Dass ein Pfarrer, wenn auch ein Pfarrer im Ruhestand, der es offensichtlich mit der christlichen Sexualmoral nicht so ernst nimmt, Präsident der Bundesrepublik Deutschland wird, ist ein Novum.
Ich bin keineswegs überzeugt, dass dies ein gutes Zeichen ist. Es ist eine Sache, wenn eine Bischöfin Kässmann die Afghanistan-Politik oder ein Bischof Lehmann die Abtreibungsgesetzgebung kritisieren. Ihre Räson ist eben nur bedingt die Staatsräson, und das ist in Ordnung so; die Kirchen sind Parallelgesellschaften, in denen letztendlich gefordert wird, die Loyalität zu Gott über die Loyalität zum Staat zu stellen.
Gerade deshalb sollten aber die Funktionäre der Kirchen auf eine gewisse Distanz zum Staat achten – und der Staat auf eine gewisse Distanz zu den Kirchen. Und deshalb ist es eine andere Sache, wenn einer aus diesen Reihen, plötzlich das Amt innehat, das die Staatsräson verkörpert.
Wie problematisch das im Falle Joachim Gaucks ist, will ich an seinem Verhältnis zum Holocaust erläutern. Als Grundlage dient mir die Rede, die er am 28. März im Rahmen der von der Robert Bosch Stiftung organisierten Vortragsreihe „Europa bauen, den Wandel gestalten“ gehalten hat. Denis Yüzel in der „taz“ und Alexander Hasgall in der „Jüdischen Allgemeinen“ haben zwar Entscheidendes dazu schon geschrieben, trotzdem glaube ich, dass es noch einiges dazu zu sagen gibt. Wer den Verdacht hegt, ich würde die Zitate nicht nur „aus dem Zusammenhang reißen“, was ja beim Zitieren nicht anders geht, sondern auch in einen verfälschenden Zusammenhang stellen, kann hier die ganze Rede nachlesen:
http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Stiftungsvortrag_Gauck.pdf
Gauch kam nicht nebenbei auf den Holocaust zu sprechen. Er war aufgefordert, zum Thema „Welche Erinnerungen braucht Europa?“ zu sprechen. Die Schlüsselpassage, auf die auch Yüzel und Hasgall eingehen, lautet:
„Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocausts. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt.
Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt (…) Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasireligiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben. Wir würden nicht begreifen.“
Das perfide an dieser Passage ist, dass Gauck eine richtige Aussage – es wäre falsch, wenn man sich damit begnügen würde, den Holocaust „zu verdammen und zu verfluchen“, ohne sich zu bemühen, ihn zu begreifen – in einen Kontext packt, der das Begreifen des Holocausts eigentlich verunmöglichen will. Wie geht Gauck vor?
- Zunächst benutzt er eine rhetorische Figur, die zutiefst unehrlich ist, und die wir auch von der berüchtigten Rede Martin Walsers in der Paulskirche her kennen. Er nennt keine Namen. Gauck sagt nicht: Der und der sagt das und das, und damit bin ich nicht einverstanden. Er sagt auch nicht: Laut Umfragen denken soundsoviel Prozent der Bevölkerung das und das,und damit bin ich nicht einverstanden. Er kritisiert eine „unübersehbare Tendenz“. Damit kann sich jeder angesprochen fühlen – oder keiner. Er greift „bestimmte Milieus postmoderner Gesellschaften“ an, ohne zu sagen, welche. Er unterstellt einen „psychischen Gewinn“, ohne zu sagen, wer diesen Gewinn einfährt. Wenn Gauck kritisiert, „das Geschehen des deutschen Judenmordes“ (was für eine unpersönliche Formulierung! Aus den Mördern wird ein Adjektiv) werde „in eine Einzigartigkeit überhöht, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist“ – meint er da, dass jeder, der die Singularität dieses Verbrechens behauptet (also etwa auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker), entziehe es dem Begreifen? Und wenn nicht, warum sagt er es dann nirgendwo in dieser Rede?
- Dann unterstellt Gauck denjenigen, die eine Singularität des Holocausts behaupten, sie täten dies nicht, weil das „Geschehen“ tatsächlich einzigartig ist, sondern weil ihnen „Gott fehlt“, weil sie „das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren“ hätten, und weil sie an der „Orientierungslosigkeit der Moderne“ litten. Das ist allerdings eine ausgesprochene Gemeinheit. Hier wird übrigens der Holocaust missbraucht, um Propaganda für die Religion zu machen. Und interessanterweise wird eine neumodische Denkfigur, die etwa bei Josef Ratzinger immer wieder auftaucht, auf bezeichnende Weise angewendet. Ratzinger hat ja – etwa in seiner skandalösen Rede in Auschwitz – behauptet, der Holocaust sei das Produkt der Gottlosigkeit, der Judenmord sei im Grunde genommen der Versuch gewesen, Gott auszuschalten. Nun behauptet Joachim Gauck, die „Überhöhung des Holocausts in eine Einzigartigkeit“ sei auch das Produkt der Gottlosigkeit. Dass der Holocaust von Leuten geplant, durchgeführt und geduldet wurde, die zu 99 Prozent Christen waren, fällt dabei unter den Tisch – und soll wohl unter den Tisch fallen. Nicht der christliche Antijudaismus, der dem Rassenantisemitismus seit 2000 Jahren den Boden bereitet hat und noch heute allzu oft die Auseinandersetzung mit Israel grundiert, wird problematisiert, sondern „bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften“ werden verurteilt, weil sie die Singularität des Holocausts behaupten.
Dass Gauck im Folgenden den Holocaust erstens der Moderne in die Schuhe schiebt, wie Ratzinger, und dass er – anders als seine Apologeten meinen – dieses Verbrechen tatsächlich relativiert, verwundert nicht; darauf sind Yüzel und Hasgall nicht eingegangen, weil sie sich auf die Kritik der oben zitierten – zuerst von Clemens Heni aufgespießten – Passage beschränken. Lesen wir also weiter.
„Es ist eine verstörende Wahrheit, dass das, was Demokratie, Rechtsstaat, Grundrechte und Gewaltenteilung fördert, gleichzeitig auch eine Steigerung der Rolle der Rationalität mit sich bringt“, schreibt Gauck, „wobei Rationalität in diesem Zusammenhang die Rationalität derer ist, die ihre antihumanen Ziele definieren und sie perfekt und zweckorientiert zu erreichen wissen. Und wenn der Zweckrationalität der jeweiligen Macht keine moralischen Gegenkräfte entgegenstehen (…), ist eine Gefahr im Verzug, die zu Katastrophen wie dem Holocaust führen kann.“
Was der Antisemitismus, was der geradezu hysterische Hass auf Juden, der zum Mord an Alten, Frauen, Kindern führte, mit Rationalität zu tun hat, bleibt Gaucks Geheimnis. Dass der Nationalsozialismus, mit seiner Blut-und-Boden-Mystik, seiner Verteufelung der Demokratie, seiner Glorifizierung des Führerkults, seiner rückwärtsgewandten Utopie eines germanischen Bauern-Herrenvolks, seiner Verdächtigung der modernen Physik als „jüdischer Wissenschaft“ usw. usf. mit Rationalität nichts zu tun hatte – schon gar nicht mit dem, was „Demokratie, Rechtsstaat, Grundrechte und Gewaltenteilung fördert“, wie Gauck behauptet – muss das wirklich im 21. jahrhundert noch einem deutschen Staatsbürger erklärt werden, dessen Vater Nazi war, der es also wirklich besser wissen müsste? Die Verwechslung der Zweckrationalität etwa des industriellen Massenmords mit dem Rationalismus der Aufklärung ist eine ebenso perfide wie verbreitete rhetorische Figur (als Denkfigur möchte man diese Manipulation nicht adeln) moderner Christen. Nur nebenbei sei auf die Redewendung „Katastrophen wie dem Holocaust“ verwiesen, die der Relativierung dieses Verbrechens den Weg bereiten soll.
