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Revisited: Die Götterdämmerungs-Operette von Arnulf Baring

Nicht ganz von ungefähr (aber dazu komme ich gleich) las ich dieser Tage wieder Arnulf Barings Manifest „Bürger auf die Barrikaden“, das im November 2002 in der FAZ erschien:

http://www.arnulf-baring.de/html-dateien/presse_buergeraufdiebarrikaden.htm

Der verdiente Historiker sah Deutschland „auf dem Weg zu einer westlichen DDR“. Er bemühte außerdem als historische Vergleichsgröße die letzten Tage der Weimarer Republik, verglich den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Reichskanzler Heinrich Brüning, sah das „Parteiensystem“ am Ende und einen „massenhaften Steuerboykott“, „aktiven und passiven Widerstand“ und „empörte Revolten“ gegen den Staat voraus, wenn sich nichts ändere, wobei ihm freilich nicht viel Konkretes einfiel außer einer Verfassungsänderung, die es einer zur „Reform“ (sprich: Reduzierung der Sozialausgaben) entschlossenen Bundesregierung ermöglichen würde, tatsächlich auch – wie es Angela Merkel später formulieren sollte – „durchzuregieren“.

Barings Vorschläge waren und sind durchaus bedenkenswert; seine Kritik an den aufgeblähten Staatsausgaben und zu hohen Steuersätzen ist richtig. Was damals nervte und im Nachhinein erst recht nervt, ist der Ton, in dem diese Kritik und diese Vorschläge vorgetragen wurden. Denn der Ton macht bekanntlich die Musik. Und es war diese Endzeit-Musik, diese Götterdämmerungs-Operette, die dem Autor damals Beachtung einbrachte, nicht der Inhalt seiner Suada.

Die Kernaussage dieser Endzeit-Vision war folgende:

„Selbst Kinder wissen inzwischen, dass Deutschland seit langem im steten Niedergang ist, der sich 2002 gewaltig beschleunigt hat und große Unruhe auslöst, weil keinerlei Aussicht besteht, unter den herrschenden Verhältnissen unserer Konsensgesellschaft die zunehmende Stagnation zu überwinden und die Situation des Landes zu stabilisieren.“

Deutschland schafft sich ab, nicht wahr, wobei Baring zu fein war, die Verantwortung dafür auf die Einwanderer und das Prekariat zu schieben; für ihn waren es hauptsächlich die feigen Parteienpolitiker. Das Interessante ist, dass Barings damalige Aussage, „jedes Kind“ wisse, dass sich Deutschland „im steten Niedergang“ befinde,  tatsächlich die Stimmung gerade der Eliten im Land traf. Das war der Stoff, aus dem die Satzbausteine jedes Leitartikels waren. Es ginge, sagte Baring, um „Selbstverständliches, Banales, nämlich endlich um die Einsicht, dass Deutschland schon lange chronisch krank ist“. Und warum? Weil wir „seit drei Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt haben“ (also etwa seit Antritt der sozialliberalen Koalition unter Brandt und Schmidt) „und daher kräftig sparen, die Ansprüche aller Gruppen und Schichten eine Zeitlang reduzieren müssen.“

Ich erinnerte mich an Baring (den ich übrigens persönlich schätze) und seine Untergangsvisionen, als ich dieser Tage im „Economist“ (5. Februar 2011) einen Bericht über die Entwicklung der wichtigsten Volkswirtschaften in der Dekade 2000 – 2010 las. Wenn man als Gradmesser des Wachstums nicht das Bruttoinlandsprodukt nimmt (BIP), sondern das aussagekräftigere BIP pro Kopf, so ergibt sich folgendes Ranking der G7-Staaten: 1. Deutschland, 2. Großbritannien, 3. Japan, 4. Kanada, 5. USA, 6. Frankreich, 7. (mit einem Negativwachstum, Herr Berlusconi!) Italien.

Nimmt man die gegenwärtige Arbeitslosenquote, so sieht es wie folgt aus: die niedrigste Quote hat Japan, es folgen Deutschland, Kanada, Großbritannien, Italien, die USA und Frankreich. Beim Haushaltsdefizit, das Baring und andere 2002 so erregte,  steht Deutschland heute am besten da (und Amerika am schlechtesten), bei der Verschuldung der privaten Haushalte (ein recht zuverlässiger Indikator des „Über-die-eigenen-Verhältnisse-Lebens“) am zweitbesten (und Großbritannien am schlechtesten). Die britische Zeitschrift überschrieb den Kasten, in dem sie diese Daten präsentierte, mit „a splendid decade“.

Und weit davon entfernt, den Deutschen für die Zukunft ein Baring’sches Gürtel-enger-Schnallen zu verordnen, empfehlen uns die Briten, „mehr auszugeben und weniger zu sparen“. Sie empfehlen auch, wie Hans-Werner-Sinn seit langem, eine Liberalisierung und Deregulierung des Dienstleistungssektors, um mehr Geringqualifizierte in Lohn und Brot zu bringen, die allgemeine Produktivität zu steigern und die gefährliche Abhängigkeit von Exporten – z.B. in Länder wie Griechenland, die sich deutsche Produkte künftig nicht mehr leisten können dürften – zu reduzieren. Diese Empfehlungen mögen richtig oder falsch sein. Entscheidend ist der sachliche Ton, in dem sie vorgetragen werden.

Und was das politische System betrifft: „Man darf sich nichts vormachen“, sagte Baring 2002: „Nicht nur die Regierung ist, wenige Wochen nach ihrer Wiederwahl, innerlich bereits am Ende – auch wenn sie sich mit Flickschusterei, mit Minimallösungen, die das Debakel aufschieben, eine Weile noch durchhelfen kann. Deutschland ist auf dem Weg in eine westliche „DDR light“.“ Der Leser mag selbst entscheiden, ob er sich heute – selbst in der rot-rot regierten Hauptstadt Berlin, vorkommt wie in der DDR, „light“ oder sonst wie; der „Economist“ jedenfalls findet, Deutschland sei es gelungen, „mehr Menschen in Arbeit zu bringen dank der Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 – 05“ – also der rot-grünen Regierung, die laut Baring 2002 „innerlich bereits am Ende“ war.

Ich füge hinzu, damit ich nicht der nachträglichen Besserwisserei oder der Schönfärberei meiner damaligen Positionen bezichtigt werde: Auch ich gehörte zu den entschiedenen Kritikern der Regierung Schröder-Fischer. Noch heute stimme ich dem ersten – außenpolitischen – Teil der Baring’schen Schelte zu.

