
ist oft fraglich, denn wir brauchen LEute wie sie, die beide Länder gut kennen und auf
die wesentlichen Unterschiede achten.Also erst mal ein Dank, dass Sie so einen differenzierten
Artikel geschrieben haben , Ich habe mich jahrzehntelang für die Rechte der Inuit eingesetzt,
die früher zu respektieren auch durch Kanada, hätte eine Hilfe gegen den Klimawandel
sein können auch in unserem Interesse
Besten Dank. Ich habe mich bemüht, den etwas eigentümlich formatierten Text zu lesen. Natürlich muss man die Unterschiede im Auge behalten und nicht alles ist beliebig transferierbar. Dass man dennoch voneinander lernen kann, haben Sie ja geschrieben. Mir ging es hier allerdings weniger um technische Fragen der Einwanderungssteuerung (das Punkte- und Quotensystem – vor 50 Jahren eingeführt, also auch nicht gerade dernier cri – wird in seiner vorbildhaften Funktionalität m.E. allerdings ziemlich überschätzt) und schon gar nicht ökonomisch-ökologische Grundfragen (hier kann Kanada umgekehrt einiges von Europa lernen – und tut es auch), sondern um die Bereitschaft, die Politik der Anerkennung (von Differenz) und der Teilhabe (von Minderheiten) auf das nationale Geschichtsbild anzuwenden. Das ist ein auch in Kanada langer, schwieriger und noch immer andauernder Prozess, aber die Anstrengung dazu ist nicht zu übersehen. Weitgehend ohne Revolution und Reaktion. Das imponiert mir.
ach Waldgänger@: „aus der Tiefe des Volkes“ kamen angeblich Grimms Märchen. Aber auch sie wurden gesammelt. Wer Andersen’s oder Hauff’s Märchen liest, merkt schnell, dass jeder dieser Sammler seine eigene Handschrift hatte. Ich habe ja nichts gegen Romantik, herb bitte nicht in der Politik oder gar der Staatslehre. Nach von Savigny und der sich historisch nennenden Rechtsschule (und Savigny hatte immerhin Kant gelesen) ist das Kapitel zu Ende geschrieben. In Zeiten der bewussten Vielfalt einigt man sich – sei es in Kanada, sei es in Kern-Europa – auf ein Narrativ oder geht getrennte Wege (im Inland rutscht man halt unter die 5% Quote).
Was Sie, lieber Herr Funck und andere Linke, nie verstehen werden: Eine Identität, eine „Erzählung“, ein Nationsverständnis, ein Gründungsmythos, oder wie man das Ding immer nennen will, kann nicht durch die Eliten, per Dauerberieselung, konstruiert oder geändert werden. So etwas kommt aus der Tiefe des Volkes. Im Gegenteil das Volk entwickelt einen regelrechten Widerwillen gegen solche Versuche es zu erziehen und reagiert entsprechende trotzig, wenn die Zeit dazu gekommen. Irgendwer bezeichnete Trump als Handgranate, die der Wähler in’s Wohnzimmer, pardon den Salon, der Eliten geschleudert hat.
Deswegen hilft der Blick in’s Ausland auch wenig. Kanada ist Kanada, Deutschland ist Deutschland.
Ich glaube, wir hatten das hier schon öfters: Links ist bei manchen alles, was nicht rechtsextrem ist.
Die verschiedenen existierenden „Volksbegriffe“ schlagen Sie bitte noch einmal nach. Und wer meint, dass der Nationalstaat sich aus „der Tiefe des Volkes“ heraus entwickelt hat und nicht das Werk von bildungsbürgerlichen Meisterdenkern war, der hat noch eine halbe Bibliothek vor sich. Es stimmt einfach nicht.
Da nun veier sozialdemokratische Parteien und ein bayerisches Kätzchen im Parlament sitzen, ist es in der Tat schwierig, nicht links zu sein ohne als rechtsextrem zu erscheinen.
Funck:
„Und wer meint, dass der Nationalstaat sich aus „der Tiefe des Volkes“ heraus entwickelt hat und nicht das Werk von bildungsbürgerlichen Meisterdenkern war, der hat noch eine halbe Bibliothek vor sich.“
Ich habe mal in der anderen Hälfte nachgeschlagen:
„Ein Denker ist ein Mensch, dem es bestimmt war, durch das eigene Schauen und Verstehen die Zeit symbolisch darzustellen. “
Oswald Spengler, Vorwort zur 2. Auflage
Damit ist es auf den Punkt gebracht. Sind die „Meisterdenker“ Fackelträger, die der Menge voran schreitend, aus dem Dunklen zum Licht führen, oder sind sie Kristallisationskerne um die herum sich das Denken ihrer Zeit niederschlägt.
