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Einwanderung „made in Germany“

Von Sonja Margolina:

Millionen von Migranten strömen ins Land. Unter ihnen gebe es junge und fähige Menschen, die zum gemeinsamen Wohlstand beitragen könnten, war neulich im SD- Beitrag von Anna-Christina Grohnert „Vielfalt zahlt sich aus“ zu lesen. Sie würden eine demografische Talfahrt beenden und vielleicht den begabten Nachwuchs mitbringen. Wie Sergej Brin, der als Fünfjähriger mit seinen jüdischen Eltern als Mathematiker 1978 in die USA ausgewandert war und später Google gegründet hatte. Oder Steve Jobs, der Sohn syrischer Einwanderer, der in den USA adoptiert wurde. Wider die guten Absichten der Autorin liest sich der Artikel weniger als Plädoyer für die Einwanderung, denn eher als Beleg für deren Scheitern in Deutschland.

Die Eltern von Sergej Brin würden vermutlich nicht auf Idee kommen, nach Deutschland auszuwandern. Aus der Sowjetunion gingen religiöse, aber auch weniger gebildete Juden nach Israel, Risikofreudige gingen indes nach Amerika. Die aber, die die kapitalistische Ellenbogengesellschaft fürchteten, bevorzugten die Bundesrepublik. Vermutlich hat sich schon damals herum gesprochen, dass Deutschland ein Sozialparadies sei, wo Juden aufgrund des ihnen zugefügten historischen Unrechts eine Willkommenskultur erwartete. Allerdings war die Anzahl der ausgewanderten Juden vor der Wende nach dem heutigen Maßstab marginal.

Doch auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wiederholte sich das gleiche Muster: in die USA wanderten risikofreudige Juden aus, nach Deutschland kamen indes jene, die ehe auf die Versorgungssicherheit bedacht waren.

Am Ende der 90er Jahre stoß ich auf eine statistische Erhebung, aus der hervorging, dass Dreiviertel jüdischer Kontingentflüchtlinge in der Bundesrepublik auf Sozialleistungen angewiesen waren. Das mutete wie ein schlechter Witz an. Es gibt kein anderes Land in der Welt, in dem die Mehrheit der Juden dauerhaft arbeitslos bleibt. Im Gegenteil, in den Einwanderungsländern sind sowohl die Beschäftigungsquote als auch das Einkommen der Juden überdurchschnittlich hoch. Diese Anomalie war ein Beleg dafür, dass Deutschland alles andere als Einwanderungsland war, obwohl die Anzahl der Zugewanderten stets zunahm. Anders gesagt, es konnte die Einwanderung nicht verhindert, verhinderte aber die Einwanderungsgesellschaft.

Die Migrationspolitik stützte sich auf drei Pfeiler.

  1. Der eine betraf die Zusammensetzung der Einwanderergruppen. Sie wurden von Russlanddeutschen, die Recht auf Heimat hatten und gleich eingebürgert wurden, jüdischen Kontingentflüchtlinge, denen wegen des „historischen Unrechts“ die Einreise gestattet wurde, dominiert. Später kamen hinzu Bürgerkriegsflüchtlinge vom Balkan.( Die Lage individueller Antragsteller, die oft nur geduldet wurden, und dauerhafter Abschiebungskandidaten wird hier außer Acht gelassen.) Die Aufnahme fand ausschließlich aufgrund „historischer“ Verantwortung oder nach dem Asylgesetz statt. Die Frage, welche Vorteile die Einwanderer dem Aufnahmeland bringen, war verpönt. Nicht dessen Bedürfnisse und Interessen wie in den klassischen Einwanderungsländer, sondern die Zugehörigkeit zu den oben genannten Gruppen war die Voraussetzung für die Aufnahme, die Gewährung des Aufenthaltsstatus und der damit verbundenen staatlichen Leistungen.

2. Der Arbeitsmarkt funktionierte restriktiv. Objektiv war das System ausländerfeindlich organisiert. Flüchtlinge bekamen zwar ein Arbeitserlaubnis, aber ihre Abschlüsse wurden oft nicht anerkannt. Wenn aber doch, wie die Doktortitel, änderte das an ihrem Zugang zum Markt nur wenig. Arbeitssuchende wurden nach ihrem Bildungsstatus erfasst und dürften nicht „von unten“ anfangen.Die Eltern des deutschen Schriftstellers und Preisträgers der Leipziger Buchmesse Sasa Stanisic, die aus Jugoslawien während des Bosnienkriegs fliehen mussten, fanden hier als Sozialwissenschaftler keine Anstellung. Sie wanderten schließlich in die USA aus, wo die beiden einen Aufstieg in ihren Berufen geschafft haben. Dass die Mathe- und Physiklehrer sowie etliche akademische Massenberufe aus den ehemals sozialistischen Länder in der Bundesrepublik kaum Chancen hatten, in Kanada aber schon, lag am „System“. Es ist nicht auszumalen, wie viel menschliches Potenzial in den Jahrzehnten in Deutschland vergeudet wurde: ein wahrer BER der Migration. Dabei hatten die meisten Osteuropäer – sekular und besser gebildet als Migranten aus dem Nahen Osten- keine Probleme mit den europäischen „Grundwerten“.

Hohe Sozialleistungen dienten als Kompensation für das Ausbleiben der Konkurrenz von gebildeten Einwanderer mit den deutschen Arbeitnehmer .

