avatar

Grass und Israel: Die Altersweisheit eines selbst schuldig Gewordenen

Darf man in Deutschland die von den Christenparteien geführte Bundesregierung eigentlich kritisieren, ohne gleich als Antichrist zu gelten? Zugegeben, diese Frage ist polemisch und geht zunächst einmal am Problem vorbei, dass wir hierzulande nun zumindest schon seit unserer Staatsgründung haben.

Aber um auf die Protestantin Angela Merkel anzuspielen, die die längst erfolgte Versöhnung mit Israel mal so eben zur Staatsräson erklärt hat, das Christentum ist allemal die verfassungsgemässe Geschäftsgrundlage der deutschen Politik.

Wozu also die ganze Aufregung um das  von Günter Grass publizierte Gedicht, das literarisch gesehen, sicher nicht zu seinen Bestleistungen zu zählen ist. Doch darum geht es ja auch gar nicht. Grass hat mit seinen provokanten Thesen gegen die israelische Regierung eigentlich nur den Finger auf eine schwärenden Wunde der deutschen Körperschaft legen wollen, dass  seit nach Auschwitz sich jede Kritik an Israel von vornherein verbiete, also tabu sei.

Und damit hat er, sich der aufgeregten Wirkung seiner Worte gegen die israelische Atompolitik, womöglich gar nicht bewusst, das offenbar noch immer verkrampft-heuchlerische Verhältnis der Deutschen zu Israel bloßgelegt. Ja mehr noch: Es bleibt zunächst einmal festzuhalten, dass wir offenbar vor lauter Schuldbewusstsein in Sachen Vergangenheitsbewältigung nicht einmal die Gegenwart zu bewältigen in der Lage sind.

Denn das bedeutet nun einmal, dass, ungeachtet aller moralischen und menschenrechtlichen Aspekte, Israel eine politische Sonderbehandlung beanspruchen darf. Genauer: Grass hat das getan, was verantwortungsbewusste Politiker längst hätten tun müssen, nämlich die unkontrollierte atomare Potenz Israels anzuprangern. Die ist nämlich, Iran hin Nahost her, ein destabilisierender Faktor für den Weltfrieden. Darf das etwa nicht gesagt werden?

Auschwitz, so grausam und unentschuldbar es auch sein mag, darf nicht auf immer und ewig , um mit Walser zu sprechen, als „Moralkeule“ gegen jede Kritik der israelischen Politik herhalten.

Dass eine, wie der bewundernswerte ehemalige Deutschlandbotschafter Avi Primor sagte, hysterische Reaktion Jerusalems mit Einreiseverbot für Grass folgte, dass die heuchelnden und hechelnden Heere der deutschen Publizistik aufheulten, dass mal wieder die Totschlagkeule des Antisemitismus aus der Gruselwortschatzkiste teutonischer Toren hervorgekramt wurde – alles geschenkt.  Das gilt auch für den peinlichen Beifall von der falschen Seite.

Grass hat sich um den längst überfälligen Mut zu Wahrheit und Klarheit gegenüber einem mit uns gottseidank seit Jahrzehnten befreundeten Staat verdient gemacht. Das ist nicht Altersverwirrtheit, wie so mancher Großkritiker jetzt meint beklagen zu müssen, das ist Altersweisheit eines Menschen, der –selbst schuldig geworden- weiß, wovon er spricht.

Israel zu kritisieren heißt keineswegs die iranischen Mullahs in Schutz zu nehmen. Grass hat, wie der israelische Historiker Tom Segev kühl feststellt, nur das getan, was selbst der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan täglich tue, nämlich Israel vor einem Angriff auf den Iran gewarnt. Nicht mehr und nicht weniger – das als Antisemitismus zu bezeichnen ist absurd und böswillig.

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

31 Gedanken zu “Grass und Israel: Die Altersweisheit eines selbst schuldig Gewordenen;”

  1. avatar

    …und noch ein Wort zur Abschreckung: die ist für Israel z.Z. unvermeidlich, aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit. Es geht nicht darum, das Abschreckungspotential Israels jetzt zu verschrotten, sondern einen drohenden Präventivkrieg mit ungewissem Ausgang, aber umso gewisserer Sinnlosigkeit jetzt zu verhindern. Auch Grass spricht nirgendwo von einer Entwaffnung Israels o.ä., das wird nur von den aufgeregten Literaturkritikern in den Text hineingelegt.

  2. avatar

    @ Rita E. Groda

    Bei aller Liebe, ich glaube nicht, liebe Frau Groda, dass wir beide unter einem Dach leben könnten. Wir wären wie Hund und Katze. Wenn ich mit dem Schwanz wedle, bekommen Sie eine Panik, wenn Sie schnurren, würde ich mich zu Tode erschrecken.

    Aber bei der Entfernung Preußen (so schnell schießen die Preußen nicht) und dem Schwobeländle (nur ned huddle) müßten wir doch einigermaßen miteinander auskommen können. Meinen Sie nicht auch?

    Ja das Ländle, manchmal habe ich da schon noch Heimweh.

  3. avatar

    @Stefanie: Ich stimme Ihnen in vielem zu. Jedoch meinte ich nicht, dass vom Iran eine A-Bombe geschickt werden würde, sondern konventionelle Raketensprengköpfe – der Iran verfügt noch keine A-Bombe. Daraufhin könnte dann von Israel eine atomare Antwort erfolgen, ohne dass das von jemandem heute beabsichtigt wird. Die Gefahr ist m.E. am größten, wenn sie von unbeabsichtigten, unbeaufsichtigten komplexen Prozessen ausgeht.

    Eine sinnvolle Konsequenz daraus ist die Forderung an Israel, auf einen Angriff auf den Iran zu verzichten. Man kann außerdem auch andere Konsequenzen ziehen, die den Iran betreffen, aber diese Konsequenz ist sinnvoll. Denn ein Angriff könnte das besagte fatale Szenario initiieren. Eine solche Forderung zu erheben ist durchaus logisch, keineswegs antisemitisch und nebenbei auch der zentrale Punkt im Gedicht von Grass (in dem es um das „Recht auf den Erstschlag“ geht, womit sinnvollerweise nur der erste, begrenzte Präventivschlag gemeint sein kann).

