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Hochbegabtenförderung – endlich!

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat auf ihrer turnusgemäßen Tagung am 11./12. Juni 2015 in Berlin etwas beschlossen, um das sie in den letzten Jahrzehnten immer einen weiten Bogen gemacht hat: Sie hat den Kultusministern der Länder eine Strategie vorgelegt, wie sie die Förderung hochbegabter Schüler an den Schulen voranbringen können. Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahre 2001 ist bekannt, dass in Deutschland die Spitzengruppe der besonders leistungsstarken Schüler im internationalen Vergleich sehr klein ausfällt. Bei den folgenden PISA-Tests hat sie sich eher noch weiter verkleinert. Das deutet darauf hin, dass an unseren Gymnasien und Gesamtschulen wenig unternommen wird, um die überragenden Schüler auf ihrem Niveau zu fördern, um sie intellektuell noch weiter voranzubringen.

In der Schule haben es hochbegabte Schüler schwer. Sie werden von ihren Mitschülern gehänselt, gemobbt, ja gequält. „Streber“, „Angeber“, „Klugscheißer“ sind noch die harmlosen Vokabeln. Im „Hochbegabtenzentrum“ von Frankfurt am Main gaben Schüler zu, ihre Begabung lieber zu verstecken, um den Anfeindungen ihrer Klassenkameraden entgehen zu können. Ein Junge erzählte, dass er immer nach zwei Einsen in der Klassenarbeit absichtlich eine Drei schreibe. Das mache das Leben in der Klasse für ihn erträglich.

Auch Lehrkräften sind Spitzenbegabungen unter den Schülern manchmal lästig. Sie wissen nicht richtig mit ihnen umzugehen. Von Hermann Hesse ist der Satz überliefert, ein Lehrer habe in seiner Klasse lieber zehn Esel sitzen als ein Genie („Unterm Rad“). Die Geistesblitze der Schüler-Genies bringen allzu oft die fein ziselierte Unterrichtsplanung durcheinander, weil sie sich nicht an die Schritte der didaktischen Planung des Lehrers halten. Lehrer stellen solche Schüler oft mit der Aufforderung ruhig, sie sollten im Buch schon mal das nächste Kapitel lesen oder sich still mit etwas anderem beschäftigen. Mit einer Förderung der Geistesgaben von besonders klugen Schülern hat das nichts zu tun.

Warum sollte man in der Schule auch die hochbegabten Schüler fördern? Zeigen nicht die Erfahrungen, dass sie ihre schulische Laufbahn auch ohne besondere Unterstützung meistern? Die Förderung der Anlagen dieser Kinder ist ein Gebot der Menschlichkeit. Jede Begabung verdient es, dass man sie gebührend entwickelt, indem man stimulierend und herausfordernd auf das Kind einwirkt. Die Anlagen hochbegabter Schüler entwickeln sich keinesfalls von allein. Bei Musikern hat man beobachtet, dass aus einem „Wunderkind“ nur dann ein Spitzengeiger oder ein Spitzenpianist geworden ist, wenn das Kind unter professioneller Anleitung einen beharrlichen Übungsfleiß – bei Virtuosen der Geige etwa 10.000 Übungsstunden – an den Tag gelegt hat. Im Sport käme niemand auf die Idee, bei hochbegabten Talenten das Training einzustellen, weil sie sich ja ohnehin von allein entwickeln. Deshalb haben Ratschläge, die vor einer „Elitenförderung“ an unseren Schulen warnen, immer auch etwas Unmenschliches an sich.

Auch eine Kritik, die im Mantel der Fürsorge daherkommt („Warum sollte man die guten Schüler mit zusätzlichen Aufgaben quälen?“), geht fehl. Es ist keinesfalls so, dass Kinder und Jugendliche Leistung verabscheuen – schon gar nicht die Hochbegabten. Wer einmal Kinder beobachtet hat, mit welcher Energie und Geduld sie ihren Hobbys nachgehen, fragt sich, warum es der Schule so wenig gelingt, diesen Eifer und Elan so wenig „herauszukitzeln“. Anscheinend bietet der herkömmliche Unterricht mit seinen oft sehr eintönigen Routinen hochbegabten Kindern wenige Anreize, ihre überragenden Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen.

