Das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat sich unter der Leitung Frank Schirrmachers zu einem monothematisch bestimmten Propaganda-Organ gegen einen angeblich drohenden „Technologischen Totalitarismus“ entwickelt. Was darunter zu verstehen ist, hat neulich Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlament und Kandidat für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission, in einem Gastbeitrag dargelegt:
Hier sind die entscheidenden Sätze aus dem – insgesamt recht drögen und nicht sehr konkreten – Manifest:
„Wenn wir Menschen durch diese Vernetzung nur noch die Summe unserer Daten sind, in unseren Gewohnheiten und Vorlieben komplett abgebildet und ausgerechnet, dann ist der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen.“
„Wenn die Messung unseres Augenzwinkerns oder die Beschleunigung unsere Pulses beim Ansehen bestimmter Produkte in Echtzeit in die Datenbank von multinationalen Konzernen fließen, ist der neue Mensch nur noch die Summe seiner Reflexe, und er wird biologistisch komplett determiniert.“
„Noch haben wir es nur mit einer alles durchdringenden Technologie, aber noch nicht mit einem totalitären politischen Willen zu tun. Doch die Verbindung von „big data“, also der gewaltigen Sammelleidenschaft für Daten durch Private und den Staat, und „big government“, also der hysterischen Überhöhung von Sicherheit, könnte in die antiliberale, anti-soziale und antidemokratische Gesellschaft münden. Wenn der Bürger nur zum Wirtschaftsobjekt degradiert wird und der Staat ihn unter Generalverdacht stellt, kommt es zu einer gefährlichen Verbindung von neoliberaler und autoritärer Ideologie.“
„ Wie am Ende des 19. Jahrhunderts wird eine Bewegung gebraucht, die die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt und die nicht zulässt, dass der Mensch zum bloßen Objekt degeneriert. Diese Bewegung muss ein liberales, ein demokratisches und ein soziales Staatsverständnis haben. Sie muss im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen, die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren. Sie muss überdies durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt.“
„Ein freies Netz, ein an Grundrechten orientierter regulierter Datenmarkt und die Erinnerung daran, dass die Autonomie des Individuums unser Mensch-Sein begründet, kann eine bessere, eine neue Welt schaffen. In dieser Welt könnten die Chancen einer neuen Technologie zum Wohle aller genutzt und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche verhindert werden. Es geht um nichts weniger als um die Verteidigung unserer Grundwerte im 21. Jahrhundert. Es geht darum, die Verdinglichung des Menschen nicht zuzulassen.“
Das klingt ja zunächst alles sehr richtig, was soll man dagegen haben? Allenfalls könnte man, wie FDP-Chef Christian Lindner, ebenfalls in der „FAZ“, Martin Schulz wegen der „Distanz zwischen seinen Entscheidungen als Parlamentarier und seiner wachen Problemsensibilität“ kritisieren – zu Deutsch also, dass Europa praktisch zu wenig tut.
Doch halt.
Erstens wird mir immer ein wenig mulmig, wenn ein Politiker schreibt, er wolle „eine bessere, eine neue Welt schaffen“. Insbesondere, wenn dieses Versprechen begleitet wird von einer Kritik unserer heutigen Wirklichkeit, die maßlos is.
Denn was bedeutet die Aussage, dass „der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen“ wird? Nun, gar nichts. (Was war denn „der alte Archetyp des Menschen“? Eben.) Oder was bedeutet es, wenn Schulz meint, „der neue Mensch (sei) nur noch die Summe seiner Reflexe, und er wird biologistisch komplett determiniert.“ Auch nichts. (Wie kann man „biologistisch determiniert“ werden? Der Biologismus ist doch eine Ideologie. Wie sollte ein Mensch reduziert werden können auf „die Summe seiner Reflexe“? Eben.)