  4. avatar

    @Stefanie
    „Was ist Ihr Lösungsvorschlag? Dass Israel die atomaren Waffen abgibt und Assad, Hisbollah sprich Iran etc. durchmarschieren können?“

    Deutschland und Frankreich waren jahrhundertelang erbitterte Feinde und haben einen Krieg nach dem anderen gegeneinander geführt. Heute ist Frankreich eine Atommacht, und Deutschland nimmt dies seelenruhig hin. Warum? Weil Frankreich kein Feind mehr, sondern ein Freund Deutschlands ist. Die Staaten im Nahen Osten müssen ebenfalls aufeinander zugehen, um an die Stelle eines fragilen Gleichgewichts des Schreckens einen dauerhaften Frieden zu setzen. Langfristig ist es selbstverständlich wünschenswert, dass Israel keine Atomwaffen mehr braucht, um seine Nachbarn von einem Angriff abzuhalten. So wie es wünschenswert ist, dass überhaupt kein Land der Welt mehr Atomwaffen braucht bzw. zu brauchen glaubt. Ich stimme aber Roland Ziegler zu: Vermutlich gewinnt das gegenseitige Misstrauen am Ende die Oberhand, und eher mehr als weniger Staaten streben nach der Atombombe, mit den zu befürchtenden Konsequenzen für die Menschheit.

  5. avatar

    @Lyoner: Berlin verändert die Menschen; nicht unbedingt zu deren Gunsten, was ich nicht nur bei Ihnen konstatieren mußte.
    Wären Sie in Ihrer Allemannischen Heimat geblieben so hätten Sie sich vielleicht an den „Piratensender“ der 60-er und 790-er erinnert, SWF3, der in einer wunderbaren Glosse die Lenor Werbung aufs Korn nahm. In der damaligen Lenor-TVWerbung wurde eine Hausfrau gezeigt, der im Hintergrund eine geisterhafte Stimme soufflierte: Hast Du auch ein gutes Gewissen? Hast Du Deine Wäsche heute mit Lenor gespült? ……….

    Bei SWF 3 fragte die Geisterstimme: Hast Du auch ein Gutes Gewissen, hast Du schon unter Deine Füße geschaut, unter deine Arme ………? Hast du heute schon mit Flauschi-Bauschi gespült?
    Der Flauschi-Bauschi Sketch, von meinem Freund Peter ausgeführt; bis heute bei uns ein Heiterkeitserfolg:

    Bei Ihnen hat mein gutgemeinter Flauschi-Bauschi-Hinweis ihr nicht-antisemitisches Gewissen gespült!!
    Von meinem Flauschi-Bauschi auf den Antisemiten zu schließen ………….., das ist wirklich ……..

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie erinnern an die Spontanaktionen in Deutsch-Wildwest, initiiert von SWF3. Heiligabend Ende der 70-er. SWF3 rief auf zur spontanen Heiligabendfete mit Kind und Kegel und Weihnachtsessen. Kind, Kegel und Weihnachtsessen wurde in den bescheidenen Käfer eingepackt und zur Raststätte Baden-Baden gekarrt. Es wurde einer der schönsten Heiligabende der Familie, mit allen Religionen und Nationen.
    Ja, da waren wir noch nicht so gesetteld, gingen nur zu nicht angemeldeten Demos und brauchten noch keinen Deutschen Waffenschein für unser Gewissen und unsere Meinung.

    Preußen tut wirklich nicht allen gut, nicht nur Ihnen nicht.
    Schon Sebastian Haffner meinte, wir wären auch ohne Preußen nicht schlechter dran gewesen.(zumindest der deutsche Humor hätte nicht so gelitten, meine ich.

    Bei Ihrem Widerspruchsgeist wären Sie im Land der Dichter und Kämpfer besser aufgehoben.
    Das was Ihnen in Berlin der Bundestag bietet bekommen Sie auch bei uns während der Fasnet gratis geboten.

  6. avatar

    @Roland Ziegler

    Wenn der Iran gen Israel eine A-Bombe schickt, dann gibt es entweder kein Israel mehr oder – sollte ich zutreffend informiert sein – die Bombe kommt in kleinen Stückchen, weil von der Raketenabwehr zerschossen – woanders runter.

    Ich halte es für sehr gewagt, davon auszugehen, dass ein Regime, welches kleine Jungs mit Schlüsseln um den Hals auf verminte Felder schickt, die kleinen Körper in Teppiche gehüllt, dass die Leichenteile nicht durch die Licht fliegen, dem irakischen Kriegsgegner damit einen Anblick bietend, dass die Soldaten mental am Ende vor Entsetzen sind, Schule an Baukränen erhängt, Frauen einbuddelt und steinigt, etc. berechenbar sein.

    Ein Regime, dessen aktueller Präsident glaubt, dass ein 12. Imam aus einem Brunnen krabbeln wird, wenn die Erde nur zerstört genug ist und dies auch noch vor der UN-Vollversammlung erläutert, ist alles als berechenbar nach unseren Maßstäben.

    Dieses Regime hat den Iran menschlich ausgeblutet. Die Wahlergebnisse sind gefälscht ja, aber es ist nicht so, dass es keine Mehrheiten hinter sich hat. Wir alle wünschen dem Iran, dieses bestialische Regime los zu werden, aber das wünschen wir nicht erst gestern und bisher ist es noch da.

    Solange keine berechenbare Regierung in Teheran an der Macht ist, muss man doch nicht darüber nachdenken, dass Israel seine Kapazitäten im Falle eines Atomschlages zurück schlagen zu können als Abschreckung, aufgeben könnte. Solange Iran Syrien unterstützt und in Syrien weiter jemand an der Macht ist, der Israel vernichten will und die militärischen Mittel dazu hat, solange Hisbollah im Libanon vom Iran aufgerüstet Israel im Nacken sitzt, solange das alles so ist, sind Forderungen nach atomarer Abrüstung Israels die Aufforderung zum Selbstmord.