Im ersten Fall müssen wir zum „Ewigen Weltfrieden und Wohlstand für alle“ nur genug Meisterdenken heranziehen und dafür sorgen, dass ihnen genug Menschen folgen. Im zweiten Fall führt der Weg zu „Ewigem Weltfrieden und Wohlstand für alle“ über Warten, Beten und Fasten.
BTW: Betreffs Ihrer Antwort an Frau Frommel:
Über das Demokratiedefizit der EU sehen Sie hinweg? Genauso wie über die Tatsache, dass viele Menschen in der EU einfach keine Vertiefung wollen- ich erinnere nur an die gescheiterten Abstimmungen zur EU-Verfassung.
Wenn Sie mich nun zu den Völkischen rechnen:
Einer EU – Verfassung nach Schweizer Vorbild würde ich sofort zustimmen. Aber es läuft in die gegenteilige Richtung, die EU wird als Hebel zum Abbau der Mitbestimmung der Wähler in den Staaten Europas benutzt.
Ich mag generell keine „Meisterdenker“ und ihre „Follower“ noch weniger.
@Funck
den Begriff Meisterdenker führten Sie in die Diskussion ein. Ich mag sie auch nicht.
@Frommel
Woraus soll denn das Kern-Europa bestehen? Deutschland und Frankreich (Solange dort nicht LePen gewählt wird) und ?
Und wie man sich auf ein Narrativ „einigen“? Etwa so wie man sich darauf einigt „sich zu lieben, bis dass der Tod uns scheidet“.
Oder ist das jetzt wieder zu romantisch?
Sich auf ein Narrativ „einigen“, könnte ja auch heißen, dass man erst einmal mehrere zulässt und ineinander verwebt, zumindest aber in zivilisierten Bahnen darüber diskutiert. Hinsichtlich Europas könnte das einerseits tatsächlich eine „europäische Erzählung“ jenseits der Nation sein, denn so jung ist die Geschichte des europäischen Denkens wie auch der europäischen Praxis ja nun auch nicht mehr, andererseits natürlich wechselseitig miteinander verknüpfte Nationalgeschichten, die je für sich isoliert betrachtet keinen großen Sinn mehr machen. Historiker machen das seit wenigstens zwanzig Jahren und in die Schulbücher findet das mit der üblichen Generation Verspätung teilweise Eingang. Da ist nur ein bißchen Romantik, aber viel Realitätssinn.
Mir hat völlig unabhängig von der Person und der Ranküne, die Beisetzung Helmut Kohls als symbolischer Akt gut gefallen. Region, Nation, Europa und das in einer mir sympathischen Reihenfolge.
Wozu braucht man denn überhaupt einen „Narrativ“ (furchbarer Schwurbelbegriff…)? Wir sollten die EU nicht wie eine Märchenstunde auffassen. Warum führt man sich nicht einfach die Vor- und Nachteile von übernationalen, hochstufigen Organisationseben vor Augen? Das ist doch gar nicht so schwierig. Normalerweise kommt man dann zu der Einsicht, dass Kooperation besser ist als einfach nur zu konkurrieren. Und dann unterstützt man so eine Kooperation. Dazu braucht man keinen „Narrativ“,
Das halte ich für vernünftig. Aber wenn man darüber spricht, wird’s eine Erzählung.
Sehr klarer Artikel: Peace, Order and Good Government, das wünsche ich mir für einen künftigen föderalen Bundesstaat Europa, mit sehr weitgehender föderaler Autonomie, aber einer gemeinsamen Sicherheits-iund Verteidigungspolitik, denn Handel allein reicht nicht aus, wenn es kein Good Government gibt. Die Kriminalität ist längst international (oder etwas kleiner: z.B. osteuropäisch) organisiert. Also müssen wir uns bewegen.
Ich danke und sehe das genauso. Überhaupt fand ich schon immer, dass Kanada und die Europäische Union strukturell viele Gemeinsamkeiten haben, weshalb man viel voneinander lernen könnte. Nun ist das Land ja auch schon durch zahlreiche Krisen gegangen und wäre mehr als einmal fast auseinandergefallen, aber sie scheinen es geschafft zu haben, Regionalismus, Nationalismus und Multikulturalismus unter einem Dach miteinander in Einklang zu bringen. Die „Völkischen“ hier wollen einfach nicht kapieren, dass Ihnen niemand etwas wegnimmt, wenn man etwas hinzutut, vom Anspruch auf Alleinvertretung des Gemeinwesens einmal abgesehen. Und die „No nations, no borders“-Fraktion übersieht, dass es Eigenheiten und Besonderheiten auch auf nationaer Ebene gibt, die sich nicht einfach so wegwischen lassen werden. Und warum auch? Das Nationale kann ja durchaus lebendiger Teil der Vielfalt sein. Etwas mehr Pragmatismus und Realitätssinn wären ein erster Schritt.
