Als Joachim Gauck Bundespräsident wurde, gab es viele, die ihm vorwarfen, er „könne nur Freiheit“. Inzwischen fragen sich einige, ob er Freiheit kann. Wer seine Äußerungen seit der Wahl zusammennimmt, kann darin eine bedenkliche Umdeutung der Idee der Freiheit erkennen – weg von der Freiheit des Individuums, auch gegenüber dem demokratischen Staat, hin zur Formierung eines demokratischen Kollektivs oder einer kollektivistischen Demokratie, einer „formierten Gesellschaft“, wie sie dem späten Ludwig Erhard vorschwebte, bei der die „Freiheit“ vor allem definiert wird dadurch, was sie nicht ist oder nicht sein darf.
Die neueste Äußerung dieses Gauck’schen Missverständnisses von Freiheit war seine Rede beim Antrittsbesuch bei der Bundeswehr. Hier ist sie im Wortlaut:
Nun enthält die Rede, das kann und will ich nicht leugnen, viel Richtiges. Zu 95 Prozent besteht sie aus staatstragenden Gemeinplätzen, wie sich das für einen Bundespräsidenten gehört.
Deshalb wäre es unbillig, von Gauck den Mut zu verlangen, auf jene Äußerungen seines Vorvorgängers einzugehen, die ihn das Amt gekostet haben – nämlich auf die Frage, ob die Bundeswehr auch deshalb im Ausland eingesetzt wird und werden darf, um materielle Interessen der Bundesrepublik Deutschland – wie freie Handelswege und den Zugang zu Ressourcen – zu schützen.
Es kostet ja nichts zu fragen, ob die Sicherheit Israels Teil unserer Staatsräson ist; oder ob der Islam zu Deutschland gehört. Die entsprechenden Äußerungen Angela Merkels und Christian Wulffs waren und sind nicht gerade populär, und diese Festlegungen im Sinne des gesunden Volksempfindens nachzujustieren, mag man im Bundespräsidentenamt für clevere PR halten. Es würde hingegen etwas kosten, Horst Köhlers Äußerungen zu verteidigen, und deshalb unterlässt Präsident Gauck das, obwohl er selbstverständlich derselben Meinung ist wie Präsident Köhler.
Stattdessen sagt Gauck: „Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen das, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit.“
Bullshit. Erzählen Sie das den Angehörigen der zivilen Opfer von Kunduz oder Belgrad. Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan und kämpfte im Kosovo-Krieg auf der Seite der Engel, aber doch nicht um „das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit“. Tote Gegner waren und sind erwünscht, tote Unbeteiligte als „Kollateralschäden“ einkalkuliert. So ist das nun einmal im Krieg.
Aber um Gaucks sehr selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit des Kriegs geht es mir nicht, sondern um einige scheinbare Nebenbemerkungen, die seine falsche Wahrnehmung der Freiheit (wieder einmal) offen legen.
Gauck beklagte bei seiner Rede, in der – wie gesagt – weder von den Motiven noch von den Folgen militärischer Einsätze in vollständiger Offenheit die Rede war, „dass bei vielen ein Nicht-Wissen-Wollen existiert“ hinsichtlich der menschlichen Kosten bei unseren Soldaten und Soldatinnen. Das sei zwar auch „irgendwie menschlich“, aber nicht nur das: „Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefallene gibt, das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.“
„Glückssüchtig“? Ist das erstens wahr? Und wenn es wahr wäre, muss man das zweitens so abwertend formulieren? Eine Sucht ist ja wohl etwas Negatives, etwas, von dem man mittels Therapie oder mit eiserner Selbstdisziplin loskommen sollte.
Nun, erstens ist es nicht wahr. Die gewaltige Mehrheit der Menschen in Deutschland wie übrigens auch anderswo weiß, dass Arbeit, Aufopferung und Verantwortung, Blut, Schweiß und Tränen zum Leben gehören. Eltern sorgen für Kinder, Kinder für Eltern, Ehepartner füreinander „in guten und schlechten Zeiten“. Leute gehen arbeiten, oft in schlecht bezahlten, aber nützlichen Berufen – Krankenschwester, Hebammen, Erzieher, Grundschullehrer; nicht zuletzt, weil sie anderen Menschen helfen wollen.
Viele sparen für ihre Kinder und Enkel, oder um diesen Kindern und Enkeln im Alter nicht zur Last zu fallen – zu viele, wie uns die Europolitiker sagen, die uns das Sparen mit Inflation abgewöhnen wollen, auf dass die Wirtschaft brummt. Viele sind politisch und gesellschaftlich aktiv, oft genug in Bewegungen, die wenig mit ihrem eigenen Glück und viel mit dem Lindern der Leiden anderer gehören, von Greenpeace über Amnesty hin zum Weißen Ring und zur Gewerkschaft der Polizei. Außerdem in Kirchengemeinden und anderen wohltätigen Vereinen. Der Vorwurf, ausgerechnet vor Soldaten, die Gesellschaft, die sie zu verteidigen haben, sei „glückssüchtig“ und erkenne deshalb ihre Opfer nicht an, ist ungeheuerlich.
„Nun ja, er ist halt Protestant“, sagte nachsichtig ein im katholischen Österreich aufgewachsener jüdischer Freund, als ich mich über Gaucks Verteufelung des Glücks echauffierte. Schon. Freilich lautet die Kritik des deutschen Katholiken Joseph Ratzinger an der modernen Gesellschaft ganz ähnlich: „Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus“, so Ratzinger bei seiner programmatischen Bewerbungspredigt kurz vor der Papstwahl 2005, „die nichts als definitiv anerkennt und als letztes Maß nur das ich und seine Bedürfnisse anerkennt.“ Bullshit, wie gesagt, aber offensichtlich über Konfessionsgrenzen ansteckend. Denn wie sagte Gauck vor der Bundeswehr? „Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld der Demokratie und des Staates. Manche verwechseln dabei aber Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder auch Hedonismus.“
Hedonismus! Pfui aber auch. Fast so schlimm wie wechselnde, gleich bleibend junge Lebensabschnittsgefährtinnen.
Gegenüber dem Bischof von Rom und dem ehemaligen Pastor aus Rostock mag es angebracht sein, das wichtigste Dokument der Freiheit zu zitieren, das uns die Geschichte überliefert: die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, geschrieben von Thomas Jefferson:
We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. — That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed, — That whenever any Form of Government becomes destructive of these ends, it is the Right of the People to alter or to abolish it, and to institute new Government, laying its foundation on such principles and organizing its powers in such form, as to them shall seem most likely to effect their Safety and Happiness.
Life, Liberty and the Pursuit of Happiness – die Suche, ja Jagd nach dem Glück – als unveräußerliches Menschenrecht; das ist die klare Antwort des jungen Jefferson auf das Mümmeln der alten Männer, die den „Hedonismus“, das Wahrnehmen der „eigenen Bedürfnisse“ und die „Glückssucht“ kritisieren. Der einzige Zweck und die einzige Legitimierung jeder Regierung die Sicherung dieser Rechte – „Safety and Happiness“: das ist die Antwort des freiheitsbewegten Amerikaners auf den Europäer, der jene kritisiert, die „Freiheit und Wohlergehen als Bringschuld des Staates“ sehen. Ja, worin bitte bestünde dessen Bringschuld sonst? 1776 war man weiter als 2012. Friedrich Schiller begriff genau, was thomas Jefferson bewegte. Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung definierte er die „beste Staatsverfassung“:
Diese nur kann ich dafür erkennen, die jedem erleichtert, / Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf. (Musen-Almanach für das Jahr 1797)
Wer diese einfache Wahrheit nicht begreift, begreift auch die Freiheit nicht und redet im Namen der Freiheit, wie es im Kalten Krieg im Westen allzu oft der Fall war, einem demokratischen Totalitarismus das Wort. Es genügt nicht, Freiheit zu predigen. Man muss sie auch aushalten können.