Diese Relativierung erfolgt – natürlich, möchte man sagen, so tun es die Verharmloser und Relativierer immer – unter Bezug auf einen jüdischen Denker, nämlich Zygmunt Baumann, der dann mit der Reihung „Gulag, Auschwitz, Hiroshima“ als Beleg für „den spezifisch modernen Charakter“ des Inhumanen zitiert wird. Diese Reihung kenne ich, gern noch um Dresden und den Spruch von der „Banalität des Bösen“ ergänzt, aus meiner deutschen Schulzeit in den 1960er Jahren. Über Baumann mag ich nicht urteilen. Aber ein künftiger deutscher Bundespräsident sollte den Unterschied zwischen Hiroshima und Auschwitz kennen – zwischen einem Angriff im Rahmen eines Kriegs und zur Verwirklichung eines Kriegsziels, nämlich der Kapitulation des Gegners, selbst wenn man diesen Angriff als verbrecherisch einstuft, wie ich es übrigens tue, und dem systematischen Krieg gegen eine Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel, sie – genauer. Ihr genetisches Material – auszulöschen. Das lässt sich nicht subsumieren unter „Katastrophen wie dem Holocaust“, die aus der entfesselten, von keiner moralischen Instanz (sprich Kirche) kontrollierten Rationalität resultieren.
Gauck sagt zwar, dass zwar im Hinblick auf die „universelle Bedeutung des Holocaust“ eine solche Relativierung notwendig ist, dass diese Sichtweise jedoch „für die Deutschen, speziell für die Zeitgenossen ders Unheils“ („Zeitgenossen des Unheils“, nicht: Mörder, Mitwisser und Mitläufer) um eine „eigene Perspektive“ ergänzt werden müsse. Genau das ist aber mit Relativierung des Holocausts gemeint. Gauck: „Es ist auch nicht erforderlich, dass eine ewige Hierarchie der verschiedenen Ausprägungen des Bösen errichtet wird.“ Wir Deutschen müssten zwar die „moralische und metaphysische Schuldbearbeitung als Folgelasten (sic!)“ tragen. „Aber stellen wir uns einmal vor, die früheren Sowjetbürger würden sich entschließen, dem Holocaust-Gedenken die zentrale Rolle im nationalen Diskurs zuzuweisen. (…) Schauen wir auf China und Kambodscha, so liegen deren Aufarbeitungsschwerpunkte auf der Hand. (…) Das westliche Europa hat sehr lange und sehr intensiv an den Leiden Osteuropas vorbeisehen können…“ usw.
Und die Ostdeutschen? Soll man es also gutheißen, wenn ein ostdeutscher Pfarrer dem erlebten und erlittenen Kommunismus „die zentrale Rolle“ in seinem Diskurs einräumt und Leuten, deren Prioritäten anders liegen, einen Gottesmangel attestiert?
Wie ist es eigentlich mit den Indianern in den USA? Soll bei ihnen der erlittene Genozid des 19. Jahrhunderts die Erinnerung an den Holocaust trumpfen? Mit den Schwarzen? Soll die Erfahrung der Sklaverei ihre Perspektive auf die Geschichte des 20. bestimmen? Was ist mit den Vietnamesen? Sollen da die Verbrechen der Kommunisten im Vordergrund des Gedenkens stehen, oder die Bomben der Amerikaner? Ja, und was ist schließlich mit den Arabern, speziell mit den Palästinensern? Steht für sie nicht die Naqba, die Katastrophe der israelischen Staatsgründung, nach der Gauck’schen Logik zwangsläufig oben in der „Hierarchie der Ausprägungen des Bösen“? Ahmadenidschad lässt grüßen, der sagte, den Holocaust gab es nicht, aber wenn ihr Europäer meint, an ihm schuldig zu sein, dann kümmert ihr euch doch um die Juden, ladet sie doch nicht bei uns ab.
Nein, es ist eben nicht so, dass wir Deutschen als „Volk der Täter“ oder die Juden als „Volk der Opfer“ ein besonderes Verhältnis zum Holocaust hätten, das andere nicht tangieren müsste. Sondern es ist tatsächlich so, dass ein echtes Begreifen, eine klare Analyse des Holocausts, jenseits seiner metaphysischen und relativistischen Verortung als notwendige Katastrophe der entfesselten Moderne zum Ergebnis führt, dass dieses Verbrechen einzigartig war. Der Holocaust ist in der Tat der absolute Maßstab, an dem andere, durchaus ähnliche, durchaus vergleichbare, durchaus furchtbare Verbrechen zu messen sind. Niemand hat das Recht, im Namen des selbst erlittenen Unrechts das zu relativieren.
Natürlich müsste für die Russen die Aufarbeitung der Verbrechen der Kommunisten im Vordergrund „des nationalen Diskurses“ stehen. Das ist nicht die Frage. Auch die Opfer des Stalinismus jedoch müssen anerkennen, dass bei der Niederringung Hitlerdeutschlands und die Befreiung des KZ Auschwitz Stalin auf der Seite der Engel stand. Hitler stand dort nie. Der 8. Mai 1945, sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, sei auch für uns Deutsche ein Tag der Befreiung gewesen.
Wird der künftige Bundespräsident Joachim Gauck dieses Wort wiederholen? Man darf es bezweifeln und es daher als besonders merkwürdig empfinden, wenn der Pfarrer a.D. in der Bundesversammlung die Stimmen von SPD und Grünen erhält.
Ich glaube, bei einigen der Diskutanten verursachen Begriffe wie „absoluter Maßstab“ und „Singularität“ eine Verwirrung. An einen „absoluten Maßstab“ muss man nicht „glauben“, wie Lyoner annimmt, sondern man benutzt ihn zum Messen. Deshalb ist er ja ein Maßstab. Der Begriff „Singularität“ meint im Zusammenhang des Holocaust nicht, dass man nichts mit dem Holocaust vergleichen könnte. (Ansonsten kenne ich ihn nur im Zusammenhang mit dem Urknall.) Er meint, dass hier ein isolierbares Maximum vorliegt. An diesen höchsten Punkt muss man nicht glauben, so wie man an einen Gott als höchstes Wesen glaubt, sondern so, wie man an den Mt. Everest als höchsten Berg glaubt. Selbstverständlich kann auch das Maximum des Holocaust noch übertroffen werden; wir wissen nicht, was in der Zukunft noch alles geschieht. Aber bislang haben wir hier das Maximum an organisierter Grausamkeit ereicht. Die Skala ist, wie ich schon sagte, nach oben offen. Dieses Maximum auf der Skala dient nicht zur isolierten Betrachtung, wie hier irrtümlich angenommen wird, sondern dazu, andere schwindelerregende Verbrechensausbeulungen (Kambodscha, Ruanda, Stalin, Mao…) einzuordnen – durch Vergleich, d.h. durch die Feststellung von gleichen und unterschiedlichen Aspekten und Dimensionen.
@ Alan Posener:
„@ Lyoner / Mercator / Kaufmann (seufz!):“
Ich find’s gut, dass er dabei ist. Gelebte Demokratie, und man lernt was dazu, wenn Sie zwei diskutieren. Hinter seiner antizionistischen Verdunklung ist er ein kluger Kopf. Jetzt ist sein Tag gerettet.
Um fair zu sein: Hinter Ihrer neoliberalen Verdunklung sind Sie auch ein kluger Kopf.
Yehuda Bauer meint ja in „Die dunkle Seite der Geschichte“ das die Shoah als ein von Menschen begangener Völkermord prinzipiell erklärbar und dieser Völkermord ist präzedenzlos, nicht aber unwiederholbar.
Man könnte doch also von Präzedenzlos statt „Singulär“ reden, an dem sich dann die ganzen Diskussionen entzünden.
Zu Bauers Buch eine Rezi von Micha Brumlik:
Globalisiertes Erinnern (Micha Brumlik)
@ Lyoner:
Griaß Gott!
Hübsche Lektüre für heute: Wie Norman endlich auffiel, dass da was nicht stimmt:
http://www.achgut.com/dadgdx/i.....ist_bully/
@ Bernd:
„Dort ist der Protagonist Journalist und Katholik (damals war das wahrscheinlich noch möglich:-).“
Heute auch:
http://www.amazon.de/Das-katho.....038;sr=8-1
Zusammen mit Malte Lehming (soweit ich weiß, evangelisch) vom Tagesspiegel gehört er zu den raren Stimmen,die sich für verfolgte Christen (auch Kopten) in Ländern wie Irak, Ägypten, Nigeria einsetzen, die ansonsten oft totgeschwiegen werden.
@ Lyoner / Mercator / Kaufmann (seufz!):
1. Was Dan Diner damals schrieb, passt genau auf Gauck heute: „Verstehen wird eingeklagt – auch um den Preis von Relativierung und Banalisierung.”
