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Außenminister als Weichspüler

Frank-Walter Steinmeier hat die Kunst, im dipomatischen Umgang Vertreter anderer Staaten nicht vor den Kopf zu stoßen, zu einer solchen Perfektion entwickelt, dass man den Eindruck gewinnen muss, die Camouflage eigener Überzeugungen sei zu seiner zweiten Haut geworden. Im Vorfeld des 100-jährigen Gedenkens des Völkermords der Jungtürken an den armenischen Bewohnern des damaligen Osmanischen Reiches im Frühjahr 1915 wand er sich auf Nachfragen von Journalisten, als gelte es, öffentlich einen Seitensprung zu gestehen. Bei seinem Besuch in Estland sagte Steinmeier: „Die Gräuel am armenischen Volk lassen sich nicht auf einen Begriff oder den Streit um einen Begriff reduzieren.“ Gemeint war das Wort Völkermord, das darauf in der Presse ironisch als  anstößiges V-Wort zirkulierte. Es ist schon bemerkenswert, dass der Außenminister des Landes, das das größte Menschheitsverbrechen – den Holocaust – zu verantworten hat, davor zurückschreckt, einen Vorläufer des Massenmordes an den europäischen Juden beim Namen zu nennen. Muss er nicht damit rechnen, dass er damit Unbelehrbare ermutigt, künftig auch den deutschen Genozid an den Juden zu leugnen oder zu relativieren – nach dem Motto, die „Gräuel an den Juden lassen sich nicht auf einen Begriff bringen“?  In einigen europäischen Ländern ist die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe gestellt, wie z.B. in der Schweiz, Griechenland, der Slowakei und Slowenien. Man muss nicht unbedingt so weit gehen, das auch für Deutschland zu fordern. Als Außenminister sollte man allerdings den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht wie Steinmeier aus diplomatischer Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der türkischen Regierung um die Wahrheit herumzureden. Gerade wir Deutsche haben doch eine wichtige Lektion gelernt: Das für das nationale Empfinden Schmerzliche zu bekennen, kann befreiend wirken, weil es den Weg frei macht für Versöhnung. Die Erkenntnis von Therapeuten, die mit Straftätern arbeiten, kann man auch auf Staaten übertragen: Das Bekenntnis der eigenen Schuld setzt Energien frei, die den moralischen Neuanfang beflügeln können. Die Türkei kann sich nur dann mit den Armeniern versöhnen, wenn sie die Verbrechen des Jahres 1915 nicht länger verharmlost.

Einen Nebenaspekt hat Steinmeier bei seinem verbalen Eiertanz außer Acht gelassen. Das Osmanische Reich war im Ersten Weltkrieg mit Deutschland verbündet. Diese Waffenbrüderschaft führte dazu, dass deutsche Generäle und auch die politische Führung genau Bescheid wussten, was sich 1915 im Staatgebiet der heutigen Türkei zutrug. Von Reichskanzler Bethmann-Hollweg kennt man folgenden Vermerk: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht.“ – Deutlicher kann man die Komplizenschaft Deutschlands mit den Organisatoren des Völkermords nicht formulieren. Sollte es Steinmeier gleichgültig sein, wenn ihm im Ausland unterstellt wird, er wolle durch seine Weigerung, das V-Wort auszusprechen, die Deutschen von ihrer Mitschuld rein waschen? Man kann es drehen und wenden, wie man will: Steinmeier hat sich in seinen skrupulösen diplomatischen Pirouetten heillos verheddert. Erst das klare Signal des Bundespräsidenten Joachim Gauck, er werde bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst die Dinge beim richtigen Namen nennen, hat ihn schließlich zum Einlenken gebracht. So kam die Formulierung in der Resolution der Bundesregierung zustande, die am 24. April im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Sie nennt das entscheidende Wort, wenn auch in einem etwas verschwurbelten grammatischen Zusammenhang. Leider erwies sich Steinmeier nach der Parlamentsdebatte als schlechter Verlierer. In einem SPIEGEL-Interview bezichtigte er diejenigen, die den Begriff Völkermord gebraucht hatten (Papst Franziskus, Gauck und Lammert) indirekt der Verharmlosung des Holocaust, weil sie angeblich diesen auf die Zeit vor 1933 zurückverlegten. In dieser Causa hat Außenminister Steinmeier sein politisches Fingerspitzengefühl völlig verloren.

