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Artikel 6 GG darf nicht beschnitten werden

In der Auseinandersetzung um die Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit sich selbst aufgefordert, eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu erlassen. Dabei existiert sie schon. Und zwar in Gestalt des Artikels Sechs im Grundgesetz.

Der Jurist Reinhard Merkel hat in der „Süddeutschen“ vom Samstag erklärt: „Dem schärferen Blick wird auf Dauer nicht verborgen bleiben, was die angekündigte Regelung … ist: ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht. Das bezeichnet einen Sündenfall des Rechtsstaats.“ Starke Worte. Und blanker Unsinn. Sicher braucht man nicht einmal einen „schärferen“ Blick, um zu erkennen, dass es sich hier um ein Sonderrecht für Muslime und Juden handelt (nicht um ein „muslimisches“ oder „jüdisches“ Recht). Man muss aber völlig blind sein, um darin einen „Sündenfall“ des Rechtsstaates erkennen zu wollen. Gibt es doch allenthalben Sonderrechte für die diversen christlichen Konfessionen – zum Beispiel das Recht, in den von ihnen betriebenen karitativen Einrichtungen das sonst in der Republik geltende Arbeitsrecht nicht anzuwenden, das Recht, sich den Zehnten vom Staat eintreiben zu lassen; das Recht, in eigener Verantwortung Unterricht in den öffentlichen Schulen zu erteilen; das Recht, in Rundfunkräten über das Programm der staatlich betriebenen Medien mitzubestimmen und so weiter und so fort. Mag sein, dass die entsprechenden Gesetze allgemein formuliert sind; faktisch aber gelten sie nur für Religionsgemeinschaften, die sich wie die größeren christlichen Kirchen als Körperschaften konstituieren. Auch das geplante Gesetz über die Beschneidung wird allgemein formuliert sein und dennoch fast ausschließlich von Juden und Muslimen in Anspruch genommen werden.

Der Hinweis auf die rechtlich verbrieften Privilegien der Kirchen entkräftet auch den Einwand Necla Keleks und anderer „Menschrechtsfundamentalisten“, die im GG verbrieften Freiheitsrechte seien immer „Individualrechte“; es gebe keine Kollektivrechte, die gegen diese Individualrechte ausgespielt werden könnten; notfalls müsse der Staat durch „zügige und forcierte Integration“ diese Individualrechte gegen die religiösen Gemeinschaften und die religiös geprägten Familien durchsetzen. Womit Necla Kelek (die ich persönlich mag und als Autorin schätze) eben die Frage des Artikels 6 GG berührt.

Hier ist der Wortlaut des Artikels:

 

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Entscheidend für unsere Diskussion ist Absatz 2. Die Pflege und Erziehung der Kinder, heißt es, ist „das natürliche Recht der Eltern“. Das schließt die religiöse, weltanschauliche und moralische Erziehung ein. Katholiken erziehen ihre Kinder zu Katholiken, Protestanten zu Protestanten, Muslime zu Muslimen, Juden zu Juden, Zeugen Jehovas zu Zeugen Jehovas, Scientologen zu Scientologen, Atheisten zu Atheisten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ob die Kinder auch als Erwachsene Christen, Muslime usw. bleiben, ist eine andere Frage; außer Frage dürfte aber sein, dass diese frühkindliche Indoktrination tiefe Spuren hinterlässt. Diese Indoktrination, das habe ich in meinem allerersten Kommentar zum Thema Beschneidung in der „Welt“ festgestellt, konstituiert als „Beschneidung der Herzen“ (wie sie Jesus forderte) einen viel grundlegenderen Eingriff in die Persönlichkeit – und also in das Persönlichkeitsrecht – der Kinder als die äußerlich bleibende, wenn auch sicher nicht folgenlose Operation am Penis. Trotzdem wird die religiöse Erziehung  nicht nur geduldet, sondern vom Grundgesetz implizit „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“  gestellt, was erstens sonst für kein Grundrecht gilt und zweitens, Herr Merkel und liebe Necla Kelek, faktisch auf ein Sonderrecht für zwei Kollektive hinausläuft: Für die Familie erstens; und zweitens für die Religionsgemeinschaften, die ja die Sitten, Bräuche, Riten, Feiern und Dogmen bestimmen und tradieren, die über die Eltern den Kindern zur zweiten Natur werden sollen.

Auch die Religionsfreiheit (Artikel Vier GG) ist übrigens kein reines „Individualrecht“ im Sinne Necla Keleks, weil die freie Religionswahl und  die in Absatz 2 garantierte  „freie Religionsausübung“ voraussetzen, dass es Kirchen, Moscheen, Synagogen, Priester, Imame und Rabbiner (und ja, auch Schächter und Mohels) gibt. Das heißt, die Religionsfreiheit ist auch eine Kollektivfreiheit der Religionsgemeinschaften, so dass etwa die katholische Kirche das Recht behält, homosexuelle Praktiken, Sex vor der Ehe, Verhütung,  Ehescheidung usw. als Sünde zu bezeichnen, auch wenn diese Dinge vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt werden; die Zeugen Jehovas dürfen ihren Kindern beibringen, dass die Evolution eine Irrlehre ist, auch wenn sie Teil des Lehrplans an staatlichen Schulen ist; Juden und Muslime dürfen Tiere auf eine Weise schlachten, die den sonst gültigen Vorschriften fürs Fleischgewerbe nicht entspricht usw. usf.

Zurück aber zum Artikel sechs. Warum gibt es ihn? Noch in der Weimarer Republik wurde der entsprechende Verfassungsartikel (119) damit begründet, die Familie sei „die Keimzelle des Staates“ und diene „der Erhaltung und Vermehrung der Nation“. Diese Begründung fehlt in der Verfassung der Bundesrepublik. Zu Recht. Denn die Erfahrung mit der Diktatur zeigte, dass die Familie auch – ja vor allem – wichtig ist als Keimzelle des Widerstands gegen den Staat. Darum ist jede totalitäre Ordnung bemüht, die Familienbande aufzulösen, Kinder als Spitzel gegen ihre Eltern zu gewinnen, Eheleute und Liebespaare dazu zu bringen, sich gegenseitig zu denunzieren und zu desavouieren. Man denke an die beklemmende Szene „Der Spitzel“ in Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, an Costa Gavras’ film „Das Geständnis“, basierend auf dem Buch von Artur London, an Winston Smith und Julia in Orwells „1984“ usw. usf. Zu den widerlichsten Episoden der Kampagne gegen Martin Luther King gehört das Abhören seines Hotelzimmers durch das FBI und das Zuschicken der Bänder, auf denen er mit einer anderen Frau zu hören ist, an seine Ehefrau Coretta. Man denke aber auch daran, wie die Familie etwa für die Geschwister Scholl einen Raum des Schutzes und des Vertrauens bildete; oder an die Familie Gauck in Rostock.

Natürlich ist der demokratische Staat nicht mit einem totalitären Staat gleichzusetzen, obwohl er sich zuweilen, wie der Fall King zeigt, ähnlicher Methoden bedient. Er ist aber gerade deshalb nicht mit einem totalitären Staat zu vergleichen, weil er seinen Einflussbereich beschränkt, weil er anerkennt, dass die Familie vor dem Staat steht, wie die Grundrechte, und dass der Staat die Familie schützen muss. Selbst wenn es um so etwas Fundamentales wie Mord oder so etwas Banales wie ein Verkehrsdelikt geht, können Eheleute vom demokratischen Staat nicht gezwungen werden, gegeneinander auszusagen: der Schutz der Familie ist wichtiger als die Ermittlung der Wahrheit oder die Herstellung des Rechtsfriedens.

Mir persönlich behagt vieles nicht, was in religiösen  – und nichtreligiösen – Familien den Kindern vermittelt wird; aber noch unbehaglicher ist die Vorstellung, dass sich der Staat im Zuge der „forcierten Integration“ in die frühkindliche Erziehung einmischt und das richtige Denken durchsetzt.

Eltern machen im Zuge dieser Erziehung und der sonstigen Erziehung unzählige Dinge falsch. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, reicht es, einmal die Erziehungsratgeber-Ecke Ihrer Buchhandlung aufzusuchen. Wenn sie aber nicht das Kindeswohl grob verletzen, soll sich der Staat nicht einmischen. Es steht nun außer Frage, dass die Zirkumzision zwar eine Körperverletzung ist, wie jeder körperliche Eingriff. Die Frage ist jedoch, ob sie – als Teil der religiösen Erziehung im weitesten Sinn, der Einführung in die religiöse Gemeinde und ihre Regeln, die den Eltern obliegt – dem Kindeswohl derart schadet, dass ein Eingriff des Staates notwendig ist. Dafür gibt es nur sehr wenige Hinweise. Es berichten prozentual weniger jüdische und muslimische Männer über die Traumatisierung durch die Zirkumzision, als katholische Männer über die Traumatisierung aufgrund von Onanieverboten und dergleichen durch katholische Priester, oder katholische Frauen über die Traumatisierung aufgrund der körperfeindlichen Erziehung durch katholische Nonnen (ich rede ausdrücklich nicht vom Kindesmissbrauch). Wahrscheinlich haben mehr Kinder Schäden durch grausige Märchen, brutale Videospiele, übertriebenes Fernsehen, die Pornosammlung ihrer Väter und das Gezeter ihrer Mütter davon getragen als durch die Zirkumzision. Da die Angemessenheit ein wichtiger Grundsatz des Rechtsstaates ist, muss man fragen, ob ein staatliches Eingriffsrecht in die Elternrechte aller muslimischen und jüdischen Familien, um Eltern davon abzuhalten, ihre männlichen Kinder beschneiden zu lassen – das wäre in der Tat eine „Sonderbehandlung“ und ein „Sündenfall des Rechtsstaats“ – gerechtfertigt werden kann, um der möglichen Traumatisierung einiger weniger Kinder zuvorzukommen.