    Wer sich als in „Gedichtform“ meint darüber beschweren zu müssen, dass Israel Atomwaffen zur Abschreckung hat, beschwert sich letztlich über nichts anderes als die Abschreckungsfähigkeit gegen dem Iran und vor allem den Nachbarn, was in den letzten Jahrzehnten der Garant dafür war, dass Israel nicht mehr direkt durch Staaten angegriffen wurde und halbwegs Ruhe hatte.

    Wer sagt, er habe Angst, was mit all dem atomaren Zeug passiert, befindet sich in guter Gesellschaft mit den Israelis. Wer aber darauf den Schluss zieht, auch Israel seine Abschreckungswaffen nehmen zu wollen, fordert wie Grass die Aufgabe der Abschreckungsfähigkeit.

    Der Versuch ins Gespräch zu kommen etc. ist das eine, dies aber mit Vorwürfen gegenüber Israel zu verbinden, ist nichts als Traumtänzerei. Israel ist als freiheitlicher, demokratischer Rechtssstaat nicht umsonst ein Verbündeter in Sicherheitsfragen. Ebenso wenig ist nicht umsonst der Iran hierbei kein Verbündeter des Westen. Und Iran und Israel in einen Topf zu werfen, was die Frage der atomaren Bewaffnung anbelangt, geht völlig an den Realitäten vorbei und gefährdet uns hier alle auch. Denn die Raketen vom Iran reichen ohne weiteres auch bis nach Europa und eben aus der Furcht heraus, wird an Abwehrschirmen etc. auf Hochtouren gearbeitet. In unserem Verteidigungsbündnis gibt es ebenfalls zur Abschreckung atomare Waffen. Wenn also von Israel gefordert wird, es soll seine aufgeben, dann sollen die möchtegern Selbstmörder das doch auch konsequenterweise von der Nato fordern. Davon las ich bei Grass aber auch nichts.

    Und warum las man nichts: weil er Israel für die Gefahr des Weltfriedens hält. Israel macht nichts anderes als wir auch mit unseren Bündnispartner. Aber bei Israel ist es natürlich ganz was anderes…..

  7. avatar

    …oder in Kurzversion: Niemand will in Israel Atomwaffen einsetzen. Aber das könnte sich ändern, wenn Iran – was der Himmel verhindern möge – in einer Gegenaktion verheerende Raketentreffer in einer israelischen Großstadt verursachen würde.

  8. avatar

    @Stefanie: Ich befürchte nicht, dass Israel die Atomwaffen einsetzen will. Ich sage lediglich, dass Atomwaffen stabilisierend wirken, bis sie eingesetzt werden. Dann wirken sie destruierend.

    Ich glaube nicht daran, dass sie im Konflikt Israel-Iran eingesetzt werden, aber nicht deshalb, weil niemand in Israel das zum jetzigen Zeitpunkt so will. Ich kann nicht ausschließen, dass die Waffen am Ende eines schlimmen und sich ständig verschlimmernden Schlagabtauschs eingesetzt werden. Ich bin trotzdem relativ zuversichtlich, dass dieser Prozess diesmal (noch) nicht stattfinden wird. Viel zuversichtlicher, als ich hinsichtlich des harmlosen Bruders, der Atomkraftwerke und ihrer GAUs, je gewesen war. Bei diesem harmlosen Bruder ist es zu einem GAU gekommen, entgegen allen Versicheungen, dass es dazu nie kommen könnte, dass die Logik der Technik dagegen stünde, dass die Kritiker Angsthasen wären. Diese Tatsache hat z.B. Frau Merkel – und, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch Herrn Posener – dazu bewogen, ihre Berechnung neu anzusetzen und plötzlich nicht vom Gelingen der Pläne, sondern vom Misslingen, vom Durchbrennen der Sicherungen, auszugehen.

    Ich glaube wie gesagt, dass es zu so einer Katastrophe im aktuellen Israel-Irankonflikt nicht kommen wird. Grass glaubt das nicht, und das ist aus meiner Sicht keine Sünde und keine Empörung wert. Zumal ich mir fast sicher bin, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis irgendwo von irgendwem ohne jedes Unrechtsbewusstsein eine Atomwaffe gezündet wird, ohne Ankündigung, ohne Planung, als Kurzschlussreaktion.

    Natürlich muss man deshalb die weitere Verbreitung der Atomwaffen stoppen. Natürlich muss man deshalb insb. den Iran unter Druck setzen, weil der an der Entwicklung weiterer Atomwaffen arbeitet. Für Grass bestehen daran Zweifel; für mich nicht.

    Mein Lösungsvorschlag ist: den Iran isolieren und abwarten, bis das dortige Volk die Machthaber vertrieben hat. Trotz ihrer Drohungen sind die Machthaber im Iran nicht so irrational, dass sie eine Atombombe gegen Israel in einem Erstschlag einsetzen würde; das käme einem Selbstmord gleich.

    Wie wird es weitergehen? Ich vermute, dass sich nach dem Iran weitere Staaten Atomwaffen zulegen werden, denn der Besitz von Atomwaffen ist der beste Schutz, nicht von Weltpolizisten angegriffen zu werden.

    Gegen diese bedrohliche Entwicklung ist fast kein Kraut gewachsen. Erst internationale lückenlose Zusammenarbeit kann dem etwas Substanzielles entgegensetzen. Wie Grass im Grundsätzlichen sagt.

  9. avatar

    „Konflikte haben eine Eigendynamik, die niemand vorhersagen kann. Gewalt besitzt die unangenehme Eigenschaft, zur Eskalation zu tendieren. Das wusste schon der Kriegstheoretiker und –praktiker Clausewitz, und René Girard hat darüber das faszinierende Buch „Achever Clausewitz“ – „Clausewitz zu Ende denken“ – geschrieben. Am Ende siegt meist nicht die Vernunft, sondern die kriegerische Leidenschaft. So ist der Mensch offenbar geschaffen: „Die Gewalt ist ein schrecklicher Gegner, vor allem, da sie immer gewinnt.“ Deshalb kann ich Roland Ziegler nur zustimmen: Die durch atomare Abschreckung erreichte Stabilität ist trügerisch. Sie wird um den Preis erreicht, nicht nur den Staat Israel, sondern die gesamte Menschheit in ihrer Existenz zu gefährden.“

    @Thorsten Zeiss

    Was ist Ihr Lösungsvorschlag? Dass Israel die atomaren Waffen abgibt und Assad, Hisbollah sprich Iran etc. durchmarschieren können?

