Alles Wikileaks, oder was? Wir Medienmacher scheinen derzeit kaum ein anderes Thema zu kennen als die vermeintlichen (zuweilen sogar tatsächlichen) Enthüllungsgeschichten auf der von Julian Assange etablierten Internetplattform. Dank Abertausender, oft als „vertraulich“ klassifizierter Dokumente wird dem Leser ein kleiner Einblick in das heikle Geschäft der gehobenen Diplomatie gewährt. Es ist die Schlüsselloch-Perspektive, die fasziniert.
Dabei sind viele der Depeschen alles andere als spektakulär. Aber sie vermitteln den Eindruck, dass unsere Vorstellung von der Banalität der Politik hin und wieder offenkundig mit der Wirklichkeit kompatibel zu sein scheint: Hinter den Kulissen der Macht gibt es ein Hauen und Stechen. Da wird angeschwärzt und denunziert, was das Zeug hält, drastische Wortwahl inklusive. Intrigen und Lügen, sie sind gang und gäbe. Allzu menschliche Abgründe, wohin das Auge blickt. Die Damen und Herren Staatenlenker – sie sind keinen Deut besser als wir Normalos. Haben wir das nicht schon immer geahnt? Na also. Wikileaks und das allwissende Internet haben es nur endlich an die Öffentlichkeit gezerrt. Insofern stellt sich gar nicht die Frage, ob Julian Assange solcherart Geheimnisverrat betreiben darf. Dem 39-Jährigen gebührt Dank für seinen Mut.
Das ist die Seite der Jubler. Derjenigen, die Julian Assange für einen Freiheitskämpfer halten, einen Robin Hood der Wahrheit. Ein Held, der den Mächtigen in aller Welt (mit einer Vorliebe für die USA) auf die Finger schaut und haut. Doch ebenso groß wie seine Fangemeinde ist inzwischen die Gruppe derjenigen, die ihn und sein Vorgehen für verachtenswert halten. Verräter, Schurke, Dieb, aus dem Verkehr ziehen, Kopf ab – die drastischen Unmutsbekundungen mehren sich tagtäglich.
Und es sind nicht nur die dumm dastehenden Politiker, die so wüten. Selbst Wohlmeinende glauben, dass der Enthüller inzwischen mit seinen publik gemachten Interna überzieht und eine Gefahr darstellt. Spielt er gar Terroristen und anderen Fieslingen in die Hände? Ohne Weiteres ist dieser Vorwurf nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn es pathetisch klingt: Freiheit braucht Verantwortung. Ist es wirklich in öffentlichem Interesse, sicherheitsrelevante Listen mit potenziellen Terrorzielen ins Netz zu stellen? Da sind Zweifel durchaus angebracht. Und sie nähren den Verdacht, dass hier einer am Werke ist, der keine Regeln akzeptieren will, außer den eigenen. Ein Aktivist, ein Anarchist, dem um der Sensation willen alles machbar erscheint, ohne sich um mögliche Konsequenzen zu scheren.
Aber auch für das Internet gilt: In Fragen von Recht und Freiheit darf im Sinne des Allgemeinwohls auf eine Risikobewertung keinesfalls verzichtet werden. Der Vermerk „Geheim“ mag einen selbst ernannten Infokrieger herausfordern. Doch man sollte nicht von vorneherein gänzlich ausschließen, dass ein solcher Hinweis – gerade in einer Demokratie – mitunter seine Berechtigung haben kann. Um Schaden abzuwenden. Kontrolle ist gut, Vertrauen manchmal besser.
„Auch wenn es pathetisch klingt: Freiheit braucht Verantwortung.“ – Es wäre wahrlich einige Überlegungen wert, warum dergleichen über manchem Ohr so schrullige Wirkungen entfaltet.
Ich halte diese Wikileaks-Story für ein Schmierentheater. Dass die sonst so hörigen Mainstream-Hofberichterstatter plötzlich so freigiebig berichten, muss stutzig machen. Was jedoch, wenn die Sache extra so eingefädelt wurde? Dann ruft man am Ende noch den “NATO-Bündnisfall” im drohenden Cyberkrieg aus und beginnt eine Hexenjagd “für mehr Sicherheit im Internet” – und WikiLeaks waren nicht mehr als die “hilfreichen Idioten”…
Vertrauen? In unseren „Demokratien“? Was bei solchen Aktionen herauskommt, sieht man bspw. bei TollCollect & Co. Oder 9/11, bei dem ich immer noch auf einen Leak hoffe.
Liebe Rita E. Groda,
Sie haben Recht und ich möchte hinzufügen, dass auch in den USA und Israel, soweit ich weiß, Spionen noch die Todesstrafe droht. Die Staaten sind zwar ansonsten in Ihren Rechtssystemen nicht vergleichbar, aber trotzalledem sollte man auch dort diese Menschenrechtsverstöße klar benennen.