Auch im Ukraine-Konflikt hat sich Steinmeier erst spät von den Traumtänzereien der Russland-Versteher in seiner Partei gelöst und sich dem Weg der EU, den Völkerrechtsbruch Russlands mit ökonomischen Sanktionen zu beantworten, angeschlossen. Man konnte es dem Außenminister ihm förmlich habituell ansehen, wie er darunter litt, dass die Politik Russlands nicht dem entspricht, was die Friedensschalmaien sozialdemokratischer Außenpolitik immer verkündet haben: Russland wolle ja im Grunde Modernisierung und Demokratisierung, weil dieser Weg für dieses rückständige Land alternativlos sei. Das Gegenteil ist der Fall. Russland will vor allem sein Territorium und seinen Machtbereich ausdehnen und nimmt dafür wirtschaftliche Einbußen, kulturellen Rückschritt   und internationale Ächtung in Kauf.

Auf der Sicherheitskonferenz in München 2007 wiederholte Putin die schon 2005 geäußerte These, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ gewesen.   Gleichzeitig äußerte er die Drohung, künftig „feindliche Übergriffe“ im russischen Einflussbereich nicht mehr tatenlos zu dulden. Der Westen, vor allem das deutsche Außenministerium, hat diese Drohungen im Grunde nicht ernst genommen. Sie wurden stets damit abgetan, dass sie vor allem an das russische Publikum gerichtet seien, dass sie vornehmlich dazu dienten, die durch die ökonomische Modernisierung verunsicherte russische Bevölkerung patriotisch zu sedieren.

Ein böses Erwachen gab es 2008, als Russland in Georgien einmarschierte. Als Begründung nannte der Kreml ein Argument, das später Schule machen sollte: Es gelte, russische Bürger vor dem russophoben georgischen Regime zu schützen. Zwei russlandfreundliche Gebiete – Abhasien und Südossetien – wurden mit Gewalt vom georgischen Staatsgebiet abgespalten und fungieren heute als russische Protektorate. Auch angesichts dieser eklatanten Aggression Russlands wiegelte das deutsche Außenministerium noch ab und wollte in dieser Aggression keine generelle Kehrtwende russischer Außenpolitik sehen. Diese Einschätzung war fatal, weil man hier schon hätte sehen können, dass der Kreml die vorgebliche Bedrohung der Russen im Ausland als Vorwand für militärische Interventionen benutzt. In Moldawien wiederholte sich dieses Schema, als sich im Gefolge der Auflösung der Sowjetunion das russlandfreundliche Gebiet Transnistrien 1992 vom Mutterland abspaltete. Putin gab fortan die Losung aus, dass man Russen dort zu Hilfe kommen müsse, wo sie bedroht sind, und sei es auch in fremden Staaten. Damit die „brüderliche Hilfe“ (wir kennen den Begriff seit der Invasion des Warschauer Paktes in die CSSR im Jahre 1968) nicht offen militärisch geleistet werden muss, wurde eine spezielle Kriegsstrategie erfunden: die der verdeckten Kriegsführung. Im Januar 2013 hielt Generalstabschef Gerassimow in der Akademie für Militärwissenschaften eine Rede, die im Westen so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde, obwohl sie im Internet nachzulesen war. Darin führt er aus, dass es in der gegenwärtigen Weltlage zu „nichtlinearen“ Kriegen kommen könne, die dazu dienen, den Machtbereich eines Staates dadurch auszudehnen, dass man einen Nachbarstaat, dessen Entwicklung man für schädlich hält, destabilisiert.

Es gehört zum Versagen bundesdeutscher Außenpolitik, all diese Veränderungen in der russischen Außen- und Militärpolitik verharmlost und schöngeredet zu haben. Man wollte einfach nicht wahrhaben, dass die eigenen Hoffnungen in die Veränderungsfähigkeit Russlands als Seifenblasen zu platzen drohen. In der Demokratie sind Politiker   daran gewöhnt, dass man Worte nicht wörtlich nehmen muss, dass zwischen verbaler Verlautbarung und realer Politik immer eine Kluft existiert. Deshalb stehen unsere Politiker   einem Potentaten völlig hilflos gegenüber, der genau das tut, was er sagt: Wladimir Putin. Selbst die dreiste Lüge, Russland sei am militärischen Konflikt in Osten der Ukraine gar nicht beteiligt, wagte die deutsche Außenpolitik nicht   L ü g e   zu nennen. Die militärische Intervention des Kreml im Donbass wurde zur „Unterstützung“ der Separatisten verharmlost. Kann man so einem Aggressor Einhalt gebieten?

Es ist bedauerlich, dass ein Außenminister wichtige Erkenntnisse in einer Weise gewinnt, als sei die internationale Politik ein Trainingsfeld für eine Selbsterfahrungsgruppe. Etwas mehr Professionalität und profunderes historisches Wissen (München 1938!) wären sicher hilfreich gewesen. Historische Fehler muss man nicht ohne Not zweimal machen. Für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist es wenig schmeichelhaft, in diversen Internetforen als Chamberlain des 21. Jahrhunderts bezeichnet zu werden.

 

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