  10. avatar

    „Ja, Atomwaffen stabilisieren, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie eingesetzt werden.“

    @Roland Ziegler

    Israel hat seit ca. 40 Jahren nukleare Waffenkapazitäten. Bisher hat Israel nicht einmal offen gesagt, dass es über diese Möglichkeiten verfüge. Israel hat bisher nie mit diesen Waffen gedroht. Israel hat in diesen 40 Jahren nie erwogen, die zum Einsatz zu bringen. Nicht einmal im Irak Krieg hat Israel dem Irak gedroht, weitere Raketen auf TLV und ihr müßt mit damit rechnen, dass wir euch eine A-Bombe senden.

    Israel ist eine rechtsstaatliche Demokratie, in dem jede Ohrfeige, die ein Soldat einem Palästinenser gibt, breit in den Medien thematisiert und kritisiert wird. Israel hat im Gegensatz zum Iran, Nordkorea, Pakistan etc. eine parlamentarische Kontrolle und freie Medien, die Regierung kontrollieren. Die Mehrheit der Israelis ist gegen einen militärischen Schlag gegen die Atomanlagen im Iran. Atomare Angriffe stehen überhaupt nicht zur Debatte.

    Wie kommen Sie also darauf, dass man befürchten muss, dass Israel atomare Waffen einsetzen will?

  11. avatar

    Lieber Herr Burchhardt,

    „Grass hat sich um den längst überfälligen Mut zu Wahrheit und Klarheit gegenüber einem mit uns gottseidank seit Jahrzehnten befreundeten Staat verdient gemacht. Das ist nicht Altersverwirrtheit, wie so mancher Großkritiker jetzt meint beklagen zu müssen, das ist Altersweisheit eines Menschen, der –selbst schuldig geworden- weiß, wovon er spricht.“

    Die Medien sind nicht erst seit Grass voll von Kommentaren, dass Israel die A-Bombe im Iran nicht mnilitärisch stoppen soll. Die europäische Politik ist sich weitestgehend einig, dass Israel nicht militärisch gegen die A-Bombe vorgehen soll, die US-Amerikanische Regierung spricht sich dagegen aus etc. Es ist also nahezu einhelliger Konsens in Deutschland, dass Israel nicht die Atomanlagen angreifen soll. In fast jedem der Texte dazu steht, dass es ein offenes Geheimnis sei, dass Israel über nukleare Waffen verfügt. 83 % der deutschen sprechen sich dagegen aus, Israel im Falle eines militärischen Konfliktes mit dem Iran zur Seite zu stehen.

    Und jetzt erklären Sie mir mal, wo genau Grass mutiger war als diese 83 %, nahezu alle Medien und Politiker?

    Da bleibst nichts bis auf die Punkte, die wiederum fast einhellig von den Medien kritisiert wurden – im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung – als grob einseitig, Faktenverdrehung bis hin zu dem Bedienen von antisemitischen Stereotypen. Diese Punkte werden es doch nicht sein, die Sie mutig fanden?

  12. avatar

    @ Alan Posener

    Frieden kann es nur geben in einem Geist des Vertrauens und der Versöhnung. Zerstrittene Nachbarn mögen auch ohne Versöhnung eine gewisse Zeit lang in „Frieden“ miteinander leben. Ein solcher Frieden ist aber fragil, weil gegenseitiges Misstrauen den idealen Nährboden für Gewalt bildet. Ohne Aussöhnung wird der Nahe Osten niemals zur Ruhe kommen. Aussöhnung setzt aber die Bereitschaft beider Seiten voraus. Deshalb war es meiner Meinung nach falsch von Grass, Israel den Schwarzen Peter zuzuspielen. Die mutmaßlichen Bemühungen des Iran, eine Atommacht zu werden, sind sicher keine vertrauensbildende Maßnahme. Die Angriffsdrohungen Netanjahus aber auch nicht. Es ist der alte Irrtum, Gewalt ließe sich durch Gewalt besiegen, der die Gewaltspirale am Laufen hält. Vor diesem Irrtum ist aber niemand gefeit. Der Apostel Paulus sagt im Römerbrief, man solle sich nicht vom Bösen besiegen lassen, sondern das Böse durch das Gute besiegen. Was realpolitisch jeweils „das Gute“ ist, das ist allerdings eine schwierige Frage, deren Beantwortung die große Herausforderung für eine Politik ist, die Frieden und Versöhnung als Ziel hat.

  13. avatar

    Wie nützlich Propaganda sein kann, wie taktisch „Berufsmoralisten“ und „Berufsreligiöse“ Hand in Hand arbeiten, wenn es um Antistimmung geht, Israel betreffend, das zeigten die Salafisten am Wochenende.

    Zuerst ein bißchen“Grass“ mit der Blechtrommel getrommelt, dann ein wenig von radikalen Muslimen kostenlose Missionierung mit gratis Koranverteilung. Und schon kann man den Deutschen Berufs Opportunisten entsprechend manipulieren.
    Denn, wer in Deutschland will nicht weltoffen sein, interessiert an jeder Idiotie, ob es nun eine religiöse oder politische ist. Rassist möchte man natürlich auch nicht sein, nur (un)heimlich, wenn es um Juden, bzw. Israel geht, denn wesentlich lieber bezieht man Partei für potentiellen Terrorismus, verharmlost man z.B. Ehrenmorde, läßt die Infragestellung unserer Deutschen Rechtsordnung ganz offiziell zu, als daß man sich weiterhin von der „Holocaustkeule“ beeindrucken läßt.

