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Grosse Politik stellt die Wahrheitsfrage nicht, nie!

Fassungslos stehe ich vor dem Schmierentheater, das der Bundesinnenminister in albernen Posen und Possen abliefert, um uns glauben zu machen, er habe dem US-amerikanischen Staatsapparat mal so richtig den Kopf gewaschen. Da versichert dieser unbeholfen wirkende Christlich-Soziale mit der Frisur, es ginge auch in der ganz großen Politik alles mit rechten Dingen zu. Ich will nicht darüber reden, ob er recht hat. Die Enthüllungen um die Spionageprogramme erregen mich nämlich nicht, weil ich nie etwas anderes angenommen habe und weil sie mein Verhalten nicht verändern werden. Ich will darüber reden, wo politische Naivität endet.

Politik kann nicht nur ein sehr schmutziges Geschäft sein, sondern auch ein tödliches. Es jährt sich gerade jetzt zum zehnten Mal der Tod von David Kelly. Man fand ihn in der Nähe seines Hauses am Feldrand mit geöffnetem Puls; sein Gartenmesser lag neben ihm, aber nur wenig Blut am vermeintlichen Tatort. Die Umstände seines Selbstmordes, so er von eigener Hand gefallen ist, bleiben bis heute unklar. Aber man kann klar sagen, was ihn umgebracht hat. Er war eine ehrliche Haut, die in die große Politik geriet. Er wusste die Wahrheit, als die Macht nur noch die Lüge wollte. Es ging ihm um die Sache, als es anderen nur noch um die Macht ging.

Wir sind kurz vor (oder nach?) der amerikanischen Invasion in den Irak, der sich die Engländer anschließen wollen. Die amerikanischen Geheimdienst (ja, der jetzt gerühmte allmächtige) hatte festgestellt, dass der irakische Diktator Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügt und plane, sie einzusetzen. Diese Bedrohung sollte als „casus belli“ einen präventiven Krieg rechtfertigen. Klarer Fall von Staatsnotwehr. Wenn ich mich recht erinnere, waren Gerd Schröder und Joschka Fischer „nicht überzeugt“, was ihren Platz in der Weltgeschichte sichert. Tony Blair, der britische Premierminister, war überzeugt, sagte er.

Mein Kollege Alastair Campbell, ein gelernter Journalist und dann Spin Doctor von großer Leidenschaft, hatte das Motto ausgegeben, dass das vorhandene Geheimdienstmaterial noch mal „aufge-sext“ werden müsse, bevor man es in die Medien gebe. In diesem Kontext trifft sich der Wissenschaftler Kelly, ein Experte für Massenvernichtungswaffen, im Charing Cross Hotel mit einem BBC-Reporter. Es handelt sich um Andrew Gilligan, den gut beleumundeten Militärexperten des bestens Senders der Welt. In der Absteige hinter’m Bahnhof führt Dr. Kelly ein Gespräch „unter drei“. Das ist ein professionelles Versprechen von Journalisten, die ihre Informanten zur Leichtfertigkeit verleiten soll. Man werde die Quelle nicht zitieren, lautet das Versprechen.

Ich kriege die zeitliche Folge nicht mehr zusammen, ob das nun vor oder nach Kriegsbeginn war. Jedenfalls ging es um die Frage, ob der Geheimdienst vorsätzlich gelogen oder die Wahrheit gesagt hatte und folglich der Irakkrieg ein Verbrechen sei oder nicht. Kelly wusste, dass die Kriegsgründe gelogen waren. Es gab im Irak keine „weapons of mass destruction“. Darüber hat er die BBC unter Drei informiert, als Staatsbürger. Solche Helden nennen wir Whistleblower; sie stellen die Wahrheitspflicht über ihren Arbeitsvertrag und werden von den Medien, denen sie was stecken, geschützt. Deshalb sind sie die Helden der Zivilgesellschaft. In der Theorie.

Dr. Kelly hat seinen Glauben an die journalistische Diskretion mit dem Leben bezahlt; er wurde als Quelle offenbart. Er ist den Weg aller Whistleblower gegangen. Wenn es um wirkliche Machtfragen geht, geht es um wirkliche Machtfragen. Und nicht um die Wahrheit. Ein Kriegsgrund ist die Begründung eines Krieges, für diejenigen, die ihre Söhne opfern sollen, so dass sie ihre Söhne opfern. Nur politische Idioten können das mit der Wahrheitsfrage verwechseln. Ein „casus belli“ ist immer gelogen. Jedenfalls nimmt man das an, wenn man bei Verstand ist.

Zunächst zu den Neuigkeiten. Als Dr. Kelly, der von der BBC als Quelle verratene Experte, der wußte, dass die Regierung lügt, ermordet aufgefunden wurde, was machten dann Tony Blair, der aufrechte Sozialdemokrat, und Alastair Campbell, das Genie des Spin? Sie setzten mit Lord Hutton (Oberhaus) an der Spitze eine Untersuchungskommission ein, die die Umstände des Todes klären sollte. Die Hutton-Kommission gilt in der PR als eine der klügsten Maßnahmen an der Krisenfront, inzwischen ein Schulbuchbeispiel.