Aber ich denke, dass ich damals als gebranntes Kind den Untergangs- und Barrikadenton vermieden habe. Den gilt es auch heute und künftig zu meiden. Berlin war und ist nicht Weimar; und auch nicht Kairo. Deutschland schafft sich nicht ab. Es wurschtelt durch, wie das Demokratien nun einmal zu tun pflegen; und gar nicht mal so erfolglos. Weiter so.

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39 Gedanken zu “Revisited: Die Götterdämmerungs-Operette von Arnulf Baring;”

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    Von wegen Schwarz-Gelb ist „asozial“: Die SPD und die Kriegspartei Die Grünen (Afghanistan, Kosovo, sogar den Angriff auf den Irak wollte Joschka unterstützen, siehe seine Memoiren) haben Agenda 2010, die Deregulierung der Finanzmärkte, die Leiharbeit eingeführt und Lohndumping ermöglicht.

    Soviel zum Thema Wählertäuschung. Wie Niccolò Machiavelli einst bemerkte: „Die Menschen sind so einfältig und hängen so sehr vom Eindrucke des Augenblickes ab, daß einer, der sie täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen läßt.“

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    @ KJN, Roland Ziegler, EJ

    Ein Break, das ist völlig okay. Danke für die Statements. Ein bißchen Unruhe in und Unbehagen an der Kultur schadet doch nicht? Ist ein Gegengewicht zu Quietismus.

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    @Alt 68er
    „Dürfen wir erwarten, dass unsere Konkurrenten im Kampf um Ressourcen und Profit gegenüber unseren alternden Gesellschaften “altruistisch” werden?
    Das können wir natürlich nicht, aber ich vermute, unsere Ängste erwachsen weitgehend unseren eigenen Kultur- und Moralvorstellungen, die sich erschreckend weit von der menschlichen Natur abstrahiert haben. Ich denke nicht, daß wir wirklich einschätzen können, wie sich andere Gesellschaften weiterentwickeln. Nur vermute (und hoffe) ich, daß unser Bemühen in den letzten Jahrzehnten, allen Lebensentwürfen zu einem Recht zu verhelfen, nicht komplett bedeutungslos ist.
    Weiterhin verweise ich auf das an EJ gerichtete.

    @EJ
    …Tür und Angel” auf das Thema einzulassen. Für meinen Teil möchte ich die Diskussion damit abbrechen..
    .. was mich gleichermaßen entlastet, bevor ich nur noch Vermutungen äußere.

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    Um auch meinerseits mit einem Kommentar – wie immer zwischen Tür & Angel – zur Zukunft Ihres Kronzeugen China abzuschließen: Die „nackte Rationalität“ Chinas kann ganz schnell ins Schleudern kommen. Z.B. wenn die vielfältigen Separationsbestrebungen in diesem Riesenreich stärker sichtbar werden. Hier könnte es einen Umschlagpunkt geben. Dass sie bislang noch nicht zur Dominanz gelangen konnten, ist einer geschickten Reformpolitik der Zentralregierung zu verdanken, die aber schnell an eine Grenze gelangen könnte. Die extreme Umweltzerstörung wird ebenfalls ihren Tribut fordern. Marktwirtschaft und Internet-Informationsflüsse werden zusätzlich ihre Kräfte entfalten. Derzeit werden beide noch zentralistisch gedämmt, aber Dämme können brechen.

    Ich halte es also mit KJN. (Und damit zurück an die Arbeit.)

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    @ KJN

    Es liegt mir fern, meine Kinder weg zu schicken. Wie gesagt, wüsste ich gar nicht, wohin. Es geht um Beobachten und Verstehen, um Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit.

    Wenn es lediglich um das 3. Auto und den 5. Fernseher ginge, gäbe es kein echtes Problem. Im Prinzip jedenfalls nicht. Weil es sich um dasselbe Prinzip handelte. „Nackte“, kulturell abgelöste Rationalität, Rationalität ohne (historische kulturelle und soziale, auch technische) Entwicklungs- und Unterhaltskosten, ist jedoch – wie wir z.B. in China sehen – unvergleichlich effektiver als unsere. Und sie lässt eine ebenso abgelöste, unvergleichlich effektivere politische (Gewinnabschöpfung und) Machtakkumulation zu.

    Angesichts dessen wäre es fährlässig, nicht mit allem zu rechnen. Es geht nicht um melancholisch stimmende Götterdämmerung, sondern um den Einbruch kulturell uneingekleideter, nackter, schärfster ökonomischer und politischer Konkurrenz.

    (Im Übrigen war es blöde von mir, mich hier mit „Kommentaren zwischen Tür und Angel“ auf das Thema einzulassen. Für meinen Teil möchte ich die Diskussion damit abbrechen.)

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    @ KJN

    Sie schreiben „Die Bedürfnisse der Menschen sind überall gleich und irgendwann wird jedem, auch in Singapur und Bangalore, klar, daß das 3. Auto und der 5. Fernseher keinen Spaß mehr machen.“ Soweit sind die Asiaten (Singapur und Bangalore sind nicht repräsentativ)längst nicht, dass es um das 3. Auto oder den 5. Fernseher geht. Diese Märkte sind noch längst nicht satt und werden mit dem Westen noch um einiges härter konkurrieren. Wir Europäer, wir Westler haben in der Vergangenheit nicht kooperativ (fair trade) gehandelt, sondern haben Märkte erobert, Märkte, Konkurrenten zerstört und dominiert. Dürfen wir erwarten, dass unsere Konkurrenten im Kampf um Ressourcen und Profit gegenüber unseren alternden Gesellschaften „altruistisch“ werden? Global müßten doch (damit es einigermaßen gut geht) drei Tendenzen in ein neues und kooperatives Gleichgewicht gebracht werden: die ökonomische und demografische Schrumpfung des Westens, die ökonomische Expansion der neuen Großmächte China, Indien mit Einflußzonen und ein ökonomisches Modell verbunden mit einer Reduktion des demografischen Wachstums der pauperisierten Welt. Die Frage: wie kann ein konkurrenzfähiger Markt z.B. in Nordafrika entstehen; was können wir (vielleich zusammen mit der neuen Großmacht China) tun, um einen solchen entstehen zu lassen, bzw. nicht zu behindern? M.E. müßten neue Muster kooperativen Wirtschaftens gefunden werden. Der Markt allein scheint es nicht zu schaffen.
    Keineswegs will ich davon abraten, optimistisch zu sein und etwas zu tun. Ich glaube, Luthers Devise, auch wenn die Welt morgen untergeht, will ich noch ein Apfelbäumchen pflanzen, ist nicht von schlechten Eltern.