    Der Beitrag von Herrn Kocks heute ist gar nicht mal so übel.

    Seinen Kant kennt er offensichtlich, nur hat er nur einen kleinsten Teil davon zitiert!

    Den wichtigsten – genau bezugnehmend auf meine vorhergegangenen Zeilen – hat er unterschlagen.

    ————————————————–
    Die Vernunft entrüstet sich bei dem Gedanken,
    all das dem Zufall zuzuschreiben.
    ————————————————–

    Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit Bewunderung und Ehrfurcht:
    der gestirnte Himmel über uns
    und das moralische Gesetz in uns.

    Der Rest ist in der heutigen realen Welt Makulatur.

  14. avatar

    @ Thorsten Zeiß: Je mehr Länder Atomwaffen in die Hände bekommen, desto instabiler wird die Situation. Die islamische Republik Pakistan hat sich bisher als die unverantwortlichste Besitzerin von Atomwaffen erwiesen – und das, obvwohl sie Verbündete der USA war und ist. Sie hat Schurkenstaaten wie Nordkorea und Iran mit dem entsprechenden Wissen verorgt. Weshalb sollte man in Allahs Namen glauben, eine von apokalyptischen Vorstellungen getriebene Anstifterin des internationalen Terrorismus wie die Mullah-Regierung der islamischen Republik Iran würde verantwortungsvoller damit umgehen? Rationalerweise müsste man alles tun, um das zu verhindern. Nichts anderes sagt Israel. Und Präsident Barack Obama sagt das auch. Angela Merkel auch. Nicolas Sarkozy auch.
    Israel hingegen hat gezeigt, dass es die Bombe nur als Lebensversicherung besitzt. Seit vierzig Jahren hat es die Bombe, und das hat keinen der Nachbarn beunruhigt. In einer idealen Welt würde Israel dem Atomwaffensperrvertrag beitreten und seine Anlagen von Ägyptern, Iranern usw. überprüfen lassen. In der Welt, so wie sie ist, kann man es verstehen, wenn Israel fragt, weshalb England und Frankreich, die nicht existenziell bedroht sind, die Bombe haben. Ditto Russland, ditto China, ditto Amerika. Diese Länder wollen die Bombe als Machtmittel. Das ist moralisch viel verwerflicher als Israels Kalkül. Von Indien schweige ich hier, weil Pakistan unberechenbar ist, und von Nordkorea, weil das Kalkül des Regimes offenbar ist.
    Von allen Atommächten hat Israel den glaubhaftesten moralischen Anspruch auf den atomaren Schutz. Und ausgerechnet gegen dieses Land zieht Grass zu Felde. Wem das nicht zu denken gibt, der hat seinen Kopf nicht zum Denken da, sondern zu was anderem.

  15. avatar

    @Roland Ziegler: Die Deutschen Ängeste, die Sie so gut beschrieben, halte ich für eine recht gute Sache.

    Auch wenn sich Deutschland – nicht nur nach meiner unmaßgeblichen Meinung nach – breits auf dem Weg in die Post Demokratie befindet, scheinen wir im Vergleich mit anderen Europäern, immer noch die lebendigste und offenste Demokratie zu sein. Wenn Sie andere Westeuropäer befragen ; die sehen es ebenso und beneiden uns geradezu um die Furchtlosigkeit der Deutschen Bevölkerung Politiker und deren Verfehlungen z.B. anzugehen.

    Die sog. Deutschen Ängeste bewirken patiell eine besondere Sensibilität; möge sie der Allmächtige den Deutschen für immer erhalten.

  16. avatar

    @Alan Posener: Vieles von dem, was Sie hier über Israel schreiben, kann ich unterschreiben.

    Allerdings sehe ich hier weniger „echten“ Antisemitismus bei der Israel-Ktirik als Sie.
    Rede ich mit anderen Menschen (bewußte Formulierung), Nichtjuden, ganz normalen Deutschen Menschen über Israel und das Grass-Gedicht, so springt mir ein ganz anderer Reflex förmlich ins Gesicht, als man in Deutschland derzeit vermutet.
    Nicht die angebliche Deutsche Schuld läßt angeblich ein Tabu nicht brechen, nämlich Israel zu kritisieren.

    Genau das Gegenteil erlebe ich täglich.
    Den „Generalverdacht“ der ganzen Welt abzustreifen, Deutschland stünde Israel – aufgrund des Holocaust – stets loyal und kritiklos gegenüber, das ist vielen geradezu ein Bedürfnis.

    Das ist für mich durchaus verständlich und plausibel;nur ist der Zeitpunkt für solche Befreiungsbestrebungen denkbar ungünstig.

    Antisemitismus ist in Europa ohne Zweifel latent vorhanden. In Deutschland aber noch am wenigsten.
    Erst kürzlich wurde Deutschland noch als das für Juden sicherste Land benannt, von Juden selber.

    Antisemiten – ob Deutsche oder andere – das sind die geschichtlosen Idioten, die Ursache und Wirklichkeit der derzeitigen Situation Israels nicht real abschätzen und sich an die“mit letzter Tinte geschriebene“ Undifferenziertheit eines wichtigtuerischen alten Mannes anhängen.

    Ich will Sie nicht ärgern, aber genau Broder ist ein sicheres Instrument gegen Antisemitismus in Deutschland. Er schreit laut, überspitzt und konfrontiert, da wo er Antisemitismus scheint zu sehen. Seine Attacken, bzw. manchmal Scheinattacken lassen uns da aufhorchen, wo unsere Sensibilität bereits verlorengegangen ist.

    Die derzeitige Israel-Deutschland Debatte ist nicht Grass zu verdanken; damit täte man dem zu viel der Ehre. Die war schon lange fällig. Und im Vergleich Israels mit anderen Ländern, wird der sog. Antisemitismus wahrscheinlich sogar zurückgehen; guten Willen natürlich vorausgesetzt!