Bildungsexperten gehen davon aus, dass es auf jeder Schulform solche außergewöhnlich begabten Schüler gibt, auch an Hauptschulen. Oft kann man sie auf Anhieb nicht als solche erkennen. In ihrem Verhalten und ihren Vorlieben sind sie ihren Mitschülern nämlich ähnlicher, als frühere Studien vermuten ließen. Die Längsschnittstudie des Marburger Hochbegabtenprojekts von Professor Detlef Rost (Beginn der Erhebung: 1987) hat ergeben, dass es unter den hochbegabten Schülern solche mit herausragenden schulischen Leistungen, aber auch solche mit schlechten Schulnoten – sog. Underachiever – gibt. Die schlechten schulischen Leistungen resultieren oft daraus, dass die Pädagogen die besondere Begabung dieser Kinder nicht erkennen, ihr Verhalten im Unterricht mitunter als „störend“ missverstehen. Wenn diese Schüler weiterführende Fragen stellen, werden sie manchmal mit dem Satz abgespeist: „Das gehört jetzt nicht hierher.“ Irgendwann geben diese Schüler dann das Fragen auf. Die Studie hat auch untersucht, welche Faktoren die positive Entwicklung Hochbegabter erleichtern. Dies sind eine auf Förderung und Ermutigung angelegte Umgebung des Kindes in den ersten Lebensjahren, eine früh beginnende gezielte fachliche Förderung, geeignete Rollenvorbilder, z.B. durch die Eltern oder Geschwister, und eine positive Bestätigung auch bei schwierigem oder schwer verständlichem Verhalten.

Nach der Ankündigung der KMK, sich mit der Hochbegabtenförderung beschäftigen zu wollen, konnte es nicht ausbleiben, dass sich kritische Stimmen zu Wort melden. Bemerkenswert – weil typisch – ist ein Beitrag in SPIEGEL-online von Bernd Kramer. Er versammelt nämlich alle Klischees und Vorurteile, die man seit Jahren zu diesem Thema vernehmen kann. Schon der Titel des Beitrags spricht Bände: „Vom Unsinn der Elitenförderung“. Die Kernthese des Autors lautet: „Begabtenförderung gibt denen, die schon haben – schlimmstenfalls auf Kosten derer, die am meisten Unterstützung brauchen.“ – An diesem Argument merkt man, dass der Autor kein Pädagoge ist. Ein Lehrer käme nie auf die Idee, gute gegen schlechte Schüler auszuspielen. Im Klartext ist dies ein Plädoyer dafür, die hochbegabten Schüler an ihrer weiteren geistigen Entwicklung zu hindern.

Ein Klischee darf bei einer typischen Begabten-Schelte natürlich nicht fehlen. Weil „der Bildungserfolg schon jetzt sehr stark von der Herkunft abhängt“ (Kramer), dürfe man die leistungsstarken Schüler nicht fördern. Zuerst müsse man dafür sorgen, dass die schlechten Schüler, die durch ihr Milieu benachteiligt sind, den Anschluss schaffen. Die traurige Wahrheit ist, dass die in den Jahren vor der Schule im Elternhaus erworbenen Defizite später nie mehr völlig ausgeglichen werden können. Als Deutschlehrer an einer Gesamtschule habe ich viel Erfahrung mit kompensatorischen Lernprogrammen gesammelt. Alle sind besten Falls ein Notbehelf. Die Kluft zu den Kindern, die in einem anregungsreichen Elternhaus groß geworden sind, lässt sich kaum noch schließen. Dies ist das eigentliche – beklemmende – Geheimnis des Bildungsgefälles in unserem Land.

Ich habe den Verdacht, dass linksliberale Bildungspolitiker und Journalisten die Eltern allzu gerne von ihrer Verantwortung für ihre Kinder freisprechen. Nur so lässt sich das klassische Feindbild „Das Bildungssystem ist schuld“ / „Unsere Schule ist selektiv“ aufrecht erhalten.

Was mich an solchen Texten wie dem von Bernd Kramer stört, ist die menschliche Kälte, die aus ihnen spricht. Sie betrachten Kinder nicht als Wesen, die die wunderbare Welt des Wissens entdecken wollen – jedes auf seine Weise und jedes nach seinen Begabungen. Bei Bernd Kramer werden die Kinder zu Kategorien („verheißungsvollere Klientel“, „Elite-Studenten“, „Akademikerkinder“, „Auserwählte“), die die ideologische Voreingenommenheit der Argumentation stützen sollen.

Lehrer, die täglich mit Schülern in all ihrer Begabungsvielfalt zu tun haben und denen ihre geistige Entwicklung am Herzen liegt, überkommt ein Frösteln, wenn sie solche Texte lesen.

 

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11 Gedanken zu “Hochbegabtenförderung – endlich!;”

  1. avatar

    @Moritz Berger
    Danke für den Bullshitgenerator! Was mache ich mir noch die Arbeit. Wird gar nicht auffallen, den zu benutzen, bei dem Niveau der geposteten Kommentare zu den Artikeln im Moment.