Mein lieber guter Junge: Du glaubts immer noch an ein „Amerika“ aus Karl May und aus dem Film „How we won the West“ mit John Wayne! Der „West“ wurde nicht durch „Bibles & Guns“ gewonnen, sondern hauptsaechlich durch Drohungen mit militaerischen Eingriff (wie heute weltweit) und dann von Rechtsanwaelten – welche,wie heute im Nahen Osten, einen „deal“ machten mit den „Chieftains“. Genau so wie in den 1920ziger mit den Saudi-Chieftain Ibn Saud und dem Hussein dessen halbenglischer Enkel heute Jordanien besitzt. Man sollte man die „treaties“ studieren welche U.S. Federal Attorneys mit den hunderten „Chieftains“ formulierten – seit 1795 – alles lesbar „up-to-date“ juristisch wie heute in jedem Federal Court. Die wirklichen Pioniere – waren die franzoesischen „Courrier de Bois“ welche den Pelzhandel seit den 1600ziger betrieben – und welche die Namen der vielen Staedte, Siedlungen mit franzoesischen Nahmen bestimmten – und deren Buchstabieren die indianischen Bezeichnungen der Fluesse and vieler Staaten bestimmten. Der einzelne Franzose wohnte mit den Indianern, heiratete eine Indianerin: Die Namen der Dolmetscher in fast allen der hunderten „Indian Treaties“ zwischen dem U.S. Government und den hunderten Staemmen – sind alles die franzoesischen Namen dieser „Metis“ (welche im Westen Kanadas sogar noch heute eine eigene Ethnie darstellen). Der Suedwesten wurde von mexikanischen Mestizen besiedelt welche dort die Rinder-und Pferdezucht einfuehrten: Alles was der Ami als „Cowboytum“ hat – hat er NUR vom mexikanischen „Charro“ des Suedwestens gelernt. (Die Polen hatten vorher der U.S. Kavallerie das Militaerreiten beigebracht. West Point Military Academy wurde von einem polnischen Reitergeneral gegruendet – Ende 18ten Jahrhundert). Die Franzosen und die mexikanischen Mestizen – waren schon im Westen – Generationen vor den Anglos. Auch die Russen waren schon 1812 noerdlich von San Francisco in Fort Ross – denn Alaska war schon seit Generationen von russischen Pelzhaendlern – und deren indianischen Frauen besiedelt. (Die Russen erreichten den Pazifik 1635 !) Der „Feudalismus“ erreichte seine hoechste Stufe im „South“ welcher durch die zweiten Soehne von Zuckerplantagenbesitzer vom britischen Barbados besiedelt wurde – mit Einfuehrung der Sklaverei. Auch der „Westen“ wurde spaeter nicht durch U.S. „Pioniere“ entwickelt, sondern durch Entwicklungsgesellschaften der New Yorker Finanzmagnaten – Bergbau und Eisenbahn – mit eingewanderten irischen und italienischen Bergleuten und chinesischen Bahnbauern: Keine kuehne „Pioniere sondern alles „arme Schweine“. Die Regierungen dieser Territories und spaeter Staaten wurden vollkommen von diesen Gesellschaften beherrscht: Keine „Selbstverwirklichung“ – sondern wie heute – die Koch Brothers bestimmen wer Praesident wird. Der U.S. Journalist Colin Woodard erklaert mit viel historischen Beweisen – wie Nordamerika wirklich politisch und wirtschaftlich entstanden ist „American Nations“: Ich habe ihn schon zweimal geschrieben – der deutsche Markt in Europa hat 100 Millionen – ihre Buch sollte dort erscheinen weil fuer die dort Nordamerika ein RAETSEL verbleibt. Sein Verleger hat bei der Euro-Buchmesse keinen Verleger fuer Deutschland gefunden: FINDET EINEM VERLEGER FUER COLIN WOODARD „AMERICAN NATIONS“ damit man mehr versteht von Nordamerika als von Karl May und John Wayne. (Andere seiner Buecher sind in anderen Sprachen erschienen – auch in Asien).
EJ: Europapolitik ist permanente Verfassungsgebung, wie wir gerade jetzt wieder sehen, während Europa (wahrscheinlich) sehr viel rascher sehr viel enger zusammenwächst, als wir vor kurzem noch zu hoffen wagten.
… werter EJ – wer sind Sie? und die?, die vor kurzem noch (nicht) zu hoffen wagten. ist der Junker Ihr Kumpel?
‚Wenn es ernst wird, muss man lügen.‘
‚Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!‘
‚Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.‘
@EJ, Lyoner
Sie sagen, (US)Amerika ist fertig, von Gott gegeben, ich würde noch hinzufügen: Der Gegenentwurf zu einem feudalistischen, unfreien Europa, in dem sich Tugenden wie Pioniergeist und Selbstverwirklichung quasi als Staatstragend bei der Koloniarisierung des Landes erwiesen haben.
Im Gegensatz zu einem Europa, wo man sich vor allem einem Verteilungskampf zuwandte. (Ich weiß, das ist polemisch, es soll nur verdeutlichen.)
Sie schreiben richtig, EJ: „Was wir als mögliches(!!!) “Ganzes” haben, denken sie etwa auch an “Volk” (oder “Ethnie”), ist längt nicht definitiv (gesellschaftlich und) politisch verfasst. Wir müssen es jeweils erst verfassen – s.o. Europa. Und eben das ist bei uns ganz anders als in und mit den USA.“,
also die Scherben (Nationalstaaten) zu einem Ganzen zusammenfügen.
Das, allerdings, halte ich für sehr kompliziert, bzw. unmöglich, vor allen Dingen, wie es angegangen wird: Das Pferd von hinten aufzäumen, Sie wissen schon – Gurken, Energiesparlampen, misslungene Buchprüfungen ganzer Länder, dann Rettungsschirme, Fiskalpakt.. Posener hat hier auch schon kommentiert, „Europa ist nicht zu groß, sondern zu tief“. Ich muss gestehen, ich habe sein diesbezügliches Buch immer noch nicht gelesen, aber wenn ich an „Imperium“ denke, dann gleichzeitig an Rom, die USA und McDonalds. Wo liegen die Gemeinsamkeiten? Im Franchise-System, was bedeutet, daß es einen klug ausgewählten Satz von Eigenschaften („Werten“) gibt, der für jeden „Franchise-Nehmer“ obligatorisch ist, ansonsten freier „betriebswirtschaftlicher“ Spielraum zur Entfaltung. (Mit Griechenland z.B. macht man derzeit das Gegenteil, das nur am Rande.)
Rom hatte, die USA hat diese Imperiums-Eigenschaft, den „unique selling point“. Europa auch, aber im Brüsseler Klein-Klein wird alles zerhackt und das einzige, was wächst, ist bekanntlich die Bürokratie. Ja, Europa erfordert Anpassungsleistungen, aber wenn der Vorteil klar ist, dann „unterwirft“ sich jeden Neumitglied den so „unangenehmen“ Vorstellungen, wie Humanität, Aufklärung, Religionsfreiheit, Wirtschaftlichkeit, Wohlstand, Kultur, Spaß…
Furchtbar, nicht wahr?
Einzelheiten müssen natürlich diskutiert werden. Nein, „wir Europäer“ müssen eben keine zweite USA werden, sondern haben unsere eigene Identität, die sich wohltuend von der eher naiven USA-Kultur absetzen könnte.
Was Gauck betrifft, so bedient er m.E. lediglich die sowieso verbreitete und wahrscheinlich dem Feudalismus geschuldete Bereitschaft, sich mit dem moralischen Zeigefinger gängeln zu lassen. Und was, EJ, die „Vorsicht“ gegenüber kollektiven moralischen Abgründen betrifft, so hat genau Europa durch seine Geschichte „Erfahrungsvorsprünge“, die unsere bedeutenden Philosophen mal für das europäische Franchise-Portfolio kanonisieren sollten.
@Parisien
Ich habe weder etwas gegen Luxus (oft Liebhaberei oder Angeberei, ich bin selber anfällig dafür), noch gegen Ersatzbefriedigung. Ich halte das nur in der Diskussion für zweitrangig. Und daß ich die USA nicht für eine Blaupause für Europa halte, ist – so hoffe ich – aus meinem Diskussionsbeitrag ersichtlich.
@ Lyoner & KJN
@ Lyoner, Sie meinen nicht Souveränität schlechthin, nicht Souveränität in welchem (staatlichen, z.B. europäischen) Rahmen auch immer? Sie meinen nationale Souveränität, genauer: Souveränität in nationalem Rahmen? – Ich sehe davon ab.