  17. avatar

    @ Alan Posener

    Die von Ihnen sowohl für den zweiten Weltkrieg als auch für die derzeitige weltpolitische Situation skizzierten komplexen Gemengelagen zeigen deutlich, wie schwer sich internationale Konflikte verstehen, geschweige denn kontrollieren lassen. Der wesentliche Unterschied der heutigen zur damaligen Situation besteht in der Existenz von Atomwaffen. Deren Zerstörungspotenzial schließt einen dritten Weltkrieg als Option im Prinzip aus. Aber wird das die Menschheit davon abhalten, einen solchen Krieg zu führen? Vielleicht muss man, um die Apokalypse zu verhindern, ihr überhaupt erst einmal in die Augen schauen. Girards in jeder Hinsicht apokalyptisches Buch endet in der englischen Ausgabe (die den für sich sprechenden Titel „Battling to the End“ trägt) wie folgt:

    „Therefore we have to wake up our sleeping consciences. Seeking to comfort is always to contribute to the worst.“

    Was wir brauchen, sind sicher nicht die von Roland Ziegler angesprochenen irrationalen, „deutschen“ Ängste, sondern eine realistische Einschätzung der Gefahr, die von dem Pulverfass ausgeht, zu dem die Menschheit die Erde zunehmend macht.

  18. avatar

    Eine Bemerkung zur „publizistischen Einheitsfront“: Wie kommt es, dass Publizisten und Personen des öffentlichen Lebens gemeinsam gegen Grass aufstehen, die anderen aber nicht? Vielleicht ist es ja wirklich so, das die „Elite“ ihre Traumas schon aufgeklärt und verarbeitet hat, das Fußvolk aber noch nicht. Es ist schon etwas dran am Begriff „German Angst“; die Deutschen waren immer ungewöhnlich pessimistisch, ihre Literatur ist voll von pessimistischen Gestalten. (Von der Musik mal ganz zu schweigen.) Wenn dann auch wirklich solche apokalyptischen Katastrophen wie die zwei Weltkriege eintreten, obendrein selber verschuldet, und dann auch noch die unglaubliche Verbrechen des Holocaust, selber verbrochen, dann ist es kein Wunder, wenn man zukünftig überall nur noch sich anbahnende Katastrophen und Weltuntergänge sieht. Dann wollen die Folgegenerationen keine Atomkraft und keine atomare Bewaffnung. Die Großeltern- und Elterngenerationen haben ihr Päckchen in verschnürter Form weitergereicht; ich glaube nicht, dass wir, die heutigen Generationen, den Inhalt unserer Päckchen schon gut genug kennen.

  19. avatar

    @ Thorsten Zeiß: Nichts gegen Bonhoeffer, aber die Erklärung des Zweiten Weltkriegs mit allgemeinen Sätzen über das Versagen der Vernunft, wie es in den 1950er und 1960er Jahren immer nich sehr beliebt war in Deutschland, ist denn doch zu billig und lenkt ab von der konkreten Schuld diverser konkreter Akteure, als da wären: Die Kommunisten, die vor 1933 mit den Nazis gemeinsam an der Zerstörung der Weimarer Demokratie argbeiteten; die Mehrheit der deutschen Elite, die 1933 Hitler die Macht übergab, damit er ihnen die Drecksarbeit erledige, die Kommunisten und mit ihnen die unerwünschte Demokratie abzuschaffen; die katholische Kirche, die Hitler mit dem Konkordat legitimierte und in Gestalt ihres politischen Arms, der Zentrumspartei, den Arm hob zu den Ermächtigungsgesetzen, mit denen die Diktatur parlamentarisch beschlossen wsurde. Ferner die Alliierten, die Hitler beschwichtigten, und Stalin, der sich mit ihm verbündete, um ihn zum Erstschlag gegen die Westalliierten zu ermutigen.
    Dass israels Bombe die Lage im nahen Osten stabilisiert hat, ist keine Frage der Theorie, sondern wurde durch die Praxis belegt. Weder die Araber noch die Türken fühlten sich dadurch gestört, da sie genau wissen, dass Israel damit lediglich eine letzte Verteidigungsoption bereit hält. Erst die Pakistanische Bombe – die von ihren Schöpfern als „islamische Bombe“ angepriesen wurde – hat die Gegend destabilisiert, weil Pakistan die Baupläne an Nordkorea, den Iran, den Irak und Libyen weitergegeben hat. Sämtlich nicht Nachbarn Israels, die aber in der antiisraelischen Rhetorik die nachbarn weit übertrafen. Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi haben ihre Bombenpläne aufgegeben, die Israelis haben Assads Bombenpläne zunichte gemacht – und alle drei Diktatoren kamen in Schwierigkeiten. Das sehen natürlich die Mullahs, wie sie sehen, dass niemand von Regime Change in Nordkoreas redet, seit die Kim-Dynastie Atombomben hat. Deshalb wollen sie unbedingt die Bombe.
    Sollte es – was die Vernunft behüten möge – zu einem israelischen Angriff auf den Iran kommen, wüsste ich nicht, was sich „eskalieren“ sollte. Die Welt würde natürlich entsetzt geben. Aber die Araber würden sich diebisch freuen, weil sie die Schiiten noch mehr hassen als die Juden. Die Türkei wäre erleichtert, weil der einzige regionale Rivale von Rang schwer beschädigt wäre. Syrien und der Irak, Irans Verbündete, sind zurzeit wegen interner Probleme nicht handlungsfähig, die Hisbollah deshalb vorsichtiger als früher, die Hamas ditto. Präsident Obama wäre erleichtert, zusammen mit den Europäern, Russen und Chinesen, weil damit der Druck entfiele, selbst etwas zu tun, um den zahlreichen Resolutionen des Weltsicherheitsrats Geltung zu verschaffen. Und wer weiß? Vielleicht wäre das iranische Regime derart erschüttert, dass die iraner sich endlich erfolfgreich gegen seine Peiniger erheben könnte, so wie die Argentinier nach dem verlorenen Falklandkrieg die Generäle davon jagten. Sie haben Recht, dass Konflikte eine Eigendynamik haben, die niemand vorhersagen kann. Deshalb würde ich, wenn man mich fragen würde, von einem angriff abraten. Und wenn, sollten das im sinne Horst Köhlers die Hauptnutznießer besorgen, die Europäer, die vom Öl des Nahen Ostens abhängig sind. Frankreich hat entsprechende Geräusche schon gemacht, aber die Franzosen sind bekanntlich Großmäuler.

