Von Hans Christoph Binswanger, Denkwerk Zukunft:
Unsere moderne Wirtschaft unterliegt einer geradezu zwanghaften Tendenz zum Wachstum. Diese Tendenz hat sich in letzter Zeit überschlagen und ist in eine Finanz- und Wirtschaftskrise ausgeartet. Diese Krise wurde dadurch überwunden, dass die Regierungen mit Hilfe der Zentralbanken massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt haben.
Eine solche künstliche Überwindung der Krise hat aber keine Dauer, zumal die Krise gerade dadurch ausgelöst wurde, dass die Geldmengensteigerung überbordet hat. Man kann eine Krise nicht mit den Mitteln heilen, die für die Entstehung derselben verantwortlich sind! Wir müssen vielmehr eine auf die Dauer stabilere Wirtschaft anstreben, mit dem dreifachen Ziel,
· die Ausuferung des Wirtschaftswachstums in Spekulations- und Wirtschaftskrisen zu verhindern,
· einen sparsameren Ressourcenverbrauch und einen schonenderen Umgang mit der Umwelt zu ermöglichen,
· die menschlichen Werte, die durch die zunehmende exzessive Ausrichtung auf die Monetarisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen bedroht sind, wieder stärker zur Geltung zu bringen.
Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es der Mäßigung. „Vorwärts zur Mäßigung“ ist daher die Devise, die in Zukunft maßgebend sein muss. Vorwärts zur Mäßigung heißt mehr als nur langsamer voranzuschreiten. Es heißt, Perspektiven zu gewinnen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, in der das rechte Maß gefunden und eine Balance hergestellt wird zwischen einem weiteren Wachstum des Sozialprodukts und den drei genannten Zielen.
Notwendig ist jedenfalls eine Reform des Geldsystems Eine Grundlage dafür könnte der Vorschlag des 100%-Geldes von Irving Fisher (1867 – 1947) sein, dem bedeutendsten amerikanischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Gemäß seines Vorschlags erhält die Zentralbank das ausschließliche Recht zur Geldschöpfung, indem die Banken verpflichtet werden, die Sichtguthaben auf den Girokonten, die das Publikum bei den Banken unterhält, also das sog. Buchgeld, zu 100% durch Zentralbankguthaben bzw. Banknoten zu decken. Die Zentralbank erhält auf diese Weise die Möglichkeit, das Ausmaß der Geldschöpfung aktiv – und nicht nur reaktiv – mit dem Blick auf die drei genannten Zielsetzungen so zu bestimmen, dass in Zusammenhang mit allfälligen weiteren Reformen krisenhafte Entwicklungen und Kollateralschäden des Wachstums von vornherein vermieden werden.
(Irving Fisher, 100%-Geld, Kiel 2007)
zuerst erschienen auf www.denkwerkzukunft.de. Hans Christoph Binswanger ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und wirkt im Denkwerk Zukunft mit.
Speziell wir Deutschen können uns Kapitalismus ohne Wachstum nicht vorstellen. Die meisten mittleren Alters haben ja gar nichts anderes erlebt.
Auch ist die deutsche Wirtschaft auf Export focussiert und nicht auf einen stabilen Binnenmarkt – trotzdem ist die Fertigungstiefe der deutschen Industrie in den 90ern ausgedörrt bzw. ins Ausland verlagert worden – um der Rendite willen. (Protagonisten der „Firmenverschlankung“, auf die Quartalszahlen fixiert, wie Ingnacio Lopez hatten ja Kultstatus.)
Resultat: Hohe Arbeitslosigkeit – sinkende Löhne – schwacher Binnenmarkt. Andere haben die Rendite gemacht – wir sollen uns jetzt allen mäßigen.
Die Vorschläge zur Reform des Geldsystems im Sinne des 100%-Geldes sind vollkommen richtig, um dem Geld wieder die (beschränkte) Funktion zuzuweisen, für das es gemacht ist. Sie hätten nur viel früher kommen müssen – es fällt schwer, nicht darüber nicht zynisch zu werden..
Gegen den Vorschlag, Buchgeld und umlaufende Geldmenge(M3)wieder in ein vernünftigeres Gleichgewicht zu bringen, ist meinerseits nichts einzuwenden. D´accord auch mit dem Ansinnen der ökonomischen und materiellen Mäßigung – täte unser heißlaufenden, hyperventilierenden Gesellschaft sicherlich mal gut.
Indes, der Gedanke will nicht weichen, dass unser hochentwickelter und in vielen Bereichen ausdifferenzierter Staat, der zudem einer erdrückenden Internationalisierung und Globalisierung ausgesetzt ist, lediglich zu reagieren, aber kaum mehr politisch-gestalterisch zu handeln vermag.
Man schaue sich bloß die jüngsten Resultate hochkarätig besetzter internationalerler Treffen an; sie dürftig zu nennen wäre noch geschmeichelt. Nicht besser sieht´s im Inland aus. In kaum einem Problembereich geht´s voran.
Schuld an dem Schlamassel ist vor allem die hohe Spreizung auseinander fallender Interessen sowie die schwindende Macht demokratisch legitimierter Instanzen.
Insofern sehe ich weit und breit keine ernstzunehmenden Kräfte, die sich obiger professoraler Vorschläge annehmen könnten, um sie irgendwann Realität werden zu lassen.
Den Begriff Mässigung halte ich für nicht so ganz passend. Es hat der gesunde Menschenverstand ausgereicht, um die Spekulationsblase schon Mitte der 90’er zu erkennen. Genau so war klar, daß 2003 die .com-Bubble nur wieder aufgeblasen wurde.
Es reicht meiner Meinung nach aus, in Zukunft nüchtern zu bleiben und offensichtlich Unvernünftiges und Inhumanes zu unterlassen, um gegen weitere Krisen gewappnet zu sein. Denn eine gewisse Dynamik der Entwicklung benötigt man schon, damit wir aus dem Schlamassel herauskommen und eine Weiterentwicklung unserer Zivilisation sicherstellen können. Denn die Menschheit steht nicht nur wegen der Finanzkrise vor gewaltigen Herausforderungen.
Die benötigte Dynamik wird durch den Mässigungsgedanken eher eingeschränkt. Von daher halte ich Nüchternheit für das bessere Motto.