Die Vielfalt bezieht sich aber nur auf Franzosen und Engländer, die festgeschriebene Sonderrechte haben. Die anderen müssen sich assimilieren oder abhauen. Man stelle sich vor, dass die Deutschen in Kitchener ( früher Berlin, dann zwangsumbenannt), deutschsprachige Verwaltungen und Schulen forderten, dann ist schnell Schluß mit Lustig.
Unfug. Ich habe lange genug in diesem Land gelebt, Kinder mit in die Welt gesetzt und großgezogen und kann anderes berichten. Abgesehen davon habe ich mich mit Land und Thema auch wissenschaftlich / publizistisch beschäftigt. Die Vielfalt bezieht sich auf alle, ursprünglich um den englisch-französischen Gegensatz abzuschwächen. Das ist ja eine der Pointen der Geschichte.
Dass in Québec manches anders läuft, ist dem extremen Föderalismus und der frankokanadischen Selbstbeschreibung als Nation im europäischen Sinne geschuldet. Manchmal kracht und wackelt die Gesamtkonstruktion, doch sie hält nicht nur, sondern sie entwickelt sich weiter.
Die Deutschen in Berlin / Kitchener ist eine andere Sache, die sich – wie Sie sicherlich wissen – während des Ersten Weltkriegs, also vor hundert Jahren, ereignete. Dass man von dieser verengten (englisch-) nationalen Sicht sich befreit hat, ist das Thema meines Beitrages. (Ich hoffe, Sie haben ihn gelesen). In Kitchener gab es vor dem Ersten Weltkrieg, ehe seine Eigenheit von der Kriegshysterie platt gemacht wurde, ein blühendes „deutsches Leben“. Auch für dessen Auslöschung hat sich die kanadische Regierung übrigens entschuldigt. Deutsches kulturelles Leben wird dort, wo es begründet eingefordert wird, heute genauso gefördert und als Teil des ganzen Ganzen gedacht wie anderes auch.
„Assimilation“ und „abhauen“ sind Begriffe aus dem Trumpschen Wörterbuch. Das wird in Kanada nicht vertrieben.
M.F.: ‚ … Politik des Multikulturalismus, 1971 als ausgleichende und letztlich aufhebende Kraft im anglo-französischen Gegensatz eingeführt, begleitet von der Öffnung der Einwanderungsgesetzgebung … könnte es jenseits aller Auf- und Abschwünge nationaler oder imperialer Selbstentwürfe lohnenswert sein, die kanadische Entwicklung im Auge zu behalten. Denn möglicherweise sehen wir hier unsere eigene Zukunft.
… na ja, Deutschland hat etwa 230 Einwohner pro km², Kanada etwa 3,6 Einwohner pro km². (Bei entsprechender Umrechnung käme Deutschland auf etwa 1’300’000 Einwohner.)
Ich sehe in Deutschland, selbst bei guten Willen, schlichtweg keinen Platz für Einwanderung. Das Gesetz bestimmt die Ausnahme.
Erst recht nicht für ‚Multikulturalismus‘, der, nicht nur, lt. Angela Merkel, in Deutschland gescheitert ist. Übrigens, ‚Multikulturalismus‘ und Islam sind ein unlösbarer Widerspruch. Auch Kanada wird das merken. Das kanadische Fernsehen sieht das ähnlich. Ich unterstelle, werter M.F., dass Sie das wissen. Bleibt mir die Frage, was ist Ihre Intention?