Zweitens finde ich die von Schulz gezogene Parallele zwischen der industriellen Revolution und der digitalen Revolution problematisch. Schulz schreibt: „Dass (die industrielle Revolution) letztlich auf unserem Kontinent zu einem gesellschaftlichen Fortschritt führte, der Wohlstand und Freiheit für viele brachte, war das Ergebnis eines langen politischen Kampfes. Dieser Fortschritt kam nicht automatisch, war nicht das Ergebnis einer unsichtbaren Hand. So wie die sozialen Bewegungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die entstehende Industriegesellschaft und den neuen radikalen Kapitalismus zähmen und humanisieren mussten, stellt sich heute wieder eine vergleichbare Aufgabe.“
Nun ja. Dass es zu Wohlstand und Freiheit in Europa gekommen ist, das ist eben nicht zuallererst Ergebnis des Kampfs „der sozialen Bewegungen“, sondern eben doch zuallererst Ergebnis des Siegeszugs des Kapitalismus und der Demokratie. Wo etwa der Sozialismus siegte, wie etwa in Russland, sah es weniger gut aus; vom nationalen Sozialismus wollen wir erst gar nicht reden. Und auch wenn ich große Sympathien für die Gewerkschaften und der Sozialdemokratie hege und ihre Leistungen nicht in Frage stellen will, so hat es doch gut hundert Jahre gedauert – konkret: bis zum Godesberger Programm – bis die SPD die elementare Wahrheit anerkannt hat, dass der Kapitalismus und die Marktwirtschaft erst jene Werte und jenen Wohlstand schaffen, um deren halbwegs gerechte Verteilung sich die „sozialen Bewegungen“ kümmern.
Ich habe zwar selbst in einem anderen Zusammenhang geschrieben, dass man keine Lehren aus der Geschichte ziehen kann; aus falsch verstandener Geschichte jedoch muss man notwendig falsche Lehren ziehen. Erkennt man nicht die Bedeutung des Markts und des Unternehmertums für den Wohlstand gestern und heute, wird man deren Bedeutung vermutlich für den Wohlstand morgen unterschätzen.
Schulz meint, „die Verbindung von ‚big data’, also der gewaltigen Sammelleidenschaft für Daten durch Private und den Staat, und ‚big government’, also der hysterischen Überhöhung von Sicherheit“ könne in eine „antiliberale, anti-soziale und antidemokratische Gesellschaft münden. Wenn der Bürger nur zum Wirtschaftsobjekt degradiert wird und der Staat ihn unter Generalverdacht stellt, kommt es zu einer gefährlichen Verbindung von neoliberaler und autoritärer Ideologie.“
Das klingt gut, ist aber auf bezeichnende Art falsch.
Die „neoliberale Ideologie“ will den Bürger nicht „zum Wirtschaftsobjekt zu degradieren“. Im Gegenteil. Der Liberalismus („Neoliberalismus“ ist bloß ein überflüssiger Neologismus) will den Bürger zum Wirtschaftssubjekt machen. Zu einem Menschen, der sich mit der Arbeit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfs sich und seine eigene Familie ernähren kann; will ihm ermöglichen, Eigentum zu bilden, die Grundlage für Unabhängigkeit; fördert das unternehmerische Denken und das Auftreten neuer Akteure; bekämpft Monopole aller Art, staatliche wie private; fördert Vielfalt und neues Denken. Wer den Liberalismus als Gefahr hinstellt, kann unmöglich die Freiheit verteidigen.
Und was „Big Government“ angeht, so ist mit diesem Begriff – den Schulz dem Arsenal des „Neoliberalismus“ entwendet hat – eben nicht der Sicherheitsstaat gemeint. Sondern vielmehr der Fürsorgestaat, der den Bürger „von der Wiege bis zur Bahre“, wie es der Architekt des Sozialstaats, Sir William Beveridge ausdrückte, umhegen und umsorgen, regulieren und kontrollieren will, selbstverständlich im Interesse der Regulierten und Kontrollierten, im Interesse des Kampfs gegen ihre „Verdinglichung“ und die „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“, der die Verstaatlichung aller Lebensbereiche entgegengesetzt wird. Mit diesem Rezept wurde Großbritannien in nur dreißig Jahren – von 1945 bis 1975 – in den Ruin getrieben. Die Verstaatlichung von Kohle und Stahl, Auto- und Flugzeugindustrie, Energie, Eisenbahnen und Wohnungsbau führte dazu, dass Industrie und Infrastruktur verkamen, so dass am Ende das Land zur De-Industrialisierung gezwungen wurde.