Ob APO für den Verlust der Souveränität mit ein paar wohlfeilen indivualistischen Freiheiten entschädigen will?
Ja, was Sie für KJN aus seinem Buch zitieren, klingt so. Ich habe APO seinerzeit gesagt, dass das Kapitel „Demokratiedefizit und Imperium“ das schwächste, weil missverständlichste seines Buches ist. – Ich denke, APO hat sich da einen mächtigen „realpolitischen“ Ausrutscher geleistet. (Solche „Realpolitik“ kennen wir als eine legitime politische Möglichkeit auch des demokratischen Staates sonst nur in außenpolitischen Zusammenhängen.)
„Ausrutscher“ deshalb, weil ich APO zweifelsfrei für einen Demokraten halte. Dabei wäre der „realpolitische“ Zugriff, die „realpolitische“ Interpretation gar nicht nötig gewesen, wenn er Europapolitik nicht nur als Politik, sondern immer auch als Verfassungsgebung (Verfassungsgebung by doing) begriffen hätte.
Europapolitik ist permanente Verfassungsgebung, wie wir gerade jetzt wieder sehen, während Europa (wahrscheinlich) sehr viel rascher sehr viel enger zusammenwächst, als wir vor kurzem noch zu hoffen wagten. Die europapolitische Praxis läuft – wieder mal – allen zuvor getroffenen verfassungsähnlichen Vereinbarungen davon. Die europapolitische Praxis modifiziert die (faktische) Verfassung Europas permanent.
Dass dabei der Verfassungsgeber nicht „verfassungsgemäß“ aus der Verfassung legitimiert sein kann, die er gerade erst gibt, also gerade auch als Geber einer demokratischen Verfassung seinerseits (nicht in einem strengen Sinne)demokratisch legitimiert sein kann, ist ein unvermeidbares Dilemma (und eine Binsenwahrheit schon der alten Griechen). Darauf hätte APO in seinem Europa-Buch abheben müssen.
Dann hätte er sich ersparen können, Europa (und sich selbst) fahrlässig in eine schiefes demokratisches Licht zu rücken. Europapolitik baut Europa überhaupt erst, entwickelt in einem langen europapolitischen Prozess das, was eines Tages ein so und so verfasstes Europa überhaupt erst sein wird. Dabei kann Europapolitik dem demokratischen/ demokratietheoretischen Dilemma der (demokratischen) Verfassungsgebung gar nicht ausweichen.
Wie auch immer, ob sukzessive oder „mit einem Schlag“ und ob per Volksabstimmung bestätigt oder nicht – Verfassungen werden immer „von außerhalb“ der Ordnung gegeben, die sie erst begründen. (In der bundesdeutschen Geschichte verschleiern und verkleistern wir das, indem wir Mamas und Papas – die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ – das Grundgesetz – im Gruppensex? – „natürlich“ zeugen lassen.)
Abgesehen davon, dass ich so auch alten Ärger über einen bedauerlichen Mangel in APOs Europa-Buch raus lasse – er war so nahe dran! – mache ich das Verfassungsgebungsproblem so vergleichsweise ausführlich zum Punkt, um noch einmal darauf hinzuweisen, wie sehr und wie detailliert und wie nicht nur historisch, sondern auch noch aktuell unser europäischer Zustand (und in diesem Sinne unsere europäische Verfassung) anders, fundamental anders ist als die amerikanische.
Dass ein Amerikaner, auch noch einer, dessen Vorfahren erkennbar in das „schon immer“ bzw. „von Anfang an fertige“, in das „schon immer vollendete“ Amerika eingewandert sind, 1989 ff darauf kommen konnte, das Ende der Geschichte zu verkünden, war/ ist völlig naheliegend. Für die geschichtslosen Amerikaner ist die Geschichte seit mehr als 200 Jahren zu Ende. Amerika ist, seit mehr als 200 Jahren.
Für Europa dagegen hat mit der Französischen Revolution ein inzwischen mehr als 200 Jahre dauernder intensiver und oft erbittert geführter Kampf um die (gesellschaftliche und) politische Verfassung Europas begonnen hat, der auch heute – siehe rezente Ereignisse – noch lange nicht „sein“ Ende gefunden hat (wenn er zu unserem Glück auch nicht mehr blutig und mit Mord und Totschlag ausgetragen wird).
Dass Europa und Deutschland, @ KJN, dabei ihre „Schwächen“ haben – vgl. die den Regierungen allzu gern erteilte Ermächtigung zum Verfolg des Glücks – ich bin der erste, der Ihnen das zugibt. Das ändert aber nichts daran bzw. das bestätigt gerade, dass sich in Europa der Bürger immer auch „um’s Ganze“ kümmern und insofern (für das Ganze und für alle) verantwortlich handeln muss. Weil uns „das Ganze“ in dem mythisch-amerikanischen Sinne (wie er in den USA Realität ist) eben nicht, noch nicht gegeben ist.
Was etwa sagt „Nation“ über ihre (gesellschaftliche und) politische Verfassung? Was sagt „Europa“ über seine? Nichts!
Was wir als mögliches(!!!) „Ganzes“ haben, denken sie etwa auch an „Volk“ (oder „Ethnie“), ist längt nicht definitiv (gesellschaftlich und) politisch verfasst. Wir müssen es jeweils erst verfassen – s.o. Europa. Und eben das ist bei uns ganz anders als in und mit den USA. Die USA sind „schon immer“, sind apriori so und so verfasst, sind identisch mit ihrer Verfassung. Die Amerikaner sind der Sorge „um’s Ganze“ deshalb und insofern enthoben, sind deshalb und insofern sorglos und frei, etwa zum Verfolg ihres individuellen Glücks. Wir, sofern wir nicht Egal-wobei-und-wie-Hauptsache-Kohle-stimmt-Mitläufer sein wollen, leider nicht. Wir müssen uns, im Sinne der uns noch immer zu gebenden Verfassung, immer auch „um’s Ganze“ kümmern. – Zaghaftigkeit, KJN, Zaghaftigkeit im Sinne von Um- und Vorsicht angesichts dessen, was „bei uns“ immer auch und immer noch auf dem Spiel steht (wir hatten die nötige Um- und Vorsicht nicht immer!), ist da durchaus angebracht. Oder nicht?
@ KJN
1.“Ich halte Luxus für Ersatzbefriedigung.“
Weiß nicht. Kommt drauf an, welcher Luxus. Sehr geschmackvolle Dinge sehen oft sehr einfach aus, sind aber natürlich aus gutem Material und teuer. Wirklich einfache, billige Sachen dagegen sind manchmal sehr geschmacklos gemacht. Öfter frage ich mich, ob Absicht dahinter steckt, damit der arme Mann genauso erkennbar ist wie der Reiche, der außerdem für Label zahlt. Das ist richtig albern, ein Etikett sozusagen. Ansonsten kann man manchen Luxus lieben. Platz zum Beispiel. Hier sind die Amerikaner besser dran, denn sie haben (außer in z.B. NYC) viel mehr Platz. Platz zu haben, kann sehr glücklich machen und fühlt sich freier an. Denken Sie, auch beim Autofahren, wie aggressiv man wird nach mehreren Staus oder stockendem Verkehr. Apropos Land: Das Gegenteil beschrieb Jared Diamond in ‚Kollaps‘: Wie in Ruanda die Parzellen immer kleiner wurden, so dass man nicht mehr recht davon leben konnte. Ich fand das schlüssig als Erklärung für jenen Bürgerkrieg und glaube, dass Singapur nur funktioniert, weil es sich um Asiaten handelt.
2. „Bis dato ist doch jedes Unheil davon ausgegangen, daß nach dem Glück des Kollektivs gestrebt wurde bzw. “wir Europäer” Regierungen “ermächtigt” haben, uns das Glück zu “bringen”.“
Nun ja, weiß das auch nicht. Das stimmt ja, aber wenn die USA in Vietnam eingreifen o.ä., bringen sie zunächst auch Unheil dorthin. Schließt das Streben nach Glück in den USA automatisch alle anderen aus? Auch uns? Bedenken Sie, sie machten gelegentlich Druck, dass Frau Merkel ja sagt und die Druckerpresse anwerfen lässt. Unsere Inflation würde die Amerikaner wohl kaum berühren. Aber ich will damit nicht sagen, dass wir besser sind, denn während der W-Krise sieht man sehr schön, wie weit es mit grenzüberschreitendem Verständnid her ist.
