avatar

Mit der Burka ins Internet

 

Mir geht  Peter Sloterdijks Abgesang auf den Humanismus nicht aus dem Kopf:

http://www.zeit.de/1999/38/199938.sloterdijk3_.xml

Einerseits erscheint er mir aus der Distanz von fünfzehn Jahren aktueller als Bill Joys Apokalypse aus wildgewordenen Robotern, Genen und Mikroorganismen; denn für Sloterdijk ist die zentrale Frage jene des Mediums oder der Medien. Er verweist ausdrücklich, wenn auch ein wenig pompös archaisierend, auf „die aktuellen Vernetzungsrevolutionen“; das, was uns heute in Gestalt von Google und Facebook, Amazon und der NSA beschäftigt, und was Bill Joy – vielleicht, weil er für Sun Microsystems arbeitete und darum betriebsblind war  – gar nicht auf dem Schirm hatte.

Hier noch einmal Sloterdijks Hauptargument: „Wenn diese Epoche (der „lesefreudigen Nationalhumanismen“, A.P.) heute unwiderruflich abgelaufen scheint, so nicht, weil die Menschen aus einer dekadenten Laune ihr nationales literarisches Pensum nicht mehr zu erfüllen bereit wären; die Epoche des nationalbürgerlichen Humanismus ist an ein Ende gelangt, weil die Kunst, Liebe inspirierende Briefe an eine Nation von Freunden zu schreiben, auch wenn sie noch so professionell geübt würde, nicht mehr ausreichen könnte, das telekommunikative Band zwischen den Bewohnern einer modernen Massengesellschaft zu knüpfen. Durch die mediale Etablierung der Massenkultur in der Ersten Welt 1918 (Rundfunk) und nach 1945 (Fernsehen) und mehr noch durch die aktuellen Vernetzungsrevolutionen ist die Koexistenz der Menschen in den aktuellen Gesellschaften auf neue Grundlagen gestellt worden. Diese sind, wie sich ohne Aufwand zeigen lässt, entschieden post-literarisch, post-epistolographisch und folglich post-humanistisch.“

Und: „Die Ära des neuzeitlichen Humanismus als Schul- und Bildungsmodell ist abgelaufen, weil die Illusion nicht länger sich halten lässt, politische und ökonomische Großstrukturen könnten nach dem amiablen Modell der literarischen Gesellschaft organisiert werden.“

Und wir erinnern uns: „Humanismus als Wort und Sache hat immer ein Wogegen, denn er ist das Engagement für die Zurückholung des Menschen aus der Barbarei.“

Nun würde ich sofort gegen Sloterdijk einwenden, dass der Humanismus als „amiable literarische Gesellschaft“, als eine Gemeinschaft der Brieffreunde, die sich dem Werk der Selbst- und Menschenzüchtung – durch intellektuelle Zucht, nicht durch genetische Manipulation – verpflichtet weiß, immer schon Sache einer hauchdünnen Minderheit war. Erasmus von Rotterdam, der Hausheilige aller Humanisten, konnte für kurze Zeit die europäische Elite seiner Zeit für die Idee einer gesamteuropäischen Reform der Kirche und der Sitten, der Bildung und des Geschmacks gewinnen. Aber gegen den Nationalbarbaren Martin Luther und die Flugblätter der Radikalen hatte er keine Chance. Europa versank in Fanatismus und Hass, Religionskriege zerrissen den Kontinent, und erst 1648, nachdem ein Drittel der Bevölkerung des Kontinents dem Morden zum Opfer gefallen war – prozentual verschlang der Dreißigjährige Krieg mehr Europäer, als es der Erste Weltkrieg tat – kamen die Berserker halbwegs zu sich.

Will sagen: Die alten Feinde des Humanismus sind religiöser Fanatismus und nationaler Hass: und sie waren immer schon stärker als die Erasmus-Haltung des Ausgleichs, des Kosmopolitismus und des abgeklärten Skeptizismus.

Will sagen: Nicht nur „politische und ökonomische Großstrukturen“ – wie etwa die Europäische Union – können nicht „nach dem amiablen Modell der literarischen Gesellschaft organisiert werden“; schon für die verhältnismäßig übersichtlichen Strukturen der Entstehungszeit des modernen Humanismus – also im 16. Jahrhundert – waren der wenig amiable Martin Luther und der ganz und gar nicht amiable Nicolo Macchiavelli die Stichwortgeber, nicht Erasmus und die Humanisten.

Hat sich wirklich mit den neuen Medien – Sloterdijk nennt das Radio, das Fernsehen und die „neuen Vernetzungsrevolutionen“ – der Humanismus erledigt? Ich denke: Nein. Im Gegenteil. Ja, das Radio gebiert einen Adolf Hitler; aber eben auch einen Franklin D. Roosevelt mit seinen „Gesprächen am Kaminfeuer“. Das Fernsehen gebiert Big Brother, aber auch hochintelligente Serien wie „The Sopranos“. Die Diskussion vertiefe ich nicht, weil sie nun wirklich in den letzten 50 Jahren so oft geführt worden ist, dass es schlicht und einfach kein Argument gibt, das man nicht schon hundertmal gehört hat.

Und das Internet? Zweifellos gibt es die Paradoxie, dass dieses interaktive Medium, das die Möglichkeit bietet, sozusagen die ganze Welt als „amiable Briefgesellschaft“ zu organisieren, gleichzeitig zum Medium der Vereinsamung und Radikalisierung wird. Wer dem „Mainstream“ misstraut, findet in Netz leicht Nachrichten und Meinungen und  die zugehörige Gemeinde der Claqueure, die seine eigene Haltung bestärken: „Politisch inkorrekt“, die „Achse des Guten“ und wie sie alle heißen. Von den Netzwerken der Dschihadisten und Salafisten,  der Hardcore-Klerikalfaschisten und Neonazis ganz zu schweigen. Globalisierung und Atomisierung sind eben nicht Gegensätze, sondern ergänzen einander; das Netz wird zum Netz der Netze und die Netzpolizei zur Spinne.

Und doch gibt es im Netz auch jene „amiablen Briefgesellschaften“ der Humanisten: vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und anderer wissenschaftlicher Disziplinen. Und mir will scheinen, auch ein Blog wie dieses hier hat etwas von einem humanistischen Zirkel, auch wenn es hin und wieder weniger amiabel zugeht.

Freilich werden manche Briefe anonym zugestellt. Man begegnet einander dann nicht mit offenem Gesicht. Dieser Tage hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, das französische Gesetz gegen die Burka sei rechtmäßig, und zwar weil „einzelne Bürger es ablehnen könnten, im öffentlichen Raum Praktiken oder Haltungen zu sehen, welche die Möglichkeit offener zwischenmenschlicher Beziehungen infrage stellen, die aufgrund eines bestehenden Konsens einen unverzichtbaren Bestandteil des Gemeinschaftslebens innerhalb dieser betreffenden Gesellschaft darstellen.“

Es ist schon merkwürdig, dass dieses Urteil ganz besonderen Beifall bei jenen findet, die im Netz immer in der Burka unterwegs sind: Anonym mit Pseudonym.

Nun bin ich persönlich kein Anhänger des Burka-Verbots, schon gar nicht mit der Begründung; aber ich bin schon der Meinung, dass die Anonymität im Netz die „Möglichkeit offener zwischenmenschlicher Beziehungen“ – und damit die Vorbedingung eines wahren Humanismus – infrage stellt. (Wohlgemerkt: In Diktaturen gelten andere Regeln; Diktatoren haben nicht das Recht, von ihren Untertanen ein offenes Gesicht zu zeigen.)