Liberale meinen, dass sich der Staat auf seine Kernkompetenzen beschränken soll: auf die Dinge, die er besser machen kann als andere Akteure, oder für die man die Autorität und Legitimität der Staatsgewalt braucht. Dazu gehört vor allem die Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit. Ob und wie die Regierung dabei die Kommunikation ihrer eigenen oder fremder Bürger heimlich oder offen überwachen darf, darüber kann man streiten. Aber die Vorratsdatenspeicherung etwa als Ausdruck von „Hysterie“ darzustellen, halte ich für unverantwortlich.
Ich bin der Letzte, der das wahllose Sammeln von Daten gutheißen würde, auch unter Effektivitätsgesichtspunkten; aber man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Geschichte der westlichen Geheimdienste und speziell jener der USA in diesem Jahrhundert (und in dem davor) nicht die der totalen Überwachung und Kontrolle, sondern in erster Linie die einer gefährlichen Ahnungslosigkeit ist: Von 9/11 bis zum Anschlag auf den Bostoner Marathonlauf; von den Fehlinformationen über Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen bis zur völligen Überraschung durch Wladimir Putins Überfall auf die Krim. Aber natürlich haben auch andere Dienste versagt; man denke an die Anschläge Serhane Ben Abdelmajids und seiner Mittäter auf Madrider Vorortszüge 2004, Mohammed Sidique Khans und seiner Komplizen auf Londoner U-Bahnzüge und einen Bus 2005, Dschihad Hamads und seiner Leute auf den Kölner Hauptbahnhof 2006, der nur zufällig fehlschlug, Anders Breiviks in Oslo und auf Utoya 2011. Wenn zwei Menschen mit Pässen, die als gestohlen gemeldet wurden, an Bord eines Flugzeugs gelangen können, sind wir sehr weit vom „gläsernen Bürger“ entfernt. Vom Totalversagen von Verfassungsschutz und BKA in Sachen NSU-Mordserie ganz zu schweigen. Herr Schulz sollte vielleicht mit den Angehörigen der Opfer dieser deutschen Islamhasser reden und sie fragen, ob sie das Gefühl haben, in einem Staat zu leben, in dem es eine „hysterische Überhöhung der Sicherheit“ gibt.
Wenn Schulz „im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen“ will, „die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren“, so ist dagegen nichts zu sagen. Hier hat Lindner natürlich Recht, wenn er fragt, warum das nicht längst geschehen ist. So mancher „Steuersünder“, dessen Selbstanzeige an die Medien durchgestochen, oder zu dessen Verhaftung die Staatsanwälte gleich die Medien mitbrachte, könnte außerdem fragen, wieso man ausgerechnet diesem Staat den Schutz des Grundrechts auf Privatheit anvertrauen sollte. Von Sebastian Edathy ganz zu schweigen.
Wenn Schulz schließlich „durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen“ will, „dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt“, so muss man erstens fragen: Was ist aus dem staatlich mit Unsummen geförderten „französischen Internet“ Minitel geworden? Aus der italienischen Computerfirma Olivetti? Aus der finnischen Handy-Firma Nokia? Aus den Computer- und Handyträumen von Siemens?
Und zweitens: Warum sitzen die meisten digitalen Großmächte in den USA? Microsoft, Google, Facebook, Amazon, Apple und Co. sind ja nicht durch „eine kluge Wirtschaftspolitik“ der US-Regierung entstanden. (Und SAP nicht durch eine „kluge Wirtschaftspolitik“ der Bundesregierung.) Solche Firmen entstehen und gedeihen in einem Umfeld, das Innovation und Unternehmertum fördert und bewundert, Scheitern nicht als Schande stigmatisiert, ausreichend Venture Capital generiert, lieber weniger als mehr reguliert – und nicht zurückblickt ins 19. Jahrhundert, wenn es um Handlungsanweisungen für die Gegenwart geht, wie es Martin Schulz tut.