    @ EJ
    Wenn Sie nicht wissen, wo(hin) – ist das u-topisch.

  7. avatar

    @EJ
    Kontrapunkt:
    Ihren Pessimismus teile ich nicht und meistens kommt es sowieso anders, als man denkt.
    Sie lassen einen gewissen Wertewandel in Richtung wirklicher Lebensqualität (weniger arbeiten, weniger verdienen, mehr Zeit für Familie etc.) außer acht, der – allen Klischees zum Trotz – auch für Asiaten attraktiv ist. Die Bedürfnisse der Menschen sind überall gleich und irgendwann wird jedem, auch in Singapur und Bangalore, klar, daß das 3. Auto und der 5. Fernseher keinen Spaß mehr machen. Als Deutschland seinen Binnenmarkt bedienen konnte sah es auch anders aus, der Export war nur eine Zugabe. Wir sind – nun – in der Normalität angekommen.
    Außerdem hat sich durch die 68er-Revolutionen, die Emanzipation der Lebensstile, die Ökobewegung etc. eine Kompliziertheit und Bürokratie und Lebensentwürfe etabliert, an der sich unsere Gesellschaften fast verschlucken. (Um Missverständnisse zu vermeiden – ich finde das nicht alles schlecht!)
    Kurz gesagt: Unsere Gesellschaft hat viel zu verdauen, aber deswegen die Götterdämmerung einleiten und die Kinder wegschicken? Auch ich unterliege letzterer Versuchung, bin aber froh, wenn mein Sohn selber entscheidet. Vielleicht ist es auch der Pessimismus der starken 60er Jahrgänge (ich schließe Sie mal, aus dem Alter Ihrer Kinder folgend, mit ein).

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    @ KJN und Roland Ziegler

    Das Verteilungsproblem habe ich vor dem Hintergrund von Alt68ers Endspiel der 200jährigen Hegemonie des “Westens” gelesen. An der besteht für mich kein Zweifel.

    Wie auch immer – das Ende des Westens ist unvermeidbar:
    (1) Technische und ökonomische Rationalität des Westens hat sich vom kulturellen Westen abgekoppelt (Globalisierung!).
    (2) Technische und ökonomische Rationalität trifft politisch instrumentalisiert bzw. kulturell anders unterfüttert (paradigmatisch: China!) auf den Westen zurück.
    (3)Der Westen
    (a)bleibt skrupulös, durch „Werte“ handlungsmäßig eingeschränkt und unterliegt, wird kolonisiert – oder gibt
    (b)(um sich zu wehren) seine handlungseinschränkenden Werte und damit sich selbst auf.
    Wie gesagt: Wie auch immer …

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    @Ej & Alt 68er: Ihr Pessimismus überrascht mich. Worauf ist er begründet? Wohin pessimistische Prognosen führen, hat Alan Posener anhand von Arnulf Baring gerade gezeigt. Wir leben in guter Verfassung, und auch unsere Kinder können darauf bauen. Wir müssen ein wenig auf unser Verständnis von Arbeit achten (ich glaube, dass man durchaus zwischen Sisyphosarbeit und sinnvoller Arbeit unterschieden kann); Arbeit sollte nicht zum Götzen werden. Solidarität wird zwangsläufig wachsen, wenn das Geld knapp wird (Alten-WGs sind gar nicht so übel). Lassen Sie sich nicht den Mut nehmen, und vor allem: Nehmen Sie ihn nicht Ihren Kindern!

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    @Alt 68er
    „Ist der Rubikon, der point of no return jedoch nicht bereits überschritten?“

    Nein, das sehe ich keineswegs, sonst brauchte man sich ja gar nicht mehr zu äußern. Es gibt noch genug Geld da und damit Handlungsmöglichkeiten und eigentlich auch genug zu tun – jenseits von Dienstleistungen, wie Tütenpacken im Supermarkt, wenn nur nicht jede halbwegs qualifizierte (und damit wertschöpfende) Tätigkeit ins Ausland ausgelagert würde.
    Natürlich ist „sozial, was Arbeit schafft“, nur nicht (was dieser Slogan ausblendet), wenn Ausbeutung dahinter steckt.
    So gesehen lasse ich mir von Sohn oder Tochter des Ladeninhabers auch gerne die Einkaufstüte packen (Praktikum bei Papa), aber nicht von einem 1-Euro Jobber mit doppelt soviel Lebenserfahrung, wie ich habe.
    Visionen einer weltweiten Verteilungsgerechtigkeit..
    Bitte nicht schon wieder!! Überhaupt sollten Theorien nur von Praktikern aufgestellt werden.

  11. avatar

    @ Alt 68 er: Im Endspiel der 200jährigen Hegemonie des “Westens” können wir uns “gesundschrumpfen”? Können wir noch Visionen einer weltweiten Verteilungsgerechtigkeit, um nichts weniger als das wird es in zukünftigen Verteilungskämpfen gehen, entwickeln?

    Nein. Meine Kinder – zwischen 16 und 22 Jahre alt – werden in dem von Ihnen in Anführungszeichen gesetzten Westen nicht alt werden. Ich trainiere sie darauf zu gehen. Ohne dass ich weiß, wohin.

  12. avatar

    @ Roland Ziegler

    Ihre „Impulse“ sind meine. Im Detail. Und ich kann mich nicht mal dagegen wehren, dass ich Menschen, mit denen ich zu tun habe, nicht zuletzt auch danach beurteile, wie sie mit dem Dienstleistungspersonal umgehen, von dem wir reden.

    Mein Kopf zieht da aber nicht wirklich mit: Meine Scham und Wut ist womöglich nur die Kehrseite der Gleichgültigkeit oder Arroganz, die dergleichen Jobs fordert. Anders gesagt: Ich verdächtige mich, dass meine „Impulse“, mir wesentlich auch zur Tatsachenverschleierung dienen: Wie den einen Armut gleichgültig ist oder sie Armut brauchen, um sich besser zu fühlen, will ich sie nicht sehen. Weil mich ihr Anblick zur entschiedeneren Stellungnahme, evtl. sogar zum Handeln zwingen könnte.