Weder will ich ein allgemeines Verbot von Pseudonymen, noch habe ich vor, hier ein solches Verbot zu praktizieren. Aber mir scheint, man kann weder über die Burka noch über den Humanismus ernsthaft reden, wenn man nicht mit offenem Visier auftritt.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

114 Gedanken zu “Mit der Burka ins Internet;”

  1. avatar

    @ Lyoner
    Wette erst nach dem zweiten Halbfinale.
    Bin ja nicht in allem mit Augstein, aber in diesem schon:
    „Ordem e progresso“ lautet das Motto in der brasilianischen Flagge. Ordnung und Fortschritt. Der pure Positivismus. Vielleicht sollte die Fußballweltmeisterschaft künftig jedes Jahr in Dänemark stattfinden und das Sponsorenwesen wird abgeschafft. Eine andere Möglichkeit wäre, auf solche Spiele zu verzichten.
    http://www.spiegel.de/politik/.....74670.html
    Käme jederzeit mit der Championsleague aus. Den Scheinpatriotismus im Fußball nenne ich lieber, was er ist: Blanker Nationalismus, schön verkleidet, besser als im Karneval.

    @ KJN
    Wie kommen Sie damit zurecht, dass ich mal für Broders
    Argumente und mal für die von Jacob Augstein plädiere? Die beiden passen in kein gemeinsames Boot.
    Ich schlage Ihnen etwas vor: Unabhängiger Denker, keine Loyalitäten, meistens fair (siehe meine Verteidigungen von Lyoner trotz differenter Einstellung zu Israel und zur Schlaand), wenig Vorurteile, allerdings – da haben Sie ganz recht – zuweilen in mittelstarke Wutausbrüche verfallend, ausgelöst durch Posener. Zitat Sloterdijk: „gibt mir Gelegenheit zu bemerken, wie im Konflikt Ihre liberale Maske zerfällt. Ihre diskursethischen Vorwände rücken zunehmend zur Seite und lassen robustere Motive erkennen.“ Ach so,man soll nicht in der dritten Person von jemandem reden, sorry.
    Außerdem ausgesprochen interessiert an möglichst breiten Diskursen, ruhig mit Abweichungen, so dass ich Lyoners Einwände oft als Bereicherung empfinde.

  2. avatar

    @ Alan Posener
    Wenn Ihnen das mit der Burka gut anglikanisch gehupft wie gesprungen ist, möchte ich Sie doch fragen, was der Zweck dabei ist, mir immer wieder die „Burka“ vom Gesicht zu reißen und einen Eigennamen zu nennen. Meine Identität ist ja hier bekannt und ich habe auch kein Hehl daraus gemacht; Sie bräuchten also nicht zu outen. Mein Grund, hier ein Pseudonym für die Diskussion zu wählen, liegt an der Eigenschaft von Googles Algorithmen. Der Wahrheitsgehalt ist dabei ziemlich egal, enbtscheidend sind quantitative Suchkriterien. Ich möchte nicht in die Situation z.B einer Bettina Wulf geraten, die mit „Rotlicht“ etc. in Verbindung gebracht wurde. Sie tun ja immer wieder das Ihrige, um mich einschlägig zu verdächtigen. Das ist offenbar Ihr last exit, wenn Ihnen sonst nichts einfällt.

    Woher wollen Sie wissen, dass ich Henry M. Broder hasse? Wenn Sie nur annähernd so sorgfältig mit Sloterdijk und anderen Texten umgehen würden wie ich mit den expliziten Texten Broders (in: Von-den-Einzigwahren-Freunden-Israels; wenn Sie in dem Blog eine Falschaussage und Fehlinterpretation zu Broder finden, zahle ich Ihnen 1.000 €), würden Sie solche Behauptungen unterlassen. Ich habe im thread „Ende von etwas“ einen Broderschen Beitrag zur Humanismusfrage, nämlich der Zähmung der Bestialität der Menschen, zitiert. Sie können nun diesen Beitrag für genial, schwachsinnig, skurril oder zum Schreien komisch finden; das bleibt Ihnen überlassen. Oder meinen Sie, dass eine punktgenaue Zitierung Broders schon von Hass zeugt oder gar von Antisemitismus (für einige seiner Adepten ist es schon Antisemitismus, wenn ich ihn nicht für ein großes Licht der Epoche halte)? Nein, ich halte Broder für einen Teil des publizistischen Kasperle-Meinungstheaters, das unsere Republik heimsucht. Also, ein eher lachendes Auge denn weinendes.

    Nun, wenn Sie es für Inquisition oder Stalinismus halten, wenn man Ihren Aussagen zu „blindwütigem Fortschritt“ oder „Humanismus“ auf den Zahn fühlen will, ist das – um einen jetzt zeitgemäßen Vergleich zu ziehen – die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Mir scheint offensichtlich (klar wie Klosbrühe), dass Sie sich als ein in der Wolle gewaschener Vetreter der amerikanistischen Spielart des Humanismus, der Zähmung der menschlichen Bestie, mit den Avantgarden im Pentagon (peacemaking missions by shock and awe), Wallstreet (financial weapons of mass destruction), NSA und Google (free total information) ausgewiesen haben. Lieber Alan Posener, der Mensch ist des Menschen Verhängnis, hier stellt sich die Machtfrage.

    In diesem Zusammenhang könnten Sie auch eine kleine Wiedergutmachung an Sloterdijk leisten, indem Sie Stephan erklären, dass das fragliche Wort „amiable“ bei Sloterdijk – im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, wo ich es 5 mal zähle – nur ein einziges Mal vorkommt, und zwar an der von Ihnen zitierten Stelle. Ansonsten verwendet Sloterdijk die schönen deutschen Worte freundschaftlich und freundschaftstiftend, den den Sinn auch besser wiedergeben als Ihre Übersetzung freundlich. Sie sehen, in geistigen Dingen kommt es auf Nuancen an. Verstehen Sie das?

  3. avatar

    …im Grunde handelt es sich um zwei verschiedene Philosophiekonzepte, die mit den beiden Autoren aufeinandertreffen: eines, das beim Menschen ansetzt, analysiert und erklärt, und eines, das sich von der Normalität abkoppelt, um sprachliches Neuland zu erforschen und dann eben – das ist die unumgängliche Konsequenz – magisch beschwört, raunt und predigt. Das erste könnte man Rationalismus nennen, das zweite Tiefsinn.

  4. avatar

    @derblondehans

    Ach Gott, herrje. Wo Anfangen?

    Ganz verkürzt:

    Der Islam hat viele Facetten und Ausdifferenzierungen, ähnlich dem Christentum. Das wissen auch sie, dbh. Ich bin es müde, immer wider Saudi Arabien und diese Ausrichtung als Beispiel genannt zu bekommen. Auch diese Erlaubnis zu lügen, ist ein Witz. Ich bin mein Leben lang mit Muslimen zusammen, ich lebe mit ihnen und ich bin mit ihnen befreundet. Meine Nachbarn sind Muslime, in der Schule war ich mit Muslimen. Die haben mich alle belogen, mein Leben lang? Eine Verschwörung der Muslime, so gut durchorganisiert, dass alle in ihrer Rolle bleiben? Lieber, dbh, das ist Blödsinn und das wissen sie. Deswegen ist es auch so wichtig, den Islam als Religion zu diskreditieren und mit den Islamofaschisten saudischer Prägung gleichzusetzen. Denn die Leben der über 1.Milliarde Muslime gibt diese Argumentation nicht unbedingt her. Ich weiß natürlich nicht, ob alle OK sind, unter den Muslimen, die ich kenne, liegt die Arschlochquote/Quadratmeter nicht über den anderen Gruppen, für deutsche Verhältnisse kenne ich nicht wenige. Was zutiefst unanständig ist, ist diese Menschen kollektiv zu demütigen. Kein Mensch der beten möchte, sollte dies in einem verpissten Hinterhof tun müssen. Der politische Islam ist mir zuwider, den Muslimen die ich kenne, sogar mehr als mir.
    Lieber dbh, sie sind Katholik, wenn ich mich richtig erinnere. Die kroatischen Ustasa habe unter der Segnung der Kirche viele Mitglieder meiner Familie umgebracht, alles gute, orthodoxe Christen. Wir bekommen beim Ausdruck „guter Katholik“ Gänsehaut. Nein, die Ustasa waren nicht Sozialisten, nicht mal Nationalsozialisten, sie waren zuerst Katholiken (wohl keine Organisation war mit dem Vatikan so verbunden). Jetzt müssen sie mir erklären, warum Ustasa nicht den Katholizismus vertreten, mein türkischer Freund, mit dem ich regelmäßig Bier&Bratwurst zu mir nehme, aber für die Koran-Auslegung des Saudischen Königshauses verantwortlich ist.
    Sollten wir zum Schluss kommen, dass es um die Radikalen geht, dann müssten wir zum Schluss kommen, dass unter den 4.000.000 Muslimen (5% der Bevölkerung), die Zahl der Radikalen bei 80.000 liegt (womit wir im Promilebereich der Bevölkerung wären). Von denen verschleiern sich einige hundert Frauen. Mal unter Erwachsenen: Ist das ein gesellschaftliches Problem?
    Was ich verstehen kann, ist offene Xenophobie: Ich mag die alle nicht, ich will keine Fremden in Deutschland, auch wenn sie die Loreley im Kanon furzen können. Das ist Ok, hat aber nichts mit Islam sondern mehr mit ihnen zu tun.
    Was mich am meisten Irritiert: Sie haben sozialistische Sippenhaft ohne Rücksicht auf den Einzelfall doch selbst erlebt. Finde sie es nicht komisch, Völker, Stände, Religionen aus grundsätzlichen Überlegungen pauschal zu verurteilen. Glauben sie nicht, dass der Stalinismus da was auf ihren Katholizismus abgefärbt hat?

  5. avatar

    @Parisien: Ja, die Frage stellt sich Tugendhat ja selber: „Ich muss gestehen, dass ich nicht verstanden habe, worum es dem Autor überhaupt geht. Was will er eigentlich? Und gibt es irgendetwas in diesem Aufsatz, was wir jetzt besser verstehen würden? Irgendetwas, das er geklärt hätte? Ich habe nichts gefunden.“

    Dieses Unverständns kann man auf zwei Weisen erklären: Entweder ist Tugendhats Horizont zu begrenzt, um den Text verstehen zu können, oder der Text ist einfach unverständlich (und desto unverständlicher, je genauer man ihn liest).

    Ob Sloterdijk diese Entwicklung zu einer irgendwie „genetisch gezüchteten“ Moral kritisiert oder sich wünscht, vermag ich nicht zu beantworten. Ich vermute, dass er als versteckter Humansit sie melancholisch kritisiert und dabei so tut, als wäre sie unvermeidlich und deshalb zu begrüßen. Aber wer weiß das schon.

    Ob Habermas erst Sloterdijk hätte informieren sollen, bevor er ihn kritisiert, weiß ich nicht, wüsste jedenfalls nicht, warum. Aber selbst wenn, wäre das jedenfalls nicht der Beweis, dass „die Kritische Theorie an diesem 2. September gestorben“ ist. Oder dass er, Sloterdijk, „verdinglicht“ wird. Was für ein eitles, aufgeblasenes Zeug!

    Grundsätzlich ist diese Debatte seinerzeit aber anscheinend ausführlich geführt worden (was an mir wieder einmal spurlos vorbeigegangen ist; ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, irgendeinen dieser Texte gelesen zu haben).

  6. avatar

    Lieber Roland Ziegler, ich habe mir, wie von Ihnen vorgeschlagen, das Referat Ihres Kronzeugen Helmut Walther, zu Gemüte geführt: http://www.kreisbogen-der-meta.....loterd.htm.

    Dort wird Tugenhat so zitiert:

    „Und das Explizite? Ich muss gestehen, dass ich nicht verstanden habe, worum es dem Autor überhaupt geht. Was will er eigentlich? Und gibt es irgendetwas in diesem Aufsatz, was wir jetzt besser verstehen würden? Irgendetwas, das er geklärt hätte? Ich habe nichts gefunden.“

    Wenn das so ist, dass Tugendhat den expliziten Text nicht versteht, hätte er doch Philosoph bleiben können – und den Mund halten, meinen Sie nicht? Stattdessen vergreift sich Tugendhat am angeblich Impliziten Sloterdijks

    „Zuletzt möchte ich noch eine Kleinigkeit in der Diktion erwähnen. Warum verwendet Sloterdijk das Wort „Selektion“? Wenn ich dieses Wort in diesem Kontext höre, denke ich unwillkürlich an die Selektion an der Rampe von Auschwitz. Ist das nur mein Problem?“

    Nein, nein, das ist nicht nur sein Problem, das ist symptomatisch für eine unterstellende denunzierende Lektüre und ein Beispiel dafür, dass viele, die über Auschwitzt räsoniert haben, eher dümmer als klüger geworden sind. Ich habe selten ein so schändliches Bubenstück eines alten Mannes gelesen, Sloterdijk als Auschwitz- Rampensau diskreditieren zu wollen.

    In seinem Nachwort (Erste Auflage 1999, Sonderdruck, S. 59) schreibt Sloterdijk

    „In einem Punkt nur will ich auf eine schamlose Strategie der Falschleser aufmerksam machen: Ich habe an einer stark wahrgenommenen Stelle (S. 46) auf einige Probleme hingewiesen, die sich durch das Auftauchen der neuen biotechnischen Eigriffsmöglichkeiten für den künftigen Gattungsprozeß stellen könnten. Ich frage dort, ob auf lange Sicht so etwas wie eine explizite Merkmalsplanung auf Gattungsebene überhaupt möglich sei und ob die optionale Geburt (mit ihrer Kehrseite: der pränatalen Selektion) gattungsweit zu einem neuen Habitus in Fortpflanzungsdingen werden könnte (das Wort gattungsweit sollte hier nicht überlesen werden, weil die pränatale Selektion als Recht auf Abtreibung nach medizinischer Indikation in Europa und den USA bereits zum juristisch abgeklärten Kulturstandard gehört, katholischen Widerständen zum Trotz) – und an derselben Stelle füge ich hinzu, dass in nicht geheuren Fragen dieser Art sich vor uns der evolutionäre Horizont auftut. Aus diesen Fragesätzen haben einzelne Publizisten Präskriptionen gemacht.“

    Wenn Sie sich über diese fragliche Passage kundig machen wollen, sie ist im letzten Viertel des von Posener verlinkten Textes. Die Passage beginnt mit „Etwas hiervon war Nietzsche gegenwärtig, als er es wagte ….“

    Wenn ich Sloterdijk richtig verstanden habe, argumentiert er, der Selektionsprozess läuft eh, der Humanisierungsprozess ist dabei fraglich, ich plädiere für eine explizite Diskussion, die zu so etwas wie einem verbindlichen Codex der Anthropotechniken führen könnten. Das ist doch etwas anderes als die infame Unterstellung Tugendhats?

    Ihnen, lieber Roland Ziegler, empfehle ich, Ihre Räusche auszuschlafen, anstatt Ihre beschwipsten und benebelten state of minds zu Beurteilungskriterien eines Zaubertrunks zu machen, den Sie nicht verkraftet haben.