  20. avatar

    @ Alan Posener

    Dass Abschreckung Frieden bringt, hört man jetzt öfter. Es klingt ja auch zunächst logisch: Wieso sollte man einen militärisch hochgerüsteten Gegner angreifen, wenn der zu erwartende Gegenschlag die eigene Existenz gefährdet? Genauso logisch ist es jedoch, dass ein solches Kalkül eine Rüstungsspirale in Gang setzt, wie wir sie im Kalten Krieg zwischen den ehemaligen Supermächten und ihren Satellitenstaaten erlebt haben. Das allein wäre an sich auch noch kein Problem, solange sich die gegnerischen Parteien ihrem Kalkül entsprechend „vernünftig“ verhalten. Doch leider hat Woody Allen wohl Recht, wenn er das Gehirn für das am meisten überschätzte Organ hält. Oder wie es ernsthafter in den „Gedanken zum Tauftag“ heißt, die der von den Nazis inhaftierte Dietrich Bonhoeffer im Mai 1944 seinem Patenkind widmet:

    „Wir haben die Bedeutung des Vernünftigen und Gerechten auch im Geschichtsablauf immer wieder überschätzt. Ihr, die ihr in einem Weltkrieg aufwachst, den 90 Prozent aller Menschen nicht wollen und für den sie doch Gut und Leben lassen, erfahrt von Kind auf, dass Mächte die Welt bestimmen, gegen die die Vernunft nichts ausrichtet.“

    Konflikte haben eine Eigendynamik, die niemand vorhersagen kann. Gewalt besitzt die unangenehme Eigenschaft, zur Eskalation zu tendieren. Das wusste schon der Kriegstheoretiker und –praktiker Clausewitz, und René Girard hat darüber das faszinierende Buch „Achever Clausewitz“ – „Clausewitz zu Ende denken“ – geschrieben. Am Ende siegt meist nicht die Vernunft, sondern die kriegerische Leidenschaft. So ist der Mensch offenbar geschaffen: „Die Gewalt ist ein schrecklicher Gegner, vor allem, da sie immer gewinnt.“ Deshalb kann ich Roland Ziegler nur zustimmen: Die durch atomare Abschreckung erreichte Stabilität ist trügerisch. Sie wird um den Preis erreicht, nicht nur den Staat Israel, sondern die gesamte Menschheit in ihrer Existenz zu gefährden.

  21. avatar

    Lieber Herr Friedmann,
    Sie waren gestern bei Frau Illner ein überzeugender und seriöser Vertreter Israels, ebenso Avi Primor.
    Frau Augstein, die sich so gut informiert gab über die internationalen Geheimdienste und deren Übereinstimmung darin, daß der nicht beabsichtige Israel anzugreifen, hätten Sie etwas korrigieren können. Denn, war es nicht ein amerikanischer Geheimdienst der die Herstellung biologischer Kriegswaffen im Irak bestätigte. Man sollte also nicht jedem Geheimdienst trauen, nicht nur dem amerikanischen.

  22. avatar

    Lieber Herr Burchardt, angesichts der Belastung des Worts zeugt es zumindest von historischer Dickfelligkeit – oder sehr tiefgründiger Ironie, wenn Sie schreiben, „dass, ungeachtet aller moralischen und menschenrechtlichen Aspekte, Israel eine politische Sonderbehandlung beanspruchen darf.“ Israel hat gerade deshalb die Atombombe, weil es für alle Zeiten ausschließen will, wieder Gegenstand einer „Sonderbehandlung“ zu werden.
    In der Sache aber haben Sie völlig Unrecht. Die israelische Bombe hat die Region nicht destabilisiert, sondern stabilisiert. Seit 1973 hat nie wieder eine arabische Regierung versucht, den Staat Israel auszulöschen, wie es 1948, 1967 und im Jom-Kippur-Krieg versucht wurde. Stattdessen haben immerhin Ägypten und Jordanien mit Israel (nicht trotz, sondern wegen der Bombe) Frieden geschlossen. einen Frieden, den die Muslim-Bruderschaft (nicht trotz, sondern wegen der Bombe) fortsetzen will. Hätte Israel jetzt nicht die Bombe, wäre die Wahrscheinlichkeit eines iranischen Angriffs auf Israel nicht – wie jetzt – unkalkulierbar, sondern kalkulierbar: nämlich höchst wahrscheinlich.
    Die Forderung nach internationaler Kontrolle der israelischen Bombe – sprich: nach einem Beitritt Israels zum Kernwaffensperrvertrag – würde in dem Augenblick wenigstens halbwegs gerechtfertigt erscheinen, in dem sich zeigt, dass die IAEA tatsächlich wirksam die Einhaltung des Vertrags kontrolliert. Daher ist der Iran ein Testfall. Wird er von der IAEA und dem Sicherheitsrat wirksam dazu angehalten, seine Verpflichtungen aus dem Vertrag, dem er beigetreten ist, einzuhalten, dürfte auch in Israel das Vertrauen in die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft wachsen, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Freilich würde dieser Erfolg nichts daran ändern, dass der islamistische Staat Pakistan und die kommunistische Diktatur Nordkorea Atombomben haben, was den „Weltfrieden“ viel stärker gefährdet als die israelische Bombe.
    Ich erinnere übrigens an den Aufschrei, als Israel 2007 eine syrische Atomanlage zerstörte, die von Nordkorea eingerichtet wurde:

    http://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Orchard

    Wie es heißt, erwog Syrien darauf einen Angriff mit chemischen Waffen gegen Israel, sah aber davon ab, „da Israel eine Atommacht sei“. Man stelle sich vor, das Assad-Regime besäße jetzt Atomwaffen. QED. Die Welt sollte Israel auf Knien danken, statt Israel zu kritisieren. Aber das wird nicht passieren, weil der Movens der Kritik an Israel nicht Sorge um den Frieden, sondern Antisemitismus ist. Anders ist die Nichtzurkenntnisnahme von Fakten, die sich jeder ergoogeln kann, nicht zu erklären.