3. Die Weigerung, Einwanderer nach ihrer potenziellen Eignung für den Arbeitsmarkt und die Integration zu wählen, mag als Ausdruck unverhandelbarer humanitärer Werte erscheinen. Die Ablehnung der „Selektion“, der Auslese wird bis auf heutigen Tag als moralisches Imperativ verteidigt. Vielleicht ist das auch auf die antielitäre, egalitäre Ideologie und die Beamten-Mentalität zurückzuführen, die die deutsche Gesellschaft prägen. Eine offene Konkurrenz, insbesondere mit den Neuankömmlingen, würde Hierarchien und Dienstwege in Frage stellen.

Die Absage an die „Biopolitik“, an die Gestaltung der Einwanderung nach ihrem menschlichen Potenzial, hat trotzdem biopolitische Folgen. Gute Leute gehen dorthin, wo sie es schnell zum Erfolg bringen. Inzwischen ist eine globale Migrantionshierarchie entstanden, und Deutschland hat dort einen festen Platz als Sozialparadies. Das ist sein „made in Germany“ Markenzeichen.

Vermutlich hätte ein verspätetes Einwanderungsgesetz daran wenig ändern können. Um die wertvollen Arbeitsmigranten wird inzwischen weltweit gerungen. Einwanderer begnügen sich nicht mehr damit, guten Gehälter und Positionen nachzujagen. Sie suchen nach exzellenter Bildung für ihre Kinder und einer sicheren Zukunft. Die andauernde Migrationsflut, die angeblich neue Google-Gründer ins Land spülen könnte, stellt diese Ansprüche indes in Frage, zumindest verunsichert sie anspruchsvolle Bewerber. Und kein Einwanderungsgesetz kann garantieren, dass diese im Land bleiben, anstelle dann doch in die klassischen Einwanderungsländer weiter zu ziehen. Schließlich findet seit Jahren eine Auswanderung Hochqualifizierter auch aus der Bundesrepublik statt. Als der hochbegabte Sohn meiner Berliner Freundin, die in Stanford eine Professur inne hatte, nach der high school in Deutschland weiter studieren wollte, wurde ihm, den deutschen Staatsbürger, wegen der fehlenden Abitur eine Absage erteilt. Er blieb in den USA und gehörte zum Team, der Instagram gründete. Heute ist er ein Multimillionär.

Der kadanische Journalist Doug Souners führt in seinem prominenten Buch Arrival Citys. How the Lagest Migration in History Change Our World(2011) vor Augen, wie ländliche Migranten, die sich in den globalen Slams wiederfinden, an ihren Aufstieg in den Mittelstand arbeiten. In Deutschland, argumentiert Sounders, fände dieser generationsübergreifende Prozess nicht statt. Wer aus Anatolien nach Kreuzberg(Neukölln- S.M.) gekommen sei, bliebe dort auch in der dritten Generation als Migrant. Es sei kein arrival city, sondern eine Endstation. Die Integration in den Gesellschaft stockte. Der Grund dafür, glaubt er, bestünde in der fehlenden Einbürgerung der Migranten. Vermutlich übersieht der Autor, welche Rolle am Nichtankommen der Wohlfahrtstaat spielt. Dessen Rolle in der Verhinderung der Integration wird von amerikanischen Insulaner oft unterschätzt.

Kreuzberg, das exemplarisch für eine ethnische Community steht, war nie ein slam. Nachdem die Gastarbeiter nicht mehr von der Industrie gebraucht wurden, wurde es aber auch keine richtige arrival city, sondern tendenziell ein Refugium für eingewanderte Sozialhilfeempfänger. Die Familienzusammenführung hat die Nichtintegration verstetigt.

Die „Fehler der Vergangenheit“ liegen im System, auf dem der gut verwaltete bürokratische Wohlfahrtstaat beruht. Damit es hier wie in Kanada hätte werden können, braucht man nicht weniger als eine liberale Revolution. Leider fahren deutsche Züge in eine andere Richtung.

© Sonja Margolina

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3 Gedanken zu “Einwanderung „made in Germany“;”

  1. avatar

    Sicher alles richtig, ich frage mich aber, was Frau Merkel bei alledem umtreibt. Ist es wirklich die Eitelkeit – nach dem Griechenland-Mobbing – diesmal bei den ‚Guten‘ zu sein? Erklärungsversuch zur Logik einer studierten Naturwissenschaftlerin:
    Ein Rentensystem, welches mehr als eine Grundsicherung auf Hartz-4-Niveau verspricht, scheint bei der landestypischen demografischen Entwicklung stark gefährdet zu sein. Studierter (angestellter) Nachwuchs hat ‚Prioritäten‘ und zeugt keine Enkel. Die Zuzug einer Bevölkerung, die lediglich im niederen Lohnsektor Perspektiven hat, richtigerweise müsste man sagen ‚erhält‘, würde das Gleichgewicht zwischen ‚Häuptlingen und Indianern‘ wieder herstellen. Die dann notwendige Verwaltungsreform in Richtung US-amerikanischer Verhältnisse wäre der zweite Schritt. Standards, wie ‚vorsorgender Verbraucherschutz‘, Arbeitsschutz-, Mindestlohn- und Gewerberegulierungen müssten an die Realitäten eines Einwanderungs- und Gründungslandes angepasst werden (Gemüsehändler!). Das sozialpolitische Inselreich eines Nanny-Staates, das von Bismarck begründet wurde, nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um die Staatsindustrie vor den Arbeitern zu schützen, mit Betriebsräten, Gremien und Verbänden, das allerdings passt nicht dazu. Aber nichts ist ja für immer. Meine Skepsis kann daher in die falsche Richtung gehen.

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