  7. avatar

    @ Roland Ziegler
    Musste mich ernsthaft fragen, ob Tugendhat damals Sloterdijk verstanden hat.
    Sie sollte auch das lesen (haben Sie schon):
    P.S. an Assheuer:
    „Ein Wort zu der eben gebrauchten Formulierung „Dekadenz“ des Alarms – ich hätte auch „Ausdifferenzierung“ sagen können oder einfacher „Geschäft“. Ihr Artikel ist ein gültiges Beispiel dafür, wie sich in der zeitgenössischen totalen Öffentlichkeit eine Entwicklung vom Alarmismus zum Skandalismus vollzieht (vgl. Peter Sloterdijk, Selbstversuch, Hanser Verlag, München 1996, S. 110-130). Nicht wenige Journalisten, darunter auch Sie, haben die Zeichen der Zeit erfasst: den Tod der Kritik und ihre Transformation in Erregungsproduktionen auf dem eng gewordenen Markt der Aufmerksamkeitsquoten. Sie bieten seither ihre Dienste immer unverhohlener an: entweder als Publicity-Macher oder als Skandalisten, was strukturell dasselbe ist.“

    an Habermas:
    “ Hegel hatte das Wesen der terreur darin erkannt, dass in ihrem Dunstkreis der Verdacht unmittelbar in die Verurteilung übergeht. In jedem Jakobinismus heißt anklagen auch schon liquidieren. Nie war diese Diagnose aktueller als jetzt, da hocheffiziente Massenmedien Aufputschungen in Realzeit bewirken können (selbst das NS-Regime war technisch langsamer und wesentlich weniger durchsynchronisiert als die totale Öffentlichkeit von heute, auf deren Klaviatur auch Sie, Herr Habermas, sich jetzt nicht ohne Wirkung betätigen).

    Mithin: Dass Sie, dieser große Kommunikator, dieser vom eigenen Nicht-Faschismus durchdrungene Diskursethiker aus Deutschland (Ihr nachweislich brüchiges Axiom lautet ja: Faschisten sind immer die anderen), die Medien so zum Einsatz bringen, wie dieser Vorfall es bezeugt, gibt mir Gelegenheit zu bemerken, wie im Konflikt Ihre liberale Maske zerfällt. Ihre diskursethischen Vorwände rücken zunehmend zur Seite und lassen robustere Motive erkennen.“
    http://www.zeit.de/1999/37/199.....ettansicht

    1. Im zweiten Brief kann ich leicht jemanden erkennen.
    2. Es handelte sich um eine Tagung in Elmau, also zunächst extra muros. Daher war der Vorwurf von Sloterdijk, ihn nicht selbst angesprochen zu haben, richtig.
    3. Ging davon aus, dass Sloterdijk die Entwicklung kritisiert, nicht etwa für wünschenwert hält, wie ihm unterstellt wurde. Wenn falsch, bitte Korrektur.

  8. avatar

    @ KJN
    Das ist nur eine Art Stilmittel.
    Ich glaube kaum, dass ich Menschen bewundere, aber ich habe einen scharfen Blick für ihre starken und schwachen Seiten. Und für Situationen.
    Die Deutschen tun mir aufrichtig leid. Sie jubeln für sieben vergängliche Tore, während gleichzeitig in Israel…
    vermutlich einige Angst haben. Die Deutschen sollen mit ihren Krokodilstränen für den Holocaust aufhören. Das nimmt ihnen keiner mehr ab.
    Sie stellen Merkel auf das Podest der Jesusstatue, eine Karikatur, unsensibel bis zum Gehtnichtmehr. Arme Deutsche. Cayenne unterm Arsch und im Gehirn.
    Kleber „tönt“ im ZDF, die Deutschen tönen in Rio, Brasilien weint, ein Kreuzfahrtschiff hat Raketensplitter abbekommen, und Ben Gurion ist geschlossen. Im Unterbewusstsin, das aktiv, aber recht wenig freudianisch ist, leuchtet plötzlich die Geschichte von „Das Recht auf Rückkehr“ auf.
    Gleichzeitig lese ich, dass die USA an der mexikanischen Grenze einen Haufen seltsame Gestalten aufgreifen. Nun ja, feiert schön! Wenn das Bier noch schmeckt, muss alles gut sein. Alles gut.

  9. avatar

    Wenn ich lese von Stevanovic „Parisien lese ich gerne, weil er schön schreibt“ oder von Posener „Ich lese gern Ihre Unterhaltung mit anderen Usern über Bücher und Filme. Sie können, wenn Sie wollen, ein umgänglicher Gesprächspartner sein“ fällt mir ein, dass ich den ultimativen Grund, mit ndp zu schreiben, noch gar nicht genannt habe: Weil freier, kann man potentiell schöner schreiben, muss sich keine Gedanken darüber machen, was Herr soundso oder Frau Gemüsehändler darüber denken. Vielen Dank übrigens. Wenn sich unter der Anonymität eine schöne Sprache verbirgt, lassen Sie doch gut sein. Ich verstehe übrigens komplett, warum mancher Araber oder auch Perser oder Afghane seine Frau als seine Schwester ausgibt. Das hatten wir alles schon mal mit Sarah oder Rebecca im Buch. In Arabien oder Afghanistan dürfte das angebracht sein, in Iran halte ich die Leute für disziplinierter. Aber bei uns in Westeuropa tut ihnen i.d.R. keiner was. Statt dessen befremden sie uns. Ich habe noch nie einen Motorradfahrer gesehen, der mit Helm isst oder mit seinem Schutzanzug ins Schwimmbad geht.
    Aber mal, was ich an der Burka gut finde: Wenn eine wahre Hässlichkeit sich darunter verbirgt. Manche autochthone Frau wäre darunter besser aufgehoben als in Leggins.

  10. avatar

    Ich sehe die ganze Burka Diskussion etwas toleranter als viele hier. Wo ist das Problem, wenn sich eine Frau verschleiert. Wenn wir Europa zusammen bauen wollen( nicht Politiker), warum lassen wir die Menschen nicht wie sie sind bzw.sein wollen. Man kann Menschen nicht verändern. Einer wie ich ist schon genug! Lasst die Menschen so wie sie sind mit ihrer Natürlichkeit. Warum muss die Gesellschaft immer wieder Menschen Vorschriften machen? Wir sind doch nur noch umzingelt von Vorschriften und Bevormundungen. Jeder will jeden gleich machen. Das geht überhaupt nicht. Das beste Gespräch ist das, dass ich am Ende nicht weiß, was derjenige beruflich gemacht hat (Schubladendenken) und ich am Ende das Gefühl habe, dass der Gesprächsverlauf nicht einseitig war. Es sollte nicht sein, dass ich über den anderen alles weiß. Aber manche Gesprächteilnehmer wollen ihren Mist nur einseitig abladen. Dazu bin ich nicht mehr bereit.

  11. avatar

    Stevanovic: Wer einem Moslem hier etwas erzählen will, weil es in Saudi Arabien so oder so sei, ist auf der Ebene nationalistischer Argumentation ohne Bezug zum Einzelnen angekommen. Sippenhaft. Der feuchte Traum aller Islamisten, die Einheit der Muslime, wird ausgerechnet von ihren Gegnern gelebt. Das ist rassistischer Müll. Ok, es geht nicht um Rassen, aber es ist auf jeden Fall Müll.

    … der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat für Frankreich – nicht für Saudi-Arabien – die Rechtmäßigkeit des Verbotes der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit festgestellt.

    Ich finde das gut, aber zu wenig. Ich würde mehr wollen. Daher!

  12. avatar

    Melancholie und Sentimentalität sind übrigens keine Phänomene der neuen Medienlandschaft. Die gab es schon früher, in der guten alten Zeit.

  13. avatar

    …aber ich bin jedenfalls auch der Meinung, dass noch nie so flächendeckend und viel gelesen und sogar verstanden wurde wie heute und dass das kein letztes Leuchten ist, sondern Bestand hat. Die Vernetzungen fördern diese Leseflut, weil sie die verfügbaren Titel auf alle möglichen Weisen ordnen, teasern, präsentieren. Wieder einmal zeigt sich, dass das Neue nicht das Alte verdrängt, sondern dass sich Ergänzungen, Erweiterungen und Synergien entwickeln. Die Einzigartigkeit des Alten – früher gab es eben NUR Bücher – geht verloren, der Überblick in der riesigen Informations- und Medienflut vielleicht auch, in die auch all die Bücher münden – mehr aber nicht.