2. Die von Nolte zu seinen besseren Zeiten klar ausgesprochene Unterscheidung zwischen dem kommunistischen Terror und dem Holocaust (vom Ziel her gesehen: dem verhungernden Bauern in der Ukraine war das natürlich völlig gleichgültig) gilt es festzuhalten. Darum hat Gauck Unrecht, wenn er behauptet, man könne „keine Hierarchie der Ausdrucksformen des Bösen“ aufstellen.
3. Am Schluss ergehen Sie sich deshalb, weil sie zwar an ihren Kronzeugen Diner und Nolte festhalten, aber deren (und meine) Schlussfolgerungen nicht akzeptieren wollen (weil es Ihnen immer um die Relativierung des Holocausts geht) in Wortklauberei. Natürlich haben die Verbrechen des Kommunismus eine universelle Bedeutung. Aber die Singularität des Holocausts ist eine universell anzuerkennende Tatsache. Das hat, wie ich letzte Woche in „Warum ich Zionist bin“ zu begründen versuchte, heute ganz praktische Folgen. Auch diesen Folgen wollen Sie, der Sie Antizionist sind, ausweichen. Ihr obsessiver Antizionismus ist der tiefste Grund, weshalb Sie die Quellen, die Sie zitieren, derart missverstehen.
Ich gebe Herrn Posener Recht, auch wenn ich finde, dass man das alles etwas verständlicher und weniger kompliziert ausdrücken könnte.
Im Übrigen könnte man Herrn Gauck empfehlen, sich mal einen Text anzuschauen, den seine ideologischen Freunde, Helfershelfer des Holocaust, verfasst haben. Am 17.12.1941 stellten sich die evangelischen Landesbischöfe und Landeskirchenpräsidenten von Sachsen, Hessen-Nassau, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck mit folgender Erklärung eindeutig hinter das nationalsozialistische Programm der Juden-verfolgung:
»Die nationalsozialistische deutsche Führung hat mit zahlreichen Dokumenten unwiderleglich bewiesen, daß dieser Krieg in seinen weltweiten Ausmaßen von den Juden angezettelt ist. Als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen Evangelischen Landeskirchen und Kirchenleiter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der unter anderem die Reichspolizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichs-feinde notwendig gemacht hat. Schon Dr. Martin Luther erhob nach bitteren Erfahrungen die Forderung, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützigen Ziele missbraucht oder verfälscht. Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart des Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu pflegen und zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht. Die unterzeichneten deutschen Evangelischen Kirchen und Kirchenleiter haben deshalb jegliche Gemeinschaft mit Judenchristen aufgehoben. Sie sind entschlossen, keinerlei Einflüsse jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse und kirchliche Leben zu dulden.« (Der Text ist über Google leicht zu finden!)(www.uwelehnert.de)
Zunächst einmal möchte ich darauf aufmerksam machen, dass ich mich lieber der Belletristik widme als politischen Büchern. Dieses Thema aber erinnert mich ein wenig ein Buch, nämlich an das von Antonio Tabucchi (Erklärt Pereira). Dort ist der Protagonist Journalist und Katholik (damals war das wahrscheinlich noch möglich:-). Wie auch immer, und so verhält es sich wohl auch mit dem zukünftigen Bundespräsidenten, sollte der Mensch, wenn es darauf ankommt seine Position bestimmen, und nicht erst, wenn es zu spät ist. Herr Gauck wird in Zukunft nicht nur als gläubiger Christ unterwegs sein, sondern als jemand der Denkprozesse in Gang setzen wird. Er sollte sich dessen bewusst sein, dass seine Worte schwer wiegen. Was hier von Herrn Gauck zitiert wird zeigt sehr gut auf, weshalb viele Menschen im öffentlichen Leben lieber Plattitüden von sich geben, denn ihre eigenen Gedanken. Immerhin können Gauck’s Gedanken eine Diskussion auslösen, eine spannende dazu. Ich gehe davon aus, dass auch er sich bewusst ist, dass der Holocaust eine unvergleichliche Angelegenheit des Abscheulichen darstellt, und das erkennt man besonders daran,wenn Verbrechen mit dieser Methodik begangen werden. Es ist wichtig diese Verbrechen zu beleuchten (von allen Seiten) und das Licht nicht auszuschalten. Die Freiheit ist ein grossen Gut, ein ebenso grosses die Erinnerung. Ich hoffe, dass das Gewicht der Freiheit und das Gewicht der Erinnerung sich die Waage halten.
@ Roland Ziegler, Parisien
das gehört als Replik natürlich noch in den Thread „Warum ich Zionist bin“
@ Roland Ziegler
Sie haben sich so schön eingeölt, dass auch meine besten Griffe bei Ihnen abgleiten. Wenn es bei Ihnen nicht zu einer Aporie reicht, dann doch wenigstens zu einer mehr oder weniger zweifelhaften Apologie, die zeigt, dass auch die schönste liberale Demokratie ein Besatzungsregime sein kann, was aber nichts zur Sache tut, weil man diese schmutzigeren Flecke vor lauter Schönheit nicht wahrnehmen will.
@ Parisien
zu Ihnen, liebe Parisien, fällt mir im Moment nur noch „Grüß Gott“ ein.
Korrektur:
Anders gemeinte, relativierende und das Ereignis einebnende Historisierungsversuche enden hingegen notwendig in einer Apologie [nicht: Aporie].” (Dan Diner, Zwischen Aporie und Apologie, 1987,
APo: Man braucht die Kornkammern des Ostens für sich, und die Menschen darin sind überflüssige Mäuler. Der Vernichtungskrieg gegen die Juden aber, und das unterscheidet ihn von Stalins “Holodor” in der Ukraine, beruhte auf einer hysterisch-religiösen Identifikation “des Juden” mit dem Bösen in der Welt. Daher der völlig irrationale Versuch, das “jüdische Gen” auszulöschen. Diese religiöse Aufladung des Massenmords und die Tatsache, dass der eliminatorische Antisemitismus seinem Begründungszusammenhang nach zwangsläufig den Griff nach der Weltherrschaft implizierte, um den “Weltjuden” zu töten unterscheidet ihn letztlich auch von ansonsten ähnlichen Genoziden…
Wenn Sie schreiben: … man braucht die Kornkammern des Ostens für sich … sollten Sie schreiben wer ‚man‘ ist. Das gleiche Volk, das auch 2012, und schon immer, den Krieg in Afghanistan mit überwiegender Mehrheit ablehnt? Googlen hilft: ungefähr 100’000 Ergebnisse (0.18 Sekunden) für: wer finanzierte hitler
Seligmann in: Hitler. Die Deutschen und ihr Führer.: Der Jubel über das Münchner Abkommen von 1938 zeigte, dass die Deutschen den Krieg fürchteten.
Seligmann; Deutschland (Hitler in Mein Kampf) müsse seinen zukünftigen Lebensraum im Osten erkämpfen und auch dort den Juden die Herrschaft entreißen. Deutsche sollten anstelle der Juden Russland ausbeuten.
Begründungen des Mörders für seine Tat heranzuziehen, wie das “jüdische Gen” auslöschen, wie A.H. es (wohl ähnlich) formuliert hat, sind untauglich.
Letztendlich geht es geht immer um Macht und Mammon. Nix anderes. Schon immer.
Daher unterscheiden sich – für mich – kein Mord und kein Völkermord, in seiner Abscheulichkeit, von dem anderen. Nicht mal der ‚Ehrenmord‘.
(Erich Mielke hat eben alle ‚geliebt‘, die er in Kerkerhaft oder an Mauer und Stacheldraht morden ließ.)
Seligmann u.a. weiter: Die Diskriminierung der Juden wurde toleriert. Doch die Gewalttaten des November 1938 erregten allenthalben in Deutschland Abscheu. Die Deutschen waren eben keine ‚eliminatorischen Antisemiten‘.
Jetzt müssen Sie nur noch nachdenken, wer und/oder was Hitler von 1,8%[sic!] Stimmen zur Reichstagswahl 1928, auf 43,9% für 1933, die schon keine demokratische Wahl mehr war, gebracht hat.
@ Lyoner:
„M.E. waren im, so Ernst Nolte, Weltbürgerkrieg des letzten Jahrhunderts die Soziozide des Kommunismus der Exzess eines revolutionären Universalismus, der Judenmord der Exzess eines reaktionären Partikularismus.“
Ich beschäftige mich mal wieder mit den Manns. Mein Sohn – nur nebenbei – fragte, wie lange ich das noch zu tun gedächte. „Lebenswerk“, gab ich ihm zurück, „schlimmer als die Bibel“.