    Womöglich hängt die anscheinend verbreitete deutsche Abneigung gegen bestimmte Dienstleistungsberufe und die Unlust, bestimmte Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, genau damit zusammen. Man möchte es lieber nicht so genau wissen. Man möchte es „nett“ haben. Und man möchte Armut deshalb möglichst hinter verschlossenen Türen halten.

    Ich kenne keine Untersuchungen dazu, aber ich halte nicht für ganz ausgeschlossen, dass das deutsche (und skandinavische) Sozialsystem (im Gegensatz zum englischen und zu dem diverser Südländer) nicht zuletzt genau der Erzeugung dieses „optischen Effekts“ dient. Dazu würde das in Deutschland (und Skandinavien) unübersehbar massenhafte („kleinbürgerliche“) Bemühen passen, sich überhaupt in jeder Beziehung einer gleichsam universal neutralen gesellschaftlichen Form anzupassen und alle Spuren von „Schicht“ (und „Klasse“ sowieso) aufzuheben.

    Ihre Einstellung ist, je nach Standpunkt, sozial oder unsozial. Ja, genau! Meine auch. Und das gefällt mir nicht wirklich.

  13. avatar

    @ KJN, Roland Ziegler, EJ, milchmädchen

    Ich finde Ihre Überlegungen, Ihre Kritik des Bestehenden sehr bedenkenswert. Ist der Rubikon, der point of no return jedoch nicht bereits überschritten?
    Wenn man (mittel- und längerfristig) nicht alle Hoffnung für dieses Land, den „Westen“ fahren lassen will, reicht dann Poseners Durchwursteln (ich muss zugeben, ich sehe z.Z. auch keinen anderen politischen Prozess, keine Mobilisierung)? Im Endspiel der 200jährigen Hegemonie des „Westens“ können wir uns „gesundschrumpfen“? Können wir noch Visionen einer weltweiten Verteilungsgerechtigkeit, um nichts weniger als das wird es in zukünftigen Verteilungskämpfen gehen, entwickeln?

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    @Roland Ziegler u.a.

    Letztlich geht es um die Frage, um die sich alle herumdrücken:
    Wie organisiert man halbwegs gerecht Wohlstand in einer Gesellschaft, der die Arbeit (auch qualifizierte – bitte!) als allgemein anerkannte Ursache für Einkommen abhanden gekommen ist.

    Und überhaupt: Worauf basiert überhaupt unser Wohlstand? Auf innerstaatliche Wertschöpfung? Angesichts der Fertigungstiefe in der dt. Industrie wohl kaum noch. Unser Wohlstand basiert auf der Arbeitskraft in Fernost, auf Rohstoffen aus Afrika, auf Absatzmärkten, die wir selber mit Krediten versorgen. Und auf einer Machtposition in der Weltwirtschaft, die es erlaubt, weltweite Standards für Qualität im Sinne von „Made in Germany“ zu definieren, um dann zu 98% im Ausland gefertigte Produkte mit selbigem Qualitätsstempel zu versehen.
    Eine wackelige Angelegenheit, nicht nur durch die Chinesen.

    Zu überlegen wäre, bevor man Arbeitslose Schneeschippen, Einparken und Tüten packen läßt, ob es wirklich nötig ist, daß wir westafrikanische Kinder Kupferdrahtspulen aus ausgedienten Röhrenfernsehern brennen lassen,
    http://www.youtube.com/watch?v=EIvoOYU-b0U
    oder ob nicht doch unsere Wirtschaftsweise etwas unanständiges hat, was sich irgendwann (bald) mal gegen uns selber richtet. Bevor ich jetzt in die Ecke „Greenpeace-Gutmensch-Romantiker“ gedrückt werde: Es geht hier nicht um ein paar Nanogramm Dioxin in Eiern oder eine versunkene Ölplattform, sondern darum, daß unsere Kinder schon nicht mehr wissen, an welchem Ende man einen Schraubenzieher anfasst. Wie war das (@EJ)? Arbeit auf Krankenschein?
    Ein Bildungssystem, das nach wie vor zwischen (höherwertiger) theoretischer und (sozial niedriger stehender) praktischer Begabung unterscheidet, manifestiert allemal den höheren gesellschaftlichen Status des bei jeder Kleinigkeit zum Telefonhörer greifenden Organisators. Damit die Perversion mal klar wird: Das Volk läuft mangels körperlicher Arbeit ins Fitnessstudio oder verkriecht sich in die Fantasiewelt eines second life um der Entfremdung zu entfliehen bzw. das Gefühl zu simulieren „etwas bewegen“ zu können.
    So mutieren zu einem Volk der Verwalter, beschleunigt durch jede „Bildungsoffensive“.
    Leute, die „etwas können was andere nicht können“ (@Alan Posener) finden wir so bald nur noch in Fernost.

    Abhilfe? Behalten Sie Ihren Röhrenbildschirm und lassen Sie ihn mindestens 5 mal reparieren – auf Kosten Ihrer Krankenkasse..

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    @EJ: Sie haben im Prinzip Recht, und Ihre (anderswo geäußerte) Einsicht, dass das eigene unabhängige Arbeitseinkommen eine Voraussetzung für politische Freiheit ist, teile ich. Man muss sich um seine eigenen Angelegenheiten selber kümmern, das finde ich auch.

    Mein erster Impuls an der Supermarktkasse, wenn jemand meinen Einkauf eintüten will, wäre deshalb zu sagen: „Lassen Sie das, ich mache das selbst!“ Mein zweiter wäre vermutl., aus Mitleid einpacken zu lassen, damit der Packer seinen Job, sein Geld und seine soziale Anerkennung nicht verliert. Und mein dritter wäre, zukünftig in einem anderen Supermarkt einzukaufen, in dem ich das Eintüten noch selber erledigen darf.

