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Die Revolution der Parteien durch Gabriel: Entmachtung der Lähmschicht

Nichts überzeugt mehr von den Vorteilen einer Diktatur als eine halbstündige Diskussion in einer Fussgängerzone. Das hat Winston Churchill gesagt. Ich ergänze: Wer dann trotzdem noch an eine Demokratie glaubt, sollte bei irgendeiner Partei auf eine Ortsvereinssitzung gehen. Den ultimativen Schock kriegt, wer sich sehenden Auges in der Kantine einer Partei ansieht, wer da so arbeitet.

Wie alle Vorurteile, stimmt das Vorurteil gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die man „fee burner“ oder Sesselfurzer nennt, und es stimmt nicht. Ungerecht ist es allemal, für Einzelfälle, vielleicht sogar für die Mehrheit. Aber keine Bürokratie hat Sex Appeal; die Beamtenschaft möge mir verzeihen. Wer sich das Funktionärswesen in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden ansieht, weiss, dass Franz Kafka mit seinen Alpträumen von der Bürokratie noch untertrieben hat.

In der Industrie unterscheidet man zwischen der „workforce“, die im Blaumann in der Fabrikhalle baut und schraubt, und der Leitung, die mit weißem Kragen in der Büroetage entscheidet, wo die Reise hingeht. Wir gehen mal davon aus, dass die Arbeiter anständig bezahlt sind und die Bedingungen menschengerecht. Und der Vorstand sein unverschämt hohes Gehalt durch übergroße Weitsicht auch tatsächlich verdient.

Nach diesen kühnen Annahmen scheint das wirkliche Problem auf. Zwischen diesen beiden Ebenen der Führung und der Ausführung liegt das sogenannte Mittelmanagement. Im übelsten Fall ist die Organisation eine Zwiebel: oben dünn, unten dünn, in der Mitte ein fetter Bauch. Unten arbeiten die „fee earner“ und vielleicht auch oben, aber in der Mitte das sitzt die Lehmschicht. Der Lehm verhindert, dass irgendetwas von oben nach unten dringt. Und wohl auch, dass etwas von unten nach oben.

Ein berühmter spanischer Kollege, den ich mal im Vorstand eines Industrieunternehmens erleben durfte, nannte die Lehmschicht immer Lähmschicht. Ob das an seiner schlechten Intonation lag oder an höherer Einsicht, ist egal. Er hatte recht. Dieser Teil des Managements beeinträchtigt die Führungsfähigkeit der Institution; man spricht von großen Tankern, die nicht mehr steuerbar sind.

Alles kostet Zeit, viel Zeit, und wenn unten etwas ankommt, so reibt man sich die Augen. Aus dem Kommando „links rum“ wird nicht selten „rechts rum“, meist wird aus allen neuen Kommandos: „Weiter machen wie bisher.“ Der Apparat sichert so seine Führungsresistenz. Die Bosse kommen und gehen, die Lähmschicht bleibt.

Die Mitgliederbefragung beendet die Funktionärsdiktatur der Lähmschicht in Parteien.  Deshalb heult die Kaste der Funktionäre auf: Machtverlust. Das ist die Revolution, die Sigmar Gabriel für die SPD durchgesetzt hat: Die wirklichen Mitglieder bekommen wieder das Sagen, jedenfalls bei den prinzipiellen Fragen. Alle anderen Parteien werden sich künftig genau so verhalten müssen.

Deshalb springt Horst Seehofer Gabriel bei. Und der Ingrimm in der CDU gegenüber dem Regime Merkel ist groß. Warum, fragen die Mitglieder der Union, wird über unsere Köpfe entschieden? Innerparteiliche Demokratie wird künftig sehr oft Mitgliederbefragungen nutzen. Das Internet eröffnet da völlig neue Möglichkeiten. Und das ist keine Piraterie…

Zu den dümmlichen Unterstellungen von Frau Slomka in dem sogenannten Interview mit Gabriel ist alles gesagt. Es geht natürlich nicht um imperative Mandate für Abgeordnete. Der Bundestag ist gewählt. Eine Partei entscheidet anschließend, weil es keine klare Mehrheit gibt, ob sie ihrer Führung empfiehlt eine bestimmte Koalition einzugehen. Man kann nun beckmessern, dass die Parteien nicht die Fraktionen sind; die Frage hat eine ordnungspolitische Dynamik. Da können die Verfassungsrechtler mal was Kluges sagen.