@ EJ
Toll ausgearbeitet.
@ Rita E. Groda
Im Pentateuch aber steht zu Anfang der Sündenfall.
@ EJ
Täusche ich mich, wenn ich Posener bisher zumeist so interpretiert habe, dass er uns deutschen Citoyens möglichst weitgehend Souveränität (Selbstbestimmung) ersparen will, den Verlust der Souveränität mit ein paar wohlfeilen indivualistischen Freiheiten entschädigen will?
@ KJN
Sie schreiben „Bis dato ist doch jedes Unheil davon ausgegangen, daß nach dem Glück des Kollektivs gestrebt wurde bzw. “wir Europäer” Regierungen “ermächtigt” haben, uns das Glück zu “bringen”.“
Posener schreibt hier „Treffender als KJN hätte ich es auch nicht sagen können.“
Posener schreibt im „Imperium der Zukunft“: „… die europäischen Zustände schätzen, bei denen die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik weitgehend geräuschlos von einer imperialen Funktionselite erledigt wird, die sich keinem Wahlvolk stellen muss.“
Passt das zusammen?
R.E.G. „Das Judentum lehrt, dass die Seele des Menschen von Geburt rein und sündlos ist, dass der Mensch. von Natur aus mit der Fähigkeit begabt ist, das Gute zu tun und sittlich zu handeln aus eigener Kraft. … “.
… helfen Sie mir. Woran liegt ’s, dass dem eben nicht so ist?
@ KJN / EJ: Treffender als KJN hätte ich es auch nicht sagen können. Im übrigen verteidige ich nicht alles, was in jenem großen Land passiert.
@ Rita E. Groda: Hm. Dabei bin ich doch Anglikaner.
L Rita E. Groda
Ist Posener in seiner Exegese des Brechtschen Gedichts nicht eher eine traurige Existenz und ein grober Materialist? Ist die Zeitperspektive eines Tages bzw. des Heute dem Genuß bzw. dem Pursuit of Happiness angemessen? Meinen Sie, er ist über die Propaganda hinaus ein Experte der Lust?
@ KJN: Ist es wirklich das Misstrauen in unsere Regierungen, das uns so zaghaft sein lässt?
Ich würde umgekehrt sagen: Das allzu große Vertrauen großer Bevölkerungsteile in die Regierungen bzw. die politische Gleichgültigkeit großer Bevölkerungsteile muss uns misstrauisch machen. Anders gesagt: Der europäische Bürger (als solcher, heißt: als Citoyen) kann nicht entpolitisiert sein, er kann nicht nur seinen privaten Geschäften nachgehen, nach seinem privaten Glück streben. Als Bürger ist er immer auch (für den Gesamtzusammenhang) verantwortlich. Das sagt Gauck völlig richtig. Der politisch ignorante Nur-Hedonist wäre im günstigeren Falle politischer Schmarotzer, im „ungünstigeren“ Falle mindestens Mitläufer. (Und mit den schmarotzenden Mitläufern – ‚Nein, ich habe nichts gewusst, ich habe nur meinen Job gemacht!‘ – haben wir reichlich Erfahrung, bekanntlich.)
Dass der Bürger Verantwortung trägt (sich aus seinem Verantwortungsverlangen überhaupt erst konstituiert), ist für uns eine so klare Lehre aus der Geschichte, dass uns der idealtypisch entpolitisiert privatisierte Amerikaner, der nichts als sein Glück verfolgt, im Prinzip völlig unverständlich ist. Das kann – so rekonstruieren wir – nur funktionieren, weil die amerikanische politische Ordnung als identisch mit Amerika gesehen wird, weil sie denselben unbezweifelbaren Realitätscharakter hat wie die USA selbst und sich quasi-metaphysisch aus den USA selbst reproduziert. Abgesehen von England vielleicht, sind vergleichbare Identitäten von politischem System und Staat (und Volk und was sonst noch an einschlägigen Entitäten in Frage kommt) in Europa völlig unbekannt.
Den Amerikanern hat der Creator nicht nur unveräußerliche Rechte, sondern auch das Land gegeben, in denen sie unwidersprochen gelten. Weil sie sich darum nicht weiter kümmern müssen, können die Amerikaner ihrem Glück nachjagen. Mit den Europäern war der Creator nicht so großzügig. Was er den Amerikanern geschenkt hat, was deren Apriori ist, müssen wir uns selbst schaffen und erhalten. Die Amerikaner können auf dem Boden ihres Apriori Individuen sein. Wir nicht! Wir müssen die Ordnung, in denen wir Individuen sein können, immer erst kollektiv schaffen und erhalten.
@ KJN
Was haben Sie bisher unterlassen im Streben nach privatem Glück?
vor allem scheinen mir „die Amerikaner“ genauso irrational (gespalten) wie der Rest der Menschheit zu sein.
Dan Ariely lohnt das Zuhören hier besonders am Anfang und ca. im letzten Drittel. Daß er bei Christopher Lydon aufgelaufen ist, nehme ich ihm persönlich übel, doch widersteht er weitestgehend dem Singen des von diesem Interviewer gewünschten Songs.
http://www.radioopensource.org.....nequality/
@EJ „Unsere Erfahrungen sind fundamental andere als die der Amerikaner.“
Vielleicht sollten wir gerade deswegen anfangen, vorwiegend nach dem privaten Glück (und dem unserer Lieben) zu streben(?) Bis dato ist doch jedes Unheil davon ausgegangen, daß nach dem Glück des Kollektivs gestrebt wurde bzw. „wir Europäer“ Regierungen „ermächtigt“ haben, uns das Glück zu „bringen“.
Ist es wirklich das Misstrauen in unsere Regierungen, das uns so zaghaft sein lässt?
@Lyoner: Nur Anmerkung, ich meine mit „zaghaft“ nicht allein den Konsum. Ich halte Luxus für Ersatzbefriedigung.
@lyoner
das ist das Merkmal der Alt-68er und mittlerweile sind sie ja ihre eigene Parodie: In der begrenzten Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, müssen sie immer 30 sein! Mit 50 wurde das zum Fluch, mit 60 sie Witzfiguren und mit 70 erzeugt ihr Anblick nur noch Mitleid, diese blinden Weltenschlürfer.
Lieber Herr Posener: Ihr Beitrag ist sehr Jüdisch, was ich als ausgesprochen positiv goutiere.
Den Pastoren Gauck und den Jüdischen Atheisten Posener trennt mal hauptsächlich ein zutiefst Jüdisches Lebensverständnis, nämlich die positive Zuwendung an das Diesseits, da man jüdischerseits einen versprochenen Himmel und die Belohnung des „Rechtschaffenen“ bis heute nicht zwangsweise anerkennen muß.
Gute und schlechte Taten werden im hier und jetzt belohnt und bestraft. Eine vernünftige Lebenseinstellung, die ansich schon Verantwortung und Freiheit voraussetzt, andererseits auch eine auf das diesseits gerichtete Lebensfreude impliziert.
Ich bin absolut kein Talmud-Kenner, ein paar Stellen fand ich schon immer interessant.
„Das Judentum lehrt, dass die Seele des Menschen von Geburt rein und sündlos ist, dass der Mensch. von Natur aus mit der Fähigkeit begabt ist, das Gute zu tun und sittlich zu handeln aus eigener Kraft. Das Christentum lehrt, dass der Mensch von Geburt an mit Sünde behaftet ist, dass seine eigene Kraft nicht ausreicht, das Gute zu tun, dass Sünde und Schuld die herrschende Macht im menschlichen Leben ist“.
Gerade dieser Unterschied zwischen Juden und Christen mag auch einen Teil des Unverständnisses(und des Hasses) bilden, den manche Christen den Juden entgegenbringen.