  14. avatar

    @Stevanovic: So ist es. Aber der Humanismus und das Abendland gehen wohl mit einem letzten großen Leuchten unter. Wahrscheinlich hält sich Sloterdijk für eine besonders großen Leuchter, für den letzten sich kümmernden Humanisten im einstürzenden Haus des Seins, der mit einem Bein schon im kommenden Zeitalter steht, während die zittternde Hand noch mit letzter Tinte humanistische Briefe schreibt. So ähnlich, ich kann ihm leider nicht das Wasser reichen. An ihm ist ein Romantiker verlorengegangen.

  15. avatar

    Zu Parisien und „mein Freund Henryk“: Tatsächlich bin ich mit Henryk Broder – und mit Frank A, Meyer, der hier zitiert wurde und mit dem ich mich gerade gepflegt per E-Mail über seinen Burka-Artikel streite – befreundet, ich kann nichts dafür.

    Was meinen Humor angeht, so hat er, zugegeben, Grenzen. Ganz anders als Ihrer, nicht wahr.

    Ich lese gern Ihre Unterhaltung mit anderen Usern über Bücher und Filme. Sie können, wenn Sie wollen, ein umgänglicher Gesprächspartner sein. Zuweilen wollen Sie nicht. Aber das ist Ihre Entscheidung.

  16. avatar

    @ Stevanovic
    Noch nie Disney aus diesem Blickwinkel betrachtet. Aber grundsätzlich wurden nach dem Krieg und bis heute, allerdings ab 1968 abnehmend, familiäre Werte gepflegt, vor allem auch in den USA, die natürlich in die Filmindustrie einflossen. Einer der großen Blockbuster der USA, „Vom Winde verweht“, stellt den Bürgerkrieg aus einer sehr persönlichen familiären Perspektive, die zweier auseinandergerissener Familien von Großgrundbesitzern inklusive ihrer treueren Sklaven, dar. Heute dagegen sehen wir einen oskarpämierten Film über misshandelte Sklaven. Ich glaube, es gab beides, aber die Perspektive hat sich geändert.
    Und natürlich sind wir auch vom amerikanischen Film geprägt. Da ich das für mich jederzeit zugebe, sah ich mir mit meinen Jugendlichen den einen oder anderen Horror-Trash an. „Hat dich das erschreckt?“, wurde ich gefragt. „Nein“, sagte ich, „es erschreckt mich, dass man nur am Anfang erschrickt und das Ganze als etwas lächerlich empfindet.“ Vom Familiären zum hohlen Trashmorden, keine akzeptable Entwicklung. Hin und wieder macht den Mist einer nach. In den USA steht eine Diskussion darüber noch aus. Schulmorde etc. können aus einem gestörten kollektiven Unterbewusstsein kommen. Wenn keiner dabei sitzt, die Familienstrukturen schwach sind, kann das Außen mehr beeinflussen, Internet kommt dazu.

    @ Posener
    Ich hoffe, „Henryk“ hat dann ausgelacht, als ich mit Hamed ankam. Sie haben keinerlei Menschenkenntnis, das nur nebenbei. Elfenbeinturm kann man Broder nicht unterstellen, Ihnen aber schon. Auffallend ist auch, dass Sie bekanntere Autoren, die Ihre Meinung nicht teilen, sehr gern „mein Freund“ nennen. Sie laufen Gefahr, sich lächerlich zu machen. Sie haben überhaupt keinen Humor, das ist Ihr größter Fehler.

  17. avatar

    Burka im Internet:
    Da es mich einen feuchten Mist interessiert, was auf PI steht, ist es mir auch egal, wer da unter welchem Namen schreibt. Namen sind Schall und Rauch. Parisien lese ich gerne, weil er schön schreibt. Wer er so wirklich ist, ist für unseren Austausch hier nicht wichtig. Wüsste ich, wer derblondehans ist, würde es die Sache nicht besser machen. Eigentlich ist es ziemlich Wurst, unter welchen Namen geschrieben wird.
    Die Anonymität im Internet passt natürlich nicht zur Forderung eines Burkaverbots. Deswegen gibt es ja den Mythos von der grünen Diktatur, gäbe es den nicht, wäre man ja…feige?
    Am Ende würde ich Burka und Pseudonym dort lassen, wo es hingehört: persönlicher Stil. Mit den Folgen muss dann jeder selbst klar kommen. Burkaträger haben wenig Gehör in der Öffentlichkeit, anonyme Trolle eigentlich ja auch nicht.

  18. avatar

    Burka:
    Es gibt keine Deals mit der muslimischen Welt. Es gibt nicht DIE Moslems. Wer einem Moslem hier etwas erzählen will, weil es in Saudi Arabien so oder so sei, ist auf der Ebene nationalistischer Argumentation ohne Bezug zum Einzelnen angekommen. Sippenhaft. Der feuchte Traum aller Islamisten, die Einheit der Muslime, wird ausgerechnet von ihren Gegnern gelebt. Das ist rassistischer Müll. Ok, es geht nicht um Rassen, aber es ist auf jeden Fall Müll. Selbst mit besten rhetorischen Dribblings eines Frank A. Meyer oder eines Henryk M. Broder – wir sind nicht in Saudi Arabien und die Frauen können bei uns die Burka ausziehen, wenn sie wollen. Verein gründen, Arabisch lernen, Flugblätter verteilen und aufklären. Wir sind im Westen, gerade so was darf man. Bußgelder sind eine reine Gehässigkeit, Zeichen setzen, auf dem Rücken des Schwächeren. Weil der saudische König nicht zuhören will. Seit wann ist so was Westen?
    Hier bin ich umgeben von Muslimen. Burkas sind noch exotischer, als bunte Iros. Aber das einzige was uns einfällt, um es den Saudis zu zeigen. Das ist armseelig.

  19. avatar

    @ Posener
    Ich habe sehr wenig Spaßfaktor bei HB gesehen, als sein Freund Hamed vor ca. einem Jahr in Ägypten ein paar Tage verschollen war.
    Und bei ML vom TS sehe ich wenig Spaß am Umgang mit Christen in anderen Weltteilen oder dem mangelnden Engagement auf dem Sektor.

  20. avatar

    @Ziegler

    Was mich erröten lies: die Post, die als Kaskade über Jahrhunderte wirkt, ist doch nicht Sinn des Humanismus. Wären die alten Griechen verschollen, so hätte ein Sloterdijk die Stelle schon zu füllen gewusst. Die Kaskade, das Medium, als Essentiell zu betrachten zeugt vom Hochmuth einer Kaste, deren Steckenpferd die Beherrschung des Mediums und die (so genug zitiert) durch die Ideen-Kaskaden der Jahrhunderte sich einer Bruderschaft zugehörig fühlen durften. Und jetzt interessiert es keinen und alte Bruderschaft gibt es bei Dan Brown. Beeindruckt niemanden. Gekränkte Eitelkeit.

    Wobei…gab es jemals in der Geschichte der Menschheit so viele Menschen, die die Griechen gelesen, Heidegger analysiert und einen Adorno nachvollzogen haben? Könnte ein Mönch, ein Kopist, ein Buchdrucker es mit einem Philosophiestudenten heutiger Zeit wirklich aufnehmen? Ich will mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber in den letzten zwei Generationen haben bestimmt zahlenmäßig mehr Menschen den gesamten Platon gelesen, als die zwei Jahrtausende zuvor. Alleine die Seminararbeiten, die Promotions- und Denkschriften…es hyperventiliert niemand mehr, wenn in Karlsruhe eine neue Schrift eintrifft. Das war zu Postkutschenzeiten bestimmt anders, da schätzte man diese Schrift (die nächste Postkutsche kommt in einer Woche und ob die was dabeihat…). Das ist so eine Nebelkerze: Bücher als Briefe an Unbekannte. Da es keine Briefe mehr gibt (betroffenes Kopfschütteln)…und darum ist der Humanismus zu Ende. Um uns herum werden so viele Bücher geschrieben wie noch nie, wer zur Kaskade der Philosophen gehören wird, wissen wir nicht.

