avatar

Große Koalition und SOZIALE marktwirtschaft – eine Halbzeitbilanz

Es hat schon einige Regierungen in Deutschland gegeben, die bessere Halbzeit-Ergebnisse vorweisen konnten – obwohl oder weil sie wesentlich mehr gestritten haben. Genau hier liegt vielleicht das Problem: Streit und das Ringen um die beste Lösung sind das Lebenselixier einer Demokratie. Wettbewerb ist nicht nur eine der Grundvoraussetzungen erfolgreicher Marktwirtschaft, sondern genauso der Politik. Dieser Wettbewerb aber ist ausgeschaltet, die Linke eher eine Belustigung und die Grünen kaum wahrnehmbar: Die Marktmacht der GroKo auf dem Feld der Politik ist erdrückend und einschläfernd. Das gilt für den öffentlichen Diskurs, merklich für das politische Interesse und Wahlengagement der Bürger und nicht zuletzt für die politischen Akteure selbst. In den Worten des Bundesfinanzministers: „Wenn wir keinen Druck haben, schlafen wir ein“.

Genau das scheint in Deutschland passiert zu sein. In der üppig ausgestatteten Gegenwart ist nicht nur viel Stillstand bei Reformen und Zukunftsgestaltung zu beobachten – es wird auch noch auf Kosten der Zukunft geprasst, als gäbe es kein Morgen. Der Kater kommt: Spätestens im Flaschenhals 2020, wenn die Schuldenbremse für Bundesländer gilt und der sowieso hohe Anteil der Pensionslasten an den öffentlichen Haushalten noch dramatisch gestiegen sein wird. In den Kommunen wird die Flüchtlingswelle anhalten und zugleich die Infrastruktur verfallen, im Bund werden ab 2020 die griechischen Hilfskreditausfälle haushaltswirksam. Wer hilft, wenn einmal wieder eine Rezession kommen sollte oder die Zinsen wieder ansteigen?

Unrettbar ist auf längere Sicht ohnehin die Demographie – immer weniger sollen immer mehr tragen, z.B. bei der Rente. Da hätte sich die GroKo also auszeichnen und die Weichen für eine gute Zukunft stellen können: Investitionen in analoge und digitale Infrastruktur, Bildung, neue Leistungsanreize, die Energiewende vom Kopf auf die Füße stellen, Verbesserungen in den Steuerstrukturen und den Sozialsystemen. Bekanntermaßen gewinnen viele dem demokratischen Ausnahmezustand einer Großen Koalition gerade wegen der Hoffnung auf große Lösungen Positives ab. Herausgekommen sind aber vornehmlich große Wohltaten im Hier und Jetzt.

Die erste Große Koalition 1966 – 1969 bewegte vieles, aber wenig zum Nutzen der Marktwirtschaft: „Globalsteuerung“ der Wirtschaft, Beginn einer viereinhalb Jahrzehnte andauernden Periode immer neuer Schuldenaufnahme, Förderung von allem und jedem – „Plisch und Plum“ machten aus dem Staat als Rahmengeber und Schiedsrichter den Interventionsstaat. Dagegen war die zweite Große Koalition 2005 – 2009 ein Segen, leistete Enormes bei der Bewältigung der Finanzkrise, beim mutigen Anpacken der Demographie (Rente mit 67) und Verschuldung (Schuldenbremse).

Und die dritte Große Koalition? Sie ist eher eine bequeme Regierung für gemütliche Zeiten. Sie agiert wenig und reagiert als Getriebene oft auch nur dann, wenn es gar nicht mehr anders geht (z.B. Flüchtlinge und leider auch Eurokrise, in der ständig neue Zeit teuer gekauft wird, um sie dann nicht zu nutzen). Die Wirtschaft läuft, die Steuereinnahmen sprudeln, der Zins ist kaum wahrnehmbar, der Ölpreis niedrig: Diese Jahrhundertkonstellation wird nicht genutzt, die Politik setzt auf Status quo und Bewahrung. Die Bundeskanzlerin macht keinen Stress, der Souverän wird eingelullt statt gefordert. Die Sozialdemokraten pflegen Klientelismus und werden eher bei Personaldiskussionen richtig munter. Der bayerische Löwe macht es sich als Maut-Mäuschen im heimischen Gehege gemütlich und brüllt als Wutpolitiker nur noch gegen fremden (Zu-)Strom. Zukunftsweisendes oder gar Unbequemes anpacken? Fehlanzeige. Es wird auch nichts erklärt, diskutiert, für nichts gerungen. Politik scheint keine Ziele mehr zu haben außer der möglichst reibungsfreien Verwaltung des Augenblicks. Es herrscht demokratische Friedhofsruhe. Leider auch, was weniger der Bundesregierung als den strukturkonservativen Länderregierungen zuzuschreiben ist, bei der so dringenden Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.

Ungemein fleißig sind Teile der Bundesregierung gleichwohl, aus marktwirtschaftlich-ordnungspolitischer Perspektive aber in der falschen Richtung unterwegs: Am Mindestlohn allein geht das Land nicht zugrunde. Problematischer ist aber das Regulierungsgesamtpaket: Eine Mindestlohnkontrollbürokratie, die weit mehr als die entsprechenden Lohngruppen erfasst, dazu winkende Einschränkungen bei Zeitarbeit und Werkverträgen. Neue Lohnzusatzkosten kurzfristig durch den Ausbau der Pflegeversicherung und mittelfristig durch die summa summarum 285 Milliarden Euro teuren Rentengeschenke, die nicht nur systematisch, fiskalisch und demographisch fragwürdig sind. Sie verstoßen auch gegen das demokratische wie marktwirtschaftliche Gebot, dass Entscheidung und Verantwortung zusammenkommen müssen: Eine Regierung zahlt zusätzliche Renten aus der Reserve und zwingt die Nachfolger, 2018 die Steuern zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen zu erhöhen. Das ist fast schon Zynismus und ähnelt den Griechenland-Hilfen, deren (ausbleibende) Rückzahlung auch späteren Regierungen vor die Füße geworfen wird.