Was den demokratischen Totalitarismus betrifft, da könnte der Jüdische(Gelehrte) dem Gauck vorwerfen:
„Der Talmud kennt auch nicht nur einen Güter-Diebstahl, sondern auch einen Meinungs- und Gesinnungs-Diebstahl, (Chulin 84a. b.) dass nämlich Einer den Andern veranlasst, ihm eine bessere Meinung und Gesinnung zuzuwenden, als er in Wahrheit durch sein Verfahren verdient, selbst wenn dem Andern dadurch gar kein Nachtheil erwächst. Ausdrücklich heißt es da auch: man darf keines Menschen Meinung und Gesinnung stehlen, sei es auch eines Nichtjuden.“
Der Talmud lehrt auch, wenn Du einst jenseits vor Gott zur Rechenschaft gezogen werden wirst, wird die erste an dich gerichtete Frage sein: warst du gewissenhaft im Handel und Wandel?
Interessant finde ich die Frage nach der Verantwortung auch für den „WANDEL“.
Hedonismus in Grenzen, Lebensfreude mit Verantwortung scheint mir kein Verbrechen zu sein, bei gleichzeitig stattfindendem Ausgleich in Wohltätigkeit und ernsthaftem sozialen Engagement.
Wir brauchen also nicht unbedingt in die USA zu schielen, um eine Rechtfertigung für das Streben nach persönlichem Glück zu finden.
Ein bißchen weniger auf den christlichen Himmel zu spekulieren und ein wenig mehr auf ein Stück Himmel auf Erden wäre schon viel.
Und, wir sollten uns, ganz auf Jüdische Art, nicht unsere Gesinnung stellen lassen –
auch nicht von einem Pastoren aus der Ehemaligen!
Serdar: @derblondehans
@APo
… war Brecht nicht Antisemit? wie Marx?
Ich glaub er war Brillenträger
… und? werter Serdar? sind Sie (‚von Hause aus‘) Brillenträger?
EJ: Wir Europäer können uns das (private) Streben nach Glück insofern nicht leisten, als wir, im Unterschied zu den Amerikanern, nicht sicher sein können, dass unsere Regierungen Leben und Freiheit gewährleisten.
… so ist es!
Prohibition hat keinen Erfolg. Der „Krieg gegen die Drogen“ ist verloren. Legalize it. Gebt die Drogen frei. Über Abhängigkeit können wir ein andermal reden.
Ansonsten scheint mir, dass Posener forever young sein will und sich immer noch darüber beklagt, dass ihm „Pfaffen“ sein Vergnügen madig machen. Nun ja, ein Verbot läßt sich leichter ertragen als ein Ver-Lust. Würde er leichter genießen, wenn es keine Pfaffen gäbe? Ich vermute, er würde sie erfinden wollen. Weiß Posener, was Genuß ist? Dass der, der einem König, der ihn auffordert, zu wünschen, sagt, geh mir aus der Sonne, näher dran ist, als der, der gimme more verlangt? Posener ein Evangelist des Konsumismus; vielleicht lohnt sich nochmals eine Relektüre der Theoretiker der repressiven Toleranz und des Konsumterrors. Triebaufschub? – „Ihr habt nicht zuviel Zeit“ – das endet mit: Ihr habt keine Zeit zu verlieren, morgen lauert der Tod, weiß der alte Stalinist. Traurige Tropen.
Posener zum Trost ein Gedicht von Robert Gernhardt:
SCHÖN, SCHÖNER, AM SCHÖNSTEN
Schön ist es,
Champagner bis zum Anschlag zu trinken
und dabei den süßen Mädels zuzuwinken:
das ist schön.
Schöner ist es,
andere Menschen davor zu bewahren,
allzusehr auf weltliche Werte abzufahren:
Das ist schöner.
Noch schöner ist es,
speziell der Jugend aller Rassen
eine Ahnung von geistigen Gütern zukommen zu lassen:
das ist noch schöner.
Am schönsten ist es,
mit so geretteten süßen Geschöpfen
einige gute Flaschen Schampus zu köpfen:
Das ist am allerschönsten.
@kerstin: „Chinaman“ – weil die Japaner und Filipinos – in der Sicht vieler „Americans“ alle die selben Gesichter hatten („gooks“) – wurden auch Japaner und Filipinos mit aehnlicher Diskriminierung und sogar Verfolgung belastet. Beispiel: In der Verfassung das Staates Florida war 2002 noch das Verbot von Landkauf durch Asiaten. Natuerlich hatten Menschen von Asien schon seit Jahren Land in Florida erworben – aber das war verfassungswidrig – aber man ist „flexible“ in USA – so etwas ist „unenforceable“… In Kalifornien – zur selben Epoche der Verfolgung der Chinesen, wurden auch die Menschen mexikanischer Abkunft verfolgt. Da erscheint die grosse Figur ALMA REED – deren Vater ein fortschrittlicher Irish-American Rechtsanwalt – verteidigte Mexikaner . ALMA REED, schoen, blond, blaue Augen – bekam die Bugfigur fuer den Schutz der Mexikaner in Kalifornien. Die Presse in Mexiko bemerkte ALMA REED, und Praesident OBREGON bat sie Mexiko zubesuchen, wo man sie bejubelte. Damals war ALMA REED schon Journalistin fuer die New York Herald Tribune fuer welche sie danach fuer einen Bericht ueber die Maya-Tempel nach Yucatan reiste. Dort verliebte sie sich in den linken Staatsgoverneur FELIPE CARILLO PUERTO. Dieser gab einem der romantischen Komponisten in Yucatan den Auftrag eine Lied ueber ALMA REED zukomponieren – „PEREGRINA“ (Pilgerin) – ist seitdem im Folklore Mexikos. Kurz darauf, „Contra“ Militaer ermorderte FELIPE CARILLO PUERTO. ALMA REED wirke spaeter in Europa als Korrespondentin ueber italienische Antike fuer die Tribune. Nach ihren Tod, Jahrzehnte spaeter – wurde sie gemaess nach ihrem Wunsch in Yucatan neben dem Grab von FELIPE CARILLO PUERTO beigesetzt. — (Sieh youtube PLACIDO DOMINGO PEREGRINA )
@derblondehans
@APo
… war Brecht nicht Antisemit? wie Marx?
Ich glaub er war Brillenträger
In einem Satz: Wir Europäer können uns das (private) Streben nach Glück insofern nicht leisten, als wir, im Unterschied zu den Amerikanern, nicht sicher sein können, dass unsere Regierungen Leben und Freiheit gewährleisten. Unsere Erfahrungen sind fundamental andere als die der Amerikaner.
Ach, man sollte es sich nicht so einfach machen! Dort die freien, glücklichen Amerikaner, hier die europäisch/ deutsch (protofaschistischen) Mühseligen und Beladenen. Irgendwie ist das unter unserer Würde als Bürger, finde ich.
Was will Gauck sagen (auch wenn er gar nicht so genau weiß, was er sagt)? Wir sind nicht Bewohner des Neuen Jerusalem. Wir müssen unseren Dreck selber weg, wir müssen [romantik-modus-on] unsere Stadt selber wohnlich [romantik-modus-off] machen.
Wenn man sich nicht gerade ein muslimisches Verbot der Kritik an den Heiligen Schriften auferlegt, erkennt man leicht, welche klassisch patriarchalische Denke the pursuit of happiness ermöglicht. – Ich überzeichne zur Verdeutlichung.
Jefferson kann die men wie die lieben kleinen Kinder sorglos nach Glück streben lassen, weil die Governments, so sehr sie von den Rights of the People abhängig sein mögen, auf wundersame Weise schon immer instituted sind among Men. Die Governments sind nicht identisch mit den Men. Und weil die Governments keine Selbstregierung, weil die Governments nicht der Job, jedenfalls nicht der erste Job der Men sind, sondern eine (im Prinzip) fremde Beimischung among Men, sind die Men frei für das Streben nach Glück. – The american Palinism!
Die eigentliche Leistung, die man Jefferson zuschreiben muss, ist die, dass es ihm (auf diese Weise) gelungen ist, die Governments von jedem Streben nach Glück möglichst weit weg zu halten. (Wir Europäer wissen, was es bedeutet, wenn Regierungen (nationales/ gesellschaftliches) Glück versprechen und nach dessen (nationaler/ gesellschaftlicher) Verwirklichung streben.) Im Gegensatz zu den amerikanischen Men strebt das amerikanische Government nicht nach Glück! Der Preis für die amerikanische Ernüchterung der Regierung bzw. des Regierungsgeschäfts ist allerdings die weitgehende Entpolitisierung der Bürger, die weitgehende Verwandlung der amerikanischen Citoyen in Bourgeois.