Die Antwort ist: Nein.

Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Der Weg in einen Staat, der „forciert“ alle Bürger seinen Vorstellungen – den Vorstellungen der Mehrheit – anpasst, beginnt mit dem Verbot eines religiösen Brauchs, der in der Tat irrational, archaisch, blutig und darum schwer zu verteidigen ist, und mit der damit verbundenen Aushöhlung des Erziehungs- und Sorgerechts der Eltern. Diesen Schritt sollte der Rechtsstaat auch zu seinem eigenen Schutz nicht tun. Der Artikel sechs sollte nicht beschnitten werden.

 

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141 Gedanken zu “Artikel 6 GG darf nicht beschnitten werden;”

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    @Poland Ziegler
    „3.) Das Gesetz unangetastet zu lassen, aber nicht zu ahnden (Kocks und Co.)“
    Das wäre nur möglich durch eine Änderung des Strafgesetzes oder wollen Sie Richtern per Dekret ihre Unabhängigkeit beschneiden?
    Ich halte diesen Vorschlag für wenig ausgeklügelt, vielleicht konkreter beschreiben, was Ihnen vorschwebt?
    @EJ
    Danke für Ihren Vorschlag, aber ich könnte meinen Beitrag nur nach Überarbeitung posten, da ich ziemlich viele spitze Klammern verwendete und entsprechend (auch nicht explizit genannte) Leerstellen entstanden. Wenn ich irgendwo einen Link hätte, aus dem ich direkt heraus kopieren könnte, dann würde ich selbst nochmals posten.

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    @ Herrn Alan Posener

    „Natürlich ist der demokratische Staat nicht mit einem totalitären Staat gleichzusetzen, obwohl er sich zuweilen, wie der Fall King zeigt, ähnlicher Methoden bedient. Er ist aber gerade deshalb nicht mit einem totalitären Staat zu vergleichen, weil er seinen Einflussbereich beschränkt, weil er anerkennt, dass die Familie vor dem Staat steht, wie die Grundrechte, und dass der Staat die Familie schützen muss.“

    Diese Einsicht scheint sich bei manchem Ihrer (Ex-)Parteifreunde noch nicht herumgesprochen zu haben. Oder wie bewerten Sie sonst die Äußerung des derzeitigen 1. Bürgermeisters der Stadt Hamburg, Olaf Scholz, der vor wenigen Jahren noch von einer „Lufthoheit über den Kinderbetten“ phantasierte, die es zu erringen gelte?

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    @Roland Ziegler + EJ
    Schön, daß Sie beide einen Weg gefunden haben, sich gegenseitig sarkastisch zu bestätigen. Tut immer mal wieder gut sowas 😉
    Nein, ich möchte keine Kultur der Unvernunft!
    Ich sage nur: Gemach! Und wer bevormundet, erntet Bockigkeit. Es sind nun mal nicht alle so zivilisiert und gelehrig, wie Sie beide.
    Eine Aussage von mir – verzeihen Sie meine Penetranz – ist von Ihnen beiden nicht zur Kenntnis genommen worden: Unsere (mitteleuropäischen) Vorstellungen von körperlicher Unversehrtheit sind eher kulturell bedingt als Ergebnis rationaler Überlegungen. Sie sind deswegen nicht weniger verteidigenswert. Aber niemand wird hierzulande gezwungen, seine Kinder beschneiden zu lassen. Falsch? Gruppendruck? Familien, die sich aus Ihrem sozialen Umfeld nicht lösen können? Parallelgesellschaften, die die Emazipation davon nicht zulassen? Wo hat da unserer Gesellschaft versagt? Wäre da nicht anzusetzen?

    Es ist, mit Verlaub, eine gewisse Feigheit dahinter, sich bei der hier geäußerten Abneigung gegen die Beschneidung (kann ich verstehen, aber nicht emotional nachvollziehen) auf rein rationale Gründe, wie Inkonsistenzen in der Rechtssprechung zurück zu ziehen.
    Feigheit, die eigenen Vorlieben und Abneigungen zu äußern und daraus resultierend die „moralische“ Überheblichkeit, zu denken die Vernunft auf der eigenen Seite zu haben.
    Wie bei der Zuwanderungsdebatte: Deutschland maßt sich die moralische(!!!) Überlegenheit an, entscheiden zu können, wer aus humanitäre Gründen (Verfolgung) ins Land darf, und wer nicht. Das wird dann geprüft!
    Die eigenen moralisch überheblichen Ansprüche ein bisschen tiefer hängen und man wäre etwas weniger überfordert bei solchen Debatten..
    Davon mal abgesehen: Die kontroverse Diskussion über die Beschneidung unter Juden und Muslimen ist doch längst im Gange.
    Auch in Deutschland: Man muss nicht immer alles(!) sofort(!) vollständig(!) regeln(!) und organisieren(!).

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    …und noch ein Letztes: ich habe von Juristerei wenig Ahnung. Kann sein, dass der Vorschlag von Kocks nicht umsetzbar ist. Das ist für mich nicht absehbar. Dann muss man eben wohl oder übel die Varanten 1 oder 2 machen (übel, was mich betrifft). Ich finde aber ein Verbot, das nicht durchgesetzt wird, nicht sinnlos, wie mancher auf den ersten Blick vielleicht denken wird, sondern sehr charmant: passiver Widerstand vom Gewaltmonopolisten. Freiwilliger, verlässlicher Verzicht auf den Durchgriff. Eine angemessene Reaktion auf den religiösen Zwang.

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    …Korrektur: die Religionen „dürften“ in diesem Szenario natürlich nicht beschneiden, so wie sie es jetzt, im aktuell geltenden Recht, auch nicht dürfen. Denn es ist aktuell und wäre dann auch zukünftig verboten. Aber wenn sie es trotzdem tun, passiert ihnen nichts. Dies letztere wäre der entscheidende Unterschied zum Ist-Zustand, von dem sie profitieren würden.

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    @EJ: Was die empfundene Diskriminierung angeht: die ist eben das Zugeständnis, das seitens der Religionen zu erbringen ist, um den Begriff „Kompromiss“ rechtfertigen zu können. Der Staat verzichtet darauf, das Recht der Jungen durchzusetzen, die Religionen, positives Recht zugesprochen zu bekommen. Jede Partei geht aufeinander zu. Dafür dürfen die Religionen auf verlässlicher Grundlage die kleinen Jungs beschneiden und bekommen damit ihre wesentliche Forderung erfüllt. Die Folge wird hoffentlich sein, dass der Prozess des Nachdenkens innerhalb der Religionen in Gang kommt. Denn auch vielen religiösen Vätern (von den Müttern ganz zu schweigen) dürfte es nicht gänzlich wurscht sein, gegen ein demokratisches Gesetz zu verstoßen und nur aus Kulanzgründen nicht belangt zu werden. Die wenigsten sind derart eindimensional, dass es ihnen nichts ausmachen würde.
    Vorbild ist die Abtreibungspraxis, bei der auch keine Prozesslawine losgetreten wurde.
    Aber diese Überlegungen sind rein theoretisch, ja, denn es läuft sowieso auf Variante 2 hinaus: ein maßgeschneidertes Kleine-Jungs-Beschneidungsgesetz, gültig ausschließlich für die Angehörigen zweier Religionsgruppen. Das wird dann voraussichtlich nach ca. 3 Jahren vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt werden und bis dahin gelten.

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    @EJ: Das stimmt, und der Vernunftsfundamentalismus ist auch wirklich eine ernste Bedrohung unserer Zeit. Immerhin können wir ihn durch unvernünftige Initiationsrituale, miese und verworrene Gesetze, widersprüchliche Argumentationen, logische Schnitzer und schlechte Scherze wie diesen hier wirkungsvoll in die Schranken weisen. Was man bei der nächsten großen Gefahr, die bei uns im Anschluss daran droht, nämlich dem Antifundamentalismus-Fundamentalismus, nicht so einfach tun kann.

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    @ Roland Ziegler: „Könnte man die weibliche Beschneidung z.B. auf einen klitzekleinen Teil der Klitoris beschränken, um sie durchführen zu dürfen? Man muss ja beschneiden, wenn man daran glaubt; die Religion kennt in ihren Grundlagen keine Freiheit. Oder gilt hier ein kategorisches Nein?“

    Genau. – Jede beschneidungsfreundliche Regelung wird einen ganzen Rattenschwanz ähnlich archaischer Wünsche und Forderungen zutage fördern. Und mit subjektiv durchaus richtig so empfundenen Recht.

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    @ Roland Ziegler: „die dritte [Möglichkeit] (unter den gegebenen Umständen) am vernünftigsten“

    Allerdings ist das eine nur sehr theoretische Möglichkeit. Die so empfundene Diskriminierung und würde dadurch ja kaum gemildert. Denn ohne entsprechende gesetzliche Regelung wären weitere gerichtliche Auseinandersetzungen, und die würde es mit großer Sicherheit geben, und weitere „Kölner Urteile“ nicht zu verhindern.

    Aber gerade eine solche gesetzliche Regelung müsste auch irgendwie Farbe bekennende – „ist verboten (weil), aber …“. Sie glauben nicht im Ernst, dass eine solche „diskriminierende“ Formulierung den Bundestag passieren könnte.

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    …und um es nochmals zu sagen: Wir diskutieren hier nicht, wie ein zukünftiges Gesetz zu dem Thema aussehen könnte, sondern wir haben bereits ein Gesetz und überlegen lediglich, wie wir dieses so handhaben, dass die religiöse Praxis so weitermachen darf wie bisher.