Hierbei blätterte ich auch hinten in „Katjas Mutter“ von Inge und Walter Jens. Die beiden alten Pringsheims hatten eine richtige Enteignungskariere, bevor sie am 31.10.39 im letzten Moment in die Schweiz entkamen. Gemeinsamkeiten gab es durchaus mit dem Kommunismus, z.B. die Enteignungen. Das Pochen auf der Singularität lässt solche gemeinsamen Grundzüge übersehen. Ich finde die wichtig. Der Judenmord ist zwar singulär, aber Gruppen oder Völker kann man immer wieder zu demselben Unsinn aufgeilen. Man tischt ihnen eine Ideologie auf und verspricht ihnen Besitz. Hinterher gehen 90 Prozent leer aus und werden dennoch nicht klüger.
Es ist daher die Frage, ob das Pochen auf der Singularität unbedingt noch so viel Sinn macht.
@ Alan Posener
„Zwar ist der Islamismus eine Erscheinung der Moderne, aber man würde wohl nicht behaupten, er sei ein Produkt der Gottferne des rationalen Menschen.“
Für den Islamismus mag das stimmen, weil es durch den Koran untermauert werden kann.
Aber der Holocaust enthält eine unübersehbare Bibelferne.
Ich würde übrigens einen Atheisten, der ethisch ist und dabei u.a. die Bibel kennt, nicht zwingend als gottlos bezeichnen, auch nicht Humanisten. Das machen die Kirchen. A-theist haben sie so definiert, dass man ihnen nicht angehört.
Ihr Statement über OWS weiß ich zu schätzen. Demokratie muss das nicht nur zulassen, sondern sogar erfreut zur Kenntnis nehmen. Und wenn die Leute niedergeknüppelt oder mit Wasserwerfer weggeblasen werden, ist das kein gutes Zeichen. Diese Leute kosten Geld, es kann nicht weitergehen. Entfernt erinnert das an störende „hungrige Mäuler“. Und ich habe noch mehr entdeckt, was zu stören scheint, z.B. „Theaterwissenschaftler“.
Gauck: „Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocausts. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist…“
Lieber Alan Posner, Sie leben ja nicht hinter dem Mond. Sie haben ja anläßlich 25 Jahre „Historikerstreit“ Ihr Schärflein beigetragen. Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will. Hat Gauck hier nicht aufgespießt, was der Historiker Dan Diner auf der Seite der Habermäuse, die bis heute nicht unwesentlich unsere Diskursethik bestimmen, damals in die Debatte geworfen hat?
„Die Shoah ist das absolute Maß der Geschichte [Posener: „Der Holocaust ist in der Tat [sic!] der absolute Maßstab …“]… Über den Judenmord hinaus war Auschwitz die praktische Widerlegung westlicher Zivilisation. … Angesichts einer zweck-losen Vernichtung der Vernichtung wegen prallt das zweckrational geprägte Bewußtsein an solch unvorstellbarer Tat ab. …Solche Handlung ist dem von säkularen Denkformen bestimmten Verstand nicht zu integrieren – oder er zerspringt. … Es ist narzißtisch kränkend, einem Ereignis ausgesetzt zu sein, das sich menschlicher Vorstellungs- und Fassungskraft entzieht. Eine solche Negation ist schwer zu ertragen. … So ist nicht verwunderlich, dass in verborgen bleibender teleologischer Absicht gegen die Dimension eines solchen Geschehens rebelliert wird: Verstehen wird eingeklagt – auch um den Preis von Relativierung und Banalisierung. … Ernst gemeinte Historisierungsbemühungen endeten bislang in geschichtstheoretischen Aporien. Anders gemeinte, relativierende und das Ereignis einebnende Historisierungsversuche enden hingegen notwendig in einer Aporie.“ (Dan Diner, Zwischen Aporie und Apologie, 1987, zitiert nach Egon Flaig, Die Habermas-Methode und die geistige Situation ein Vierteljahrhundert später, in: Brodkorb Hrsg., Singuläres Auschwitz, 2011, S. 88ff).
Sie wissen doch, welche „Milieus“ sich auf diese Entweltlichung des Holocaust gestützt haben? Dass Theologen und andere Experten transrationaler Gewißheiten die Weltgeschichte sub specie aeternitatis unter einem ganz besonderen Licht sehen, dass christliche Theologen die heilsgeschichtliche Singularität von Golgotha nicht durch eine Singularität von Auschwitz ersetzen wollen, ist doch geschenkt, nicht weiter erstaunlich.
Religion ist ein Set von unumstößlichen Wahrheiten, das durch Dogmatisierung und Kanonisierung die Sprache regelt. Was treibt jedoch, lieber Alan Posener, einen „anglikanischen Atheisten“ dazu, sich in den Untiefen religiöser Gewißheit in Gefahr zu begeben, unumstößliche Wahrheiten zu verkünden und Sprachregelungen vorzugeben, eine „Zivilreligion der Demokratie“ zu verkünden, deren Dreh- und Angelpunkt Auschwitz sein soll und die ihre kanonischen Texte hat, von den nicht abzuweichen ist? (http://www.welt.de/politik/deu.....ollte.html)
Sie postulieren:
„Sondern es ist tatsächlich so, dass ein echtes Begreifen, eine klare Analyse des Holocausts, jenseits seiner metaphysischen und relativistischen Verortung als notwendige Katastrophe der entfesselten Moderne zum Ergebnis führt, dass dieses Verbrechen einzigartig war. Der Holocaust ist in der Tat der absolute Maßstab …“.
Ich habe gesucht, wie Sie das analytisch begründen und habe diese Stelle gefunden (gibt es noch mehr?):
„… dem systematischen Krieg gegen eine Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel, sie – genauer. Ihr genetisches Material – auszulöschen.“
Es ehrt Sie, dass Sie das gleiche Argument wie weiland Ernst Nolte gebrauchen, um die „Singularität“ des Holocaust zu begründen
„Bei aller historischen Einordnung des Nationalsozialismus … halte er (Nolte) daher „nach wie vor fest, dass die nationalsozialistische Vernichtung am Ende ´schlimmer´ war, weil ein anderer Zusammenhang gegeben war: Hier wurden Menschen aufgrund ihrer biologischen oder ethnischen Qualitäten vernichtet, während sie im Idealtyp [sic!] der marxistischen Revolution eigentlich nur auf ihre ursprüngliche Gleichheit – gegen die sie gleichsam verstoßen hatten, insofern sie zur herrschenden Klasse gehörten – zurückgebracht werden sollten. Im Prinzip [sic!] hätte es auch ohne Todesopfer abgehen können.“ (Brodkorb, a.a.O., S. 22f)
Insofern ist also der nationalsozialistische Judenmord ´schlimmer´ und singulärer (man erlaube mir diesen Komparativ) als der fortlaufende Soziozid von der Sowjetunion über China bis Kambodscha im Namen und Dienste einer Tranzendenz, eines gesellschaftlichen Fortschritts.
Nicht erschließt sich mir
„Dann aber um das Zurückweisen jener Relativierung, die, wie Gauck mit Verweis auf China und Russland, die universelle Bedeutung des Holocausts leugnet – mit den absurden Konsequenzen, die ich anzudeuten versucht habe.“
Heißt das, dass nur dem Holocaust eine universelle Bedeutung zukommt, nicht jedoch den Massenmorden im kommunistischen Archipel von Moskau bis Pnom Penh? Sind nicht gerade diese Liquidierungen im Dienste eines progressiven revolutionären Universalismus, im Dienste einer Schönen Neuen Welt, universell, universeller (man verzeihe den Komparativ) als der Judenmord, der – als Singularität gedacht – eine Anomalie ist? M.E. waren im, so Ernst Nolte, Weltbürgerkrieg des letzten Jahrhunderts die Soziozide des Kommunismus der Exzess eines revolutionären Universalismus, der Judenmord der Exzess eines reaktionären Partikularismus.
Die Schwierigkeit Alan Poseners scheint darin zu liegen, verschiedene Kategorien nicht richtig auseinanderzuhalten; das kommt davon, wenn man an absolute Maßstäbe glauben will.
