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Stuttgart 21, Rente mit 67: Plädoyer für eine Politik der Standhaftigkeit

In einer modernen Demokratie geht es um Stimmen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Nicht um Stimmungen. Politiker, die Demokratie mit Demoskopie verwechseln, müssen dies zwangsläufig anders sehen. Ihnen geht es um einen permanenten Kampf der Stimmungen. Egal, ob ein Bahnhof vor bereits 15 Jahren oder eine Rentenreform von einer Großen Koalition beschlossen wurde: alles soll wieder rückgängig gemacht werden können.

Als Legitimation dienen zweifelhafte Umfragen nach dem Motto „Haben Sie Verständnis für die Proteste gegen Stuttgart 21?“ oder „Sind Sie für oder gegen die Rente mit 67?“. Solche Fragen lassen keine Differenzierung zu. Moderne Gesellschaften sind jedoch immer auch komplexe Systeme, die sich nicht auf ein banales „ja“ oder „nein“ reduzieren lassen.

Eine Alternative zum bestehenden parlamentarischen System und der Parteiendemokratie wäre eine plebiszitäre Demokratie, in der die Bürger mehr Mitspracherechte besitzen.

Wenn Abstimmungen in einer solchen alternativen Demokratie nicht zu Farce und zum reinen Stimmungstest verkommen sollen, sind die Bürger in die Lage zu versetzen, sich entsprechend zu informieren. Das setzt Informationstransparenz und Kostenkontrolle voraus. Sinn machen solche Verfahren vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene (wie bei „Stuttgart 21“).

Die Frage, warum die Kosten des Projektes hier dermaßen aus dem Ruder laufen, ist mehr als berechtigt. In der Schweiz werden die Kostenpläne bei Großprojekten in der Regel auf den Euro genau eingehalten. Als nachträgliche Legitimation werden plebiszitäre Elemente gefährlich und teuer. Gefährlich, weil sie das ohnehin geringe Vertrauen zwischen Politik und Bürgergesellschaft weiter beschädigen und teuer, weil die Kosten beträchtlich sind.

Strategisch müsste in Stuttgart jetzt versucht werden, den Primat der Politik mit den Bürgern wiederherzustellen und zwar gegen eine Kostenexplosion des Projektes. Gleiches gilt für das Projekt „Rente mit 67“. Kaum ein Bürger weiß, dass die Rente mit 67 erst ab 2030 gilt, somit erst für die heute 46jährigen und Jüngeren.

Selbst in der Politik wissen nur wenige, dass sich die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer in den letzten Jahren spürbar verbessert haben. Ihre Situation ist wesentlich besser als die der jüngeren Abreitnehmer. Dies zu erläutern und in die Bevölkerung zu kommunizieren, ist die wichtigste Aufgabe einer verantwortlichen Politik. Mit Wutbürgern und Populisten ist kein Staat zu machen.

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9 Gedanken zu “Stuttgart 21, Rente mit 67: Plädoyer für eine Politik der Standhaftigkeit;”

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    Ein so tiefer Riss durch das ganze Land zeigt,
    welchen Schlingerkurs die Politik mit den Menschen gemacht hat.
    Die einen wollen die Demokratie weiter entwickeln und sie auch ausleben,
    die anderen wollen die alte gelebte Demokratie erhalten,die mehr eine halbe Diktatur ist!
    Diese halbe Diktatur zeigt ihre Schwachstellen deutlich.
    Was uns unsere Fachleute zeigen oder vorrechnen
    auch bei Stuttgart 21, hat eine sehr hohe Fehlerquote.
    Politik rechnet alles tiefer und zahlt einen zu hohen Preis,den wir bezahlen müßen.
    Politik arbeitet nicht offen.
    Der Bürger soll geziehlt nicht mitgenommen werden.
    Nach 15 Jahren durch alle Distanzen,ohne den Bürger,
    sagt man, es hat alle Hürden genommen.
    Der Bürger ist nicht umsonst so mißtrauisch geworden.
    Der Bürger erlebt es täglich, wie er reingelegt wird.
    Nachfragen ist umerwünscht.
    Fragt er nicht mehr nach,
    wird er als dumm hingestellt.
    Egal was der Bürger macht,
    er wird beschimpft oder belacht.
    Unserer Elite fehlt es an Einfühlungsvermögen und Ethik.
    Demokratie wird nun so ausgelegt wie es jedem passt.

  2. avatar

    Herr Dettling sagt:

    „In einer modernen Demokratie geht es um Stimmen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger.“

    Das Problem ist, Herr Dettling, daß viele Bürger nicht mehr an an die „moderne Demokratie“ glauben, sondern sie für das moderne Märchen der GebrüderInnen Mappus, Merkel, Grube & Grimm aus S2010 und einer Nacht, halten.

    Und wer glaubt schon an Märchen, die mit: Es war einmal…beginnen, – und mit: …wenn sie nicht gestorben sind, – enden? Sind Ihre Kinder schon über 8 Jahre alt?

    Aktzeptanz hängt mit „vertrauen können“ und „sich verlassen können“ zusammen. Sie erwächst aus der Realität, nicht aus Märchen. Inszenierte Theatervorstellungen dienen der Verdeutlichung der Tatsachen, wir erleben keine moderne Demokratie, sondern ein – gespielte – Demokratie.

  3. avatar

    @Daniel Dettling

    „Selbst in der Politik wissen nur wenige, dass sich die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer in den letzten Jahren spürbar verbessert haben.“

    Ja ist das so? Welche Statistik, aus welcher Perspektive betrachtet, sagt das?

    „Ihre Situation ist wesentlich besser als die der jüngeren Abreitnehmer.“

    Aach so ist das gemeint. Ist zwar nicht besser geworden, aber da es bei den Jüngeren schlechter geworden ist – zumindest relativ besser..