    Meine Einstellung ist, je nach Standpunkt, sozial oder unsozial. Ich teile die verbreitete Dienstleistungsfantasie jedenfalls nicht, nach der man sich immer mehr und immer neuere, am besten noch nie gesehene Dienstleistungen ausdenken soll, um sein Auskommen zu sichern. Wer soll denn die ganzen Würstchen aus den Clementschen Würstchenbuden eigentlich fressen? Ich finde die Vorstellung, permanent umschwirrt und bedient zu werden und dafür zahlen zu müssen, grauenvoll. Dem Anbranden immer neuer Produktoffensiven kann man sich noch einigermaßen entziehen; aber wenn lohnabhängige Menschen Tüten packen, Autos parken, Schuhe putzen, Türen öffnen und Krümel abklopfen, wird das schon schwieriger. Denn wie Sie sagen: Diese Leute sind davon abhängig gemacht worden. Sie haben dieses Schicksal nicht selber gewählt; sie hatten keine Wahl, außer der, Lakaien zu sein oder sich weiterzuqualifizieren.

    Wenn die Gesellschaft für solche Dienstleistungen nicht zahlen will, unterbleibt eine dazugehörige Abhängigkeit. Die Dienstleistungsgesellschaft (die ohnehin keine echte Wertschöpfung erzeugt) liefe ins Leere, und die Leute würden entweder direkt alimentiert (nach dem hochchristlichen Motto „Fördern ohne zu fordern“) oder bekommen, Ihrer Idee zufolge, ihre tägliche Arbeit zu Gesundheitszwecken auf Rezept. Mir wäre das lieber.

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    @Alt 68 er: Das ist wirklich hochinteressant, was Sie da schreiben. Das Schicksal der Selbständigkeit teilen wir nämlich, wobei natürlich die jeweilige „Gesellschaftsform“ hier auch noch eine Rolle spielt.

    Ich gebe Ihnen auch uneingeschränkt Recht, was die nicht flexiblen Marktbedingungen angeht. Es ist und war eine bodenlose Sauerei, was z.B. die Banken – nach der von ihnen selbst verursachten Krise – mit den Kleinunternehmen gemacht haben, das ist eigentlich an der Grenze zur Kriminalität. Die Konsequenzen dieses Verhaltens werden in wenigen Jahren – besonders im Dienstleitungssektor fatal zu spüren sein.

    Was den Sargnagel betrifft, also ich hätte nur eine Dame im nicht gebarfähigen Alter eingestellt, die wäre vermutlich ein wenig teurer gewesen, aber auf Dauer billiger.

    Ansonsten dürften wir uns zumindest in der gesunden Einschätzung der verzerrten Wettbewerbsbedingungen und der mangelnden Flexibilität in den Rahmenbedingungen rundweg einig sein.

  17. avatar

    @ Roland Ziegler: Mein erstes Zitat aus Ihrem Text ist sinnentstellend unvollständig. Es ist um Ihren folgenden Satz zu ergänzen:

    Weil man das genauso gut selber machen kann, ohne dass einem ein Zacken aus der Krone bricht, wäre meine Antwort.

  18. avatar

    Roland Ziegler Warum also lässt man nicht jemand anderes für sich das Auto einparken bzw. seine Einkäufe eintüten?

    Wenn z.B. ein Supermarkt daraus eine Stellung macht, von der man auf dem Niveau „HartzIV+X“ leben kann, ist dagegen nichts zu sagen. Ein Katastrophe dagegen sind die „selbständigen“ Schuputzer-Existenzen, wie sie mal vom stellvertretenden Chefredakteur von WamS und/ oder Welt beworben wurden. Und die mit Sozialhilfe „aufgestockten“ Fulltime-Jobs sind eine ordnungspolitische Sauerei allererster Ordnung, geradezu kriminell.

    Sisyphos

    (Nebenbei: Welcher Job wäre nicht zu mehr oder weniger großen Anteilen ein Sisyphos-Job. Selbst Alan Poseners (Doppelsinn intendiert:) politischer Kreativ-Job hat, bei genauer Betrachtung, doch was stark Vergebliches – und wenn man die Leserkommentare zu seinen (und keineswegs nur seinen) Welt-Artikeln liest, sogar was tragisch Vergebliches 🙂 )

    Auch Sisyphos-Jobs geben uns die (relative ökonomische) Eigenständigkeit, die uns politische Unabhängigkeit gewährt. Heißt: Arbeitslosigkeit hat mindestens bei erreichen einer kritischen Masse auch eine beträchtliche politische Bedeutung.

    Aber ganz abgesehen davon: Ich weiß aus langjähriger Beobachtung, dass Arbeitslosigkeit auch (und vielleicht gerade) Menschen (schwer) krank macht, die nur zu Sisyphos-Jobs in der Lage sind, wie Sie sie verstehen. Ich bin deshalb – im Ernst – dafür, dass es für diese Fälle Arbeit auf ärtztliches Rezept geben sollte und etwa die knappen 1-Euro-Jobs dafür reservieert werden sollten. (Ganz nebenbei könnte der Staat damit ’ne Menge Kosten sparen, die sonst – über Hartz IV – hinaus anfallen.)

    dass die Schuftenden nichts abgeben wollen von ihrer Arbeit, aus der sie soviel Süße ziehen

    Schön gesagt! Und genau das umschreibt ein schweres Entwicklungsversäumnis: Wir können Arbeit vor allem nur in Sinn als Macht und/oder Konsum, nicht aber in Lebensqualität umsetzen. In nennenswerter, allerdings rapide schrumpfender Größe sehe ich Lebensqualität – und ich bitte darum, da ebenfalls einen Doppelsinn hinein zu lesen … sehe ich Lebensqualität nur noch bei denjenigen, die „in Familie machen“ wollen, wollen und – können.

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    Alan Posener: „Das Wort “Qualifizierungsoffensive” entlarvt sich durch seine militärischen Konnotationen selbst.“

    Das sagt einer, der sich als liberaler Falke mit der entsprechenden Rhetorik geriert *GG*.

    Alan Posener: „Er wird ja selber merken, dass man für das, was alle können, weniger Geld bekommt als für das, was wenige können. Und dann kann er sich entscheiden, wie wichtig ihm die Qualifizierung ist.“

    Unsittlich sind Löhne, von denen man in dieser Gesellschaft nicht existieren kann. Punktum! Wir sollten uns da an den USA ein Beispiel nehmen und Mindestlöhne einführen anstatt zu liberalisieren.

    http://en.wikipedia.org/wiki/L.....imum_wages

    Wenn jemand als Einparker glücklich wird, ist das sein Bier. Aber niemand hat das Recht, Menschen so auszubeuten, daß sie elendig zugrunde gehen müssen.