    Dazu gibt es folgende Vorschläge:

    1.) das vorhandene Gesetz in seinem Sinn umzuinterpretieren (Posener)

    2.) ein Zwischengesetz zu schustern, das für die ca. 3 Jahre herhalten muss, bis das bundesverfassungsgericht ein endgültiges Urteil gibt (herrschende Meinung im Bundestag)

    3.) Das Gesetz unangetastet zu lassen, aber nicht zu ahnden (Kocks und Co.)

    Einen anderen Vorschlag kann ich nicht sehen.
    Die erste Variante halte ich für einen Trick, mit dem das geltende Recht überdehnt wird, die zweite für eine Notkonstruktion mit Risiken und Nebenwirkungen und die dritte für (unter den gegebenen Umständen) am vernünftigsten.

    Grundsätzlich sollten alle Befürworter der Beschneidung jedenfalls sich was überlegen für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht das Kölner Gericht bestätigt. Die dritte Variante wäre die einzige, die für diesen Fall gerüstet ist; die beiden anderen Varianten würden dadurch kassiert.

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    @KJN: Naja, Sie sagen doch, sowas sollte nicht kategorisch entschieden, sondern im Einzelfall als Ermessensentscheidung entschieden werden. Dann müssen Sie sich schon fragen lassen, wie das denn gehen soll. Wie man hier eine Ermessensentscheidung durchführt, was man dazu alles zu Rate ziehen muss, wie man daraus eine weise Schnittmenge bildet, wann die Münze auf die und wann auf die andere Seite fällt.

    Die Schwere der Versehrtheit scheint dabei eine entscheidende Rolle zu spielen, da die Ermessensentscheidung offenbar so ausfallen muss, dass weibliche Beschneidung unzulässig, die männliche aber zulässig ist. Könnte man die weibliche Beschneidung z.B. auf einen klitzekleinen Teil der Klitoris beschränken, um sie durchführen zu dürfen? Man muss ja beschneiden, wenn man daran glaubt; die Religion kennt in ihren Grundlagen keine Freiheit. Oder gilt hier ein kategorisches Nein?

    Fragen über Fragen. Da lobe ich mir meine verdächtig einfache Regel „Finger weg“.

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    @ j.m.backhaus: „Es ist mir jedoch noch ein Anliegen, noch einige Bemerkungen zu machen, (den ersten Beitrag bekomme ich so nicht mehr hin).“

    Wenn Sie wollen, kann ich Ihren verlorenen Beitrag aus meinem Feedreader kopieren und ihn, entsprechend gekennzeichnet, hier posten.

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    @ Roland Ziegler: „vernünftiges Kriterium“

    Jemanden, der “Vernunftsfundamentalismus” beklagt, können Sie vernünftigerweise nicht nach einem vernünftigen Kriterium fragen 😉

    RZ: „Einfach zu sagen, das entscheiden wir auf Zuruf nach Augenmaß, finde ich nicht ausreichend.“

    Aber darauf wird es hinauslaufen. Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen bzw. juristisch auffällig geworden ist, muss eine gesetzliche Regelung her.

    Die eine Möglichkeit ist ein Sondergesetz für (evtl. „geprüfte“) Religionen (und evtl. sonstige „geprüfte“ Kulturen, z.B. für die bayerische Watschen-Kultur). Die andere Möglichkeit besteht darin, wie anno dunnemals mindestens Erziehung (wenn nicht die gesamte Familie) in ihren „formalen“ Abläufen („inhaltlich“ ist das ohnehin weitgehend der Fall) ins Belieben desjenigen Familienmitglieds zu stellen, die sich durchsetzen kann.

    Man könnte das „Steinzeit- oder Taliban-Liberalismus“ nennen. (Zugegeben, vollends erst dann, wenn auch noch die ’staatlich angemaßte‘ Schulpflicht abgeschafft würde.)

    Beide Lösungen wären unvernünftig genug, dass KJN mit ihnen zufrieden sein könnte, denke ich.

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    @Parisien
    „Kann mir mal jemand mit “KdJ” helfen?“
    Ich glaube Knute der Juden, in Anlehnung an den ZdJ.
    Also ich jedenfalls nicht, denn ich war hier schon mal „Kommunistische Jugend Niederrhein“, was zwar nicht als Kompliment gemeint war, wo ich aber so frei war, es als solches aufzufassen.

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    @Roland Ziegler
    So sind wir, mit Hilfe auch Ihrer Antwort, an dem Punkt, wo ich auch zugegebenermaßen hin wollte: Wer macht wann und warum Gesetze im faktisch säkularen Staat und auf welcher Grundlage.
    Übrigens ist Herr Posener und ich m.E. überhaupt keine Antwort schuldig, denn warum soll der, der Fragen stellt, direkt eine Antwort im Kopf haben?
    Antworten, für die wesentlich intelligentere und besser bezahlte Beamte an Universitäten und in Ethikkomissionen eigentlich zuständig wären, die aber offensichtlich überfordert damit sind, diese zu bearbeiten und dies lieber Landgerichten überlassen.
    Kurz: Mit der Beschneidungsdebatte ist die säkulare Gesellschaft schlichtweg kalt und auf dem falschen Fuß stehend erwischt worden.
    Religionsgemeinschaften stehen da wesentlich sicherer.

    Wenn ich sage, die körperliche Unversehrtheit ist eine Ermessensfrage, meine ich, daß sie vor allem kulturell bedingt ist. Wir Europäer (im weitesten Sinne) haben zwar den Frauen Korsetts verpasst, aber wir würden nicht die Füße abschnüren, wie in China oder Lippenteller tragen, wie die afrikanischen Mursi.
    Der Denkfehler liegt da, daß wir tatsächlich meinen, zu mindestens 90% rational-aufklärerisch zu agieren, daß alles eine rationale Begründung hätte.
    Auf jedem Managementseminar lernen Sie, daß (natürlich nur 😉 ) Ihre Untergebenen zu 90% emotional und nur zu 10% rational (re)agieren.
    Wir sollten uns daher endlich diese Überheblichkeit abschminken, alles begründen zu können, womit ich aber keineswegs meine, daß wir unsere Lebensweise nicht verteidigen sollten (und weiterentwickeln).
    Die Beschneidungsdebatte könnte da, wenn sie richtig verstanden wird, heilsam sein.
    Und unsere Philosophen sollen endlich anfangen, zu arbeiten. Noch haben bei dieser Frage die Religionen Vorsprung.
    (Wirklich selbstverstümmelnde Irrationalitäten kann man übrigens hinreichend in Bahnhofsnähe oder im Trash-TV studieren.)

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    Herr Posener!

    Ich belästige Sie nur kurz, versprochen. Sie schreiben:

    „Der Vergleich der Zirkumzision mit einer Ohrfeige ist im übrigen nicht sinnvoll. ich bin, ich kann es nicht oft genug betonen, gegen die Beschneidung, aber sie sagt nichts aus über die Atmosphäre in der Familie.“

    Ich hab‘ mich missverständlich ausgedrückt. Die von mir ins Spiel gebrachte ‚Ohrfeige‘ dient nicht als Analogie zur Gewalt. Das wäre in der Tat unsinnig.

    Ich wollte Bezug nehmen auf das Argument, die Beschneidung sei kategorisch erforderlich für eine religiöse Erziehung. Wenn Kopftücher, Schillerlocken oder sexuelle Orientierung nicht ausschlaggebend sind für die Religionszugehörigkeit, wie könnte es dann die Beschneidung sein?

    Das Argument der religiösen Beschneidung teilt das Schicksal der körperlichen Züchtigung: beide sind sie für eine entsprechende Erziehung nicht zwingend erforderlich.

    Weiter möchte ich gar nicht nicht gehen; sondern nur bis hier: weil die Notwendigkeit der Beschneidung eine theologische Frage bleibt, kann der Eingriff (die Beschneidung) extrahiert von der Religion beurteilt werden.

    So erging es auch der Methode ‚Ohrfeige‘. Die moderne Pädagogik lieferte erfolgsversprechendere Möglichkeiten zur Erziehung. Weil die Ohrfeige nicht länger kategorisch („eine Ohrfeige hat noch niemanden geschadet“) betrachtet wurde, konnte sie ‚von der Sache getrennt‘ bewertet werden.

    Ich grüße Sie

    Stephan

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    Ich danke der Redaktion, meinen ersten Beitrag aus dem thread genommen zu haben (hatte technische Probleme mit spitzen Klammern).
    Es ist mir jedoch noch ein Anliegen, noch einige Bemerkungen zu machen, (den ersten Beitrag bekomme ich so nicht mehr hin).
    Ist es immer noch notwendig die Sprache der Herzen gegen die Sprache des Verstandes gegeneinander in Stellung zu bringen?
    Zweifellos haben haben Recht und Gesetz, aber auch die Herzen im Glauben vielfach in der Geschichte versagt. Niemand ist frei von Schuld. Einige verzweifeln am Glauben, andere an der Vernunft, wieder andere vor Machtverhältnissen. Wegen der(?) Shoa werden politisch korrekte Entscheider den Klagen der betroffenen Religionskörperschaften die gewünschten Zugeständnisse einräumen. Der Herr Merkel sollte in Rechtsangelegenheiten vielleicht ein angemesseneres Vokabular einsetzen, „Sündenfall“ finde ich absolut unpassend in diesem Zusammenhang. Was ein Vergehen an der Logik ist, ist im Grunde auch ein Vergehen am Wort, sei es das der Herzen, als auch das des Verstandes. Es ist ein Verdienst der katholischen Scholastik, dass sie die Logik als Gottes Gabe begreift und damit die Pflicht zur Kritik gegen jede Form von Vergewaltigung des Wortes postuliert. Wenn denn die Beschneidung, was ich personlich als nicht angemessen empfinde, als eine Form von Glaubensbekenntnis im Judentum verstanden wird, dann kann man nicht umhin, als dies hinzunehmen. Mein Verstand rebelliert, mein Herz empfindet Trauer. Was man z.B. gegen das Christentum aufbieten kann, davon legt Ockham in seinem „Dialogus“ ein beredtes Bekenntnis ab, das mich immer Hoffnung schöpfen lässt, dass die menschliche Vernunft zur Lösung aller Probleme der Königsweg bleibt.