    Das ist das was ich meinte – wir haben wichtigeres zu diskutieren, als Sarrazin..
    Nämlich, wie wollen wir in Deutschland leben, wenn es nicht mehr Exportweltmeister oder Vizemeister ist.

    Ich möchte keine Politik „verkauft / vermittelt“ bekommen, sondern die Wahrheit erfahren dürfen!
    Das ist das, was ich meinte, wenn

  4. avatar

    Daniel Dettling schrieb: Mit Wutbürgern und Populisten ist kein Staat zu machen.

    Völlig richtig. Nur hat die Republik schon wahrlich schlimmeren Protest (Anti-AKW, Nato-nachrüstung, Hausbesetzetszene) erlebt. Von daher würde ich Stuttgart 21 und Rente mit 67 niedriger hängen.

  5. avatar

    Das Mittel der Plebiszite ist durch die Farce der Mehrfachabstimmungen in Dänemark, Irland, Frankreich und Holland in Sachen EU ad absurdum geführt worden. Hinzu kommen Abstimmungen über Dinge, die nicht verhandelbar sein dürften, wie die Religionsfreiheit: siehe Plebiszit gegen den Minarettbau in der Schweiz.
    Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten eine erfahrungsbasierte und gesunde Abneigung gegen das, was David Berger den „Pöbel“ nennt (frz. peuple, das Volk, den großen Lümmel), ebenso wie die Väter der US-Verfassung, die solche Elemente gar nicht, bzw. nur in einer Form kennt: in der alle vier Jahre stattfindenden plebiszitären Wahl des Präsidenten.
    Die repräsentative Demokratie sollte nicht aufgeweicht werden. Die Grünen, die immer für „Basisdemokratie“ sind, haben in Hamburg schmerzlich erfahren, wohin sie führt, nämlich dazu, dass sie nun als Regierungspartei eine Schulpolitik machen, an die sie nicht glauben. Eigentlich hätten sie nach der Niederlage die Koalition verlassen müssen.
    Schluss also mit dieser Volksabstimmerei. Zur repräsentativen Demokratie gehört allerdings, dass gewählte Regierungen nicht an die Beschlüsse der Vorgängerregierungen gebunden sind. Dies könnte man verdeutlichen, indem alle Gesetze und Verordnungen mit einer automatischen Auslauffrist – sagen wir: acht Jahre – versehen sind. Es gelten dann nur jene Gesetze, die erneuert werden.

  6. avatar

    „Mit Wutbürgern und Populisten ist kein Staat zu machen.“

    Meine Worte.

    Und ich wurde ramponiert, als ich das Wort Pöbel in den Mund nahm… 2010 ist nicht mit 1789 zu vergleichen. 1789 ist eine Revolution des aufgeklärten Adels und des Bürgertums. 2010 ist eher der Anfang einer konsumorientierten Anarchie, die nach dem verursachten Chaos mit dem Ruf nach einem noch stärkeren Staat enden wird.

  7. avatar

    Kaum ein Bürger weiß, dass die Rente mit 67 erst ab 2030 gilt,

    Doch, das weiß sogar ich als einer, der sich dafür nicht wirklich interessiert und die Nachrichten nur am Rande mitbekommt. Ist aber auch egal – denn: macht es die Sache besser? Nein.

    Ansonsten wäre sicherlich Standhaftigkeit angebracht. Ich möchte da nur auf ein gewisses Milliardengeschenk an gewisse Energieversorger hinweisen. Immerhin war der Atomausstieg auch eine demokratisch entschlossene Entscheidung – aber damit war die Bevölkerung ja auch zufrieden. Scheinbar werden nur Projekte durchgezogen, die zu massiven Ansehensverlusten in der Bevölkerung führen.

  8. avatar

    Wenn von Beginn an tatsächlich Transparenz bezüglich eines Projektes herrscht, dann ist Ihr Plädoyer für mehr Standhaftigkeit sicherlich gerechtfertigt. Was aber, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, auch alle anderen Begleitumstände verändern? Beschlossen wurde dieses Kostenmonstrum zu Zeiten, in denen von Weltwirtschaftskrise noch nichts zu hören war. Sie werden arbeitslos und bauen das Eigenheim dennoch? Nein, jeder Mensch muss Kosten-Nutzen auch nach aktueller Lage berechnen. Es muss die Möglichkeit geben, auch einmal geradeheraus einzugestehen, dass man sich mit einem Projekt derartiger Größe derzeit übernehmen würde, auch wenn dies vor 15 Jahren möglicherweise sinnvoll aussah. Sie wollen ein Prestigeprojekt? Wie wäre es damit, das Bildungssystem zu sanieren. Prestige garantiert. Weltweit. Sie wollen Einhaltung von Verträgen? Was ist dann mit den geschlossenen Verträgen über den Atomausstieg? Oder gilt das gebunden sein an Verträge nur für das „Wahlvolk“, das dann aber bitte stillschweigen bewahrt, nachdem die Wahl vorbei ist? Ich gebe Ihnen Recht. Geradlinigkeit wäre mehr als wünschenswert und der Meinungsumschwung der Massen durch ein wenig Pressepropaganda ist widerwärtig. Aber dies gilt für beide Seiten. Denn Transparenz beginnt vor der Wahl, beginnt mit den mündlich angebotenen Verträgen an das Volk. Wer sich selber nicht um Verträge schert, um mündlich wie um schriftlich geschlossene, wer nach gutdünken handelt ohne sich um sein Wort von gestern zu scheren, der muss sich nicht wundern, wenn andere dies ebenfalls nicht tun.

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