Es geht bei der Mitgliederbefragung innerhalb der eigenen Organisation darum, die Lähmschicht in den Organisationen zu entmachten. Es geht um das Ende der Funktionärsdiktatur. Es geht um Mitwirkung, um Teilhabe. Das wird Politikverdrossenheit mindern. Wir reden also über den demokratischen Kern unseres Landes. Die Verdienste von Sigmar Gabriel genau darum sind schon jetzt historisch.

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8 Gedanken zu “Die Revolution der Parteien durch Gabriel: Entmachtung der Lähmschicht;”

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    … ja, ja, die Genossen Soziaaaaaldemowas? … nix neues … wenn ’s um Macht geht, wird halt die Lähmschicht durchbrochen. Das war ’s dann aber auch. Gääääähn!

    Dafür sind die Sozis in Deutschland bekannt: … dummgefährlich!

    »Wie von der Mutter Deutschland ans Herz gedrückt«
    Wilhelm Hoegner über den SPD-Umfall vom 17. Mai ’33

    Zur Rede Hitlers am 17. Mai 1933 schrieb Hoegner in seinem Buch ‚Flucht vor Hitler‘: ‚Eine sanftere Friedensrede hätte auch Stresemann nicht halten können …

    Da brach ein Beifallssturm der anderen Abgeordneten los. Selbst unser unversöhnlichster Gegner, Adolf Hitler, schien einen Augenblick bewegt. Der Reichstagspräsident Göring aber stand auf und sprach großartig die Worte:

    ‚Das deutsche Volk ist immer einig, wenn es sein Schicksal gilt.‘ Er befahl mit lauter Stimme, die Tatsache der einstimmigen Annahme der Erklärung des deutschen Reichstags in die Niederschrift der Sitzung aufzunehmen.

    Dann fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten in unseren Reihen sangen mit. Manchen liefen die Tränen über die Wangen. Es war, als hätte uns Sozialdemokraten, die man immer als die verlorenen Söhne des Vaterlandes beschimpfte, einen unsterblichen Augenblick lang die gemeinsame Mutter Deutschland ans Herz gedrückt.

    Als wir dann ins Freie kamen, strahlte der Himmel heller, die Bäume im Tiergarten schimmerten grüner, und das Herz ging uns auf …‘

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    Ach Gott noch so eine Himbeer PR Agentur:

    Burghartz sagt:
    2. Dezember 2013 um 09:39

    Ja, KK, die Lähmschicht ist durchbrochen.

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    Wenn ich das richtig verstanden habe, war Frau Merkel bekannt, daß die SPD die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen durch ihre Mitglieder absegnen lässt. Daraus Herrn Gabriel im Nachhinein einen (verfassungsrechtlichen) Strick drehen zu wollen, halte ich für einen Beitrag zur Politikverdrossenheit. Derartige Funktionärstaktik verhindert Demokratie. Daher stimme ich Herrn Kocks zu.

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    Die Ausführungen der Frau Slomka und diverser „Verfassungsexperten“, die sich zum gleichen Thema geäußert haben waren in der Tat dümmlich.

    Wer kann überhaupt auf die Idee kommen, die Befragung von über 400.000 Mitgliedern wäre undemokratisch, aber der Beschluß eines von gerade diesen Mitglieden gewählten Vorstandes wäre demokratisch ?

    Und wer meint, niemand dürfte den Bundestagsfraktionen reinreden sollte erst mal fragen, was überhaupt Ministerpräsidenten wie Seehofer, Kraft, Scholz etc. in Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene zu suchen haben.

    Wären diese Verhandlungen dann nicht alleinige Sache der Bundestagsfraktionen gewesen ?

    Vielleicht fällt irgendwann sogar den Medien mal auf, daß die übermäßig starke Stellung der Ministerpräsidenten – auch wenn es so im GG steht – demokratieteoretisch durchaus zweifelhaft ist.

