Es darf wieder regiert werden. Die FDP hat sich rechtzeitig vor ihrem Parteitag in Rostock an diesem Wochenende berappelt. Der neue Parteivorsitzende Philipp Rösler hat sich durchgesetzt. Die alte Garde um Guido Westerwelle, Rainer Brüderle und Birgit Homburger ist degradiert, auch wenn die Form gewahrt wurde und alle drei weiterhin mitmachen dürfen – bis auf weiteres.
Damit sind die Sündenböcke der letzten Monate aus dem Weg geräumt. Der Koalitionspartner aus CDU/CSU kann die FDP nicht mehr für das schlechte Image der Regierung allein verantwortlich machen.
Mit Rösler als neuem Wirtschaft- und Daniel Bahr als neuem Gesundheitsminister kann sich die FDP inhaltlich neue aufstellen. In beiden Politikfeldern klafft in der Regierung eine große inhaltliche Lücke. Wirtschaft- und Gesundheitspolitik findet praktisch nicht statt. Die Union dominiert die Themenagenda und hat bislang leichtes Spiel, die FDP nicht vorkommen zu lassen. Dabei liegt ein Thema, das die SPD bei ihrem Regierungsantritt 1998 und die CDU lange Zeit für sich beanspruchte, brach: Wer vertritt eigentlich die Interessen der heute erwerbstätigen Mitte? Eine neue OECD-Studie zeigt, dass Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, stärker belastet werden als alleinstehende Top-Verdiener. Eine Partei, die sich als Vertreterin der Leistungsträger versteht, muss sich hierzu positionieren. SPD und Union haben zudem ihren Modernisierungsprozess mit Gerhard Schröder und Angela Merkel bereits hinter, die FDP jedoch noch vor sich.
Eine „Neue FDP“ müsste sich stärker jungen Frauen, arbeitenden Müttern und Vätern und den neuen Randgruppen, Migranten und ältere Beschäftigte, widmen. Der „mitfühlende Liberalismus“ (Christian Lindner) muss von der Überschrift zum Projekt einer inklusiven, aufstiegsorientierten und leistungsbereiten neuen Mitte werden. Die alte Mitte (traditionelle Familien und tariflich Beschäftigte) teilen sich die beiden schrumpfenden Volksparteien. Um die neue Mitte bemühen sich bislang allein die Grünen mit ihrem Alleinstellungsthema Umwelt und Nachhaltigkeit. Als Antwort wird diese Politik nicht reichen. Auf die zentrale Frage, für welche Solidarität mit welchen Gruppen wir was zu zahlen bereit sind, passen auch die Grünen. Platz genug für eine neue liberale Partei, die sich vor allem als Vertreter und Schutzpatron einer leistungsbereiten Mittelschicht versteht.
Die FDP handelt nach dem Motto: Bei uns kann jeder alles. Dem Mediziner Rösler als Gesundheitsminister konnte man ja immerhin noch sowas wie Fachkenntnis unterstellen. Nun ist er also Wirtschaftsminister. Warum? Weil man da bessere Nachrichten verkünden kann, wird gesagt. Das ist ja sehr schön für den, der die Nachrichten zukünftig verkünden darf, aber mit irgendeiner besonderen Geeignetheit hat das nichts zu tun.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sind die rochierenden FDP-Leute derartig super, dass sie für alle Ämter gleichermaßen geeignet sind, oder sie glauben, dass man für diese Ämter keine besondere Qualifikation braucht.
Nicht nur bei der FDP ist dieses beliebig-lasche Ämterverständnis ein Problem. Aber hier wird es mit seltener Sorglosigkeit, die man auch Dreistigkeit nennen kann, praktiziert.
Hat sich die FDP tatsächlich berappelt und kann nicht mehr als Sündenbock für ein schlechtes Regierungsimage herhalten? Diese meinung ist doch nichts als unbegründeter Optimismus.
Gezeigt hat sich doch, dass die FDP offensichtlich kein Personal hat, das seinen Hut in den Ring wirft. In der Partei wird viel kritisiert, aber wenig gestaltet. Und Kandidaten wie Brüderle, Homburger und auch Westerwelle haben neben der Politik offensichtlich keine eigene Perspektive und kleben daher an ihren Stühlen. Westerwelle schafft die Außenpolitik nicht und wird dort nur wenige Akzente setzen, er hat kein Programm und auch keine „Liebe zum Fach“. Dasselbe gilt für Homburger und Brüderle: Als Bürger kann ich da nur den Kopf schütteln, mit welcher Hartnäckigkeit sich diese drei ihren Ruf und ihre Reputation kaputt machen.
Und hat Rösler das Zeug zum Parteichef? Und zum Wirtschaftminister? In seiner Ära als Gesundheitsminister hat er nicht wirklich etwas bewegt. Dabei hätte er als Mediziner und auch als ehemaliger Landesminister für Wirtschaft eigentlich gutes Rüstzeug gehabt, in diesem wichtigen Ressort glaubwürdige Lösungen zu entwickeln.
Ich glaube, die FDP braucht eine lange Bedenk- und Restrukturierungszeit. Sie braucht neue Themen und vor allem einen neuen Aufbruch: Überraschenderweise wirken in diesem Zusammenhang sogar die Jungen schon ziemlich alt und verbraucht.