Die „Schwarze Null“ 2014, der erste formal ausgeglichene Bundeshaushalt seit 1969, ist in jedem Fall zu loben, trotz der besonders günstigen Umstände. Peer Steinbrück hatte diese zwar auch, vermochte 2007 aber die Mehrwertsteuererhöhung mit zusätzlichen 25 Milliarden nicht für den Budgetausgleich zu nutzen. Gleichwohl löst das Wort „schwarze Null“ in einem Jahr, in dem für die Zukunft ungedeckte soziale, nicht investive Mehrausgaben in Höhe von über 300 Milliarden Euro (also genau dem Umfang des Bundeshaushaltes) verpflichtend beschlossen wurden, einen schalen Beigeschmack aus. Da entsteht schon Dankbarkeit, wenn nicht alles so kommt, wie es im insgesamt unseligen Koalitionsvertrag steht. Die „solidarische Lebensleistungsrente“, trotz der verbalen Verpackung ein Anschlag auf eben das Leistungs- und Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung, wird mit ihren weiteren bis zu 70 Milliarden Euro teuren Folgekosten womöglich doch nicht beschlossen. Das sollte bis 2017 am besten so bleiben.

Ein besonderes Beispiel dafür, wie wenig hilfreich regierungsamtliche Aktivität sein kann, ist die Mietpreisbremse. Auch sie ist natürlich gut gemeint, auch sie bedeutet aber ein Außerkraftsetzen marktwirtschaftlicher Mechanismen und Dynamik, auch sie ist eine umfassende Regelung, die flächendeckend viel Schaden anrichtet, zumindest hohen Aufwand verursacht, aber allenfalls an drei oder vier „Hotspots“ überhaupt einen eher geringen Nutzen erzielen könnte.

Schließlich das erste, ganz große Thema der Legislaturperiode, der Euro bzw. das beginnende Scheitern der Währungsunion. Von einigen Bemühungen des Bundesfinanzministers abgesehen, hat die Bundesregierung wenig bis nichts unternommen, die Erosion des Vertrauens in politische Versprechen, europäische Verträge und Institutionen aufzuhalten. Sie alle sind, wie vermutlich über kurz oder lang auch der Euro, wenig wert: Das sogenannte „Primat der Politik“ erweist sich in Fragen der Währungsstabilität, Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit als Primat der Kurzfristigkeit, Beliebigkeit, Regellosigkeit und Ängstlichkeit, wenn es um die Durchsetzung von Vereinbartem geht. Mit Transparenz, staatlicher Compliance, Rechtssicherheit, mit Haftung, also dem Zusammenfallen von Entscheidung und Verantwortung, sowie mit echter europäischer Einheit hat die Eurozone der nationalen Bequemlichkeiten und Selbstbedienungen nur noch begrenzt zu tun: Aus dem versprochenen DM-Euro ist nun der Lire-Euro, aus der auf Wettbewerb und Wachstum basierenden Währungsunion eine nivellierende Transferunion voller Fehlanreize geworden. Griechenland wird also das Saarland Europas, Italien und Frankreich verharren in zunehmend trüber Lethargie. Deutschland, das nach Ansicht vieler für alle zahlen soll, bewegt sich zurück und auf extrem dünnem Eis. Noch hat die Bundesregierung Fortune. Wenn der Himmel nicht mehr blau ist, setzt auch das Lamento ein – und vielleicht wieder die Vernunft?

Das zweite große Thema der Wahlperiode, vor allem ihrer zweiten Hälfte, werden die immensen Flüchtlingsströme sein. Hier besteht noch Hoffnung, dass eine große Koalition mit ihren Mehrheiten doch auch Sinn machen kann: Es gilt schließlich, in einem möglichst breiten Konsens das humanitäre Drama anzugehen, mehr Nutzen für den Arbeitsmarkt als vornehmlich Lasten für die Sozialsysteme und damit auch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Der Druck steigt täglich, hier könnte die Bundesregierung belegen, dass sie nicht nur endlos über „Gut leben“ palavern, sondern auch einfach gut regieren kann.

Auch aus marktwirtschaftlich-ordnungspolitischer Perspektive allerdings kann die GroKo auf der Habenseite etwas vorweisen. Drei Entscheidungen der ersten Hälfte der Legislaturperiode bedeuten jede für sich einen zum Teil lange geforderten Fortschritt: Das Ende des sogenannten „Kooperationsverbots“ im Bereich von Bildung und Wissenschaft, die Ansätze eines Investitionsprogramms (Kommunen, Verkehr) einschließlich des Bekenntnisses zur Erneuerung der Infrastruktur und, last, but really not least, die endlich angegangene „Kalte Progression“. Erlangen die kurzfristige Korrektur und die regelmäßige „Überprüfung“ mit der impliziten Verpflichtung zur Anpassung im Zwei-Jahres-Rhythmus so Gesetzeskraft wie zuletzt angedeutet, wäre allein das Letztgenannte ein strukturell bedeutsamer, wenngleich vom Umfang her aktuell überschaubarer Durchbruch.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top