Seit gestern (ich bin in London und war im richtigen Club) weiß ich, wieviel Zeit verstrichen ist zwischen dem Auffinden der Leiche und dem Auftrag an Lord Hutten. Drei Stunden. Eine Untersuchungskommission einzusetzen, ginge bei uns vielleicht in drei Monaten. Dre Stunden: Das ist ad hoc. So schnell ist nur, wer mit Täterwissen ausgestattet ist, oder jener, der von einer sehr grundsätzlichen Skepsis getrieben wird. Wenn dies keine Täterhandschrift ist (was ich nicht glaube), so ist es die Signatur der Zynik der Macht.

Es hat im Fall Kelly keine amtliche Leichenschau gegeben. Niemand ist der Frage nachgegangen, wie man mit einem Gartenmesser und einigen Tropfen Blut zu Tode kommen kann. Nach wie vor bestehen Zweifel, ob der Fundort der Leiche der Tatort war. Alles nicht wichtig. Es ging um mehr. Es ging um die Frage, ob Labour das Land in einen illegalen Krieg getrieben hatte. Des halb sagt der Spin Doctor: Wenn wir nicht an die Fakten glauben können, dann müssen halt die Fakten dran glauben.

David Kelly wurde in den Tod getrieben. Er ist das Opfer seiner politischen Naivität. Tony Blair ist gefragt worden, ob er im Fall Kelly Blut an den Händen habe. Man hätte auch den Journalisten Andrew Gilligan und den Regierungssprecher Alastair Campbell fragen können. Ich kann und will die Frage nicht entscheiden. Aber die Trauer über dieses böse Drama um einen Whistleblower, die hehre BBC und die viel gelobte PR-Arbeit von New Labour schlägt bei mir in Wut um, wenn ich den amtierenden Bundesinnenminister über seinen Spritztour in die USA dampfplaudern höre.

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11 Gedanken zu “Grosse Politik stellt die Wahrheitsfrage nicht, nie!;”

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    @ Roland Ziegler

    Ich wusste von dem Fall. Es lohnt sich, nebenher den Guardian zu lesen, allerdings plus comments. Ich wusste davon aus den comments und habe das dann nachgelesen.
    Es bekommt im Nachhinein einen Sinn, wenn Schröder Putin „lupenreiner Demokrat“ genannt hat. Der Sinn entsteht dadurch, dass einem langsam dämmert, dass es keine „lupenreine“ Demokratie gibt. Langsam zeichnet sich für Schröder ein eindrucksvoller Platz in zukünftigen Geschichtsbüchern ab. Sein „nein“ zum Irak-Krieg war richtig.
    Gut sehen an diesem Beispiel kann man, dass Sozialdemokraten sprich Labour so oder so handeln können, und dass Unterschiede zwischen großen Parteien zumindest in der Außenpolitik kaum bestehen. Chirac bekanntlich konservativ. So ist Politik doch von dem Mut einzelner rarer Gestalten abhängig.

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    Obama am 19.06.13 vor dem Brandenburger Tor in Berlin:

    ‘Werden wir frei sein oder in Ketten leben? Unter Regierungen, die unsere allgemeinen Rechte achten oder unter Regimes, die sie unterdrücken? In offenen Gesellschaften, die die Unverletzlichkeit des Individuums und unseren freien Willen achten, oder in geschlossenen Gesellschaften, die die Seele ersticken?’

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    P.S.: Das schöne Celler Loch habe ich ganz vergessen:

    Hier ein schöner Filmbeitrag, in dem der heutige „Knacki“ und damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Staatssekretär a. D. Dr. jur. Ludwig Holger Pfahls erklärt, wieso das Bomben eines Loches in die Mauer eines Gefängnisses Sinn machen kann:

    http://www.youtube.com/watch?v=s8YNGuHYrR8

    Davon träumt er wohl heute noch, dass man für ihn auch so viel Aufwand betreibt:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig-Holger_Pfahls

    Jetzt könnte man noch die ganzen Affären aufzählen, die unsere „Republik“ in den Dreck gezogen haben, Starfighter, Flick, Leuna etc. pp. aber das dürfte den Lesern hier ja alles bekannt sein.

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    @ Stevanovic

    Tiefer Staat?

    Das ist kein Thema für unsere etablierten Medien.

    Überall wurde in den letzten Tagen so getan, als sei J. C. Juncker über eine lokale Geheimdienstpetitesse gestolpert. Dass es sich möglicherweise um eine Aktion der NATO-Stay-Behind-Organisation GLADIO gehandelt hat, wurde nur selten und dann nur nebenbei erwähnt.