Während die Amerikaner, die ihren Gründungsmythos – welcher wäre unserer?! – nicht zufällig ständig parat haben – in eine quasi-metaphysische Ordnung, in das Neue Jerusalem, eingezogen sind, der die Zweiteilung von Government und Men ursprünglich eingeschrieben ist, müssen die Europäer sich Regierung und Freiheit (und was auch immer) selbst erobern. Während die Amerikaner eine mehr als 200-jährige Gegenwart haben, haben wir Geschichte, und was für eine!
Wer in Europa dem Glück nachläuft – das kann er im Prinzip in jedem System (und im Unterschied zu den Amerikanern haben und hatten wir sehr unterschiedliche Systeme in Europa) verrät die (politische) Freiheit. Das will Gauck sagen (auch wenn er das so genau gar nicht weiß). Und so unrecht hat er damit nicht. Jedenfalls bei weitem nicht so unrecht wie APO tut (wenn er mal wieder sein Europa-Buch vergessen hat).
Zwischen den USA und Europa liegen ohnehin schon Welten, Herr Posener. Mit Ihren Verkürzungen verbreitern Sie den Graben zwischen den USA und Europa nur. Verstehen und Verständigung – Go West! – geht anders, APO!
Auf einen groben Nenner gebracht, lässt sich der Totalitarismusvorwurf gegen jedes Staatsverständnis wenden, das auf eine ideologische Gemeinschaftsvorstellung (Volk, Klassengesellschaft) räsoniert und nicht auf einen poilitischen Gesellschaftsvertrag der Individuen, um dem es sich offensichtlich bei der Unabhängigkeitserklärung der USA handelt. Diese These ist verbreitet auch wenn das BVerfG dieses Landes schwere Geschütze dagegen auffahren würde.(?) Unsere Rechtsgeschichte hat nach 1945 eben nur einen Reboot vollzogen und ist in wichtigen Fragen der bisherigen Rechtstradition, die im wesentlichen auf die Rechtssituation des großbürgerlichen Beamten in der Gründerzeit abgestellt ist, gefolgt. Die Stellung von Staat und Gesellschaft ist heute ein viel diskutiertes Thema. Leider hat das öffentliche Recht das privatrechtliche Vertragsrecht immer weiter verdrängt, was eben auch am, hier als totalitaristisch kritisierten, Grund-/Verfassungsverständnis liegt. Auch im liberalen Konzept des Gesellschaftsvertrags, gibt es natürlich Einschränkungen der privaten Willensbetätigung, genannt Strafrecht und Gesetze, die zwar nicht die Gemeinschaft bemühen, sondern den Einzelnen vor Übergriffen und Not schützen. In ihrer Formulierung unterscheiden sie sich nur wenig vom hiesigen Konzept, jedoch gibt es eben Bürger als Mitgesellschafter und Bürger als, wenn auch demokratisch partizipierend, im überkommenen Sinn als untertänige Staatsbürger, die auf die weise Betreueung durch Gerichte und Bundesländer angewiesen sind. Nur, der liberale Zweig des bürgerlichen Denkens hat über die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung auch viel an Bedeutung verloren (Neoliberalismus). Hüben wie drüben werden die Belange der Gesellschaft heute mehr und mehr durch Konzerne und ihre Lobbyisten entschieden. Auch hier sollte man ehrlicherweise von Totalitarismus reden. Der Bürger hat sich letztlich nur in der viel belächelten Schweiz einigermaßen behauptet, deren basisdemokratisches Verfassungsverständnis durchaus auch einer Würdigung bedürfte?
@APo
… war Brecht nicht Antisemit? wie Marx?
@jan z. volens: Danach wurden sie (Anmerk. Chinesen) verfolgt weil man sie nicht weiter brauchte und sie zogen sich nach San Francisco zurueck. (Ihr Zitat)
Das ist aber eine nette Umschreibung für das, was dann passierte. Simon Winchester beschreibt in seinem Buch Ein Riss durch die Welt – Amerika und das Erdbeben von San Francisco 1906 ab Seite 226 die Diskriminierung der Chinesen. Es gab mehrere Kampagnen, es wurden verschiedene Gesetze verabschiedet: Chinesen durften keine Zeugenaussagen vor Gericht machen, es durften keine Grundstücke außerhalb von Chinatown an Chinesen verkauft werden (Ghettobildung), es gab spezielle Steuern und Abgaben, die vor allem Chinesen in den Berufen Wäscher, Fischer und Gemüsehändler trafen, der Haarzopf der Mandschu wurde gesetzeswidrig (1876). Ja, und natürlich auch 1882 das Verbot der Zuwanderung chinesischer Arbeitskräfte und bereits Eingewanderte durften ihre Familie nicht nachholen.
In meiner selbstverordneten Pause habe ich Amy Chua „Die Mutter des Erfolgs – Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ gelesen. Was für ein Alptraum?! Ich würde doch zu gern wissen, was Herr Sarrazin an dem Buch gut fand.
@ Fatih Ersoy: Ja. Sehr schön. Erleuchtung aus der taz-Ecke. Gaucks „konformistischer Freiheitsbegriff“ ist eine zutreffende Formulierung und trifft mein Unbehagen. Es geht in der Tat um eine illiberale Demokratie.
Ihr Seitenhieb gegen den wirtschaftlichen Liberalismus hingegen ist m.E. hier nicht angebracht: wenn Sie Gaucks Rede in Kiel vor dem Weltwirtschaftsinstitut lesen, dann sind seine Ansichten, sofern man sie überhaupt heraushören kann aus dem Geschwafel, auch mit französischer Staatsgläubigkeit und Marktfeindlichkeit kompatibel. Aber das ist eine andere Frage, und m.E. nicht so wichtig wie die Feststellung, dass Gaucks Denken im Kern illiberal ist und – richtig, „maggauckauchnicht“ – die Kategorie der Autonomie nicht begreift.
@ Peter Klepper: Dass ausgerechnet Sie als Alt-68er die „egoistische Vergnügungssucht vieler Menschen“ kritisieren, zeigt, wo unsere Generation sich selbst verraten hat und auf den Hund kommt. Wie können Sie mehr vom bekennenden Kiffer Paul McCartney lesen wollen und gleichzeitig die Vergnügungssucht kritisieren? Hier gilt es, Bertolt Brecht zu zitieren, den großen Verteidiger der egoistischen Vergnügungssucht, und sein wunderbares Gedicht gegen Pfaffen und Sozialkundelehrer:
Gegen Verführung
Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen;
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.
Laßt euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müßt!
Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.
„…Ich bin auch nicht glücklich mit “demokratischem Totalitarismus”, aber mir viel kein besserer Begriff ein….“
Demokratie in Reinform beinhaltet immer Totalitarismus, vor dem der Einzelne in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung mittels des Rechtsstaates geschützt wird. Was Sie kritisieren hat m.E. ja auch herzlich wenig mit seinem Demokratiebegriff zu tun. Sie wollen einen konformistischen Freiheitsbegriff anprangern. Liberalistischer Totalitarismus wäre m.E. adäquater oder auch Gesinnungskonformismus im liberal(istisch)en Gewand. Was Sie allerdings eigentlich umzutreiben scheint, ist Ihr (durchaus ehrenwerter) Versuch, die Grenze zwischen Liberalität als Form und Liberalismus als substanzielles und ideologisches Dogma herauszuarbeiten – auch, wenn Sie das wohl nicht so formulieren würden.
Sie kennen sicherlich das Leben des Brian. Einer der genialsten Momente dieses Films ist jene Szene, in der Brian als „Messias“ vor seinem Haus auf eine versammelte Menschenmenge blickt und predigt, dass sie alle Individuen seien. Die ganze Masse brüllt daraufhin im Chor: Wir sind alles Individuen. Kurze Pause und dann eine vereinzelte anonyme Stimme aus der Masse: Ich nicht!; daraufhin die Masse: Pssst…!
Die Schuldzuweisung an ´eine Person` ist mir zu einseitig: Stellen Sie sich vor, es ist demokratischer Totalitarismus – und keiner geht hin!
…Freiheit muss man nicht nur aushalten können, man muss sie auch wahrnehmen!
