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Verunstaltung als Körperkunst

Matrosen, Knackis und Nutten, die waren früher tätowiert. Sorry, das war eine milieutypische Ausdrucksweise. Klaustrophile Peergroups nutzten früher die überbordende Tätigkeitslosigkeit ihres Daseins zur gegenseitigen Unterhautkörperbemalung. Bis heute sorgen Knasttattoos für viel Freude  bei Kriminalern, die die Knastträne am Auge oder die drei Punkte an der Daumenwurzel zu würdigen wissen; Vorstrafen auch dann bekannt, wenn der Computer versagt. Oder bildungsbeflissene Freier, die sich beim bezahlten Verkehr Bilder ansehen möchten, erfreut diese oder jene orthografische Entgleisung: „Laff me Du!“ steht zu Professor Unrats Vergnügen auf Lolitas Arschgeweih.

Das sind urkomische, aber wohl unhistorische Apercus. Die Kunst der Entstellung ist eine Fertigkeit der Wilden, um mögliche Feinde in Schrecken zu versetzen. So kam es im Urwald zu großen Ohren, riesigen Lippen oder blutroten Körpern, die die Aborigines nutzten, um Kängurus und Schakale zu erschrecken. Dabei wurde das eigene Entsetzen über die Verunstaltung, die man sich selbst zugefügt hatte, projiziert auf die Feindesseele, der man diesen Furcht und Schrecken    a forteriori gönnte. Man entstellte sich, um zu überleben.

Nun kennen wir von den Anthropologen auch jene Stämme, die sich gewaltige Holzhülsen über das eher zarte Glied stülpen. Wir ahnen, warum das Regiment der Königin riesige Bärenfellmützen trägt. Oder wir wissen, warum der Singvogel singt und der Pfau ein Rad schlägt. Man buhlt um Weibchen. Hier mag eher die Motivlage des Sparkassenangestellten liegen, der nicht den Knecht der Volksbank schrecken will, sondern sich im Zustand der Volltrunkenheit ein Emblem in die bleiche Haut stanzen lässt, um ein cooler Typ zu sein. Er will es in der Disco unter einem knappen T-Shirt zeigen und sich so den anwesenden Kassiererinnen als begattungsfähig anbieten.

Was also hat die ehemalige First Lady Bettina W. bewogen, sich ein Ornament auf den Oberarm zaubern zu lassen? Sie wollte nicht Konkurrentinnen schrecken, nehmen wir mal an, sondern vielleicht Begattungsbereitschaft signalisieren. Ob ihren unteren Rücken auch ein Arschgeweih ziert, wissen wir noch nicht, aber die Massenlektüre des Wulff-Buches, einer Autobiografie, steht ja unmittelbar bevor. Ich sage nach den Auslassungen von Christian Wulff auf seiner Buchvorstellung  eine Orgie, einen Exzess an Belanglosigkeit voraus. Krischan hatte nix macht und die BILD war echt böse für ihn. Wer hätte das gedacht?

Man sieht die Tätowierungen, die einst nur ein Viertel der Männer und ein Siebtel der Frauen verunstalteten, heute immer mehr. Man wagt sich kaum noch in die Sauna; manche leihen sich Henna-Aufkleber von den Kids, um wenigstens für einen Abend cool zu sein. Dabei wird inzwischen auch die sogenannte T-Shirt-Grenze überschritten. Man entstellt sich im Gesicht, auf den Händen. Aber die tintenfarbenen kleinen Embleme, die Bildchen und die Sprüchlein, sie alle sind nicht das wirkliche Problem. Ich werde gezwungen, sogenannte Piercings zu sehen, die mein Entsetzen und meinen Ekel, dann mein Mitleid erregen.

Ach, Kinder, der Körper ist der Tempel der Seele. Der Herr hat Euch nach seinem Bilde geschaffen. Euer Gesicht ist ein Antlitz, in das keine Nägel oder Schlüsselringe gehören. Man muss hoffen, dass Eure Seelen heiler sind als eure Fressen. Sagt hier ein Spießer, der natürlich auch sein Geheimnis hat. Ich trage sogenannte „Pütt-Tattoos“, das sind für Bergleute typische Kohlenstoffeinschlüsse am Knie, die sich auch die zugezogen haben, die auf Schlackeplätzen Fußball spielen mussten, in früher Jugend. Wer so gezeichnet ist, hat für den Hoeneß-Klub nur Verachtung. Schalke-Fans eben. Knappen. Glückauf.

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3 Gedanken zu “Verunstaltung als Körperkunst;”

  1. avatar

    Ich kenne einen polnischstämmigen Knastbruder, der sich auf den Arm „Vide cul fide!“ hat stechen lassen. Diese polnische Version von „fide sed cui vide“ findet sich auch zigtausendfach im Internet, z.B. bei Youtube. Nun weiß der Lateiner – aber nicht der polnische Knastologe – dass es zwar das Wort „culus“, jedoch „cul“ im Lateinischen überhaupt nicht gibt, irgendein Dummkopf hat mal aus dem i ein l gemacht. Und so ziert nun der falsche Spruch sicherlich dutzend- wenn nicht hundertfach polnische Knacki-Unterarme. Und die Armen wissen nicht, dass sie, liest man „cul“ französisch, auf ihrem Arm zu stehen haben: „Siehe, vertraue einem Arsch!“ Selten was Komischeres zum Thema Tattoo gehört! 🙂

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    @KK

    „Klaustrophile Peergroups nutzten früher die überbordende Tätigkeitslosigkeit ihres Daseins zur gegenseitigen Unterhautkörperbemalung.“

    Damit haben Sie doch eigentlich schon alles gesagt. Warum da noch ein Seitenhieb auf die arme Bettina Wulf erfolgen musste, erschließt sich mir nicht. „Arm“ meine ich deswegen, weil ja wohl ein Bedarf besteht, wenn sich jemand so weitgehend vermarktet.

    Was das Symptom der Körperbeschriftung und Etikettierung (Steiff, Knopf im Ohr) betrifft, so verweise ich auf die offensichtlich stark empfundene oder tatsächliche Bedeutungslosigkeit so vieler im real existierenden Kapitalismus. Das zu ergründen, wäre tatsächlich mal interessant.

  3. avatar

    „Ach, Kinder, der Körper ist der Tempel der Seele.“

    Nein…
    Der Körper ist das Trampolin der Seele. Es kommt nur darauf an, wie hoch sie springen wollen. Und manche Höhen machen richtig Angst. Aber diesen Instinkt für das Körperliche kann man nicht mal Sparkassenangestellten nehmen und das freut mich.

    „Ich werde gezwungen, sogenannte Piercings zu sehen, die mein Entsetzen und meinen Ekel, dann mein Mitleid erregen.“

    Krawatten – Halstuch balkanischer Schaafliebhaber…

    …und erwachsene Männer ab einem gewissen Reifegrad tragen sie, um eine kulturelle Flughöhe anzudeuten: Ich bin zwar Begattungswillig wie ein balkanischer Bauarbeiter, leider aber nicht so bereit, weswegen du dir bei mir die Zeit bis zum Ernstfall mit niveauvollen Gesprächen und edlen Getränken vertreiben kannst.

    Erweckt auch mein Mitleid, bin aber auch nicht die Zielgruppe.

    Dann schaue ich mir lieber die schnuckeligen Mädels an. Die sehen auch mit Altmetall gut aus. Vielleicht spricht sie der Look nicht an, weil sie in dem Fall auch nicht die Zielgruppe sind.

    Naja, so findet sich alles.

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