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    EJ und sein neuer Freund backhaus: … Da der deutsche Staat ein sehr hohes Interesse an Gemeinschaft und Paternalismus besitzt, …

    Mit Paternalismus (von lat. pater = „Vater“) wird eine Herrschaftsordnung beschrieben, die im außerfamiliären Bereich ihre Autorität und Herrschaftslegitimierung auf eine vormundschaftliche Beziehung zwischen Herrscher/Herrschern und den Herrschaftsunterworfenen begründet.
    Als paternalistisch wird umgangssprachlich auch eine Handlung bezeichnet, wenn sie gegen den Willen, aber auf das Wohl eines anderen gerichtet ist. Paternalistische Regelungen werden von den Adressaten häufig als Bevormundung und Entmündigung angesehen.

    Mit anderen Worten: Es lebe die sozialistische ‚BRD‘, die Diktatur der des Proletariats.

    Fragt sich nur wer die Zivilisation bricht. q.e.d..

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    Hm … zwei Kommentare von j.m.backhaus, die mir mein Feedreader liefert, tauchen hier nicht auf.

    Der erste Absatz in meinem Kommentar oben: „Da der deutsche Staat …“ ist ein Zitat aus dem, was j.m.backhaus geschrieben hat.

    Herr Backhaus, Sie sollten Ihren Kommentar vielleicht noch einmal zu posten versuchen. Ohne spitze Klammern! (Spitze Klammern umschließen Formatierungszeichen, machen sie wirksam, aber sich selbst und das, was sie umschließen, auch unsichtbar.)

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    @ j.m.backhaus: Da der deutsche Staat ein sehr hohes Interesse an Gemeinschaft und Paternalismus besitzt, räumt er ja dem Schutz der Gemeinschaft, sei es in der Familie oder in einer religiösen Körperschaft eine hohe Priorität zu, was wohl das Wort von der Gleichheit vor dem Gesetz brechen wird und dazu führt, das menschliche Gesetz weiter auszuhöhlen und in der Zukunft weitere Probleme ähnlicher Art nahelegt.

    Das trifft den Punkt. Und ganz gleich, ob das Problem per Sondergesetz für Familien in religiösen Gruppierungen „gelöst“ wird oder durch generell weitgehenden Rückzug des Rechts – genauer gesagt: des Individualrechts ((Art.1-19 GG) – aus der Familie, es wäre – zumal vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte – ein Zivilisationsbruch. Ein Einbruch der „Kultur“ ins Recht, der sich gerade zu allererst an denen rächen könnte, die er begünstigen soll!

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    @KJN: Diese Schulreformen sind das Grauen pur, da will ich Ihnen nicht widersprechen. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht, das gilt für Schulreformen genauso wie für die Innenpolitik einer Familie. Eine Familie lässt sich als eine Art Ministaat betrachten, der hierzulande sozusagen föderal in die größere staatliche Struktur eingebunden ist. So sieht es das GG vor und beugt damit familieninternem Totalitarismus vor. Denn da gibt es eben totalitäre Ministaaten, bei denen der Vater bestimmt, wo es langgeht, und mit Ohrfeigen und nur den allerbesten Absichten seine Kinder erzieht, so wie er es für richtig hält. Auch da, in diesem unvergleichlichen Gleichnis, gibt es viele, die sagen, ihnen selber und ihren Bekannten hätten die paar Ohrfeigen nicht geschadet, und daraus folgern, eine rechte Ohrfeige zur rechten Zeit hätte noch niemandem geschadet. (Nicht zuletzt ein logisches Unding.) Trotz dieser „liberalen“ Auffassung, solche antiliberalen Ministaaten zu tolerieren, hat der Staat hier einen Riegel vorgeschoben: Wer sich auf seine Freiehit, sein Kind zu ohrfeigen, beruft, wird staatlicherseits zurückgepfiffen.

    Grundsätzlich sind Sie dieser Argumentation – dass die Familien nicht über allem in vollendeter Freiheit schweben, sondern es auch hier keinen rechtsfreien Raum der unbeschränkten Freiheit gibt – ja durchaus aufgeschlossen, wenn ich Ihre Beiträge richtig verstanden habe(„Wüstenblume“). Ihnen geht es – wie auch Herrn Posener – um eine Rechtsgüterabwägung. Wann ist das Maß voll, dass man sagt: DIESE Verletzung können wir nicht hinnehmen, jene, z.B. die Beschneidung, aber doch?

    Bei dieser Frage sind Sie und Herr Posener uns eigentlich ein vernünftiges Kriterium schuldig. Einfach zu sagen, das entscheiden wir auf Zuruf nach Augenmaß, finde ich nicht ausreichend. Denn der eine findet dies, der andere das tolerabel.

    Demgegenüber ist mit dem Kriterium der körperlichen Unversehrtheit von Schutzbefohlenen ein hartes Kriterium erreichbar, das jeder direkt kapieren kann. Erst bei der Verfolgung und Ahndung hat man dann Verhandlungspielraum, aber nicht bei der Regel.

  22. avatar

    ..Nachtrag @Roland Ziegler
    Wie sieht denn die allseitig propagierte staatliche Fürsorge für die – wie Sie sagen werden – geborenen Kinder aus? Alle paar Jahre eine Schulreform, die der vorherigen widerspricht. Alle paar Jahre eine neue Erziehungs-Mode, die der vorherigen widerspricht – selbstverständlich wissenschaftlich fundiert und gut dokumentiert in zahlreichen Erziehungsratgebern. Ist es wirklich vordringlich, daß die Circumcision wissenschaftlich umstritten ist?

  23. avatar

    Auf Welt online hat Michael Wolffson einen wohltuend unaufgeregten Artikel zur Beschneidung eingestellt.Bei A.Posener habe ich immer den Eindruck, dass die eigenen Neurosen ihm die Richtung vorgeben.Sobald Religion ins Spiel kommt, werden seine Artikel immer „unbegreiflicher“.

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    @Roland Ziegler
    „Die Eltern als totales Machtzentrum ihrer Kinder, die ihrem Willen schutzlos ausgeliefert sind – DAS ist totalitär.“
    Yep. Und erst der Gebrauch von Verhütungsmethoden und die Abtreibung. Darauf haben übrigens die letzten beiden Päpste intensiv hingewiesen.

    Bitte um Entschuldigung, aber die – aufklärerische – Suche nach den unveräußerlichen Rechten Erwachsener ist schon schwierig genug. Will man das alles ohne Reflexion abhandeln, wie Sie, punktet derblondehans. Zurecht.

  25. avatar

    @68er: Danke für den besonnenen Kommentar.
    @ Verschiedene:
    – Warum sollen Frauen keine Pornosammlungen haben dürfen???
    – Zetern nur Mütter (und was ist ‚Zetern‘)?
    – Warum sollten Frauen nicht auch mal die „Hand ausrutschen“ dürfen??? Und: Gibt es die ‚ordentliche‘ Ohrfeige??? (Mir graut’s!!!)
    – Wem nützen beschnittene Schwänze??? Nun, sie riechen meist angenehmer als so manch unbeschnittene „Stinkmorchel“ (Zitat Grass: Der Butt) und sind daher bei manch unvorhergesehenem Amüsement für LiebhaberInnen (also Männer wie Frauen) oft angenehmer……. aber davon spricht ‚MAN‘ ja nicht…
    -> Ich bin irritert von den patriarchalen Gedanken- und Rollennmustern, die sich hier zwischen den Zeilen in dieser ach so aufgeklärten Runde offenbaren…
    – Privat: meinen Sohn hätte ich aus medizinischen(!) Gründen beinahe beschneiden lassen müssen, aber er hat sich dann in einer Wasserrutschte verletzt (soll vorkommen), sodass sich das Thema zu seinen Gunsten nun von selbst erledigt hatte….
    – Ich wünschte, der Staat wäre säkularer!!! Religionsunterricht gehört m. E. konsequent durch Ethik, Philosophie und z.B. Theater-Unterricht (Rollenspiele…) ersetzt.
    – DAnke den Diskutanten und danke, dass ich immer mal wieder ‚hereinschneien‘ darf…

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    Ich finde es interessant, was Sie mir unterstellt haben, APo, und vermutlich nur, weil ich Sie bei einer Unlogik ertappe: Sie, konsequenter Religionskritiker, machen hier einen Bogen. Übrigens habe ich denselben Bogen schon vor Ihnen gemacht auf einem anderen posting. Ich will Ihnen mal erklären, warum ich diesen gedanklichen Bogen machte: Weil man nicht durch solche Mauern brechen kann. Dieses „Das definiert uns“ ist von außen nicht zu ändern, auch wenn alle Anderen das nicht verstehen können. Eine Gemeinschaft, die sich darüber definiert, kann das nur von innen ändern.
    Nehmen wir mal das Zölibat: Das Zölibat gehört seit ca. 1200 zum Vatikan. Es gehört zur Definition eines Priesters. Kein Außenstehender wird das verstehen. Aber ändern würde es nur der Vatikan und nur, wenn er es will.
    Ich ertappe Sie also dabei, wie Sie pausenlos den Papst/den Vatikan kritisieren, Sie aber um Spezifika anderer Religionen einen Boden machen. Und sie machen m.E. den Bogen, weil Sie wissen, dass Sie nicht durchkämen mit der Kritik. Der Erste, der Sie hart angehen würde, wäre Ihr Freund in NYC. Beim Vatikan kommen Sie auch nicht durch, sind aber bei einer großen, meist linken, Gruppe, geborgen im Konsens, dass „Karthago zerstört“ werden sollte, verkleinert wenigstens, linker Konsens. Mode. Mal wird die Inquisition angeführt, mal die Missionierung, mal selektiv der Missbrauch, mal natürlich zwangsläufig der Holocaust. Dass diese Kirche heute anders ist, wird unterlaufen mit Spekulationen, dass sie sich nie ändert. Sie trägt leider selbst dazu bei – siehe Piusbrüder.
    Ich finde jedenfalls Ihre Unterstellung boshaft und typisch links. Linke, auch Altlinke, werden dann boshaft, wenn man sie bei einer Ungereimtheit ertappt. Und Sie sind immer noch links. Das ist ganz leicht, da der heutige Kapitalismus nicht besonders konservativ ist, sondern linke Züge hat.