    Oder bin ich der einzige, der sich darüber wundert, daß via Bundesrat die Exekutive, d.h. die Ministerpräsidenten, als Legislative in eigener Sache tätig sein können ?

    Zumindest die Vordenker der Gewaltenteilung hatten sich das irgendwie anders vorgestellt.

  5. avatar

    Ja, KK, die Lähmschicht ist durchbrochen. Nichts ist, wie es vorher war. Die CDU hat schwere und ungewohnt diskussionsreiche Tage vor sich. Und Slomka? Wer einen schon länger leicht irrlichternden in die Medien drängenden Staatrechtler sucht, wird einen finden. Diesen dann aber permanent anzuführen, um Gabriel in eine staatsrechtliche bedenkliche Ecke zu rücken, ist mehr als dümmlich. M.K. Burghartz

  6. avatar

    Nachtrag:
    sorry
    Die Rechtschreibfehler lagen nicht am Genuß vom Whisky von Aldi.

    Wir haben leider im office nur Rokko No Mizu Mineralwasser.

    🙂

  7. avatar

    Lieber Herr Kocks,

    wenn Sie Ihren Spezl den Herrn Sigmar Habriel so über den grünen Klee lpbem, dann fragen Sie ihn doch einmal was er unter “ verstärkter Höflichkeit “ gegenüber von frau Slomska versteht.

    Wieder so eine Worthülse die Sie und Ihre PR Gilde tagtäglich im bull-shit Generator kreiieren?

    http://homepageberatung.at/con...../index.php

    Und dann auch das Engagement von Gabriel für die
    “ kleinen Leute “ !!!

    Siggi Pop stammt doch aus der von Ihnen berschriebenen Lehmschicht.

    Vielleicht sollte er einmal eine Pop Version, aus einem Song von meinem Uropa verehrten Chansonsängern Claire Waldoff machen:

    http://www.youtube.com/watch?v=ErsprjkKjBc

    Und was Ihren Begriff Revolution betrifft:

    Wir diskutieren gerade unter Kollegen wann wohl wieder die Guillotine für unsere Nomenklatura eingeführt wird. 50 Jahre, 100 Jahre 🙂 🙂

    Und da Sie sich so git in der Sprd auskennen, dann müßten Sie doch wissen, mit Ihrer täglichen Kontakte zu den kleinen Leuten, dass 80 % aller SPD Mitglieder Parteileichen sind.

    Soviel zu den wirklichen Mitgliedern.

    Träumen Sie weiter beim Whisky Dalmore Trinitas 64 yo von Ihrer Demokratie und Ihrem Web.

    Ich hoffe dass Sie nicht bald einen politischen hungover bekommen.

    Was Ihre workforce betrifft, wieviel sind tatsächlich noch blue collars in unserer Industrie.

    Bei der rasanten Entwicklung von industry 4.0 werden bald noch weniger vorhanden sein und was Ihre Lehmschicht die white collar betrifft, das setzt mittlerweile auch eine Rationalisierungswelle ein.

    Und wenn Sie sich einmal die Kalkulation eines heutigen Industrieprodukts anschauen werden Sie feststellen, dass die Lohnkosten,einschließlich der Kosten für Ihre Lehmschicht, kontinuierlich sinkt. Bei VW Ihrem alten Arbeitgeber dürfte Sie sich mittlerweile bei 15% bewegen. Tendenz weiter fallend.

    Als PR Mann darf bei Ihnen neben der Wortholse Revolution (wird auch bei der Einführung von neuen Pampers verwendet) auch dieser Satz nicht fehlen:

    „Die Verdienste von Sigmar Gabriel genau darum sind schon jetzt historisch.“

    Geht es nicht eine Nummer kleiner!!

    Die Steigerungsform von groß ist :

    groß, größer, historisch!!!

  8. avatar

    Hallo, Herr kocks,man darf arg bezweifeln, das Gabriel und seine Genossen, bei ihrem Entschluss zur Mitgliederbefragung die laehmschicht im Auge hatte oder gar die der Funktionaerskaste, der sie selber angehören…. und bei allem Respekt; wer die Ausführungen der Frau Slomka dümmlich nennt, läuft in Gefahr, sich selbst zu entblöden. Beste Gruesse M. Laumann

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