Grüsse aus dem selbstgewählten Exil…
„The American Way“ (of democracy): Washington erlaubte in seinem Testament die Befreiung SEINER (persoenlichen) Sklaven – aber die Sklaven welche seine Ehefrau in die Ehe mitgebracht hatte (und deren Kinder) – schufteten weiter in Mount Vernon und auf den Feldern der Plantation. —Gestern 17.6.2012 vom U.S. Congress in Washington – OFFICIAL EXCUSE FOR THE CHINESE EXCLUSION ACT OF 1882. Bis 1943 war die Einwanderung von Chinesen verboten und die schon anwesenden konnten nicht Staatsbuerger werden. Nach 1865 – bauten die Chinesen die Eisenbahnen im Westen. Danach wurden sie verfolgt weil man sie nicht weiter brauchte und sie zogen sich nach San Francisco zurueck. Heute nicht mehr im U.S. Sprachgebrauch: A CHINAMAN’S CHANCE = eine hoffunglose Situation. Die Indianer/Native Americans bekamen erst 1924 die U.S. Staatsbuergerschaft. Haette Thomas Jefferson seine farbige Sklavin-Geliebte Sally Hemming geheiratet – dann haette man noch 1967 Jefferson und Hemming mit acht Jahren Zuchthaus bestrafen koennen in Alabama. Ehen zwischen Rassen waren bis 1967 in 17 U.S. Staaten verboten. Ein Kapitel welche in Deutschland ueberhaupt noch nicht bekannt ist: Die Verfolgung, Enteignung und Diskriminierung der spanisch-sprachigen Mestizen welche seit dem Ende des 16ten Jahrhunderts den U.S. Suedwesten besiedelten: Texas, New Mexico, Arizona, California, Colorado. Interessant – teilweise sind einige auch Nachkommen von sephardischen Juden welche von Spanien nach Mexiko entkommen waren. Mit dem Anfang der Republic Texas 1836 und der Abtrennung der anderen Staaten von Mexico nach 1847 – wurden die Hispanic meist enteignet durch Nichtanerkennung der urpruenglichen Grundbucheintragungen. Die Offiziere der U.S. Army wurden dann die neuen Besitzer. Bis 1964 waren die Hispanic im Suedwesten mehrheitlich auch abgesondert in Schulen und Wohnbezirken wie die African-American in der „Segregation“ der Suedstaaten. Unter den 2000+ bekannten Faellen von Lynchmorden von 1886 bis 1948 – waren auch ueber 400 „Hispanics“. Uebrigens auch ein Dutzend Juden wie der Leo Frank 1915 in Atlanta. Die USA hat verschiedene Gesichter – was der Deutsche sieht ist nicht identisch von dem was die Amis selber gesehen haben, was man in der Karibik und Lateinamerika gesehen hat – in den Jahrhunderten in welchen versucht wurde von U.S. Americans ihre eigene Demokratie zuentwickeln. Aber auch 2012 ist die USA keine Schweiz, kein Schweden – denn die Koch Brothers mit ihren $35 Millarden, Coors, Adelman und andere Millardaere koennen sich diese „Democracy“ kaufen: Welcome to America!
Die Bundesrepublik nach 1945 war eben keine Diktatur.
… seit anno ’45 wird versucht den Sozialisten der ‚BRD‘ die Demokratie zu erklären. Begriffen haben die das bis heute nicht. Ich glaub‘ die packen ’s nie.
Gauck hat, ich glaube es war bei Zwölfzweiundzwanzig im vollen Ernst ohne jeden ironischen Unterton über seine Eltern gesagt:
„natürlich haben sie nichts gewußt“
Nuff said
PS: das Großzügigste, was ich meinen Vorfahren zuzugestehen bereit bin, ist, daß sie wußten, was sie nicht wissen wollten.
@Roland Ziegler
„Aber was hätte Gauck damit am Hut?“
Zugegeben, das war eher von hinten durch die Brust ins Auge gedacht: Der verbreitete Wille zum Konsens toleriert solche Verdrehungen wie Gauck’s „Freiheit zur Verantwortung“.
@Martin Jander
„Die Bundesrepublik nach 1945 war eben keine Diktatur.“
Stimmt auch ‚Konsens-Diktatur‘ war ja vorher 😉
Man ignoriere meinen Versuch.
@KJN Nein. Die Bundesrepublik nach 1945 war eben keine Diktatur.
@KJN: Die faktische Kraft des Normativen 🙂
Aber was hätte Gauck damit am Hut? Außer dass er versucht, welche in die Welt zu setzen? (Wer täte das nicht?)
Konsens-Diktatur(?)
@Alan Posener. Lieber Herr Posener, ich habe auch keinen Begriff dafür. Die ideologiekritische Analyse, die Sie in Ihren Artikeln so toll entfalten, kommt allerdings solchen Verunstaltungen der Begriffe „Freiheit“, „Recht“ und „Demokratie“ gut auf die Spur. Eine kritische Geschichte der politischen Kultur der Bundesrepublik und der DDR liegt ja leider noch nicht wirklich vor. Vielleicht fällt Ihnen und Ihren Lesern ja demnächst noch etwas ein. Das ist nötig. Die große Fangemeinde für Joachim Gauck macht mir große Sorge. Vielen Ex-68ern und Jüngeren scheint der gruselige Sound der 50er und 60er Jahre nicht mehr im Ohr zu sein, das Fortleben der deutschen Volksgemeinschaft unter der institutionellen Hülle der Demokratie. Ich lese Ihre Artikel, nicht nur zu Gauck, mit großem Gewinn.
Eine kleine stilistische Anmerkung zu einer neudeutschen Unsitte: Wer Demokratie „nicht kann“ oder „nur Freiheit kann“, der kann auch nicht gut schreiben.
Lieber APo,
bitte schreiben Sie mehr Beiträge über Paul McCartney und andere Musiker – und weniger Beiträge über Joachim Gauck und andere Politiker.
Ihre selektive Wahrnehmung der Gauck-Rede ist erstaunlich. Darin wird doch das Streben nach Glück nicht gering geschätzt, sondern die egoistische Vergnügungssucht vieler Menschen, für die die großen Werte und Aufgaben unserer Demokratie ihre Bedeutung verloren haben. Als Ethik-Lehrer weiß ich, wovon ich rede.
[„Freiheit, so haben wir gelernt, ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Sie entbehrt auch ihres Wertes und ihrer Würde ohne diesen Begriff.“]
Dass BP Gauck „Freiheit nicht kann“, drückt sich wohl kaum prägnanter aus, als in dieser Formulierung. Dass er „Kant nicht kann“, macht mich betroffen. Aber was solls, ein kleiner Popanz mehr im Meer von Überheblichkeit.
Freiheit stellt die Grundlage für Verantwortung dar, Gauck „vertauscht“ Ursache und Wirkung. Das wusste selbst bereits Augustinus besser, der in dieser Position fortschrittlcher dachte und damit ein echtes Hindernis für manches Religionsverständnis darstellt. Die Rede Gaucks ist ein rechtes Ärgernis, ein typisches Neusprech-Produkt, wo nur sein kann, was auch sein muss. Sein Begriff von Freiheit ist im Ergebnis das, was übrig bleibt, wenn man vom Ende einer funktionsfähigen Deutchland-AG her denkt, die ohne Bundeswehr nicht auskommen möchte. Kein Fussbreit Transzendenz möglich, alles rational gedacht und verplant, immanent, praktische Vernunft eben, aber kein Gespür für die unmittelbare Wirklichkeit. Freiheit bedeutet Eigensinn, bedeutet primär Autonomie, was aber nur schwer in Uniform zu ertragen und noch schwerer auszubilden ist. Vielleicht hätte Gauck nicht vorgaukeln sollen, dass mit Verantwortung sich auch die Freiheit kompatibel einstellt. Diesen Automatismus gibt es nicht, speziell da nicht, wo Gehorsam und Drill die Regel darstellt. Problematisch zudem, die Bundeswehr hat sich gerade wieder (zwangsläufig) auf den Weg gemacht, zum Staat im Staate zu werden, denn die Fragwürdigkeit der sog. politischen Verantwortung ist wohl derzeit kaum augenfälliger als im deutschen Parlament und wird auch wohl von den Bürgern in Uniform nur noch mitleidig zur Kenntnis genommen werden können.