Das alte „Volk ohne Raum“ – Argument. Es würde der Mühe lohnen, sich einmal die Verteilung der Menschen im Raum näher anzusehen (1/3 aller Kanadier leben in drei Ballungsräumen; 2/3 des Landes sind faktisch unbewohnbar etc.). Dass wir seit Jahzehnten (ganz unabhängig von 2015, das gemessen am Gesamtzeitraum gar nicht so herausragt) mal mehr, mal weniger gesteuerte Zu- und Abwanderung in großen Zahlen haben, ist Ihnen sicher nicht entgangen. Multikulturalismus hingegen ist zum inhaltsleeren Wort verkommen. Ich möchte es jenseits des rein Deskriptiven wieder mit Inhalt zu füllen helfen. Das ist eine Intention. Was Kanada „merken“ wird, bleibt abzuwarten. Mir geht es eher darum, unsere Gegenwart zu gestalten. Und da lohnt es sich durchaus, links und rechts zu schauen, was andere so machen. Schließlich aber geht es in diesem Text primär darum, in welchen Kontexten, u.a. historischen, wir uns als Nation denken wollen. Dazu schreiben Sie aber leider nichts.
M.F.: ‚Das alte „Volk ohne Raum“ – Argument.‘
… das ist ein Argument der Sozialisten. Und auch Ihr Argument, wenn Sie Massen-Einwanderung fordern. Es gibt dafür aber keine Begründung. Allein aus diesem Grund.
Als Nation gilt – noch – die Def. im Grundgesetz.
Gedanken sollten ‚wir‘ uns machen, wie die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland wieder hergestellt werden kann. Und dann, die Demokratie, beispielsweise durch Steuerreformen, Wahlrechtsreformen, usw., in DEUTSCHLAND weiter entwickelt werden kann. Warum nicht? Ich mach mit.
Bitte schreiben Sie zum Text. Darin ging es um etwas anderes. Und zeigen Sie mir bitte die Stelle, an der ich „Masseneinwanderung fordere“.
… ooops? Korrektur, Formatierungsfehler
… werter Prof. M.F., ich habe zum Text geschrieben. Sie selber schreiben davon ‚… die kanadische Entwicklung im Auge zu behalten. Denn möglicherweise sehen wir hier unsere eigene Zukunft.‘ … Kanada ist ein ‚Masseneinwanderungsland‘. Übrigens, erst ’neuerdings‘ mit Regeln für die Einwanderung.
Weiter in Ihrem Text geht es um die Kolonialisierung größten Teils unbewohnter Gebiete, neben einem Mord – Sie schreiben von ‚Leidensgeschichte als Kolonisierte im eigenen Land‘ – an der indigenen Bevölkerung. Was hat das mit Deutschland zu tun? Sind für Sie Deutsche, von welcher Ideologie auch immer, Kolonisierte im eigenen Land? Dieser Gedanke kommt allerdings, wer sich das Auftreten der DITIP, als verlängerten Arm türkisch-islamischer Machtstrukturen, samt Antisemitismus, Antichristentum oder schlichtweg Spionage und Verfolgung Andersdenkender in Deutschland vergegenwärtigt. Vielen Dank.
Deutschland braucht, anders als Kanada und die USA oder Australien, beispielsweise, keine Einwanderung dieser Größenordnung.
Ihr Vergleich mit ‚typischen‘ Einwanderungsländern ist daher Firlefanz.
Persönlich glaube ich an ‚eine große Bereitschaft zur Selbstkorrektur und Erweiterung‘, des politischen Horizontes der Menschen in Deutschland und Europa. Dabei hilft das Internet. U.a. mit seinen Möglichkeiten zur freien Informationsbeschaffung über die Masseneinwanderung, die Islamisierung und die menschenfeindliche und realitätsferne Politik der EU-Kommissare und deren Protagonisten. Der ‚Maasi‘ zum Trotz.
Ich schreibe hier anhand eines spezifischen Beispiels über sich wandelnde Geschichtsbilder bzw. über die Bereitschaft, Geschichtsbilder zu überprüfen, zu modifizieren und für künftigen Wandel offen zu halten. Ich wünsche mir offizielle Repräsentationen von Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart, welche die existierende Vielfalt dieses Landes ins Zentrum stellt und in der wechselseitigen Anerkennung von Differenz etwas Gemeinsames sieht. Da findet auch das Nationale seinen Platz, nur eben gleichwertig neben anderen Erzählsträngen. Das ist es, was der Text (auch) mit Deutschland zu tun hat.
Mit DITIB habe ich nichts am Hut. Wenn der Verein Recht und Gesetz achtet, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Eine Politik des Multikulturalismus heißt ja nicht laissez faire, sondern Gestaltung auf dem Prinzip der Anerkennung und im Rahmen des geltenden Rechts. Eigentlich gar nicht sonderlich „links“. Oder?
Linke BRD-Beckmesser lieben kanadischen Patriotismus und Staatsoberhaupt Königin Elsbeth. Muß man das verstehen?
»Manches können wir nicht verstehn.«
Lebt nur fort, es wird schon gehn.