  21. avatar

    @parisien
    Vielleicht schreiben Sie wirklich besser unter Pseudonym: „Ihr gekünsteltes Beleidigtsein wegen Lyoners “compositum mixtum” dürfte sich auf Ihren Komplex beziehen, kein astreiner Ost- oder wenigstens Westjude zu sein und ist daher vernachlässigenswert.“
    ..denn das lässt tiefer bicken, als Sie wollen: Wenn Sie wütend werden, kommt irgedwas mit Juden und dann noch Broder. Tiefes freudianisches Hmmm…
    (Ich glaube, wir hatten das mit dem ‚Philo‘ bereits hier. Und komisch, Ihre Broder-Verehrung. Haben Sie doch gar nicht nötig! Und besser offen umgehen mit Ängsten, wie hier
    http://starke-meinungen.de/blo.....ment-27184
    ..so wir es mir auch geht und
    .. niemand ist ein Nurgut-Mensch)

  22. avatar

    @ Alan Posener
    Kann Broder gern haben, den Spaß. Dafür habe ich meinen Spaß an Ihnen, und 68er sowie Lyoner ihren Spaß an dem Ganzen. Der Rest schaut zu, ddF, drittes deutsches Fernsehen und mal was Neues.
    Aber eins ist sicher: An dem Umgang mit Hirsi Ali und Seyran Ates hatte er ebenso wenig Spaß wie ich.
    Und Ihre Biedermann-Beleidigung ist erstens daneben und zweitens vorhersehbar und daher langweilig. Sie meinen immer, Sie hätten ’ne Dulle im Ärmel, aber alles, was Sie haben ist ein Fuchs, der den anderen zuläuft.

  23. avatar

    @Ziegler

    „…und hofft, dass der humantistisch gebildete Leser, der unterdessen zum Zuschauer einer Performance mutiert ist, derart schwindelig gespielt wurde, dass er aufhört darüber nachzudenken, was gesagt wird.“

    Bingo…und dann klingt das alles so furchtbar schlüssig, die Bilder passen alle zueinander. Aus Bildern werden neue Bilder, bis niemand fragt, ob sie überhaupt noch etwas abbilden.

  24. avatar

    „Und mir will scheinen, auch ein Blog wie dieses hier hat etwas von einem humanistischen Zirkel, auch wenn es hin und wieder weniger amiabel zugeht.“

    Humanistischer Zirkel für die, die es nicht bis zum Hirten, Erzieher oder Züchter gebracht haben. Die, die nicht wissen, was amiabel ist (mein Word schlägt als Alternative anabol vor).

    Vielleicht sagen wir es ihnen nicht oft genug, aber ich glaube, dass das, was sie hier im Blog machen, bestimmt für alle hier auf die eine oder andere Weise wichtig ist. Es ist nicht zu devot, wenn ich behaupte, dass sie an manchen Stellen durchaus als Erzieher fungieren, meistens im Sinne eines Abarbeitens an ihnen. Vielen Dank für die Geduld. Mit dieser Arbeit vergeigen sie den unergründlich intellektuellen Nimbus eines Sloterdijks, ich kann ihnen aber versichern, dass ihre Texte und ihre Arbeiten bestimmt einige Menschen in konkreten Situationen eine Orientierung waren und sind. Sollte das der Sinn ihres Humanismus sein, die Zähmung und Erziehung des Menschen, in diesem Falle uns hier, dann brauchen sie sich über Post-Humanismus keine Gedanken zu machen. Den Philosophen gehen die Brieffreunde aus? Mag sein, sie erreichen hier auch Leute, die nie diese Brieffreunde waren (bei manchen Kommentar beruhigt es mich, dass ich nicht der einzige bin). Kurz: Wenn das hier kein humanistischer Zirkel ist, auch wenn wir uns aus verschiedenen Flughöhen austauschen, was wäre dann einer? Ein ganz unironisches Danke.

  25. avatar

    Ach ja, Parisien, Sie und ich leiden gemeinsam daran, dass wir keine Juden sind. Sie, weil Sie als Christ ein potenzielles Opfer sind, ich, weil ich gern reinrassig wäre. Nur weiter so, Sie sind ein lebendes Lehrstück für die absurden Ressentiments, die unter der Oberfläche des deutschen Biedermanns brodeln. Henryk hätte seinen Spaß mit Ihnen.

  26. avatar

    Zusätzlich muss ich bei dieser Gelegenheit die These aufstellen, dass einen Dachschaden hat, wer Ihnen traut.
    Ich glaube, Broder kann man trauen, und das ist ein astreiner Ostjude. Ihr gekünsteltes Beleidigtsein wegen Lyoners „compositum mixtum“ dürfte sich auf Ihren Komplex beziehen, kein astreiner Ost- oder wenigstens Westjude zu sein und ist daher vernachlässigenswert.

  27. avatar

    @ Posener
    Es ist Broders Angelegenheit, wie er mit sich umgeht. Sein Freund Leon, noch einen Zacken schärfer, sieht das eher so wie ich. Jeder muss das für sich selbst entscheiden. Und Sie, längst kein so freiheitlicher Mensch, wie Sie sich einreden, was auch jeder hier bemerkt, respektieren am besten persönliche Entscheidungen. Wenn Sie Offenbarungen wollen, können Sie ja die Bekenntnisse von beschickerten Jugendlichen auf fb lesen, die dürften den Bedarf decken.

  28. avatar

    @ Alan Posener
    Ja, das meine ich sehr wohl, denn ich bin nicht so mutig wie Henryk Broder, außerdem bin ich kein Jude, was zwar einerseits eine Gefährdung darstellt, wie man in Toulouse, Paris und an anderen Orten (Frankfurt, Berlin) sieht, was aber andererseits auch einen gewissen Schutz bei der autochthonen Bevölkerung und der Presse bietet. Um Christen schert sich kein Schwein, wie Sie im Nahen Osten, in Nigeria und z.B. in Malaysia und Pakistan sehen können, ach ja, auch im Sudan.

  29. avatar

    Lieber Stephan, „amiabel“ ist eines der vielen Fremdwörter, mit denen Sloterdijk seine Texte gern aufmotzt; gemeint ist schlicht und einfach „freundlich“.

  30. avatar

    Lieber Thomas Maess, mir geht es ähnlich. Nur sollte man eben seine Reflexe reflektieren. Noch unseren Großvätern erschien der Gesichtsschleier, dem sie natürlich nicht zuhause, sondern als Herrenmenschen „im Orient“ begegneten, als Ausdruck raffinierter morgenländischer Erotik. Diese lockenden Augen! Dieses Geheimnis, das so viele Abenteuer verspricht! Sie können das bei Karl May und tausend anderen Autoren zwischen 1860 und 1960 nachlesen. Das Problem ist nicht das Kleidungsstück, sondern unsere Reaktion darauf.
    Lieber KD, bitte erst lesen, dann kommentieren. Ich sage ja, dass es in einer Diktatur – Ihr Beispiel: die DDR – ein Recht auf Verschleierung gibt.
    Zu Ihrer Information übrigens: Mein Freund Frank A. Meyer ist kein Rechtspopulist. Er ist, wenn überhaupt einzuordnen, eher Sozialdemokrat.
    Lieber Parisien, glauben Sie ernsthaft, einer wie Henryk M. Broder (zum Beispiel) genießt eine „Leibgarde oder die Unberührbarkeit von Prominenz“? Mitnichten. Er spielt seit Jahrzehnten mit vollem Einsatz, ohner Netz und doppelten Boden, gehasst von Nazis und Islamisten und Othmar Kaufmann. Und Sie meinen ernsthaft, sich nicht leisten zu können, was er sich leistet? Lächerlich.