    So etwas wird entweder nur bei ARTE thematisiert:

    http://www.youtube.com/watch?v=RKn27C9XVh8

    bei der Jungen Welt:

    http://www.jungewelt.de/2013/04-27/001.php

    oder als Unterhaltung klassifiziert:

    http://www.youtube.com/watch?v=Ly4mx6aW6Vw
    http://www.youtube.com/watch?v=UyTW-IU7nsQ

    Die Verstrickungen der Geheimdienste in die linken und rechten Radikalen- und Terroristenszenen sind seit langem bekannt. Es begann mit dem Bund-Deutscher-Jugend in den 50igern:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Deutscher_Jugend

    ging über Peter Urbach im Umfeld der RAF:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach

    die Schmücker-Affäre:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Schmücker

    das Oktoberfest-Attentat in den 1980:

    http://de.wikipedia.org/wiki/G.....rfest_1980

    über die perfekten Morde der „RAF“ in den 80er und 90ern:

    http://de.wikipedia.org/wiki/R.....Generation

    das wegen der vielen Schlapphüte innerhalb der NPD gescheiterte Verbotsverfahren Anfang der 2000er-Jahre:

    http://de.wikipedia.org/wiki/N.....01–2003)

    und endet wahrscheinlich nicht mit den Unsäglichkeiten rund um den sog. „NSU-Komplex“:

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=13849

    http://www.kontextwochenzeitun.....n-389.html

    Wer die Aussagegenehmigungspraxis der Bundesdeutschen Behörden bei den NSU-Untersuchungsausschüssen, dem NSU-Prozess und im Rahmen des letzten Prozesses gegen Verena Becker interessiert beobachtet hat, und die Weigerung des BND kennt, nach 60 Jahren endlich die Akten über Adolf Eichmann freizugeben,

    http://www.spiegel.de/panorama.....08266.html

    wundert sich über gar nichts mehr.

    Tiefer Staat?

    Ich würde eher sagen, braune Brühe. Leider nicht kalt und abgestanden sondern noch ziemlich heiß, so dass so mancher Politiker fürchten muss, sich den Mund zu verbrennen.

  5. avatar

    Obama am 19.06.13 vor dem Brandenburger Tor in Berlin:

    ‚Werden wir frei sein oder in Ketten leben? Unter Regierungen, die unsere allgemeinen Rechte achten oder unter Regimes, die sie unterdrücken? In offenen Gesellschaften, die die Unverletzlichkeit des Individuums und unseren freien Willen achten, oder in geschlossenen Gesellschaften, die die Seele ersticken?‘

    Was für ein Clown.

  6. avatar

    Der Fall war auch in den deutschen Medien. Ich galube es damals im Spiegel gelesen zu haben.

    Ab wann darf man von einem „Tiefen Staat“ sprechen, ohne abwechselnd als Antiamerikaner, naiv oder Terroristenfreund zu gelten?

    Wäre nicht jetzt ein guter Zeitpunkt?

  7. avatar

    Die Anzeige in der NYT erschien am 26. Februar 2003 in der heissen Phase vor der ersten Bombardierung des Iraks.

    Am 28. Januar 2003 hatte Bush gekannt gegeben, auch ohne UN-Resolution in den Irak einzumarschieren.

    Am 5. Februar 2003 hielt Collin Powell seine Lügenrede vor dem UN-Sicherheitsrat.

    Am 15. Februar gab es in ganz Europa Friedensdemonstrationen gegen den Irak-Krieg, an denen mehrere Millionen EU-Bürger teilnahmen.

    Da mussten sich die wahren ameri…, äh, ich wollte sagen, wahren deutschen Staatsbürger natürlich auf die „Achse des Guten“ schlagen.

    Und es hat sich gelohnt, die Bombardierung von Baghdad, die „scharfen“ Bilder von Lynndie England aus Abu Ghraib haben für ZEIT (Dr. Josef Joffe), WELT und BILD (Dr. Mathias Döpfner) ja gute Auflagen gebracht.

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    Es lohnt sich nicht ein Wort über diesen Innenminister zu verlieren. Er ist eine USA-Marionette aus der Antlantik-Brücken-Connection. Und manchmal, wie bei diesem Interview mit Ingo Zamperoni, hat man den Eindruck, sein Puppenspieler hat zu tief ins Glas geschaut:

    http://www.tagesschau.de/multi.....ca76e.html

    Da freue ich mich doch, dass ich Rundfunkgebühren zahlen darf.

    Hier eine Anzeige von der Antlantik-Brücke, die sie im Jahre 2003 in der NYT geschaltet hat. Mitunterzeichner: Dr. Hans-Peter Friedrich MdB:

    http://www.atlantik-bruecke.or.....merica.pdf

    Bananenrepublik Deutschland!

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    Wenn ich Sie recht verstehe, empfiehlt es sich in D-Land, als Lebensversicherung quasi, sich ohne Meckern abhören zu lassen, also der Macht freien Lauf zu lassen und ja nicht zu „petzen“, und als optimale Zusatzversicherung, dem Quälgeist sein Vorgehen als vernünftig und begründetes Handeln zu attestieren? Wie sollte das Friedrich in der Öffentlichkeit künftig formulieren, wenn er einen Ar… in der Hose hat? Man müsse für sein Verhalten Verständnis haben, die innere Sicherheit bei uns ließe einfach nicht mehr zu?

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