Von einem menschlichen Gesichtspunkt aus halte ich eine „Hierarchie der Ausprägungen des Bösen“ verbunden mit einer „Hierarchisierung der Opfer“ wie Gauck für obsolet – oder kommen wir damit einer Humanisierung des Menschengeschlechts näher? Nothing compares to Hitler and the Jews. Der Himmel, was auch immer das für eine Macht sei, bewahre uns davor, dass die Opferreligion von Golgotha jetzt durch Alan Poseners „Zivilreligion“ mit ihren dogmatischen Anmaßungen abgelöst wird. Das ist noch trostloser.
@ Parisien: Nein, ich habe nicht ablenken wollen von anderen Äußerungen Joachim Gaucks. Die schienen mir aber weniger etwas zu tun zu haben mit meinem Thema, dem Pfarrer als Präsident. Denn im Zentrum des Problems beim Verhältnis Gaucks zum Holocaust, wie bei Ratzinger, steht der Wunsch, die Rolle der eigenen Institution herunterzuspielen beziehungsweise die „Orientierungslosigket des gottlosen Menschen in der postreligiösen Welt“ zu kritisieren.
Ich finde es in der Tat problematisch, wenn jemand die „Occupy“-Bewegung mit dem Hinweis auf die DDR kritisiert. Man kann diesen Leuten vieles vorwerfen, dass sie aber verkappte Leninisten seien, kann man ihnen nicht vorwerfen. Es ist in der Tat eine Schwäche Gaucks, dass er alles durch die Brille seiner DDR-Erfahrung sieht. Das geht auch gar nicht anders, schließlich war er schon 50, als die DDR zusammenbrach, aber so erfrischend es sein mag, immer wieder darauf hingewiesen zu werden, wie glücklich wir sein sollten für die Gnade der westlichen Geburt, so wenig Sinn macht es, jede soziale und linke Bewegung mit dem Argumednt abzutun, man habe an der DDR gesehen, wohin das führe. Ich selbst bin bekanntlich ein Neoliberaler Schnösel, aber gerade als Neoliberaler glaube ich, dass Produkte Absatz finden, weil es für sie ein Bedürfnis givbt; das gilt auch für politische Ideologien und Bewegungen. Wenn es also viele tausend Leute gibt, die das Gefühl haben, die Marktwirtschaft und die Finanzwelt habe sie zur Machtlosigkeit verdammt, dann sollte man das als Demokrat und Liberaler ernst nehmen und nicht als „unsäglich albern“ quittieren.
@ 68er / alle: ich denke, ich verharmlose nichts. Weder die Verbrechen Stalins und Maos noch die Morde der NSU. Und ich denke, das kann man anhand meiner Veröffentlichungen nachweisen. Es gibt aber in der Tat einen Unterschied zwischen den millionenfachen Morden dieser Kommunisten und der Mordserie dieser Neonazis. Es wäre absurd, ihn nicht zu benennen. Und es gibt Unterschiede zwischen den Morden Stalins und Maos, obwohl sie mehr Menschen auf dem Gewissen haben als Hitler, und dem Holocaust. Das kann man in Richard Snyders Buch „Bloodlands“ nachlesen, das von vielen als eine Relativierung des Holocausts missverstanden wurde. In der Tat laufen die Morde der Kommunisten ebenso wie der Hitler’sche „Generalplan Ost“ vom Ziel her auf eine Art entfesselte Rationalität hinaus: Man braucht die Kornkammern des Ostens für sich, und die Menschen darin sind überflüssige Mäuler. Der Vernichtungskrieg gegen die Juden aber, und das unterscheidet ihn von Stalins „Holodor“ in der Ukraine, beruhte auf einer hysterisch-religiösen Identifikation „des Juden“ mit dem Bösen in der Welt. Daher der völlig irrationale Versuch, das „jüdische Gen“ auszulöschen. Diese religiöse Aufladung des Massenmords und die Tatsache, dass der eliminatorische Antisemitismus seinem Begründungszusammenhang nach zwangsläufig den Griff nach der Weltherrschaft implizierte, um den „Weltjuden“ zu töten unterscheidet ihn letztlich auch von ansonsten ähnlichen Genoziden in der Türkei, in Ruanda, oder gegen die Muslime in Bosnien. Am ehesten ist die Haltung der Nazis wieder zu finden bei jenen islamistischen Terroristen, die von der Errichtung eines Weltkalifats träumen und alle „Juden und Kreuzfahrer“ töten wollen. Zwar ist der Islamismus eine Erscheinung der Moderne, aber man würde wohl nicht behaupten, er sei ein Produkt der Gottferne des rationalen Menschen. Insofern ist die von Gauck, Ratzinger et tutti quanti betriebene Analyse, die im Holocaust ein Produkt der Rationalität moderner Gesellschaften erblickt und die Aufmerksamkeit auf die abstrakten Gefahren in solchen Gesellschaften lenkt, statt auf die wirklichen, konkreten Gefahren, die von einem Staat wie dem Iran ausgehen, besonders unglücklich.
http://www.zeit.de/1998/13/mag.....ml/seite-1
… Freunde – der Link zur Zeit noch einmal …
Und so wird er zur Lachnummer, der Holocaust, TRIVIALISIERT:
1.) Meine geliebte Baracke.
http://www.welt.de/politik/aus.....racke.html
2.) Hauptsache, Photos:
http://www.welt.de/debatte/tor.....enken.html
68er: ‚Wenn man in diesem Interview an der einen oder anderen Stelle die das Wort “Islam” z.B. durch “die katholische Kirche” ersetzt, ….
… setzen Sie Islam mit Sozialismus gleich, rechts oder links, dann liegen Sie richtig. Dazu müssten Sie nur den kantschen kategorischen Imperativ anwenden. Sofern Sie dazu in der Lage sind.
Also: hier OBEN ist er nicht sonderlich beliebt.
Joachim Gauck Ex- Sonderbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, hatte im Gegensatz zu den meisten, die er später mit Stasi-Akten belasten ließ, auch schon vor 1989 das Privileg, das nur sehr wenigen auserwählten DDR-Kadern zustand, jederzeit nach Westdeutschland und in andere westliche Länder reisen zu dürfen, ausgestattet mit Staatsgeldern der von ihm angeblich schon damals so gehassten DDR. Über seine West-Reisen und West-Besuche berichtete er auch treu und brav den DDR-Oberen und letztlich auch der Stasi. Gauck konnte unbegrenzt West-Kontakte pflegen, jeden West-Besuch empfangen, West-Pakete und West-Geldspenden entgegennehmen und dergleichen mehr. Solche Privilegien hatten nicht einmal hohe Staats- und Parteifunktionäre der DDR!
Joachim Gauck, den man laut Beschluss des 3. Zivilsenats des Landgerichts Rostock vom 17.09.2000 einen „von der Stasi Begünstigten“ nennen darf.
http://www.rp-online.de/politi.....-1.2270119
Die Zeit u.a.:
Und auch die Nummer eins im Amt, der Bundesbeauftragte Joachim Gauck, ist Jürgen Fuchs nicht recht geheuer. Zu sehr scheint er sich in seiner Rolle als oberster Aktenaufarbeiter zu gefallen. “Macht schmeckt mitunter”, stichelt Fuchs. “Da steht man vor dem Spiegel und legt die Orden an. Und telefoniert oder läßt telefonieren: mit oder ohne, was sagt der Herr Staatssekretär, mit oder ohne beim nächsten Empfang. Ohne. Der Herr Staatssekretär lächelt. Der Herr Bundespräsident läßt grüßen.” Gauck neigt zur Eitelkeit, trägt Seidenhemden und pflegt einen gravitätischen, mitunter öligen Charme. Und überhaupt: “Wie mutig war Gauck vor 1989?” Die Frage stellen heißt bei Jürgen Fuchs, sie schon beantwortet zu haben.
http://www.zeit.de/1998/13/mag…..980319.xml
Danke für die exzellente Analyse!
@ APo:
Leider muss ich Ihnen vorwerfen, den Hauptschauplatz des Leids im zwanzigsten Jh zu benutzen, um von weiteren Dingen, die Gauck von sich gegeben hat, abzulenken:
„Der ehemalige Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck glaubt dennoch nicht, dass sich die Bürgerproteste zu einer dauerhaften Bewegung entwickeln werden: „Das wird schnell verebben“, so Gauck. „Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Banken besetzt waren“, erklärte der Bürgerrechtler und leidenschaftliche Anti-Kommunist bei einer Veranstaltung der Zeit in Hamburg in Anspielung auf die Staatsbanken in der DDR.