  31. avatar

    Es braucht keine Diktatur um für sich das Recht auf Anonymität einzufordern. Im Gegenteil: die Forderung nach stets „offenem Visier“ ist selbst eine Form der Diktatur. Das Stimmverhalten bei den DDR-Volkskammerwahl war schließlich auch faktisch öffentlich. Und heute werden die Claqueure aus „Politisch inkorrekt“ und „Starke Meinungen“ von „interessierter Seite“ aus beobachtet und datentechnisch erfasst. Da geht für die nächsten 50 Jahre kein Facebook-Profil, kein „Like“ und keine verwendete „App“ verloren und wer sich dann später bei einem Vorstellungsgespräch, einem Kreditantrag oder einem abgelehnten Einreisevisum fragt, weshalb er ständig „durchs Raster fällt“, könnte dann schon mal hinter vorgehaltener Hand die Antwort bekommen das er damals – am 08.Juli 2014 – einen positiven Kommentar beim rechtspopulistischen Autorenblog „Achse des Guten“ – ääh Pardon: beim linkspopulistischen Blog „Starke Meinungen“ – abgegeben hat…

  32. avatar

    ..wobei der verlinkte Text von Tugendhat offenbar von der Online-redkation arg durcheinandergerüttelt wurde – urprünglich zusammengehörige Passagen finden sich an verschiedenen Stellen wieder. Da ist was total schief gegangen.

  33. avatar

    Ich habe mir jetzt ergänzend den Sloterdijk ein bisschen genehmigt und versuche gerade, den rauschhaften Schwindel in den Griff zu kriegen, der mich bei solchen Texten befällt. Es ist ja nicht so, dass man die Bedeutung nicht erahnen würde. Aber lesen kann man sie nicht. Man schaut ihnen eher zu. Einerseits sind sie zweifellos sehr fantasie- und kunstvoll, andererseits aber eben auch äußerst blumig. Bei Nietzsche, der in jüngeren Jahren vergleichsweise präzise schrieb, nahm das im Alter einen Anfang, und bei Heidegger wurde das dann weitergeführt: „Haus des Seins“, „Sein und Zeit“, „Lichtung“, „Hüter des Seins“ – das schwankt alles zwischen Sinn und Unsinn, Originalität und Kitsch hin und her. Wenn man es herunterkocht, bleibt gar nicht so viel übrig.
    Bei Sloterdijk ist es genauso. Es liegt wahrschienlich an einem Unbehagen an den üblichen Methoden der Philosophie: ein Wort nur als Wort nehmen. Es in die Hand nehmen, umdrehen und abwägen. Stattdessen nimmt man alles auf einmal in die Hand, verbindet, was nicht zusammengehört (z.B. Telekommunikation und Humanismus), und hofft, dass der humantistisch gebildete Leser, der unterdessen zum Zuschauer einer Performance mutiert ist, derart schwindelig gespielt wurde, dass er aufhört darüber nachzudenken, was gesagt wird.

    Die Verweigerung des nationalen literarischen Pensums ist bei mir tatsächlich der Fall: Solche lange, blumige und komplizierte „Briefe“ mit unklaren Referenzen wie die von Hern Sloterdijk sind mir zu anstrengend. Sollte solche Dekadenz für den humanistischen Menschen und seine Briefe fatal sein, dann hat seine Post eben Pech gehabt. Ich glaube aber, es gibt andere Möglichkeiten für einen zeitgenössischen Humanismus.

  34. avatar

    @ Alan Posener
    „Aber mir scheint, man kann weder über die Burka noch über den Humanismus ernsthaft reden, wenn man nicht mit offenem Visier auftritt.“

    Man kann da nicht mit offenem Visier auftreten, hat man nicht eine Leibgarde oder den Vorteil der Unberührbarkeit von Prominenz. Der Punkt scheint Ihnen nicht klar zu sein, oder Sie benehmen sich wie ein klassischer Schachspieler, der immer zuerst die Bauern opfert (und Kaufmann kann froh sein, dass er einen Allerweltsnamen trägt, so oft, wie Sie ihn nennen – Unding). Die genannte Politideologie, die wie alle Ideologien auf Macht aus ist und zuerst, nicht zuletzt, ihre eigenen Leute einschüchtert, bedrängt und bei Konversionen verfolgt (siehe Hirsi Ali, siehe Seyran Ates) oder gar tötet, hört nicht auf humanistische Argumente. Die Burka wird freiwillig meist von Konvertitinnen (in die andere Richtung) getragen, sehen Sie die „Weiße Witwe“ (vierfache Mutter, also nicht so einfach mit Drohne abknallbar), die bei mir in ihrer Entwicklung so etwas wie Ratlosigkeit hinterlässt, wie überhaupt die Radikalisierung der Mutter, siehe auch einige Berichte aus Gaza.
    So komme ich zurück zum Anfang, den Medien und auch zu den über zwanzig Punkten von Lyoner im vorigen post von Ihnen. Zweifellos ist zu überlegen, ob es denn so sinnvoll war, die Regionen Afrika und Nahost (außer Israel) freizügigst zu bedenken mit einem völlig freien Zugang zu Fernsehen und Internet. Hier fällt eine Flut von Wissen, aber auch Politideologie auf ein braches unvorbereitetes Feld, denn mit der humanistischen! Bildung war und ist es dort nicht weit her, vor allem unter Frauen. Das Internet wie der Fernseher hätten dort Gutes leisten können mit Zensur und einem umfassenden Bildungsauftrag. Verschenkt, die Chance. Statt dessen nahmen sich die Leute dort Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff aus dem Netz und nutzten es zur Radikalisierung „zorniger junger Männer“ und zur Organisation von Attentaten. Kein Nineleven ohne diesen freien Zugang in den entlegensten Gegenden zum Netz, womit sich die Frage des unfreiwilligen Brandstiftens stellt. Das Netz kam also gute 100 Jahre zu früh, oder es fehlten die politischen Mechanismen bzw. der Wille, es zuerst auf humanistische Bildung zu begrenzen. Und da alles nur auf Profit ausgerichtet ist, auch Fernseher und Netz, hat sich der Kapitalismus hier eine Falle gestellt, die durch Abhängigkeit von Öl noch vergrößert wird. Ob er aus der Falle je wieder herauskommt, ist, gelinde gesagt, zu bezweifeln, zumal sich die meisten Politiker nicht trauen, den Themenbereich geradlinig und konfrontativ anzugehen. So ergibt sich eine zwingende uralte Logik, die mit Moderne nicht viel zu tun hat. Kommt man nicht weiter, hilft Krieg, auch dem Kapitalismus. Und so sind wir letztlich bei den Drohnen gelandet. Krieg ist die Fortsetzung der (grotesk gescheiterten) Politik mit anderen Mitteln.
    Etwa dort ist Bill Joy einzuordnen, wenn er auf den Zusammenhang zwischen für das Militär geschaffenen Errungenschaften und ihrer gleichzeitigen Gefährdung hinweist und frühzeitig erkennt (weiter unten bei ihm), dass eine umfassende Überwachung nicht mehr zu vermeiden sein würde, was massiven Protest hervorrufen würde. Das nenne ich realitätsnah visionär.
    Und ob man Samantha Lethwaite (die weiße Witwe) unter ihrer Burka jemals findet, ist noch eine zweite Frage.
    Übrigens fand ich lediglich in der Times einen Bericht über eine Gruppe von ca. 100 syrischen Schuljungen, die bei einem Examen von you know who entführt wurden um hirngewaschen und radikalisiert zu werden. Sie wurden aus einer gemischten Examensgruppe entführt mit der Bemerkung (angeblich), man lerne nicht zusammen mit Mädchen.