Was mit den Springer-Journalisten im Iran los ist, kann man nur schwer beurteilen. Haben Sie einen Überblick über die derzeitige Faktenlage?
Zum Zeitpunkt, als Herr Döpfner zum Kampf gegen das Böse aufrief, lag aus meiner Sicht noch vieles im Dunklen. Vielleicht weiß Herr Posener ja mehr.
Damals hatte sich auch die Bundesregierung, soweit ich mich erinnere noch sehr zurückgehalten. Wenn es einen Apell zur Freilassung geben sollte, unterstütze ich ihn gerne, sofern er nicht im Stile Döpfners formuliert ist.
Beste Grüße
Ihr 68er
Wikileaks ist Bullshit. Wundert mich, dass Alan Posener das Thema nicht gründlich erforscht hat.
Im Iran sitzen seit dem 10. Oktober 2 Deutsche Journalisten im Gefängnis.
Es wird ihnen“Spionage“ vorgeworfen, darauf steht im Iran die Todesstrafe. Wie man bis jetzt nachlesen konnte, haben sie kein anderes Verbrechen begangen, als den Sohn von Frau Sakineh zu interviewen, die gesteinigt werden sollte.
So wird Geheimnisverrat, Spionage in anderen Ländern gehandhabt, für Deutschland sollte dies nicht exemplarisch werden.
Nur ein ganz massiver Druck, auch der Deutschen Öffentlichkeit, könnte bewirken, daß die beiden Journalisten bald freigelassen werden.
Es wäre wesentlich wichtiger, sich hier zu engagieren, als sich wochenlang über Herrn Assange auszulassen!!
Sehr geehrter Herr Böhme, wenn Sie Ihren Beitrag mehrmals lesen, dann wird auch Ihnen auffallen, daß er möglicherweise einseitig sein könnte, ebenso nicht unbedingt eindeutig lösungsorientiert.
Wer entscheidet, was zuträglich für das Allgemeinwohl oder die nationale Sicherheit ist?
Es gibt auch in Ihren, schreibenden Reihen so manchen Kollegen, der, mehr oder weniger, herumdümmelt, ohne daß sich die absolute Wahrheit“herausmendelt“. Das ist nicht minder gefährlich, als sog. Geheimnisverrat.
Die Pressefreiheit z.B. ist ein hohes Rechtsgut, für das sich die Journalisten – Gott sei Dank bis heute – erfolgreich einsetzen. Jeder ernstzunehmende Journalist stößt immer wieder an Grenzen, Grenzen der Verantwortung und der Freiheit.
Auch ich teile die Meinung, daß die Freiheit über jedem System steht, auch der Demokratie. Eine Demokratie, die einen funktionierenden Rechtsstaat beinhaltet, kann und muß solche Attacken verkraften. Aus Angst vor der Freiheit die Freiheit einzuschränken, ist kleingläubig. Bestimmen zu wollen, was ein Volk erfahren darf und was nicht – sofern es nicht tatsächlich um existenzielle Staatsangelegenheit geht – ist anmaßend.
Ich werde mich nicht zum Richter aufspielen, über Herrn Assange. Ob seine Handlungen kriminell waren oder nicht, darüber hat die Justiz zu bestimmen, nicht die Medien.
Man sollte sich nie so vorschnell aus dem Fenster lehnen, das hat das“Maulwürfle“ von Büroleiter bei Herrn Westerwelle gezeigt. Vor nicht nicht allzulanger Zeit haben sich die gesamten Medien vor Begeisterung und Ehrerbietung, über die FDP und ihre so makellose Mannschaft, überschlagen. Obwohl Ihnen auch bekannt war, daß der genannte Herr als Funktionär der Homosexuellen und Lesben firmierte. Nur um ihn jetzt unisono in die Pfanne zu hauen.
Genau so geflissentlich hat man bei der Affäre Sarrazin nicht darauf hingewiesen, daß die SPD z.B. die Vorstellungen von Herrn Sarrazin der SPD bestens bekannt waren, die aber für den Job bei der Bundesbank keinen Besseren hatten. Er hat den Euro mit eingeführt und ein wirklich nicht uninteressantes Buch über den Euro geschrieben. Ich gehöre ganz bestimmt nicht zu den Sympathisanten von Herrn Sarrazin, die einseitige und teilweise verlogene Berichterstattung fand ich aber zum Kotzen.
Hätte es einen“Anarchisten“ und Geheimnisverräter gegeben, der um der Sensation Willen sogar sein eigenes Leben riskiert hätte, was man bei Herrn Assange jetzt vermuten kann, dann hätte es womöglich keinen Irak-Krieg gegeben.
Das hätte den mehrfachtausenden Tod vieler Menschen verhindert. Aber, da Herr Schröder uns das erspart hat, geht uns das ja nichts an.