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Arabiens bleierne Zeit

Arabischer Frühling. Das klingt nach politischem Aufbruch, gesellschaftlichem Neuanfang, frischer wirtschaftlicher Brise und vor allem nach bürgerlicher Freiheit. Und sind nicht Despoten wie Tunesiens Ben Ali und Ägyptens Hosni Mubarak von ihren Bürgern in die Wüste geschickt worden?

Und der mit vielen Opfern erkämpfte Sieg über Gaddafi? Haben die Einwohner Bahrains, die Bürger Jemens nicht gegen die Herrschercliquen mutig aufbegehrt und Grundrechte eingefordert? Schien nicht eine ganze Region vor einem wahrlich historischen Wandel zu stehen? Stimmt alles. Dennoch sind die Wünsche und Hoffnungen der Menschen inzwischen düsterer Realität gewichen. Und die Empörten, die Engagierten von einst sind schmählich im Stich gelassen worden – von uns, dem Westen.

Heute mutet der Arabische Frühling an, als sei er in einem  Herbstnebel verschwunden, auf den schon bald eisiger Frost folgen könnte. Eine bleierne Zeit. Darüber kann auch der Sieg der libyschen Rebellen kaum hinwegtäuschen. Denn das Ende eines Machthabers, so erfreulich er ist, bedeutet noch lange keine besseren Zeiten.

Überhaupt: Tripolis, Tunis und Kairo bleiben die Ausnahmen. Noch machen die Herrscher alten Schlages ihrem Ruf als Diktatoren alle zweifelhafte Ehre und gehen mit brutaltmöglicher Härte gegen ihre eigenen Völker vor.

Von Algier bis Teheran gilt der Satz: Es herrscht Ruhe im Land. Eine Friedhofsruhe, vom Staat verordnet und durch Unterdrückung jedweder Opposition in die Tat umgesetzt. Selbst auf dem Kairoer Tahrir-Platz trifft man sich inzwischen vor allem, um von Militär und Muslimbrüdern die Umsetzung der vielen Versprechungen einzufordern. Und Ägyptens ungeschützte Grenze zu Israel – das haben die Anschläge bei Eilat gezeigt – ist ein willkommenes Einfallstor für palästinensische Terroristen geworden.

Die Frühlingsstimmung in der Region: verflogen. Kein Wunder. Die Enttäuschung ist einfach zu groß. Auch weil der Mut, wenigstens in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu marschieren, weder von den USA noch Europa wirklich honoriert, geschweige denn tatkräftig unterstützt wurde. Kleinmut, der beschämen muss.

Es stimmt zwar: Die Nato hat es geschafft, mit Waffengewalt Libyens Machthaber zu vertreiben. Aber das Danach wird ungleich schwieriger zu bewerkstelligen sein. Da sind Zweifel angebracht, ob die USA, Großbritannien und Frankreich sich erneut und langfristig ins Zeug legen werden, um aus dem Land einen Staat zu machen. Und die Art und Weise, wie der Westen vor Assad kuscht, nur aus Furcht vor dem, was nach ihm kommen könnte, ist ein politisches Trauerspiel.

Seit Monaten schießt und bombt Syriens Autokrator blindwütig den Aufstand gegen sich nieder – und niemand in Washington oder Brüssel schert sich groß darum. Viele Lippenbekenntnisse, quälend wenig Taten. Sanktionen? Da lacht der Diktator! Unsere Werte, unsere Ideale, auf die wir ach so stolz sind, begraben unter Raketen und Kugeln. Wer hätte das gedacht? Die Menschen in der arabischen Welt, die immer noch ihr Leben riskieren, sicherlich nicht.

So haben Europa und die Noch-Supermacht Amerika vermutlich ihren Kredit im Nahen und Mittleren Osten auf Dauer verspielt, auch wenn sich die Verantwortlichen das kaum eingestehen werden. Die Krisen-Region ist wieder auf sich selbst zurückgeworfen.

Das gerade von der deutschen Regierung immer wieder gerne beschworene „Zeitfenster“– fest verschlossen. Die unerwartete Chance für einen geostrategischen und politischen Neustart – verpasst. Schon jetzt verblassen die bewegenden Bilder des Arabischen Frühlings in den Köpfen der Menschen. Und viele werden sich allzu bald resigniert fragen, ob das alles nur eine Fata Morgana war.

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4 Gedanken zu “Arabiens bleierne Zeit;”

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    Sprechen wir es doch mal offen aus: Besser eine arabische Welt unter Knute ihrer eigenen Diktatoren als eine Welt unter der Knute der ‚freien‘ Araber!

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    „Auch weil der Mut, wenigstens in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu marschieren, weder von den USA noch Europa wirklich honoriert, geschweige denn tatkräftig unterstützt wurde. Kleinmut, der beschämen muss.“

    Was schlagen Sie dem Westen vor? Auch in Syrien und in Teheran gleich in einem Aufwasch Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu „marschieren“? Ich glaube, der Westen ist militärisch zu schwach, um diese Option durchzuführen, und wirtschaftlich auf so schwankenden Füssen, dass er seine eigenen ökonomischen Probleme nicht in den Griff bekommt. Die Pax Orientalis sehe ich nicht.

    Was schlagen Sie konkret dem Westen vor?

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