  35. avatar

    Die Unbestimmtheit gilt auch für Medien und ihre Wirkungen und ihre Verbreitungswege, von den transportierten Ideen ganz zu schweigen. Meinen Wertekanon nenne ich serbisch geprägt. Weil Familie eine große Rolle spielt. Jetzt muss ich zugeben, dass ich schon als Kind die amerikanischen Filme mochte, besonders Walt Disney. In denen geht es ständig um Familie und Zusammenhalt. Ist mein Wertekanon serbisch oder von Walt Disney? Überzeugen Ideen, oder sucht man sich die Idee, die passt. Die Frage, wer erzieht die Erzieher scheitert schon daran, dass wir die Erzieher schwer lokalisieren können. Wobei die Annahme eines Erziehers, eines Züchters oder eines Hirten, schon von einem Konstrukt ausgeht, dass bereits tief in bestimmten Prämissen steckt. Immerhin war ein Drittel von Platons Umgebung Sklaven, die wurden tatsächlich gezüchtet und erzogen.
    Könnte es nicht sein, dass es eigentlich egal ist ob mehr oder weniger Menschen einen Platon lesen, weil er außerhalb der Gelehrtenstuben nie die zugeschriebene Wirkungsgewalt hatte und könnte es nicht sein, dass Sloterdijk deswegen irritiert ist, in Panik nun das Ende dieser Brieffreundschaften ausruft, weil er nicht weiß, wo diese Briefe heute geschrieben werden? Erinnert manchmal an das Schwadronieren der Alt-Punks: alles Weicheier heute. Kann sein, sicher ist, dass wir alt sind und schlicht nicht wissen, wo der heutige Punk abgeht. Was mich beruhigt ist, dass der alte misanthropische Sack in Theben, als Platon seine Bücher schrieb, es auch nicht wusste.

    Das ganze Erscheint mir eher eine Krise des humanistischen Philosophen. Das muss aber keine Krise des Humanismus sein.

  36. avatar

    Aussagen zur Entwicklungsgeschichte des Menschen, kulturel und biologisch, bestehen zu einem großen Teil aus Esoterik. Viele Argumentationen bauen auf einer Abfolge auf, die nirgends belegt ist. So zeigen Ausgrabungen, dass große Monumente schon zu Zeiten der Jäger und Sammler gebaut wurde, dies vielleicht den Ackerbau erst ermöglichte. Im 19Jhrd führte die Entdeckung von Zusammenhängen zu einer Explosion von Weltdeutungstheorien (Lambroso,Marx,Freud) einer Gelehrtenkaste, die oft genug ins Abseits führte (heute Vergleichbar Heinsohn in seiner Fixierung auf Demographie). Die Theorie der menschlichen Zähmung ist eine putzige Theorie, wie der edle Wilde. Damit ist auch die Idee der Züchtung eine reine Wortschöpfung, um etwas unbegreifliches zu beschreiben. Wir wissen schlicht nicht, wie der Mensch vor seinem Hauseinzug war. Ötzi hatte Zivilisationskrankheiten, die heute bei vielen als Zuchtfehler des modernen Menschen gelten. Wenn die Zusammenhänge zu komplex werden, taucht irgendwann ein Begriff wie das Sein auf. Will man den Autor nicht beleidigen, nennt man es kryptisch.

  37. avatar

    Während mir im Netz ein Anonymus ziemlich gleichgültig bleibt und ich keinen gesteigerten Wert auf ein Kennenlernen lege, beschleicht mich irgendwie und ziemlich diffus ein Gefühl von abstoßender Fremdheit, begegne ich einer mit der Burka verschleierten Frau. Plötzlich gerät meine Toleranz unter Stress, gerät mein weltumarmender Impuls von Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit in Konflikt mit meiner seit Jahrhunderten anerzogenen und selbstverständlich permanent unterdrückten Fremdenfeindlichkeit und ich stehe etwas ratlos vor mir selbst und kann mir nicht erklären, warum ich dieses Kleidungsstück so unangenehm finde.

  38. avatar

    Kurz nochmal zum (oder eher gegen das) Burkaverbot in Deutschland: staatliche Gesetze sind keine göttlichen Gesetze, und man sollte sie nicht fundamentalistisch begründen. Es sollte ein konkreter Handlungsbedarf bestehen, der in Frankreich möglicherweise besteht, hier aber nicht. Außerdem beziehen sich die ausfoumulierten Gesetze, wie sie bei der Burka zum Einsatz kämen, auf eine Sittlichkeit, die auch ohne diese Gesetze im Land besteht (oder eben nicht). D.h. die Frauen, die hierzulande in einer Burka herumlaufen, setzen sich auch ohne staatliche Gesetze einem gesellschaftlichen Druck aus. Auch die triumphierenden Männer, die vorneweg marschieren, sind unter ähnlichem Druck. Gelegentlich wecken sie den eindruck, als wäre ihnen dieser Druck nur recht, aber auf Dauer wird der Druck eine Wirkung zeigen. Den Druck könnte man mithilfe von Gesetzen erheblich verstärken, aber er besteht sowieso. Bei der Forderung nach einem Burkagesetz wäre also die Frage, ob und warum der Druck weiter erhöht werden muss. Ein gesellschaftliches Problem haben wir mit Brukaträgerinnen nicht, dazu gibt es zu wenige. Als einzig verbleibender Grund käme deshalb infrage, burkageschädigte Frauen zu befreien. Das heißt, man vermutet ein Verbechen, das begangen wurde. (Jemanden in eine Burka zu zwingen wäre z.B. Freiheitsberaubung.)
    Aber an der Zugkraft dieser Begründung gibt es erhebliche Zweifel. Denn mit ähnlicher Begründung könnte man alle möglichen anderen Verhaltensauffälligkeiten per Gesetz abschleifen.

    Insgesamt denke ich, dass es keine klare apriorische Sache ist, ob man mit Burka herumlaufen darf, sondern eine Abwägung sein muss. Es ist z.B. auch nicht klar, ob man mit Minirock in die Kathedrale, ohne Kopfbedeckung auf den jüdischen Friedhof, nackt im Supermarkt oder ähnliches tun darf.

  39. avatar

    Ich stimme wieder allem Grundsätzlichem zu (das wird in letzter Zeit chronisch, ich glaube ich muss in den Urlaub fahren). Bei der realen und virtuellen Burka sehe ich es aber andersherum: Das echte Burkaverbot finde ich nachvollziehbar (in Deutschland halte ich es für überflüssig), während ein virtuelles „Burkaverbot“ für mich inakzeptabel wäre, aus zwei Gründen: erstens wäre es vollkommen ineffektiv – wer weiß denn, ob ich wirklich Roland Ziegler heiße und mich nicht nur so nenne? Zweitens sind die virtuellen Dinge im Internet viel unklarer, spielerischer als in der Wirklichkeit. Deshalb strotzen die Foren auch so vor ungehobelten Trollen mit absurden Kommentaren, die sich in der Wirklichkeit viel gesitteter und zurückhaltender aufführen und äußern würden.

    Die Sitten sind also viel lockerer im Internet, und deshalb sollte es auch kein „virtuelles“ Burkaverbot geben. Draußen, in der Realität, ist es ernst, da kann eine Gesellschaft fordern, dass man einander mit offenem Visier in die Augen blickt. Da wird Betrug viel grundsätzlicher verboten, und die Schäden sind echt. Und es gibt, anders als im Internet, unterschiedliche Gesellschaften. Wem das Burkaverbot also nicht passt, der kann sich eine andere Gesellschaft in einem anderen Land aussuchen, in der er seine Vorstellung von Religiösität und Hyperprivatheit ausleben kann. Der „Humanismus“ darf nicht dazu führen zu fordern, dass die Verhältnisse aller Länder gleich sein sollten.

  40. avatar

    Das ist ein unzutreffendes Argument.Der EuGM hat eben den Kontrollaspekt verworfen!

    Im Fokus der Begründung steht die Normsetzung einer Gesellschaft und deren Berechtigung. Es gibt eine Schwankungsbreite an akzeptablen Verhaltensweisen.

    Das Tragen des Vollschleiers (wie zB. auch einer SS-Uniform) gehört eben nicht dazu, wenn das Parlament eines Landes so entscheidet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top