Die Antikapitalismusdebatte halte er für „unsäglich albern“: Der Pastor betonte, dass der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, eine romantische Vorstellung sei. Zu glauben, dass die Entfremdung vorbei sei, wenn man das Kapital besiege, und dann alles schön sei, sei ein Irrtum.
Gauck fragte, ob es nicht zweifelhaft sei, zu glauben, dass unsere Einlagen sicherer wären, wenn die Politiker in der Finanzwirtschaft das Sagen hätten. Mit Blick auf die Proteste beim Bahnprojekt Stuttgart 21 warnte Gauck vor einer Protestkultur, „die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst nannte er „abscheulich“.
http://www.sueddeutsche.de/pol.....-1.1166051.
Ich finde es eher unsäglich, aber nicht albern, sondern gefährlich, wie OWS-Gegner in den USA und St21-Gegner hierzulande von der Polizei behandelt worden sind.
Außerdem ist dies unsäglich:
http://www.spiegel.de/wirtscha.....04,00.html
Ich meine nicht den Mann, sondern was dort steht.
Wenn man in diesem Interview an der einen oder anderen Stelle die das Wort „Islam“ z.B. durch „die katholische Kirche“ ersetzt, die ja auch nicht den Weg durch die Reformation gegangen ist, oder bei der Überfremdung die Worte „Muslime“ nzw. „Fremde“ durch „Juden“ ersetzt, kann man vielleicht nachvollziehen, wieso viele Menschen die Eignung des Herrn Gauck für das Amt des Bundespräsidenten anzweifeln.
http://www.youtube.com/watch?v.....re=related
Ein ganz kleines Erratum: Der taz-Autor heißt nicht „Denis Yüzel“, sondern Denis Yücel.
Ansonsten d’accord: http://misanthrope.blogger.de/stories/2008030/
Gauck hält den Holocaust nur insofern nicht für einzigartig, als er wieder geschehen kann, weshalb Gauck sowohl nationale als auch internationale, stete Erinnerung und Wachsamkeit anmahnt. Ich frage mich, was sie genau von einem deutschen Redner verlangen, wenn er über den Holocaust spricht. Jetzt drehen sie ihm sogar einen Strick daraus, dass er die besondere Schuld und Verantwortung der Deutschen betont. Kritik um des Kritisierens und Querschießens willen scheint mir das zu sein – dafür finde ich das Thema aber viel zu wichtig.
Ich bedanke mich. Es hat mir geholfen, ein Unbehagen, das mich befallen hat, besser zu verstehen.
APo: Stalin auf der Seite der Engel
… gut, dass Sie kein Lehrer mehr sind.
Kein Wunder, dass die neurechte „Junge Freiheit“ gleich die Parallele zum Ratzinger-Papst witterte und schlagzeilte: „Wir sind Präsident!“
@Parisien: So ist es. Nun hören wir allerdings in unseren Medien schon seit Jahrzehnten das Loblied der Emotionen (der typische Sportkommentar von Johannes B. Kerner, wenns gekracht hat: „Achten Sie auf die Emotionen!“). Da wird geweint und gelacht, geschimpft und umarmt auf Teufel komm raus, und selbst unser neuer Bundespräsident hält Rationalität im Prinzip für antihuman. Bei solchen Worten würde sich der heilige Thomas von Aquin im Grabe umdrehn. Es wird mal Zeit für eine Gegenoffensive der Rationalität.
Die Wahl ist wohl gelaufen, es sei denn,Gauck würde aufgrund des Gezankes um ihn verzichten. Vorsichtshalber schlage ich einen Mann vor, der hauptsächlich aufgewachsen ist bei den Repräsentanten des zweiten, des kultivierten Deutschland (Tucholsky: „Wir sind auch noch da“), einen poltisch unbelasteten Mann, Musiker, Theologe, Assistent Karl Rahners, Schriftsteller und Psychologe, der die Katholische Kirche inzwischen verlassen hat, hier:
2009 trat er aus der katholischen Kirche aus; er begründete diesen „überfälligen“ Schritt mit der Versöhnungsgeste des Papstes gegenüber der Pius-Bruderschaft, zu denen der Holocaust-Leugner Richard Williamson zählt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Frido_Mann
@ Alan Posener:
„@ Parisien: Die Judenverfolgung ist eine Konstante im Christentum; und die herausragende Stellung der Juden auch – als das “erwählte Volk” Gottes, das den Messias zurückgewiesen und schließlich “Gott getötet” hatte. Man lese dazu Martin Luthers widerliche antijüdische Pamphlete Die Singularität des Holocausts ist ohne diese Dämonisierung der Juden nicht zu begreifen – eine religiöse Aufladung, die Hitler nur rassistisch zuspitzte, aber nicht erfand und nie hätte erfinden können. Dass die Juden ihre christlichen Mörder um Gnade baten, aber keine fanden – das war nichts Neues, das hatten sie in den Kreuzzügen, nach der Reconquista unter der Spanischen Inquisition und im Zarenreich bei wiederholten Pogromen erlebt.“
Finde ich völlig richtig, wir widersprechen uns nicht, aber das Christentum war und ist und der Islam war und ist auch ein politischer Apparat.
Jesus würde keine Juden, Muslime, Hindu, Buddhisten verfolgen, dämonisieren und umbringen. Jesus war vor allem „Liebe deinen Nächsten“. Jesus tat keiner Menschenseele etwas zuleide. Er kritisierte Pharisäer, aber tötete sie nicht. Sagen Sie mir bitte, wie viele Christen inclusive Luther schreckliche Pharisäer waren und sind. Und nur Pharisäer kann man zu Ausgrenzung oder Massenmord aufstacheln.
Dann überlegen Sie mal, ob der Papst ein Pharisäer ist. Ich glaube nicht. Gauck schon eher.
@ Roland Ziegler:
Ja, Rationalität allein ist auch nicht seligmachend. Ist nicht auch Herr Sarrazin sehr rational? Würde nicht eine berechtigte Kritik, in wärmere Hüllen gekleidet, bei einigen Muslimen besser ankommen?
Rationalität allein bietet dieselben pitfalls wie Emotionalität allein. Muslime finde ich sehr emotional, z.B. wie sie sich immens in Massen aufregen, wenn ein!!! oder wenige!!! amerikanische assholes den Koran schänden. Wir dagegen sind sehr rational.
Aber insgesamt sollten wir versuchen, Mensch zu sein und am besten Mensch so, dass wir nicht nur emotional oder rein rational sind, sondern abwägen.
Insgesamt halte ich Herrn Gauck charakterlich für anständig. Vielleicht ist er im Rampenlicht einfach genauso narzisstisch geworden wie alle. Gestern Abend bei Plasberg – was das Rampenlicht verursacht – ein Superthema.
@ Alan Posener
Ich wünsche mir, immer wenn ich mit dem Thema konfrontiert werde, dass der Holocaust singular ist, ich hoffe es und versuche, was in meiner Macht steht, dazu beizutragen, dass er singular bleibt. Ich glaube dazu gehört es auch, sich hier von Ihnen missverstehen zu lassen, denn wenn Sie noch einmal fair lesen, was ich geschrieben habe, können Sie Ihre Behauptung nicht aufrecht erhalten, ich hätte den Holocaust mit den 10 Morden gleichgesetzt.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass der Holocaust schleichend angefangen hat und die Menschen sich nicht vorstellen konnten, dass es so weit gehen würde. Ich habe auf Symptome hingewiesen, die es damals gab, Zeichen, die viele gesehen haben, viele aber auch nicht. Symptome, die es auch heute gibt und die – das sollte eine Lehre aus der Tragödie sein – immer wieder auftauchen und wieder zu einer ähnlich schrecklichen Tragödie führen können, wenn man nicht früh genug gegen sie ankämpft.
Daher meine Einschätzung, das für einige Menschen die Betonung der Einzigartigkeit des Ereignisses eher zu einer Verharmlosung dessen führt, was an strukturell Ähnlichem heute passiert.
Und mit Ihrer vehementen Kritik an meinen Ausführungen, verharmlosen Sie nicht auch die 10 Morde? Fallen Sie nicht auch auf die typische Formulierung herein, ich habe ja nichts gegen Juden und Ausländer, aber…
Sind diese Menschen wirklich nur gemütliche Ausländerfeinde und harmlose Antisemiten, die doch eigentlich ganz nett sind und ihre Worte niemals in Taten umsetzten würden, die vielleicht mal ein paar Türken abknallen aber viel zu dumm sind, das organisiert aufzuziehen?