  2. avatar

    @KJN

    Ich stimme Ihnen zu:
    ‘Human ressource management’ nicht mehr oder weniger nichts anderem, als der systematischen Ausbeutung derselben? Oder geht mal wieder der destruktive Schwadronierer mit mir durch?

    und habe leider vergessen den http://homepageberatung.at/con...../index.php

    hinzuzufügen 🙂 🙂

    Allerdings dürfte die “ Anbetung “ des IQ Tests doch wohl heute in der Personalführung der Vergangenheit angehören.

    Und was die Begriff “ Hochintelligenz “ betrifft. Rainer Werner weist auf die Lücken bei der Evaluierung hin, bzw. hat nur ein, zwei Beispiele bei der Hand, die letztlich nicht repräsentativ sind.

    Ob hier die von Ihnen erwähnte „Gleichmacherei“ tatsächlich existiert mag ich aus meiner beruflichen Erfahrung her bezweifeln.

    Und was die „altgedienten Professoren“ betrifft, vielleicht sollten die doch einmal wieder mehr
    “ Bodenhaftung “ bekommen, statt im Elfenbeinturm zu verharren.

    Leider reicht die Zeit nicht, um Ihnen ein paar „Schlüsselerlebnisse“ von mehreren wissenschaftlichen Kongressen im vergangenen Jahr und auch 2015 hier zu präsentieren.

    Wenn das die Hochintelligenz sein soll, dann halte ich mich doch lieber an die Tüftler und Erfinder aus BW 🙂

  3. avatar

    Da wir uns ja jetzt mit ‚Sehr geehrter‘ anreden:
    Sehr geehrter Herr Berger,
    hieß ‚HR‘ (Human Ressources) nicht ‚früher‘ mal ‚Menschenmaterial‘ und dient dieses ganze ‚Human ressource management‘ nicht mehr oder weniger nichts anderem, als der systematischen Ausbeutung derselben? Oder geht mal wieder der destruktive Schwadronierer mit mir durch?
    Oder anders: Wenn Sie bei ‚Hochbegabten‘ (was immer das auch sein mag, irgendwie sind derzeit so viele hochbegabt) „Defizite in anderen Bereichen…, wie mangelnde Teamfähigkeit“ feststellen, welches Ziel haben denn diese Teams und warum ziehen dann die ‚Hochbegabten‘ da nicht mit? (Die sollten es doch am ehesten ‚raffen‘).

    Nun ja, eigentlich wollte ich nur sagen, daß ich die Reaktion des auch von mir sehr geehrten Herrn Werner auf den zitierten Spiegel-Artikel sympathisch finde und teile: Diese Gleichmacherei ist vor allem eins: Gefühllos – und führt letztlich zu dem Maoismus, der altgediente Professoren auf den Acker verdammt hat. Wegen Gerechtigkeit und so.

  4. avatar

    @ Moritz Berger
    Sehr geehrter Herr Berger,
    leider sind mir keine Studien über den beruflichen Werdegang von Hochbegabten bekannt. Ich vermute, dass dies daran liegt, dass es bei Kindern und Jugendlichen keine systematischen Erhebungen über ihren IQ gibt. Nur wenn Eltern dies wünschen (etwa, wenn sie glauben, dass ihr Kind in der Schule falsch behandelt wird), kann durch den sozialpychologischen Dienst der Schulen eine IQ-Messung erfolgen.
    Ich kenne ein Berliner Gymnasium, das seit einigen Jahren einen IQ-Test als Eingangsprüfung in Klasse 7 machen lässt. Diese Schule könnte dann in einigen Jahren evaluieren (lassen), was aus den Schülern, deren Eingangs-IQ ja bekannt ist, geworden ist.
    Ein Gesamtschule in Berlin untersuchte, was aus ihren Schulabbrechern geworden ist – mit frappierenden Ergebnissen. Viele der Abbrecher erreichten über den 2. Bildungsweg hohe akademische Berufspositionen – einer wurde sogar Leiter einer Klinik. Bei diesen Menschen kann man annehmen, dass ihr IQ hoch war, dass er aber nicht mit der schulischen Form von Bildung und Ausbildung kompatibel war. Hier kommt etwas ins Spiel, was Sie in Ihrem Kommentar angedeutet haben: Einige Hochbegabte sind Eigenbrötler, wenig teamfähig und deshalb für das schablonenhafte schulische Lernen oft nicht besonders gut geeignet.
    Rainer Werner

  5. avatar

    Sehr geehrter Herr Werner,

    herzlichen Dank für die detaillierten Ausführungen.