  23. avatar

    … zu den Atomwaffen: wer nicht erkennt, dass Israel gar nicht anders handeln kann, als sich einen Militärschlag gegen iranische Atomwaffenproduktion offen zu halten und das Israel wohl auch so handeln wird, falls der Iran keine internationale Kontrolle zulässt, will, aus welchen Gründen auch immer, Israels Vernichtung.

    Übrigens, werter Hr. R.B., wenn Grass ‚Altersweise‘ ist, was ist dann Demenz?

  24. avatar

    Rainer Burchhardt hat etwas Neues zur Debatte beigetragen: das Schuldbekenntnis von Grass. Der Grund, warum Grass solange geschwiegen hat, ist nicht das fragliche öffentliche Tabu, das mit einem Verdikt „Antisemitismus“ sanktioniert wäre. (Dieses öffentliche Tabu des Antisemitismus bzw. der Israelkritik ist ein Phantom, weil es überall seit Jahrzehnten gebrochen wird; es taucht zwar ebenfalls im Gedicht auf, aber nur als voraussichtliche Folge der jetzigen Rede.)

    Grass erklärt sein Schweigen als durch ein zweites, privates, persönlich zu verantwortendes Tabu verursacht: er spricht von seiner „Herkunft,die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist“. Er sagt nicht, dass das ein scheinbarer Makel wäre oder ein Makel, der lediglich von außen an ihn herangetragen worden ist und den er nun nicht mehr länger hinnehmen und abschütteln würde.

  25. avatar

    …aber natürlich auch die vielen Haken, die vom Dichter in und um das Gedicht herum angebracht wurden, um es im öffentlichen Bewusstsein zu befestigen: der Zeitpunkt (Pessachfest), die Formulierung „die Atommacht Israel gefährde den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, das Opfervolk, das zum Tätervolk werden könnte, das „Auslöschen“, die Self-Fulfilling Prophesy (durch Vorwegnahme des Antisemitismus-Vorwurfs), der Schuldkomplex…
    Da kommt einiges zusammen, ein fragwürdiges Spiel mit dichterischen Mitteln, auf das man, statt empört mitzuspielen, mit Gelassenheit reagieren sollte.

  26. avatar

    Ein Tabu, Israel zu kritisieren, gibt es hierzulande nicht; die Linke kritisiert seit Ewigkeiten Israel und USA und handelt sich dafür auch regelmäßig – mehr oder weniger passend – das „geläufige Verdikt Antisemitismus“ bzw. Antiamerikanismus ein.
    Eine extreme Frontstellung in den Leitartikeln gegen Grass besteht aber trotzdem, nach meiner Wahrnehmung sogar viel stärker und blockartiger als damals gegen Sarrazin. Der hatte von Anfang an seine Fürsprecher, die es nur nicht verkraften konnten, nicht Mehrheitsmeinung zu sein, und aus dieser Tatsache konstruierten sie ein vermeintliches Tabu.

    Das ist bei Grass anders, hier sind sich eigentlich alle – von TAZ über SZ, FAZ bis zu den Gutachslern und von Biermann über Herta Müller zu Reich-Ranicki – einig, Rainer Burchhardt ist eine löbliche Ausnahme.

    Worin besteht das besondere Potential in dem Gedicht, das diese publizistische Einheitsfront erzeugt? Am Tabubruch kann es wie gesagt nicht liegen. Manche sagen, es wäre das Hetzerische im Gedicht, aber selbst wenn das stimmen würde: Gehetzt wurde doch schon immer. Außerdem muss man bedenken, das Grass hier als Privatmann spricht, Nobelpreisträger hin oder her – er ist anders als Sarrazin kein deutscher Politiker und nimmt also keine offizielle, von Steuergeldern finanzierte Funktion wahr. (Dies fand ich bei Sarrazin immer besonders problematisch. Nachdem man ihn zurecht aus dem Bundesbankvorstand rausgeschmissen hatte, hieß es, dies sei ja ein unglaubliches Berufsverbot, eine komplette Vernichtung!)

    Vielleicht ist es ja doch die unsichtbare „ästhetische Qualität“ des Gedichts, das jedenfalls emotionaler und packender ist als Sarrazins langweiliger Statistik-Schinken, der zwar als Bestseller für ein Millionenvermögen sorgte (und damit die Zerstörung der beruflichen Existenz Sarrazins einigermaßen kompensierte), aber durch den man sich trotzdem erstmal durchquälen mussste.

  27. avatar

    R.B.: Es bleibt zunächst einmal festzuhalten, dass wir offenbar vor lauter Schuldbewusstsein in Sachen Vergangenheitsbewältigung nicht einmal die Gegenwart zu bewältigen in der Lage sind.

    Schön gesagt :D!

    Die Solidarität mit Israel wurde zur deutschen Staatsraison erklärt. Die Existenz Israels beruht auf ethnischen Vertreibungen und Israel führt immer wieder solche Vertreibungen durch. Daher ist Merkels Schwadronieren über die Staatsraison die gefährlichste und schlimmste moralische Verirrung der Bundesrepublik.

  28. avatar

    Sie kommen auf den Punkt. Es ist zu hoffen, dass sich in Israel gegen die Autosuggestionen und Hysterisierungen mit dem Masada-Komplex, Samson Option und Holocaust II Menetekeln nüchternere Sichten durchsetzen wie die Meir Dagans. Für die weitere Diskussion wäre es auch förderlich, wenn die Argumentationsmuster, die z.B. ein Broder immer wieder auftischt, dass Israel-Kritik ein Upgrade des Antisemitismus ist, ad acta gelegt werden können. Ich bin zuversichtlich, dass die Zeit der Diffamierungen á la Broder & Co. zu Ende geht; so wie Sie sehen es wohl die meisten unserer Landsleute – und nicht wenige in Israel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top