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    Nehmen Sie mal das:
    Allerdings hat Syrien seinerzeit gerade mal 2,2 Millionen Einwohner. Heute sind es mit 22 Millionen zehnmal so viele. Dieser wuchtige Unterschied gilt den Syrienbeobachtern als so nebensächlich, dass sie ihn nicht einmal erwähnen. Und doch hat man Mühe, einen Faktor zu benennen, der stärker zum aktuellen Massakrieren beiträgt als Syriens viele Jahrzehnte währende Geburtenexplosion. Dieses etwas barbarisch anmutende Argument kann man übrigens auch in der Gegenrichtung befahren. Fragt man etwa zu Algerien, was in diesem Maghrebstaat vor dem Ausbruch des Tötens anders ist als nach seinem Abflauen, so stößt man unvermeidlich auf den Rückgang der Kinderzahlen pro Frau von 7,4 im Jahre 1971 auf 1,7 heute. Hat Algerien 1991 einen Bruderkriegsindex (Verhältnis von 15-19-jährigen zu 55-59-jährigen Männern) von 5, so wird er 2015 nur noch bei 2 liegen.
    http://www.achgut.com/dadgdx/i....._alawiten/

    Hier steht die schlichte Wahrheit. Die Ideologen, die ja Missstände brauchen, um steuern zu können, nicht sehen wollen: Überbevölkerung und Armut. Jared Diamond beschrieb das auch sehr logisch am Beispiel Ruanda: Die Parzellen wurden zu klein.
    Es besteht heute eine Hemmschwelle, diesen Naturalismus auf Deutschland anno dazumal anzuwenden. Es gab 5-6 Mio A-lo’s und einen erheblichen gleichzeitigen Influx von Ostjuden, Armut also auch im Osten.
    Ideologien, insbesondere solche, die davon ausgehen, dass die Menschheit gut zu kriegen ist, liegen daneben, und wer sich über die Realität hinwegsetzt, wird bitter enttäuscht. Glaubt denn jemand, es wäre kein Zufall, dass, während die Arbeitslosigkeit in den USA hoch ist bei gleichzeitig hohem Influx von Mexikanern, diese vermehrt abgelehnt werden? Glaubt irgendwer, dass Louis XVI gestürzt worden wäre, wenn alle genug gehabt hätten, zu essen vor allem?
    Dieser Regelkreis ist die Weltuhr, auf und ab. Satte Gesellschaften werden friedlich und träge, und die Römer gingen daran ein. Mangel erzeugt Armut, Kriminalität und Bürgerkrieg oder Krieg. Aber ich fürchte, dass kein Ideologe Heinssohn hören will, denn das ist zu einfach für Ideologen mit ihrem hehren Bild vom steuerbaren friedlichen Menschen, das linke Ideologen vor allem vom (falsch verstandenen) Christentum abgekupfert haben. Aber Christentum bedeutet persönliche Anstrengung, bei den Muslimen dasselbe der Jihad. Trotzdem war Jesus der Realist schlechthin: Die drohende Apokalypse, die er kommen sah, im Auge, sagte er: „Ich bin nicht gekommen, euch den Frieden zu bringen.“
    PS: Mubarak wäre auch noch da, wenn es genug Arbeit und Brot gegeben hätte, dadurch weniger Überbevölkerung und mehr Bildung. Ob Korruption dabei die Henne oder das Ei ist, ist eine interessante Frage.

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    Für mich fällt Beschneidung als Körperverletzung ganz gewiss nicht in den Bereich Erziehung, sondern in die Kategorie antiquierte Tradition, wie auch Europa sie erst oftmals in den letzten Jahrzehnten abschaffte.

    Auch ist das „Recht“ ein kind zu Beschneiden keine Religionsfreiheit, denn die Freiheit die eigene Religion zu praktizieren endet in der Regel ab der eigenen Nase. Religiöse Erziehung… von mir aus. Aber den Körper eines Kindes zu verändern um eine unwiderrufliche Zugehörigkeit zu erzwingen ist eben die komplette Außerkraftsetzung der Religionsfreiheit des Kindes, falls es sich später umentscheiden will und eine andere Religion annimmt, oder sich ganz gegen die Religion entscheidet.

    Oben genanntes Gesetz unterliegt dennoch dem Recht auf Selbstbestimmung und echter Religionsfreiheit, welche hier aber nicht gegeben ist.

    C.K.

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    @ Stephan_ATH: „Bei der Gelegenheit könnten wir gleich klären, ob eine Frau ohne Kopftuch eine Muslima sein kann. Oder ob ein Christ, wie von Norbert Geis im Artikel des Stern zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften geäussert, die Ehe von Homosexuellen abzulehnen habe. All diese Prägungen religiöser Interpretationen sollen denen vorbehalten bleiben, die meinen zu wissen, was der Allmächtige von ihnen verlangt. Aber nicht dem Staat!“

    Genau.

    Der Vergleich der Zirkumzision mit einer Ohrfeige ist im übrigen nicht sinnvoll. ich bin, ich kann es nicht oft genug betonen, gegen die Beschneidung, aber sie sagt nichts aus über die Atmosphäre in der Familie. Jüdische Familien sind berühmt – machen würden sagen berüchtigt – für ihre liebevolle, manchen würden sagen erstickend enge, Atmosphäre. Auch in muslimischen Familien werden meiner Erfahrung nach die Jungen eher überbehütet und verwöhnt als unterdrückt und geschlagen.

    @ Parisien: Michel Friedman hat seine Ansichten, ich die Meinen. Niemand muss sich der Meinung des anderen beugen. Wäre ja noch schöner. Weltjudentum war natürlich ironisch gemeint.
    @ 68er: Dies ist der Stand der Dinge in NYC:

    http://www.nyc.gov/html/doh/ht.....bris.shtml

    Und:

    http://www.nyc.gov/html/doh/do.....tement.pdf

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    @ Alan Posener

    Kurz zum „mäandernden Prinzip“. Ich spreche dabei nicht von Stil, jedenfalls nicht nur. (Ich weiß, dass Sie ein seltener Schreiber sind. – Neid! Neid!) Mir geht es um das (metaphorische) Unterlaufen von Begriffen und das Verwischen von Grenzen, heißt: um den Rückfall hinter erreichte (aufklärerische, zivilisatorische, wertmäßige …) Standards.

    Das ist nicht nur bei Ihnen zu beobachten. Je deutlicher wird, dass es mit der post-89/91er (ideologischen) Selbstverabsolutierung des Westens nicht klappt, desto heftiger wird um das Rückzugsterrain, heißt: in Richtung rückwärts gekämpft. Lesen Sie mal die Meinungsmacher unter diesem Aspekt, nicht zuletzt in Ihren eigenen Blättern!

    Und zur Sache im engeren Sinne: Sicher, wenn der staatliche Schutz auf körperliche Unversehrtheit – und damit das staatliche Gewaltmonopol – innerfamiliär nicht gilt, ist innerfamiliäre Gewaltausübung eine Ermessensfrage. Nach „Ermessen“, sowohl des pater familias als auch, wenn es überhaupt so weit kam, nach Ermessen des Richters wurden diese Dinge ja schon immer abgehandelt. (Die absolute Grenze ziehen wir bei Konchenbrüchen, Verletzung innerer Organe oder erst bei Tod?)

    Ihr Absatz „@ Alle“, in dem Sie das Erziehungsrecht in bezeichnender Weise schon ganz durch Familienrecht ersetzt haben, kann nicht nur ohne weiteres als staatlicher Freifahrtschein beispielsweise für die Prügelstrafe dienen, wie sie Zeugen Jehovas fordern und praktizieren. Er kann auch, seien sie religiös begründet oder nicht, für alle sonstigen innerfamiliäre Übergriffe gewaltsamer Art sowohl gegenüber Kindern als auch gegenüber erwachsenen Partnern herangezogen werden (sofern sie eine festzulegende Grenze – s.o. : Ermessensfrage – nicht überschreiten.)

    Ich bleibe bei meinem indiskutablen Satz. In Ihrer Argumentation zieht sich der Staat zieht sich vor dem Ermessen, vor den Gutdünken der Taliban zurück.

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    Kann mir mal jemand mit „KdJ“ helfen? Keine Ahnung, was das ist.
    PS, APo: Verfeindet würde ich nicht sagen. Diskussionsfreudig. Ich habe hier zwar eine Art Feind, aber der war nicht dabei.