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    @Alan Posener: Ihre Fragen richten sich zwar nicht an mich, ich antworte aber trotzdem gerne. Warum also lässt man nicht jemand anderes für sich das Auto einparken bzw. seine Einkäufe eintüten? Das war die Frage. Weil man das genauso gut selber machen kann, ohne dass einem ein Zacken aus der Krone bricht, wäre meine Antwort.
    Arbeiten, die überflüssig sind, sollten unterlassen werden; sie sind ein Verbrechen an der menschlichen Lebenszeit, die bekanntlich begrenzt ist. Es gibt wenig Unwürdigeres, als Sisyphos zum Steine Hochrollen abzukommandieren, nur weil man seine Freizeit nicht ertragen kann. Für seinen Lebensunterhalt muss man in jedem Fall bezahlen. Die Vorstellung, dass ein Teil der Bürger 40-60 Stunden täglich an irgendetwas vermeintlich Sinnvollem schuftet, während der verbleibende Rest gar nichts tut, ist auch mir unangenehm, ja, aber nicht, weil der Rest so schrecklich faul ist, sondern weil die Schuftenden nichts abgeben wollen von ihrer Arbeit, aus der sie soviel Süße ziehen! Auf der Strecke bleibt Zeit, um Musik zu machen oder darüber nachzudenken, worum es eigentlich geht und warum man sich das alles überhaupt antut.
    Für Ihre persönliche Arbeit gilt das sicher nicht; die ist befriedigend genug, und ich gönne sie Ihnen. Aber bei anderen Arbeitsverhältnissen halte ich es eher mit Johnny Thunderstorm, der auf die Frage seines Chefs, ob er denn nicht arbeite, sagte: „No, Sir. Wie Sie sehen, Sir.“

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    @ Rita E. Groda

    Liebe Frau Groda, ich denke eigentlich in Auseinandersetzungen weniger in Freund-Feind- oder Lager-Kategorien, sondern, was ist plausibel, was weniger, was ist überzeugend und klar, was weniger. Da kann man manchmal von seinen Gegnern dazu lernen, nicht nur im Sinne, wie perfektioniere ich meine Rüstung. Aber zuerst muss ich mal verstehen, um was es geht.

    Von einem Mubarak-Faktor habe ich zum ersten Male von Ihnen gehört, ich habe darüber auch beim Googeln nichts gefunden. Ich bin kein Insider.

    Ihrem letzten Absatz „Wofür ich bin? Dafür ,daß nicht nur ich, sondern jeder sein sonntägliches Huhn im Topf hat, oder der Staat mir mein mageres Steak nicht wegfrisst, zugunsten einer einseitigen Distributionspolitik.“ stimme ich uneingeschränkt (bis auf „mageres“, ich finde es sollte fein marmoriert sein) zu. Ob wir in unserer Schicksalsgemeinschaft „Der Westen“ noch mal so weise werden, dass es zu einer Distributionspolitik mit Augenmaß und menschlichem Maß kommen wird, wage ich sehr zu bezweifeln – und der Markt, wie wir gesehen haben, richtet das nicht. Ich habe mich mal als Kleinstunternehmer versucht. Der letzte (also nicht der allein entscheidende) Sargnagel war, dass ich eine junge Frau einstellte, die zum damaligen Zeitpunkt schon schwanger war. Die Regulierung, dass dies keine Rolle für Einstellungen spielen darf, halte ich bei Behörden oder großen Industrieunternehmen für richtig, nicht jedoch bei kleinen Unternehmen, für die jede Mark eine Rolle spielt. Bei knapper Eigenkapitalisierung und Liquidität kann eine soche „Fehlentscheidung“ einiges ins Rollen bringen, wenn man z.b. die aufgenommenen Kredite nicht mehr richtig bedienen kann. Dadurch wird man an Erfahrungen reicher, aber man muss den Gürtel dann wirklich sehr eng schnaller. Das schwierigste ist, unter solchen Bedingungen nochmals eine Selbständigkeit aufzubauen. Unter solchen Umständen ist es ein „büschen“ grotesk, wenn man von „kleinen Leuten“ Unternehmungsgeist, Eigeninitiative und Risikobereitschaft verlangt. Diese bekommen in der Regel kein triple A Rating wie die intelligenten Produkte der Banken. Ich finde es auch fatal – jetzt will ich baringtonen -, wenn die Rädchen des Getriebes zu solch isolierzten Elementarteilchen werden, dass sie zu Partnerschaften mit einem nachhaltigen Generationsverhalten nicht mehr in der Lage sind.

    LG Alt68er

  22. avatar

    @ Roland Ziegler: Ja, so ungefähr.
    @ Milchmädchen: Das Wort „Qualifizierungsoffensive“ entlarvt sich durch seine militärischen Konnotationen selbst. Und wenn die Opfer dieser „Offensive“ sich partout nicht qualifizieren wollen, dann kommt ein Herr Sarrazin und erklärt, sie seien eine Last für die Gesellschaft, kosteten mehr, als sie einbrächten usw. Warum soll einer nicht Autos in einer Tiefgarage einparken, Leuten im Supermarkt beim Packen ihrer Tüten helfen usw. usf.? Er wird ja selber merken, dass man für das, was alle können, weniger Geld bekommt als für das, was wenige können. Und dann kann er sich entscheiden, wie wichtig ihm die Qualifizierung ist.
    @ David: OK, du bist seit kurzem in der FDP. Das ist auch gut so – mehr Bürger sollten sich in Parteien engagieren. Deshalb brauchst du hier aber nicht Parteipolitik zu betreiben. Bitte?

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    Roland Ziegler: auf die Barrikaden … hart an der Grenze zur Anstiftung zur massenhaften Steuerhinterziehung … abgeschmacktes Zeug

    Nun ja, unsere neoliberalen Staatsfeinde! Wie sie eben so sind.

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    @ Frau Winter

    Ich habe nichts gegen die Linken, sondern gegen Etikettenschwindel, der viel dazu beiträgt, dass der Rechtsextremismus zunimmt, mangels klare Fronten. Wenn ich SPD- oder Grünen-Wähler wäre, würde ich mich ernsthaft fragen weshalb man für die wählen sollte? Sie predigen Wasser und trinken Prosecco (oder wie Moralapostel Margot Käßmann: Wasser predigen, Wein trinken, Gas geben…), sie verteufeln marktfreundliche Politik und Imperialismus und machen genauso die gleiche Politik wie Schwarz-Gelb: Agenda 2010, Krieg in Afghanistan und Kosovo, Deregulierung des Finanzsektors (unter Rot-Grün verabschiedet), etc.
    Also wozu die Kopie (Rot-Grün) wählen, lieber gleich das Original (Schwarz-Gelb) wählen.