Mit einem Wort: Die USA sind eine digitale Großmacht, weil sie eine kapitalistische Großmacht sind. Und sie sind eine kapitalistische Großmacht, weil die Amerikaner auf den Markt setzen und auf technische Neuerungen nicht mit Horrorvisionen ihrer Pervertierung reagieren. (Das überlassen sie Hollywood, wo auch daraus dann Geld gemacht wird.) Weil sie nicht vor allem Gefahren und Regulierungsbedarf sondern Chancen und Freiheitsoptionen sehen.
Kurzum, weil sie ganz anders ticken als der Sozialdemokrat Martin Schulz und das kulturpessimistisch grundierte Feuilleton der FAZ.
http://www.faz.net/aktuell/pol.....79081.html
„Und trotzdem kann der Ausschuss etwas Sinnvolles tun. Zwei Jahre soll in jeder Sitzungswoche des Parlaments einen geschlagenen Tag lang darüber gesprochen werden, wie Nachrichtendienste – in erster Linie wird man über die deutschen zu reden haben – auf die fast grenzenlosen technischen Möglichkeiten des Internets reagieren können.“
Natürlich könnte man in zynisches Gelächter ausbrechen. Sollte man aber nicht. Es ist natürlich nicht sicher, was das bringt, dass weiß man nie. Zumindest ist es nicht mehr eine interne Sache der Geheimdienste und der Exekutive. Parlamentarische Mühlen mahlen langsam. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.
hab ich auch gelesen, der Schaden für die Branche soll in den nächsten 2 bis 3 Jahren zwischen 35 und 180 Millarden liegen: http://www.golem.de/news/treff.....05312.html
Und damit kann man seine Emails mit OpenPGP Ende-zu-Ende verschlüsseln: kaiten https://play.google.com/store/apps/details?id=com.kaitenmail.adsupported&hl=de, k9 https://play.google.com/store/apps/details?id=com.fsck.k9&hl=de, mailvelope http://www.mailvelope.com/ oder enigmail https://www.enigmail.net/home/index.php
jeweils nach dem Programm und Tutorial suchen um rauszufinden, wie die Einrichtung funktioniert.
http://www.faz.net/aktuell/pol.....58646.html
wobei sie meiner meinung nach etwas zu sehr auf bitcoins konzentriert ist, was aber in einem bitcoinmagazin klar ist 😀
http://bitcoinmagazine.com/113.....nnovation/
ich hab noch mehr, aber dieser artikel gilt auch für martin schulz. 🙂
Lieber KJN
darum ging es mir:
„Die Auswirkungen neuer Technologien müssen natürlich abgeschätzt werden“
Nicht mehr und nicht weniger.
Und wenn wir z.N. die Auswirkung von Hormonen nicht abschätzen, sprich zum Beispiel die Wirkung von Ösim Wasser,
dann gibt es eben solche Entwicklungen.
Ob nun mit pressure groups oder ohne ist in diesem Fall belanglos.
Aber da Sie sicherlich ein Alter erreicht haben, wo die negativen Auswirkungen von der zunehmenden Verbreitung Nanopartikeln keine Rolle auf den Gesundheitszustand mehr spielen werden, sind die vorhandenen Abschätzungen für Sie nicht mehr relevant 🙂
Sie haben sicherlich recht, wenn Sie am Beispiel der Abzugshauben feststellen dass die sogenannten “ gefährlichen Stoffe “ für sich isoliert genommen keine Rolle in Bezug auf die Gesundheitsgefährdung des Menschen spielen.
Nur leider berücksichtigen Sie nicht, dass wir mittlerweile von soviel “ Fremdstoffen “ umgeben sind, das der “ Cocktail “ die Gefährdung ausmacht.
Sehr schön ist es am Beispiel des Fogging-Effektes zu erkennen:
http://www.zuhause.de/fogging-.....0630/index
http://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzstaub
Aber bei Keynes heißt es schon:
Auf lange Sicht sind wir alle tot