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    Sie haben natürlich recht, das Elternrecht ist ein im GG verankertes Kollektivrecht. Aber Sie erheben Artikel 6, meiner Meinung nach, zu sehr über die Rechte des Kindes. Das durch Art. 6 festgeschriebene Kollektivrecht ist kein absolutes und es gibt genügend Fälle, in denen der Staat berechtigt in das Elternrecht eingreift: Misshandlung, selbst die oft genannte Ohrfeige, Vernachlässigung, Missachtung der Schulpflicht oder Verweigerung medizinischer Behandlungen. Von daher ist Ihre Argumentation, in der Sie auf die mit Art. 6 kollidierenden Grundrechte gar nicht eingehen, nicht ganz nachvollziehbar.
    Was das Recht auf Religionsfreiheit betrifft, irren Sie. Dieses ist in keinem Fall ein Kollektivrecht, obwohl die gemeinschaftliche Ausübung der Religion ebenso Teil dieses Rechtes ist. Aber die Rechte der Religionsgemeinschaft ergeben sich ausschließlich aus den individuellen Rechten ihrer Mitglieder – oder anders gesagt: Die Religionsgemeinschaften haben als Kollektiv keine Rechte, die über die individuellen Rechte der Gläubigen hinausgehen. Und das Religionsgemeinschaften ihren Gläubigen Dinge verbieten, die vom Gesetz her erlaubt sind, stellt diesen Befund nicht in Frage; die Gläubigen sind frei, die Gebote zu erfüllen oder nicht und sie sind frei, die Gemeinschaft zu verlassen, wenn sie mit deren Verboten nicht leben können. Von staatlicher Seite darf etwa ein Homosexueller Mitglied der Kirche sein – natürlich kann die Kirche ihn ausschließen, aber sie kann ihm nicht seine sexuellen Vorlieben verbieten. Und Mitglieder ausschließen kann jeder Kleintierzüchterverein, wenn ein Mitglied sich nicht an die Vereinssatzungen hält. Dinge als verboten propagieren, obwohl sie gesetzlich erlaubt sind, darf im Übrigen jede/r ungestraft, gedeckt durch das Recht der freien Meinungsäußerung. Kurz: Die Religionsfreiheit ist im Rahmen der Menschenrechte ein ganz normales Individualrecht.

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    @Alan Posener
    „Deshalb ist die Frage des Eingriffs zugunsten der körperlichen Unversehrtheit eine Ermessensfrage.“
    Eben. Wie so vieles.
    Und wenn man zugrundelegen würde, daß die Menschen/Familien nicht für den Staat, sondern der Staat für die Menschen/Familien da zu sein hat, dann kann die Familie nicht „Keimzelle“ sondern nur „Auftraggeber“ für ein Staatswesen sein. (Ich rede hier nicht von Versorgungsstaat, ein Auftragnehmer will auch bezahlt sein.)
    Insofern gibt es überhaupt keinen „Dammbruch“, wenn Art.6 Abs. (2) GG auch im Sinne der muslimischen und jüdischen Familien (auch „Auftraggeber“) ausgelegt wird – entgegen der Mehrheitsmeinung gegen die Beschneidung.

    Gestern lief irgendwo im TV „Die Wüstenblume“, ein Film über eine somalische Frau, die als Model arbeitet und im Alter von 3 Jahren an ihren Genitalien brutal verstümmelt wurde. So jemand muss vor der eigenen Familie und dem eigenen Kulturkreis geschützt werden.
    Wie gesagt, eine Ermessensfrage – keine prinzipielle.

    Ich finde es erfreulich, wie Sie in den letzten 6 Artikeln hier Ihre Meinung differenziert haben. Wohl dem, der sowas kann.

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    Mein Guter! (APo)

    Dieses Ding:
    „Inzwischen denke ich, Sie meinen, ich müsste mich unter die Knute des Weltjudentums beugen. Dem ist nicht so. (Klar, das sagt jeder, der unter der KdJ steht, aber trotzdem.)
    Ich habe den Ausdruck „Weltjudentum“ in meinem Leben noch nie benutzt. Außerdem gehöre ich nicht zur KdJ, auch nicht gedanklich. Ich konstatiere: Das haben Sie gesagt. Ich bin hier übrigens gelandet, – das sollten Sie wissen – weil Sie eine englische Mutter haben. Aufgrund engster Verbindungen zu UK interessierte mich das.

    Ich meinte eher, dass Sie sich a) einem schon heimlich bestehenden Konsens zwischen regierenden Organen und Religionsgemeinschaften beugen müssen. In diesem Bereich ist auch der Brief von Peres an Gauck einzuordnen. Zweitens (b) ging ich davon aus, dass Sie auch die Ansichten M.F.’s dazu berücksichtigen müssen.

    Wichtig ist für mich, dass der Rechtsstaat jede einzelne Materie auch einzeln betrachtet. Hier darf keine Hintertür geöffnet werden für Mädchenbeschneidung. Die Burka ist aus diversen Gründen, vor allem Vermummung, für mich fragwürdig.

    A propos „Weltjudentum“. Kürzlich las ich eine in sich völlig schlüssige Aussage dazu. Deswegen las ich auch mal nach über die sog. protocols. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, welches die Haupt-Unlogik darin ist?: Das könnte theoretisch alles so existieren, weil die Welt so tickt, und daraus ist das auch abgeleitet, aus der ewigen Wetuhr, aber Sie können jede andere Gruppe (Staat) da ebenso gut einsetzen. Soweit zum Welttum. Ich würde es eher Weltdummheitstum nennen.

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    @Alan Posener: Ich gehe wie gesagt davon aus, das die bisherige Beschneidungspraxis der Religionen gegen das Grundgesetz verstößt. Hierfür gibt es ein Gerichtsurteil; für die gegenteilige Auffassung (soweit ich weiß) bislang noch nicht. Ich lasse mich vom Bundesverfassungsgericht auch eines Besseren belehren, aber solange dies nicht geschehen ist, gilt jene verdächtig einfache Regel.

    Ein Ausnahmegesetz, das jene Einfachheit zu unverdächtiger Unklarheit zerstäuben würde, läuft Gefahr, später wieder kassiert oder z.B. von den Freunden der weiblichen Beschneidung zweckentfremdet zu werden.

    Bei mehreren anderen Gelegenheiten dieses Blogs habe ich mich stattdessen dafür ausgesprochen, dass man die Regel akzeptiert wie sie ist, Verstöße dagegen aber nicht ahndet. Genauso wie man es bisher gehalten hat. auch wenn keiner diese Regel zur Kenntnis genommen hat, so gab es sie seit Bestehen des GG. Nun nimmt man sie eben zur Kenntnis, hält sich aber nicht daran. Na und, das ist besser als wenn man die Regel abschaffen oder mit fragwürdigen Manövern umschiffen würde.

    Insgesamt finde ich – @KJN -, dass mit dem Totalitarismusvorwurf an die heutige Gesellschaft bzw. der Forderung nach mehr Freiheit – als gäbe es keine oder noch zu wenig – hier reichlich Nebel gemacht wird. Mehr Freiheit, fordern ausgerechnet die Religiösen, das ist doch wohl ein Witz. Das Pochen auf der Unversehrheit von Kindern ist nicht totalitär und auch nicht fundamentalistisch; das Gegenteil – beschneiden zu müssen und es nicht zu dürfen ganz furchtbar zu finden – ist totalitär, dem Kind gegenüber. Die Eltern als totales Machtzentrum ihrer Kinder, die ihrem Willen schutzlos ausgeliefert sind – DAS ist totalitär.

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    @ Alan Posener

    Ich habe zu dem Fall in New York leider kein abschließendes Ergebnis gefunden. Wissen Sie, ob das Verfahren gegen den Rabbi eingestellt worden ist?

    Ich bin mir daher auch nicht sicher, ob solche Praktiken in den USA wirklich erlaubt bzw. nicht verboten sind. Möglicherweise ist es wie bei uns, dass nach dem Gesetzeswortlaut die Praktik sowohl diverse Jugendschutzstraftatbestände als auch den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt.

    Wenn sich aber niemand beschwert, kein Staatsanwalt den Eifer aufbringt solche Handlungen anzuklagen und auch keine akuten „Schäden“ eintreten, ist es wie bei den meisten konkreten Gefähdungstagbeständen im Strafrecht, dass die Tat letzlich ungeahndet bleibt.

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    @ Parisien: Ich habe folgenden Satz nicht verstanden: „Sie müssen sich hier beugen.“ Zuerst habe ich, eingedenk Ihrer Religiosität, gemeint, Sie verteidigten hier göttliches Recht gegen Menschenrecht. Inzwischen denke ich, Sie meinen, ich müsste mich unter die Knute des Weltjudentums beugen. Dem ist nicht so. (Klar, das sagt jeder, der unter der KdJ steht, aber trotzdem.) Ich versuche seit einigen Wochen in einer Reihe von Beiträgen das Verhältnis von Religion und Rechtsstaat – auch für mich – zu klären. Der Liberalismus wird ja erst da interessant, wo er einen zwingt, Meinungen zu schützen, die man für grundfalsch hält, Dinge zu akzeptieren, die man nicht mag.
    @ 68er: Die, wie ich finde, ziemlich widerliche Praxis einiger ultraorthodoxer Rabbiner, das Blut des beschnittenen Säuglings abzusaugen, hat in der Tat, wie Sie schreiben, zu einer Reihe von Herpes-Infektionen geführt. Hier leigt eindeutig ein Fall vor, wo das Indeswohl missachtet wurde. Dennoch ist die Praxis in den USA nicht verboten worden. Da wäre ich wohl weniger liberal. Aber der Punkt ist, dass man sich in Amerika um Aufklärung und freiwilligen Verzicht bemüht. Von einem Verbot der Beschneidung als solcher ist dort ohnehin nicht die Rede.
    @ Alle:Vielleicht habe ich mich in dem Essay tatsächlich zu sehr dem „mäandernden Prinzip“ ergeben; der Kern meiner Ausführungen – für Leute, die noch einmal lesen wollen – ist die Uminterpretation der Begründung für Artikel Sechs GG. Würde man den Schutz der Familie damit begründen, er sei „Keinzelle des Staates“, würde das im Umkehrschluss ein sehr weitgehendes staatliches Durchgriffsrecht begründen. Meines Erachtens entfällt gerade deshalb die Begründung; die Familie erscheint nun als ein Rückzugsraum gegenüber den Zumutungen des Staates – nicht nur des totalitären Staates, sondern auch des allzu eilfertigen säkularen Staates.
    In der Tat redet Artikel Sechs von staatlicher Überwachung. Deshalb ist die Frage des Eingriffs zugunsten der körperlichen Unversehrtheit eine Ermessensfrage. Ich bin zuversichtlich der Ansicht, dass man in hundert Jahren in den allermeisten jüdischen und muslimischen Familien auf die Beschneidung verzichtet haben wird. Das wird aber das Ergebnis eines innerreligiösen Dialogs sein. Staatliche Verbote werden diesen Prozess eher behindern als befördern. Übrigens ist auch ein eigenes Gesetz, das die gegenwärtige Austarierung der verschiedenen tangierten und konkurrierenden Grundrechte durcheinanderbringt und den gegenwärtigen Stand der Dinge festschreibt, auch nicht hilfreich.