Für Gauck besteht zweifellos das Problem sowohl im pastoralen als auch staatstragenden Auftrag unterwegs zu sein, beides geht nicht. Er kann deshalb nur scheitern, deshalb erübrigt sich schon fast die Kritik. Erbarmen für Gauck! (Seufzen.) Aber das hat er sich ja selbst so ausgesucht, also gibt es eine Freiheit zur bedingten Schizophrenie. (Nietzsche nannte es den Übermenschen, -neusprech Nerd-). Das muss Gauck letztlich mit sich selbst ausmachen, ich kann ihm da nicht helfen, aber mögen kann ich ihn auch nicht.
Gaucks etwas merkwürdiges Verständnis von Freiheit zeigt sich auch in seinem kleinen Büchlein „Freiheit. Ein Plädoyer.“ Darin tauchen Sätze auf wie: „Ich nenne die Freiheit der Erwachsenen ‚Verantwortung‘.“ oder: „Und du, wozu bist du imstande, wofür willst du dich einsetzen? Wie willst du Freiheit gestalten?“, aus denen mehr die Forderung nach „sinnvollem“ Einsatz des eigenen Lebens als jene nach individueller Freiheit spricht.
Siehe meine vollständige Kritik an Gaucks Buch unter: http://www.heiko-heinisch.net/.....-freiheit/
…Korrektur: Washington (nicht Jefferson) war es, der hackte (s.o.).
@Alan Posener
„Glückssüchtig“
Ach ja, ich weiß schon, warum ich so gerne Ihre Texte lese: Weil Sie einer der wenigen hierzulande mit verlässlicher Spürnase die verdrucksten antifreiheitlichen Absichten finden und hervorziehen. Danke dafür.
Vielleicht sollten die Deutschen mehr (!) reisen, um dafür sensibel zu werden, aber nicht pauschal.
@Martin Jander
„Können Demokratien totalitär sein?“
Natürlich – wenn alle das Gleiche denken und wählen – aus welchen Gründen auch immer.
Wieder mal vom Feinsten!
„all men are created equal“ – das hört sich doch schon ganz anders an als die früher zitierte Viereinigkeitsformel der Freiheit! Schade dass man von dieser Gleichheit zu Beginn – von arm und reich, klug und dumm, schwarz und weiß, Mann und Frau – zugunsten multipler Egoismen und Frontstellungen am Ende so wenig wissen will. Jefferson selber demonstrierte seinen praktischen Widerspruch gegen seine theoretische Formel mittels Abhacken von Zehen sehr eindrucksvoll (vgl. Jan Z. Volens oben).
Wie Martin Jander verstehe auch ich den Begriff „demokratischer Totalitarismus“ nicht und finde ihn im Artikel auch nicht erläutert. Ist das nicht ein „schwarzer Schimmel“?
Können Demokratien totalitär sein?
… sicher können sie das.
Angeführt von sich selbst-überhöhten, demokratisch nicht legitimierten Maoisten, zum Beispiel, geht das mit ‚links‘ [sic!] …
Ich meine: „fiel“ kein besserer Begriff ein. Das mir!
Lieber Martin Jander, Sie haben absolut Recht. Genaus so ist es gemeint, und wenn man fragt, weshalb meine Generation ein wenig fremdelt, wenn Staatsmänner das Wort Freiheit in den Mund nehmen, dann eben deshalb, weil dieses Wort in den 1960er Jahren benutzt wurde, um alles niederzumachen, was nicht offenkundig dem Kampf der freien Welt gegen den Kommunismus nutzte. Martin Luther King? Ein Kommunistensympathisamtn, der dem Kampf für die Freiheit schadet. (So jedenfalls Bobby Kennedy.) Lange Haare? Dekadent und verweiblicht, schaden dem Kampf für die Freiheit. (So jedenfalls die Lehrer auf meiner Reformschule.) Und und und. Ich bin auch nicht glücklich mit „demokratischem Totalitarismus“, aber mir viel kein besserer Begriff ein. Vielleicht können die Leser einen genaueren finden?
Lieber Jan Z. Volens, Sie haben auch Recht. (Allerdings schenkte Washington in seinem Testament seinen Sklaven die Freiheit.) Und Sie haben – bezeichnenderweise – nicht einmal daran erinnert, dass der Satz, „All men are created equal…“ nicht nur die Schwarzen und Indianer, sondern auch die weißen Frauen ausschloss. Die Tatsache aber, dass die amerikanischen Demokraten ihren eigenen Idealen nicht gerecht wurden, spricht gegen sie und nicht gegen ihre Ideale. Mir geht es nicht darum, dass auch Gauck und Ratzinger ihren idealen nicht gerecht werden, sondern dass sie ein falsches Verständnis von Freiheit haben. Man könnte sagen: Jeffersons Worte korrigieren seine Praxis, weil sie auf die Erweiterung der Freiheit zielen; Gaucks Worte hingegen geben eine Handhabe zur Einschränkung der Freiheit, die nicht für politische Systemgegner, nicht für „den Islam“, nicht für Gleichgültige, nicht für Uninteressierte, nicht für Unverantwortliche und nicht für „Hedonisten“ gilt. Die Liste ist, so vermute ich, nicht vollständig.
Die schwyzer Bauern welche sich 1295 von der Diktatur des oestreichischen katholischen Bischofs befreiten – waren Demokraten. Aber die Sklavenbesitzer Washington und Jefferson ? Sie wollten eigentlich eine athenische Demokratie fuer reiche Patrizier – aber konnten dann doch nicht eine Demokratie verhindern fuer andere, weniger gehobene WEISSE welche wirtschaftlich unabhaengig waren. Aber natuerlich nicht fuer alle Weisse, und schon ueberhaupt nicht fuer Schwarze oder Indianer. Washington liess die Zehen abhacken von Sklaven welche von seiner Plantation geflohen waren. Jefferson, ein „bon vivant“ hatte immer Schulden – und seine Sklaven wurden nach seinem Tod versteigert. Auch welche er selbst gezeugt hatte: Unter anderen hatte er Kinder mit seiner Sklavin Sally Hemming – welche die Halbschwester seiner eigenen weissen Frau war, denn Jeffersons schwarze Sklavin-Geliebte war gleichzeitig die Tochter seines Schwiegervaters mit einer dessen schwarze Sklavinen. Jefferson’s schwarze Nachkommen bekamen erst ihre demokratischen Rechte 180 Jahre spaeter – 1964. Die Familie Hemming besteht noch – und auch die genetische Verbindung mit Jeffersons weissen Nachkommen ist bewiessen. Allso schoene Sprueche von amerikanischen „Demokraten“ haben auch ihre Schattenseiten – wie die vom evangelischen Pfarrer Gauck oder vom Heiligen Vater im Vatikan.
Große Klasse! Der Begriff demokratischer Totalitarismus gefällt mir trotzdem nicht. Gemeint sind doch die spezifisch deutschen Verhältnisse nach dem Holocaust und dem Vernichtungskrieg, in denen eine große Anzahl von Politikern und Denkern so tut, als habe man Demokratie und Freiheit schon begriffen. Darunter lugt, ganz so wie bei Gauck, ein tradiertes Gemeinschaftsverstaendnis hervor, das mit Demokratie nix zu tun hat. Das sollte man glaube ich nicht mit einem eigenen Begriff adeln. Können Demokratien totalitär sein?
APo: Die gewaltige Mehrheit der Menschen in Deutschland wie übrigens auch anderswo weiß, dass Arbeit, Aufopferung und Verantwortung, Blut, Schweiß und Tränen zum Leben gehören. Eltern sorgen für Kinder, Kinder für Eltern, Ehepartner füreinander „in guten und schlechten Zeiten“. Leute gehen arbeiten, oft in schlecht bezahlten, aber nützlichen Berufen – Krankenschwester, Hebammen, Erzieher, Grundschullehrer; nicht zuletzt, weil sie anderen Menschen helfen wollen.
APo: … Katholik Joseph Ratzinger … ganz ähnlich: „Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus die nichts als definitiv anerkennt und als letztes Maß nur das ich und seine Bedürfnisse anerkennt.“
… ich kann kein Widerspruch, zu dem was Sie schreiben und dem was der Katholik Joseph Ratzinger sagte, erkennen. Werter APo – Sie sind ja ein Katholik.