Das klingt für mich so nach dem Motto 10 Tote in 7 Jahren, das ist doch lächerlich, das sind doch keine richtigen Nazis.
Oder sind es doch potentielle Mengeles, Bests, Eichmänner, Himmlers, Heidrichs oder Göths, die nur deshalb im Zaum gehalten werden, weil unsere Gesellschaft derzeit ein wenig besser funktioniert als vor 80 Jahren?
Vielleicht hätte ich besser nicht von Symptomen gesprochen sondern von einem Virus oder einem Keim der zum Holocaust geführt hat und wieder führen kann, der – auch heute noch in einigen Menschen steckt und den man immer wieder bekämpfen muss, damit er nicht ausbricht.
Es mag sein, dass meine Worte vielleicht nicht so geschliffen formuliert sind wie die Ihren, ich mag möglicherweise naiv, vielleicht auch nur dumm sein, aber nach meiner Intention sollte mein Beitrag weder als Witz gemeint sein, noch hoffe ich, dass er einem irren Geist entspringt.
Das Leiden und Sterben aufgrund von menschenverachtenden oder gar menschenvernichtenden Bedingungen ist für jedes einzelne menschliche Opfer singulär. Wer das öffentlich abstreitet, schafft Opfer erster und zweiter Klasse. Er verschafft ausserdem der Öffentlichkeit Einblick in seine wahre Geisteshaltung.
@ Serdar. Mir geht es zunächst darum, die absurde Logik zurückzuweisen, derzufolge das Beharren auf der Singularität von Auschwitz das Ergebnis eine Mangels an Religion sei. Dann aber um das Zurückweisen jener Relativierung, die, wie Gauck mit Verweis auf China und Russland, die universelle Bedeutung des Holocausts leugnet – mit den absurden Konsequenzen, die ich anzudeuten versucht habe.
@ Parisien: Die Judenverfolgung ist eine Konstante im Christentum; und die herausragende Stellung der Juden auch – als das „erwählte Volk“ Gottes, das den Messias zurückgewiesen und schließlich „Gott getötet“ hatte. Man lese dazu Martin Luthers widerliche antijüdische Pamphlete Die Singularität des Holocausts ist ohne diese Dämonisierung der Juden nicht zu begreifen – eine religiöse Aufladung, die Hitler nur rassistisch zuspitzte, aber nicht erfand und nie hätte erfinden können. Dass die Juden ihre christlichen Mörder um Gnade baten, aber keine fanden – das war nichts Neues, das hatten sie in den Kreuzzügen, nach der Reconquista unter der Spanischen Inquisition und im Zarenreich bei wiederholten Pogromen erlebt.
Sehr gut!
@Parisien: Holocaust ist böse, Holocaust ist rational, also ist Rationalität böse? Herrje, wenn so unsere neopräsidiale Logik wird. Hätten wir doch jemanden aus der Wissenschaft als Präsident bekommen!
Stalin ist auf der Seite der Engel gewesen, um seinen eigenen Vorteil zu suchen und nicht um die Juden zu befreien, die er nach dem Krieg als „wurzellose Kosmopoliten“ verfolgen ließ.
http://de.wikipedia.org/wiki/W.....Kosmopolit
@Alan Posener
Echt guter Beitrag. Sie haben Gauck richtig auseinandergenommen.
Sie schreiben:
Der Holocaust ist in der Tat der absolute Maßstab, an dem andere, durchaus ähnliche, durchaus vergleichbare, durchaus furchtbare Verbrechen zu messen sind. Niemand hat das Recht, im Namen des selbst erlittenen Unrechts das zu relativieren.
Das erinnert mich an eine Passage von Adorno in „Erziehung nach Auschwitz“:
Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.
Aber war Auschwitz nicht ein singulärer Tiefpunkt der menschlichen Geschichte, den alleine zu vermeiden noch allzuvielen anderen Greueln Raum lässt?
68er: Vielleicht der Kern der Aufklärung, der kantsche kategorische Imperativ?
… richtig, 68er: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen![sic!]
‚Bedenke, Mensch, dass Du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst.‘
@ 68er: Freudsche Fehlleistung? Vielleicht. Ich lasse den Verschreiber drin.
Gegen die „Singularität“ des Hiolocausts wenden Sie ein: „Dies zu erkennen ist für viele Menschen sehr schwierig und ich sehe die Gefahr, dass allzu viele sich sagen, der Holocaust das war einmal, das war eine andere Zeit, das waren andere Bedingungen, das passiert uns nicht mehr und übersehen dabei allzu gerne den schleichenden Verfall, die Hetze gegen den türkischen Nachbarn, die Abschiebung von Sinti und Roma, das Gerede von genetisch angeblich besser ausgestatteten “Eliten”, die Ermordung türkischstämmiger Mitbürger…“
Entschuldigen Sie, aber zehn Terroropfer sind nicht das Gleiche wie sechs Millionen vom Staat Ermordete. Und die Reaktion der politischen Klasse auf Rassismus (etwa Sarrazin) ist errfreulich geschlossen. Genau damit solche irrwitzigen Vergleiche nicht Platz greifen, ist es wichtig, auf die Singularität des Holocausts hinzuweisen.
@ Sgt. Pepper: Unter aller Sau, Ihre Kritik. Jeder, der mich kennt (u.a. meine „Duographie Stalin-Roosevelt“) weiß, wie ich zum Kommunismus stehe.
@ Er12ahrt: Haben Sie inhaltliche Argumente? oder können Sie nur schimpfen? Und was meinen Sie mit „einem Ihrer früheren Blätter“? „Die Fähre“ (Meine Schülerzeitung)? „Dem Volke dienen“ (Zentralorgan des KSV)? „Berliner Hefte“ (Renegatenmagazin)? „Tagesspiegel“? „Zeit“ (für die ich gelegentlich Beiträge schrieb)?
Dass der Holocaust als eine Art Ersatzgott bzw. Gottersatz mit negativem Vorzeichen, also quasi der Teufel selber, einer vom Glauben abgefallenen Gemeinde erscheint, um aus dem absolut Bösen „psychischen Gewinn zu ziehen“ – auf so einen abwegigen Gedanken kann wohl nur ein Ex-Pfarrer kommen. Genauso abwegig die Diskreditierung der Rationalität als antihumane Gegenkraft zur Moralität. Das genaue Gegenteil ist viel häufiger, nämlich wenn Moralität rational bzw. Rationalität moralisch ist. Beide lassen sich als Aspekte voneinander verstehen. Wer das bezweifelt, könnte sich z.B. mal mit der Moralität des russischen Mathematikers Perelman beschäftigen.
Jeder weiß, dass es vergleichbare Genozide wie den Holocaust gibt, Herr Posener weist ja explizit darauf hin. Ob das bislang größte menschliche Verbrechen auf der nach oben offenen Verbrechensskala der Holocaust war oder z.B. die Sklaverei – warum ist die Antwort auf diese Frage eigentlich so wichtig? Niemand wird durch eine Relativierung des Holocaust entlastet. Je nach Kriterium (Opferzahl vs. Bösartigkeit der Täter) würde man zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen. Selbst wenn einem anderen Verbrechen der bisherige Hoch- bzw. Tiefpunkt auf der Skala zugesprochen werden sollte, ändert das für uns nichts.
Sehr guter Text, da brillant analysiert.
Gruß Klaus Kufner
Lieber Alan Posener!
Ich stimme Ihnen in dieser Passage zu, damit das erst einmal klar ist:
„Nein, es ist eben nicht so, dass wir Deutschen als „Volk der Täter“ oder die Juden als „Volk der Opfer“ ein besonderes Verhältnis zum Holocaust hätten, das andere nicht tangieren müsste. Sondern es ist tatsächlich so, dass ein echtes Begreifen, eine klare Analyse des Holocausts, jenseits seiner metaphysischen und relativistischen Verortung als notwendige Katastrophe der entfesselten Moderne zum Ergebnis führt, dass dieses Verbrechen einzigartig war. Der Holocaust ist in der Tat der absolute Maßstab, an dem andere, durchaus ähnliche, durchaus vergleichbare, durchaus furchtbare Verbrechen zu messen sind. Niemand hat das Recht, im Namen des selbst erlittenen Unrechts das zu relativieren.“
Andererseits haben Gauck und vor allem Ratzinger Recht, wenn sie indirekt oder direkt den Holocaust als gottlos bezeichnen. Sie dürfen doch nicht glauben, dass jeder getaufte Christ tatsächlich ein Christ ist. Ein Christ entsteht doch nicht bei der Taufe oder der Kommunion/Konfirmation, also bei seiner Etikettierung, sondern erweist sich als Christ durch sein Denken, Reden und Handeln. Und Pfarrer sind davon nicht ausgenommen. So war zwar z.B. von Galen ein Christ, aber viele andere Pfaffen waren das nicht. Das Christengebäude leidet wie jede andere Religion unter Hierarchie und politischer Anpassung. Dass der Holocaust bewiesen hat, dass diese Gebäude nicht dazu fähig sind, eine signifikante Anzahl von Christen zu erzeugen, ist für mich offensichtlich, während für mich Hans und Sophie Scholl, Professor Huber, Christoph Probst und Alexander Schmorell und ihre Gruppierung wahre Christen waren.