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    Herr Posener!

    In einer ordentlichen Ohrfeige des Vaters steckt mehr Wille zur Erziehung als in einer Taufe oder Beschneidung; letztere sind nur Initiationsriten zur Zuführung in eine bestimmte Gemeinschaft. Gemessen an Ihrer Kontemplation, der Staat dürfe sich nicht in die „frühkindliche Erziehung“ einmischen, sollte auch die tracht Prügel grundrechtlich geschützt werden.

    Angenommen, eine erfolgsversprechende Erziehung käme ohne solche Handgreiflichkeiten nicht aus. Es wäre schlichtweg Pflicht der Eltern, körperliche Massnahmen für – nicht gegen! – ihre Kinder zu ergreifen. Es wäre die hier zitierte „Pflicht der Eltern zur Pflege“ ihres Nachwuchses.

    Nun wissen wir, dass das Gegenteil richtig ist: die Schule der Pädagogik lehrt weit bessere Möglichkeiten zur Erziehung. Gar in dem Maße, dass eine gewaltfreie Erziehung die Erfolgsversprechendere ist.

    Bezugnehmend auf die Beschneidung machen Sie, Herr Posener, nun folgendes: Sie nennen diese rituelle Praktik in einen Atemzug mit der religiösen Erziehung und bewegen sich damit auf das Terrain der theologischen Hermeneutik. Sie sagen sinngemäß, für eine (bestimmte) religiöse Erziehung ist die Zuführung von Schmerz, Leid und (in geringem Umfang) Gefahr unerlässlich. Gekoppelt an das Beispiel mit der Ohrfeige heisst das, Jude ist, wer beschnitten wurde.

    Bei der Gelegenheit könnten wir gleich klären, ob eine Frau ohne Kopftuch eine Muslima sein kann. Oder ob ein Christ, wie von Norbert Geis im Artikel des Stern zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften geäussert, die Ehe von Homosexuellen abzulehnen habe.

    All diese Prägungen religiöser Interpretationen sollen denen vorbehalten bleiben, die meinen zu wissen, was der Allmächtige von ihnen verlangt. Aber nicht dem Staat! Denn wenn Muslima ist, wer sich zum Islam bekennt, dann spielt die Frage nach dem Kopftuch keine Rolle.

    Genauso wenig spielt die Länge der Vorhaut eine Rolle, ob es sich um einen Juden handelt oder nicht. Allein, die persönliche Identifikation mit der Religion, verankert in der Religionsfreiheit, manifestiert diesen Status.

    Wenn das nun stimmt, wenn die Notwendigkeit der Beschneidung eine theologische Frage bleibt, liefert das Grundgesetz bereits jetzt die notwendige Freiheit zur religiösen Erziehung. Wir können also die rituelle Beschneidung von der Religion abstrahieren und gesondert betrachten.

    Und das macht das Thema, wie ich finde, um einiges leichter!

    Herr Posener, ich möchte mich ungeachtet meiner Kritik abschließend für Ihre grandiosen wie lehrreichen Publikationen bedanken.

    Ich grüße Sie

    Stephan

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    Die Frage lässt sich doch wohl reduzieren auf: Wie weit darf der Staat in Familien eingreifen. Familien hier als Hort von Religion und/oder Kultur, welcher Art auch immer.
    Ich misstraue dem säkularen Überbau des Staates genauso, wie den Religionen. Wenn ich als also dem Staat misstraue, dann muss ich irgendwo seinem Zugriff eine Grenze setzen – was ja nicht heißt, daß ich ihn nach Art der neoliberalen Fundamentalisten nach á la Weltwoche / Roger Köppel gleich durch private Sicherheitsdienste, die nur die Großfirmen und Milliardäre schützen, ersetzen will, @EJ.
    Ja, ich unterstelle tatsächlich dem jetzigen Rechtsstaat einen gewissen nicht mehr hinterfragten „Vernunftsfundamentalismus“ und ich bin froh darüber, daß sich Beschneidungsbefürworter so heftig zur Wehr setzen. Und der Totalitarismus kann durchaus schleichend kommen, er ist kein digitales An-Aus-Phänomen, wie eine nicht dimmbare „Energiesparlampe“, @Roland Ziegler.

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    Eine erstaunliche Einigkeit unter sonst eher verfeindeten Kommentatoren zugunsten eines Verbots der Beschneidung. Schon das macht mich stutzig.
    Es ist vielleicht notwendig, noch einmal zu betonen, dass ich die Beschneidung ebenso ablehne wie die Burka, das Kopftuch, die frühkindliche Taufe und die frühkindliche religiöse Indoktrinierung. Allein ich lehne es ab, wenn der Staat seine Schutzfunktion an zwei ohnehin bedrängten Minderheiten auslebt.
    @EJ: ein indiskutabler Satz: „Der Text propagiert den Taliban-Staat.“ Weit unter Ihrem Niveau. Der Text „propagiert“, wenn überhaupt, einen Staat, in dem keine Weltanschauung, auch nicht die des Rationalismus, über dem Elternrecht und der Familie steht. Das ist der Staat des Grundgesetzes.
    @ Roland Ziegler: jede „ganz einfache Regel“ ist verdächtig. Wenn sie gleich zwei Religionsgeminschaften kriminalisiert, von der die eine bis vor kurzem als Teil unserer leitkultur reklamiert wurde, dann kann irgendetwas nicht stimmen.

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    Sie glauben offenbar, dass die Kölner Richter den Artikel 6 entweder wissentlich beschneiden wollten oder es nicht besser wussten, so dass Sie es ihnen jetzt erklären müssen. Warum nicht, Richter sind ja nicht unfehlbar; sie kennen sich meist nur etwas besser in der Materie aus. Egal. Artikel 6 darf nicht beschnitten werden, sagen Sie. Natürlich nicht. In Artikel 6 Abs. 2 steht schließlich: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Wenn die „Pflege und Erziehung“ dem Kind schadet, tritt also der Staat in Erscheinung und greift in die Erziehung ein, meist in Gestalt des Jugendamtes.
    Bei einigem, was Eltern ihren Kindern antun, greifen wir also mithilfe von Art. 6 Abs. 2 ein, z.B. bei geprügelten, missbrauchten, eingesperrten, rauchenden oder alkoholisierten Kindern. Das ist keineswegs überall auf der Welt so, aber hierzulande selbstverständlich. Das einzige verbleibende Argument ist: Es gibt Schlimmeres, bei dem wir auch nicht eingreifen, also dürfen wir hier auch nicht eingreifen. Als Beispiele für Schäden, die der Staat durchgehen lässt, nennen Sie christliche Traumatisierung, Märchen, Computerspiele, väterliche Pornosammlung, mütterliches Gezeter. Dazu kann ich nur sagen: Mag sein, dass das alles viel schädlicher ist, aber in den wenigsten Fällen lässt sich dies eindeutig nachweisen. Wenn Sie trotzdem einen Schaden nachweisen können, haben Sie beim Jugendamt bzw. vor Gericht vermutlich ganz gute Chancen, dass mithilfe von Art. 6 Abs. 2 eingegriffen wird. Die Schäden bei der Beschneidung sind selten, aber eindeutig dokumentiert, wenn man den Angaben der Ärzte folgen will und dies nicht ebenfalls besser weiß, weil ein beschnittener Bekannter kein Problem gehabt hat und man auch sonst in seinem Bekanntenkreis nur Gutes gehört hat.

    Ich glaube unterm Strich, dass es richtig und nicht totalitär – auch nicht, wie Sie nahelegen, „ein bisschen totalitär“ (gibt es das überhaupt?) – ist, wenn der Staat die körperliche Unversehrtheit von Kindern über alle anderen Prinzipien stellt. Sicherlich ist die geistige und seelische Unversehrtheit mindestens genauso schützenswert, aber das zu garantieren ist eben ungleich schwieriger. Immerhin geht die Schulpflicht in diese Richtung. Sicherlich sind auch die Rechte der Eltern und der Religionen wichtig, die sich doch aber auch zurückhalten könnten, wenn es um den kindlichen Körper geht. Denn jedenfalls ist der individuelle kindliche Körper wichtiger als diese uneinsichtigen Institutionen, und der Penis ein intimes, empfindliches, schambehaftetes Teil. Deshalb die ganz einfache Regel, die für ausnahmslos alle gelten sollte: Finger weg.