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    Viel muss man zu Herrn Baring in der Tat nicht mehr schreiben; sein Ton ist der einer überpusteten Blockflöte, sein Gesicht puterrot vor Zorn, seine Worte sind heilige Blitze, die er auf die Linken herabregnen lässt. Dieser Artikel, den Herr Posener herausgekramt hat und hier effektiv (und mit einiger Symphatie) an der Wirklichkeit misst, trägt noch etwas in sich, was mich, als Bürger, zwar nicht gleich auf die Barrikade treibt, aber doch ärgert.

    Es gibt drei Aspekte: Analyse, Prognose, Appell. Alan Posener zeigt, dass die Prognose sehr weit abseits von der Wirklichkeit zum Liegen gekommen ist. Dazu sollte man sagen, dass die Progrose auch ein Licht auf die Qualität der Analyse wirft. Wer so schlecht die Zukunft voraussagt wie Baring, muss etwas Entscheidendes bei der Beschreibung des gesellschaftlichen Zustandes 2002 übersehen haben.
    Außerdem aber sollte man etwas zur Qualität des Appells sagen: „Die Situation ist reif für einen Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem. Ein massenhafter Steuerboykott, passiver und aktiver Widerstand, empörte Revolten liegen in der Luft.“ Die Bürger sollen auf die Barrikaden. Dies ist der Appell von Baring.

    Was kann man dazu sagen? Einen derartigen Kokolores darf man auch einem zornigen alten Mann nicht durchgehen lassen, auch heute noch nicht. Abgesehen von der Absurdität der Vorstellung, dass schmerbäuchige Bürger jenseits der 40 auf die Barrikaden gehen, weil sie, sagen wir, statt der erhofften 4000 EUR von ihrem 5000 EUR-Bruttoverdienst nur 2500 cash ausbezahlt bekommen, weil der Rest an die Armen geht, schrammt das hart an der Grenze zur Anstiftung zur massenhaften Steuerhinterziehung vorbei. Und wer bei einem anschließenden Staatsbankrott wirklich auf die Barrikaden geht, sieht man in Griechenland: keine steuerhinterziehenden Wutbürger, sondern junge, perspektivlose Leute, die nicht zuletzt wegen des „massenhaften Steuerboykotts“ der Reichen die Nase voll haben.
    Barings einzige, immer wiederkehrende Parole an „sein Volk“ ist: „Arrbeiten, arrbeiten, arrbeiten! Und den Gürtel enger schnallen! Sonst zahlen wir euch keine Steuern mehr!“ Und das ist abgeschmacktes Zeug, das eher an Sklavenhalter als an eine moderne Gesellschaft erinnert.

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    @Alan Posener: Wenn Sie so weitermachen, lande ich bald in“Brüssel“, so wie unser MPÖ aus BW, na Sie wissen schon, was ich meine ………….

    Auch ich habe Baring gelesen, aber ihn leider auch in jüngster Zeit öfters bei öffentlichen Auftritten erlebt.
    Dazu braucht man nicht mehr zu schreiben.

    Die Weltuntergangs Apologeten haben tatsächlich eine wichtige Funktion in einer freien Gesellschaft – sie erwecken manchmal die nötige Aufmerksamkeit für tatsächlich bestehende Tendenzen und wecken so manches von Krisen traumatisiertes Volk erst wieder auf.Daß diese Theorien dann entsprechend unshysterisch thematisiert werden, daran zeigt sich Qualitätspolitik.

    Eine DDR-light haben wir, m.E. nicht(mehr). Ein demokratisches Kommunikationsproblem schon – zwischen Bürger und Politikern.

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    @Alt 68 er: Jetzt bin ich ein wenig ratlos. Wenn ich einem mit Mindeslohn komme, kommt der mir sofort mit den damit wegfallenden Arbeitsplätzen. Jetzt haben Sie eben eine Phrase von mir aufgenommen.
    Wenn man in der Deutschen Wirtschaft vom „Mubarak-Faktor“ spricht, warum tut Ihnen dann die „Wurscht“ so weh im Magen?

    Es tut mir aber nicht besonders weh, daß ich nicht jedemanns Freund sein kann. Einige meiner Freunde, die auch zu den Freunden Israels zählen, sind wesentlich humorvoller.

    Wofür ich bin? Dafür ,daß nicht nur ich, sondern jeder sein sonntägliches Huhn im Topf hat, oder der Staat mir mein mageres Steak nicht wegfrisst, zugunsten einer einseitigen Distributionspolitik.

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    @ Alan Posener
    Sie haben recht, ich baring-tone ein bißchen. Der kleine Unterschied mag sein, dass ich die Apokalypse doch noch weit hinausschiebe. In Schwaben sagt man: nur ned huddle, hierzulande: So schnell schießen die Preussen nicht. Ich will nicht unbedingt dabei sein, wenn das Abendland „sich abschafft“. Also, nach mir die Sintflut.

    @ Rita E. Groda

    Sie haben eine Phrase von mir aufgenommen. Bei Ihrem Kommentar stand ich jedoch auf der Leitung, ich weiß nicht, ob Sie dafür oder dagegen argumentieren. Ich weiß nicht, warum ich Ihres Erachtens gleich mit „Arbeitsplätzen“ kommen sollte. Etwas weh tut mir, wenn Sie mich mit Mubarak vergleichen. Vor der Wurst, der Deutschen stehe ich auch ratlos. Ich weiß nicht, ob ich die essen kann. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Vielleicht können Sie mir helfen?

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    „Der Vorteil Deutschlands war m.E., dass es seine Wirtschaft nicht so erfolgreich deregulierte wie z.B. die Angelsachsen und seine industrielle Basis nicht abbaute zugunsten den…………“

    Wie wahr, hätten die Deutschen endlich den überfälligen Mindestlohn eingeführt, müßten die Deutschen Steuerzahler nicht weiterhin den Arbeitgebern die Lohnkosten finanzieren, bei den Kombilöhnen.
    Und gleich werden Sie jetzt mit den Arbeitsplätzen kommen. Das tut auch schon Mubarak seit gestern.