    Während vor einigen Jahren in unseren Assessment-Center ebenfalls IQ Test verwendet haben, sind wir mittlerweile wieder davon abgekommen, da die Evaluierungen letztlich negativ ausfielen.

    Hingegen verwenden wir u.a. auch Methoden zur Einschätzung des Kandidaten, wie sie z.B. in Finnland bei der Einstellung von Lehrern üblich sind.

    Und zusammengefaßt: Ein 14 jähriger mit einem IQ von 140 mag sicherlich sehr gut die Herausforderungen eines Universitätsstudium bewältigen, ob er allerdings die Herausforderung des täglichen Arbeitslebens meistert, da habe ich arge Zweifel. Unseren HR Manager graust es immer wieder vor den “ Hochbegabten “ da sie nicht nur an der Schule outsider sind, sondern auch im Berufsleben.

    Mich würde es interessieren, ob der von Ihnen erwähnte 14 jährige seine “ Hochbegabung “ auch in der Praxis umgesetzt hat.

    Wir haben z.B. seit zwei Jahren auch “ Hochbegabte “ mit dem Asperger Syndrom beschäftigt.

    Unsere HR Manager setzen sie allerdings nur in sehr speziellen Arbeitsbereichen ein, da Sie nahezu nicht in der Lage sind im Teamwork zu arbeiten, geschweige denn irgendwann einmal eine Führungskraft zu werden.

    In Ihrer Heimatstadt Berlin gibt es seit einigen Jahren ein Unternehmen:

    http://auticon.de/

    dass die Hochbegabung dieser Gruppe nutzt.

    Pionier auf diesem Gebiet ist Thorkil Sonne

    http://specialisterne.com/

    Auch wenn die von Ihnen erwähnten Hochbegabten nicht grundsätzlich in die Kategorie der Autisten einzuordnen sind, weisen sie dennoch Defizite in anderen Bereichen auf, wie mangelnde Teamfähigkeit etc. die im Berufsleben sich oftmals als erhebliche handicaps herausstellen.

    Und zum Thema Intelligenz noch eine kleine Anmerkung.

    Warum haben wir in Deutschland auf der Schwäbischen Alp die größte Anzahl von Tüftlern im Vergleich zu anderen Regionen in .de?

    Liegt es an der Hochbegabung oder einem IQ von mehr als 130 ??

    Liegt es nicht vielmehr auch am Umfeld, oder um es neudeutsch zu formulieren an der crowd?

    Mich würde es interessieren, da unsere HR Manager nicht im Hausind, ob Sie Evaluierungsstudien kennen die Aufschluß darüber geben, welche beruflichen Positionen heute die Hochbegabten in Deutschland im Berufsleben einnehmen.

    Herzlichen Dank im voraus

  6. avatar

    @ Moritz Berger
    Um Intelligenz zu messen, benutzt man standardisierte psychologische Intelligenztests. Die Werte werden dann auf einer Skala von 50 bis 150 eingetragen. Hochrechnungen zufolge besitzen 60 Prozent der deutschen Bevölkerung einen mittleren Intelligenzquotienten zwischen 85 und 115. Nur 2 Prozent liegen mit ihrem Intelligenzquotienten unter 70. Aber 2 Prozent haben einen extrem hohen IQ von über 130. Bei diesen Personen spricht man von Hochbegabung. Wenn man diese 2 Prozent auf die gegenwärtige Schülerpopulation umrechnet, kommt man auf die Zahl von 180.000 hochbegabten Schülern. Dies entspricht immerhin der Einwohnerzahl einer Stadt wie Erfurt.
    Die Tests sind sehr ausgereift und führen in der Regel zu zuverlässigen Ergebnissen. Ein Beispiel: In Potsdam nahm ein 14-Jähriger an der Universität das Studium auf. Er hatte zuvor drei Schulklassen übersprungen. Sein IQ liegt bei 140 Punkten!
    Leider benutzen nicht alle Länder denselben Maßstab. Die Amerikaner haben z.B. eine andere Maßtabelle. Deshalb muss man wie bei den Währungen auch die IQ-Werte zwischen den Ländern umrechnen.
    Rainer Werner

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    Moritz Berger,
    jop, nur stört gerade das, also u.a. Reifikation Rainer Werner nicht selbst?: „Sie betrachten Kinder nicht als Wesen, die die wunderbare Welt des Wissens entdecken wollen – jedes auf seine Weise und jedes nach seinen Begabungen.“

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    Schöner Artikel!

    Wobei ich zu Bedenken gebe, dass Lob – nicht nur bei Hochbegabten – dazu führen kann, dass sich jemand verschlechtert.

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