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    Sie, Alan Posener, tun sich natürlich besonders schwer, einen Brauch, der „in der Tat irrational, archaisch, blutig und darum schwer zu verteidigen ist“, zu verteidigen, zumal Sie ein ausgebuffter Religionskritiker sind. Sie müssen, so einfach ist das, sich hier beugen, fertig. Deshalb will ich Sie nicht dafür kritisieren. Sie haben es schwer genug mit dieser Materie und tun mir fast leid. Es bleibt, auf den ersten Fall zu warten, bei dem die Eltern uneins sind und Mutter gegen Vater klagt oder umgekehrt. Erst dann wird es interessant. Und dann kommt Kelek auf der Seite von Mutter/Kind erst durch. Wir haben hier Vater+Religion. Dass jüdische Mütter so gehorsam sind (Ausnahmen gibt es zum Glück), überrascht doch ein wenig. Was denn wohl Sarrazin darüber denkt? Er parliert immer nur von jüdischen Wissenschaftlern. Ich will festhalten, dass der Mann, der das beste Oratorium aller Zeiten geschrieben hat (Elijah), vermutlich nicht beschnitten war, obgleich er der Enkelsohn des berühmtesten deutschen Rabbiners war. Das Leben ist ironisch. Mit diesem Oratorium hat er (Mendelssohn) mir bedeutend mehr über jüdische Religion vermittelt als alle Beschneidung je könnte. Aber man missioniert ja nicht, man ist lieber exklusiv, fast wie ein Londoner Club.

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    @ Alan Posener: Der Weg in einen Staat, der „forciert“ alle Bürger seinen Vorstellungen – den Vorstellungen der Mehrheit – anpasst

    Das kann ich nur als Zynismus verstehen. Staat und Bürger am Stammtisch oder in Banken-Hinterzimmern bzw. neoliberal staatsverachtend thematisiert, möchte man auf den ersten Blick meinen. Dazu passt jedoch sehr genau, dass der Text, so wägend er sich gibt – der Mäander als Methode – und obwohl er von archaisch blutigem Brauch spricht, den alles entscheidenden Unterschied zwischen Macht und Gewalt unter den Tisch fallen lässt.

    Der Text propagiert den Taliban-Staat!

    (Aber, natürlich, habe ich wieder nicht richtig gelesen. Stimmt’s, APO?)

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    Lieber Herr Posener,

    Es geht in der Debatte um viele Grundrechte, die positive Religionsfreiheit der Eltern, die Religionsfreiheit der Religionsgemeinschaft, der von Ihnen hochgehaltene Art. 6 GG, das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes sowie möglicherweise noch um Art. 140 GG i.V.m. Art 136 IV WRV, der da lautet:

    „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.“

    Hier einen „gerechten“ Ausgleich zu finden, zumal in Deutschland, ist keine leichte Sache. Einseitig das Recht der Familie als „quasi vorstaatlich“ über das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und über seine negative Religionsfreiheit zu stellen, überzeugt mich nicht.

    Sowohl wenn ich das Problem rational angehe und mich frage, wer etwas davon hat, dass man neugeborenen oder heranwachsenden Jungen die Vorhaut abschneidet, als auch wenn ich mich emotional leiten lasse und mir die diversen Dokumentationen anschaue, in denen Beschneidungen gezeigt werden, kann ich in keiner Weise nachvollziehen, dass Eltern ihre Söhne ohne Not beschneiden lassen. Ich kann auch nicht verstehen, dass Christen aus krankhaften Hygienewahn ihre Söhne wegen angeblichen Phimosen beschneiden lassen (das gibt es auch).

    Ich halte auch nicht viel davon, dass man Eltern durch Gesetze zwingen muss, ihr Verhalten zu ändern. Aufklärung ist auch in diesem Fall sinnvoller. Mich hat es sehr beeindruckt, dass u.a. Rüdiger Nehberg es geschafft hat, einige der maßgebenden muslimischen Rechtsgelehrten davon zu überzeugen, dass sie sich dafür einsetzen kundzutun, dass Genitalverstümmelungen bei Frauen keineswegs zwingend vom Koran vorgeschrieben werden. Dieses Beispiel zeigt, dass der Islam – vielleicht anders als die katholische Amtskirche – durchaus in der Lage ist, eigene Fehler zu erkennen und sich zu korrigieren.

    Und wie Sie wissen, ist auch das Judentum in der Lage, solche Fehler zu erkennen und sich weiter zu entwickeln. Auf Hagalil habe ich einen schönen Beitrag gelesen, in dem beschrieben wird, wie sich im Judentum die Einstellung zum Opferkult über die Jahrtausende geändert hat:

    http://www.hagalil.com/judentu...../opfer.htm

    Beginnend mit dem Befehl Gottes an Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern, über Tieropfer zu der heutigen Erkenntnis dass ein Gebet ein Opfer ersetzen kann. Wenn man sich die aktuelle Kritik der Beschneidung anschaut, die keineswegs hier in Deutschland begonnen hat, sondern gerade auch in Israel und den USA seit längerem geführt wird, wenn man die Ansätze der Brit Shalom sieht, könnte man guter Hoffnung sein, dass sich hier ein ähnlicher Wandel vollziehen wird.

    Ich glaube wir brauchen kein geändertes deutsches Strafgesetz. Dort steht klar, was man nicht machen soll. Wer trotzdem gegen das Gesetz verstößt und seine göttlichen Gebote als höher bewertet, muss dies zunächst mit sich selbst ausmachen und möglicherweise später mit seinem Sohn. Dass deutsche Gerichte in Zukunft bei jeder Beschneidung aktiv werden, ist nach meiner Einschätzung eher unwahrscheinlich. Dem Kölner Fall lag ja auch eine Komplikation zugrunde.

    Ich würde gerne einen Kompromiss finden, der beide Auffassungen zueinander bringt. Ein gesetzlicher Schnellschuss hilft möglicherweise den Politikern kurzfristig das Thema zu verschieben, den betroffenen Jungen hilf er eher wenig.

    Es hat mich verwundert und erschreckt, dass das Urteil in Deutschland gerade von jüdischer Seite – zumindest in der veröffentlichten Meinung – so einhellig abgelehnt wird. Die Haltung Michel Friedmans, den ich sonst für einen klar denkenden Menschen und fähigen Juristen halte, lässt mich zweifeln, ob ein wirklicher Dialog über dieses Thema derzeit in Deutschland überhaupt gewollt ist. Der Rigorismus Michel Friedmanns, die fast schon in „ex kathedra“-Manier kundgegebenen Hinweise von Oberrabiner Metzger, der lediglich die Ausbildung der Mohels verbessern aber sonst kein Jota von seiner Lehrmeinung weichen will, der keine Kompromisse beim Zeitpunkt oder der Frage der Narkose machen will, erinnert mich ungut an katholische Würdenträger.

    Gibt es tatsächlich so wenige Juden in Deutschland, die hier eine andere Meinung vertreten?

    Oder funktioniert die Initiation so gut, dass andere Meinungen schon nicht mehr gedacht werden bzw. wenn sie gedacht werden, keiner sich traut, sie zu vertreten, weil man sich sonst aus dem heiligen Bund ausschließt?

    Wenn ich mir die berechtigte harte Kritik an der Exorzismuspraxis der katholischen Kirche anschaue, den notwendigen Widerhall in den Medien, die Aufarbeitung der „fahrlässigen Tötung“ der Anneliese Michel, frage ich mich, wieso in der bisherigen Debatte in Deutschland verschwiegen wird, dass in den USA zwei Jungen sterben mussten, weil sie aufgrund ähnlich verquerer Religionsauffassungen eines ultraorthodoxen Rabbis bei der Beschneidung mit Herpes infiziert worden sind.

    Lieber Herr Posener,

    Ihr Argument, Kinder würden bei uns auf vielfältige andere Weise vernachlässigt, verletzt, gequält und erniedrigt, ist richtig, aber es hilft in der Debatte wenig weiter. Es stimmt, dass eine verquere religiöse oder auch sonstige falsche Erziehung Kindern mehr Schaden zufügen kann, als eine Beschneidung. Diese von Ihnen angeführten Verletzungen erfolgen aber meist in dem von Ihnen als fast sakrosankt dargestellten Innenbereich der Familien. Als Lehrer werden Sie wahrscheinlich öfter als Ihnen lieb war, solche Kinder kennengelernt haben. Und allzuoft werden Sie hilflos gewesen sein, weil den Kindern nicht geholfen werden konnte, solange sie nicht selbst aus der Situation ausbrechen konnten oder aber äußere Zeichen von Gewalt erkennbar waren.

    Anders als Sie es darstellen, finden Beschneidungen nicht im Innern der Familie statt sondern auch im sozialen Raum der Religionsgemeinschaft und anders als religiöse Bekehrung oder Indoktrination, ist sie nicht unsichtbar sondern auch von „Aussen“ sichtbar.

    Wenn wir nach langem Ringen das angebliche Züchtigungsrecht der Eltern, das ursprünglich auch Gotteswille gewesen sein soll, verneint haben, sollten wir in der Lage sein, auch bei der Frage der Beschneidung zu einer für alle geltenden Regelung zu finden, die uns hilft sowohl Fälle von körperverletzenden Exorzismus, jüdisch-ultraorthodoxen Beschneidungsriten, freiwilligen Beschneidungen Dreizehnjähriger oder in Fachkliniken unter Narkose durchgeführten Beschneidungen so oder so zu entscheiden.

    Während meine skeptische Einstellung gegenüber Beschneidungen anfangs vor allem von einem Bericht eines muslimischen Opfers beeinflusst war, hat sich nach einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Thema meine Skepsis so weit verstärkt, dass ich im Zweifel der negativen Religionsfreiheit eines Unmündigen, seiner körperlichen Unversehrtheit und seiner unantastbaren Würde den Vorrang vor den Rechten der Familie und der Religionsgemeinschaft geben möchte.

    Wenn es einen gütigen Gott gibt, bin ich der festen Überzeugung, dass er sich von mir weder meinen ganzen Sohn noch dessen Vorhaut opfern lassen würde.

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