    Daher nennt man das in der Deutschen Wirtschaft schon scherzhaft den“Mubarak-Faktor“.
    Die „Wurscht, die Deutsche ist auch nicht mehr das was sie war, nicht einmal mehr die demokratische. Guten Appetit weiterhin!

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    „Der Vorteil Deutschlands war m.E., dass es seine Wirtschaft nicht so erfolgreich deregulierte wie z.B. die Angelsachsen und seine industrielle Basis nicht abbaute zugunsten den…………“

    Wie wahr, hätten die Deutschen endlich den überfälligen Mindestlohn eingeführt, müßten die Deutschen Steuerzahler nicht weiterhin den Arbeitgebern die Lohnkosten finanzieren, bei den Kombilöhnen.
    Und gleich werden Sie jetzt mit den Arbeitsplätzen kommen. Das tut auch schon Mubarak seit gestern.

    Daher nennt man das in der Deutschen Wirtschaft schon scherzhaft den“Mubarak-Faktor“.
    Die „Wurscht, die Deutsche ist auch nicht mehr das was sie war, nicht einmal mehr die demokratische. Giten Appetit weiterhin!

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    Alan Posener schrieb: eine Liberalisierung und Deregulierung des Dienstleistungssektors, um mehr Geringqualifizierte in Lohn und Brot zu bringen

    Nein, wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive, um die Fachkräfte heranzuziehen, die Deutschland bracht. Ansonsten wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie, daß sie für alle Zukunft von Jobs mit 1,83 Euro Stundenverdienst leben muß und sich dabei krumm und krank schuften muß. Es braucht wohl wieder Weberaufstände und zertrümmerte Villen, bis die Herren Dreissiger ihre dumme und ausbeuterische Klappe halten.

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    Deutschland „auf dem Weg zu einer westlichen DDR“ bzw. Sozialismus/Staatskapitalismus ist schon lange Realität, wenn man sich die Inflation an marktfeindlichen Gesetzen anschaut, die die Freiheit des Unternehmers begräbt: Mindestlohnforderungen, AGG, Frauenquote, Banken-Enteignungsgesetz, etc.
    Die Zivilgesellschaft als Schutz vor staatlicher Bevormundung bleibt dabei auf der Strecke.

    „Wenn Behörden je ein Unternehmen gefördert haben, dann höchstens dadurch, dass sie ihm keine Steine in den Weg legten.“ (Henry David Thoreau)

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    @ Rita Groda: Sie haben Recht. Während Baring vom Gürtelengerschnallen sprach, haben die Arbeitnehmer das praktiziert.
    @ Der Blonde Hans: Wunderbar. Nero ist mein Lieblingskaiser. Jedenfalls im Film.
    @ Alt-68er: So’n bisschen der Baring-ton ist bei Ihnen drin, nicht? Und dabei haben Sie Katastrophen wie den Klimawandel noch gar nicht gestreift.

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    Unter Blinden ist der Einäugige König. Der Vorteil Deutschlands war m.E., dass es seine Wirtschaft nicht so erfolgreich deregulierte wie z.B. die Angelsachsen und seine industrielle Basis nicht abbaute zugunsten den „Dienstleistungen“ der Finanzwirtschaft.

    Leben wir (die Eingeborenen der G7 Welt) nicht von deficit spending, für das antizyklische Regulierungen nicht mehr gelten, Schulden, für die unsere immer weniger werdenden Kinder aufkommen müssen? Die Inflation wirds richten? Und der kleiner werdende Westen wird eine Wohlstandsoase von Rentnerrepubliken bleiben, wenn sich die Machtgleichgewichte immer mehr verschieben?

    Wenn der Westen wieder auf seine ökonomische Grössenordnung vor der industriellen Revolution geschrumpft ist (ca. 20% der damaligen Weltwirtschaft), geht die Welt nicht unter. Allerdings wird der Westen die „Richtlinien“ nicht mehr bestimmen. Schaun mer mal, wie dann das Weiterwurschteln aussieht. Manchmal ist es, das gebe ich zu, sehr beruhigend, wenn man dies sub specie Legislaturperiode sieht.

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    @Alan Posener: Daß Sie elegant auf Baring ausweichen – das heiß leider auch, daß sie sich demokratisch an der Realität vorbeiwurschteln.

    Den Hauptanteil am Nichtuntergang sowohl der Demokratie wie von der Presse prognostiziert, als auch der Deutschen Wirtschaft hat der Staatsbürger und Steuerzahler, mit seiner beharrlichen Fähigkeit zur Einschränkung getragen. Vor noch nicht einmal 5 Wochen hat unser Wirtschaftsminister das freiwillig zugegeben – nicht Herr Baring – daß der unerwartete Wirtschaftsaufschwung zum großen Teil von der „unfreiwilligen“ Selbstbeschränkung“ der Bürger, mit niedrigsten Löhnen und steigenden Abgabe, getragen wurde. Und das eben dieser Bürger auch am Aufschwung partizipieren sollte, mit jetzt moderat ansteigenden Löhnen und Gehältern.
    Auch mit der jetzigen Forderung nach Mindestlöhnen bei der Zeitarbeit wird dem nun – möglicherweise – freiwillig Rechnung getragen.Das wäre jetzt das 1. demokratische Problem zum durchwurschteln.

    Das weitere demokratische Problem zum durchwurschteln wäre die Ankunft von Herrn Mubarak.
    Unserer Regierung scheint die Phantasie zu fehlen sich vorzustellen, wie die Deutsche Bevölkerung darauf reagieren wird!!
    Vor der Landtagswahl in BW gleicht das einer freiwilligen Selbstdemontage. Kein anständiger Mensch wird das goutieren. Ich hätte gern mal wieder ein Land ohne Unruhen auf den Straßen, die aber im vorgenannten Fall nicht ausbleiben werden.

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    Die beste und einzige Reform von Rot-Grün war Hartz-IV. Das wars dann… Schade, dass der gute und intelligente Gerhard Schröder sich in die SPD geirrt hat, bei den Konservativen wäre er besser aufgehoben worden, und wäre heute noch Kanzler. Sein Freund, Niedersachsens Landwirtschaftsminister, der legendäre Karl-Heinz Funke, meinte: „Alle Posten waren damals bei der CDU besetzt“.

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