Es gibt Geschichten von Juden auf freiem Felde, die an ihren ausgehobenen Gräbern noch ihre getauften! Schlächter anflehten, doch an den gemeinsamen Moses zu denken, und es half ihnen nichts. Der Holocaust war durch und durch gottlos. Ein wirklicher Christ hatte vermutlich keinen Anteil an ihm. Ein wirklicher Christ ging nicht zu einer Versteigerung jüdischen Eigentums, es sei denn, um es aufzubewahren. Wirkliche Christen gab es in Dänemark. Sie schafften die Juden zu ihrer Sicherheit über Nacht nach Schweden und hüteten ihre Häuser, bis sie zurückkamen. Wirkliche Christen im damaligen Europa können Sie zählen.
Was Rationalität betrifft: Der Holocaust war m.E, durchaus rational. Er war durchdacht. Er betraf mehr noch als die deutschen Juden ca. 3 Mio polnische Juden und sollte Lebensraum (für deutsche Arier) im Osten schaffen. Er war, wie die Wannsee-Konferenz und überhaupt die Personalie Heydrich beweist, durch und durch rational. Bevölkerungen aber hält man ja dumm und emotional, auch heute. Also musste etwas gefunden werden, was diese auf die Barrikaden brachte. Das besorgte Chefideologe Goebbels. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die deutsche Bevölkerung ohne solche Typen oben nicht kooperiert oder zugesehen hätte. Und dass die Tatsache, dass Oppositionelle in KZ’s oder nach Plötzensee kamen plus der Tatbestand Sippenhaft (und jeder hatte Kinder) ihren Teil dazu beigetragen haben, dürfte auch klar sein. Wir sehen doch lebendig in Iran, was mit Oppositionellen im Evin-Gefängnis passiert.
Was ihn so einzigartig macht, ist doch die rationale Organisation von oben, wozu das Beiseiteschaffen der Oppositionellen ab `33 gehörte. Die Hutu haben auch die Tutsi umgebracht, aber das kam von unten mit Macheten in Sümpfen. Die Indianer waren auch nicht zimperlich. Sie skalpierten und ermordeten ganze Farmersfamilien. Der einzige Genozid, der m.E. entfernt an den Holocaust erinnert, ist Pol Pots Selektion der „Brillenträger“.
Ich glaube, ich verstehe hier Gauck. Er sieht etwas, das viele Leute bemerken: Die gleichen Politiker, die uns manipulieren und auch um unser Geld bescheißen, sitzen „betroffen“ am 27.1.im Bundestag, und ihre triefende Betroffenheit nimmt ihnen keiner mehr ab. Große Teile von ihnen sind genauso gottlos wie Politik schon immer war. Auch islamistische Politik ist gottlos, auch wenn sie sich mit A…h etikettiert. Die öffentlich zelebrierte Trauer wirkt fast so hohl und gottlos wie der Holocaust selbst.
Und den entscheidenden Satz haben Sie (bewusst?) vergessen:
In dem Satz, der vor der Passage steht, mit der Sie anfangen, sagt Gauck, dass er nicht möchte, dass der Holocaust trivialisiert wird.
Ich muss hier Gauck verteidigen, obgleich er selbst ein Etikett bzw. Tünche sein mag.
Genau. Stalin war auf der Seite der Engel, Mao ist die Mutter der Humanität und geschlachtet werden darf das Menschentum solange beim Massenmörder ein menschliches Antlitz linker Colouer dahinter steckt. Nur die Nazis , die sind böse dabei. Soziologen haben jetzt festgestellt, dass es überhaupt keinen Linksextremismus mit Mord und Totschlag je gegeben hat. Also der Gauck, so richtig links und gut ist der wohl nicht. Den kann man doch nicht wählen.
Ich bin zutiefst entsetzt über diesen Beitrag, der doch nicht Ihrer Feder entstammen kann. Dass die verwegene taz-Interpretation noch zu toppen ist – unglaublich. Glauben Sie ernsthaft, Gauck gehe es um eine Verharmlosung, oder ist Ihre Analyse nicht viel mehr als das Ergebnis einer extrem böswilligen Interpretation, die Sie in einem Ihrer früheren Blätter zurecht niemals untergebracht hätten? Ihre Nähe zur taz schockt mich.
——Wird der künftige Bundespräsident Joachim Gauck dieses Wort wiederholen? Man darf es bezweifeln und es daher als besonders merkwürdig empfinden, wenn der Pfarrer a.D. in der Bundesversammlung die Stimmen von SPD und Grünen erhält.—-
Sie vergessen in diesem Zusammenhang die CDU/CSU und die FDP.
Die Parallelen in der Argumentationsstruktur zu Ratzinger sind in der Tat gegeben. Wenn man böse ist könnte man sagen, der Nationalsozialismus war ähnlich rationalitätsfeindlich wie so manche christliche Religion.
Über die Singulariät des Holocaust zu streiten, macht aus meiner Sicht wenig Sinn. Ich habe immer die Gefahr gesehen, dass durch die Betonung der Singularität verborgen wird, dass der einzelne Mord, bei all seiner Grausamkeit von Menschen wie mir oder Ihnen begangen worden ist, die gerade noch gesittet miteinander geredet, gelacht, musiziert oder über den neuesten Kinofilm diskutiert haben, die mit ihren Kindern gespielt und ihren Hund gestreichelt haben aber im nächsten Augenblick jüdische Kinder in Auschwitz mit Wasserkrebs infizierten oder Menschen in die Gaskammer schickten.
Dies zu erkennen ist für viele Menschen sehr schwierig und ich sehe die Gefahr, dass allzu viele sich sagen, der Holocaust das war einmal, das war eine andere Zeit, das waren andere Bedingungen, das passiert uns nicht mehr und übersehen dabei allzu gerne den schleichenden Verfall, die Hetze gegen den türkischen Nachbarn, die Abschiebung von Sinti und Roma, das Gerede von genetisch angeblich besser ausgestatteten „Eliten“, die Ermordung türkischstämmiger Mitbürger…
Der Nationalsozialismus begann ja nicht mit Auschwitz. Schon vor 33 gab es diverse von „völkischen“ Kreisen begangene Morde an Juden und Linken und „Vaterlandsverrätern“ (Kurt Eisner, Walter Rathenau, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Matthias Erzberger) und nach 33 traf es zuerst die Kommunisten, die Gewerkschafter, die Homosexuellen und die geistig Behinderten.
Die Lehre daraus muss doch sein, wachsam zu bleiben und nicht zu glauben, dass es schon nicht so schlimm werden wird, dass der gesittete Mitbürger zu solch gigantischem Gräuel sich ja wohl nicht hinreißen lassen wird.
So haben allzu viele damals gedacht und als der Horror immer sichtbarer wurde, weg geschaut, weil nicht sein kann, was man sich nicht vorstellen will und gehofft bis zum Schluss, dass es doch nicht so schlimm kommen wird.
Was dagegen geholfen hätte? Wahrscheinlich nicht das Wissen dass so etwas schon einmal in der Vergangenheit als singuläres Ereignis in einem fernen Land passiert ist. Da ist der Mensch zu ichbezogen, als dass er in fremden Mördern Teile von sich selbst entdeckt.
Vielleicht der Kern der Aufklärung, der kantsche kategorische Imperativ?
Ich weiß es nicht.
Lieber Herr Posener,
zu Beginn der 5. Absatz ist Ihnen ein freudscher? Verschreiber unterlaufen. Soll es da Jauch oder Gauck heißen?
Den Kommentar können Sie nach der Korrektur gerne löschen.
Gruß
68er