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Zeit für Pflege? – Eine alternde Gesellschaft braucht innovative soziale Antworten

Kommt nach der Eltern- bald die Pflegezeit? Die neue Bundesfamilienministerin hat ihr erstes großes Thema gefunden. In wenigen Jahren wird es mehr über als unter 60jährige geben. Und jeder der dann noch Berufstätigen wird neue Antworten auf die Frage finden müssen: Wer kümmert sich um Vater und Mutter?

Noch werden die Meisten zuhause von den eigenen Angehörigen, in der Regel den Töchtern, gepflegt. Doch diese werden kaum zur Verfügung stehen in Zeiten von Doppelverdienerhaushalten. Die Idee, eine Pflegezeit ähnlich der Elternzeit einzuführen, klingt daher zunächst charmant. Eine flexible Auszeit aus dem Beruf mindert den Stress, den die Kinder plötzlicher Pflegefälle haben. Die betroffenen Kinder sollen nach dem Willen der Ministerin bis zu zwei Jahre lang nur halbtags arbeiten dürfen und drei Viertel des Gehalts beziehen. Danach soll bei gleichem Gehalt so lange wieder voll gearbeitet werden, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist.

Dass der Plan bei Wirtschaftsvertretern auf wenig Gegenliebe stößt, ist keine Überraschung. Die männlichen Verbandsvertreter haben in der Regel eine nicht berufstätige Frau zuhause sitzen und können ihre Eltern auch teuer von Fremdkräften betreuen lassen. Für die breite Mitte der Gesellschaft gilt dagegen: kaum Zeit, wenig Geld und keine flexible Infrastruktur, die Beruf und Pflege vereinbar macht.

Eine neue Politik der Pflege älterer Angehöriger müsste daher breiter ansetzen und auch die Themen Arbeitsmarkt, Geld und Engagement umfassen. Der Pflegemarkt gehört zu den unattraktivsten Berufen. Fachkräfte sind knapp und viele helfen sich mit illegaler Beschäftigung, auch weil die Unterbringung in einem Heim sehr teuer ist. Die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Kosten, den Rest tragen Staat und die eigenen Kinder. Eine obligatorische private Pflegeversicherung würde beide, Allgemeinheit und Kinder, entlasten.

Und wenn am Ende die Betreuung garantiert und finanziert ist, bleibt die soziale Frage: Wollen wir als Gesellschaft die Pflege derart professionalisieren, dass keine Zeit für ein persönliche Zuneigung und Mitmenschlichkeit bleibt? Ohne das freiwillige Engagement Dritter, die jenseits von Hauptamt und Angehörigen Zeit aufbringen, würde der Betreuung der Älteren etwas fehlen. Jetzt zu jammern, weil der Zivildienst immer kürzer ausfällt und in naher Zukunft kaum zu halten sein wird, ist sinnlos. Zwangsdienste sind keine kreative Antwort, wenn es um die sozialen Fragen der Zukunft geht.

Gefragt sind neue Antworten. Viele Menschen fühlen sich in diesem Land nicht anerkannt, gebraucht und werden nicht gefragt, wenn es um ihre persönliche Zukunft geht. Diesen Menschen geht es nicht in erster Linie um Geld, sondern um eine sinnvolle Aufgabe. Neben der geplanten Pflegezeit und einer obligatorischen Zusatzversicherung sollte diese dritte Säule stärker berücksichtigt werden. Die „jungen Alten“ sozial nicht einzubeziehen, wenn es um die Pflege der „alten Alten“ geht, wäre ein Armutszeichen.

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6 Gedanken zu “Zeit für Pflege? – Eine alternde Gesellschaft braucht innovative soziale Antworten;”

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    Die Pläne der Nachwuchsministerin sind doch Nonsens.

    Was passiert, wenn der Pflegefall nach zwei Jahren immer noch pflegebedürftig ist ?
    Wie soll das in Kleinunternehmen funktionieren ?

    Ein sinnvolle Lösung wäre es, pflegenden Angehörigen die gleiche Summe auszuzahlen die auch Pflegeheime bekommen. Mit den dort gezahlten Summen könnte ein pflegender Angehöriger locker eine schlecht bezahlte Vollzeitstelle ersetzen.

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    Stichwort, Antidiskrimierungsgesetz, Deutschland und die EU.
    Deutschland tut wirklich nichts für eine Deeskalation!
    Die Benachteiligung von Frauen in unserer Republik wird sogar noch staatlich begünstigt und nicht nur gefördert, nein gefordert.
    Bevor ich hier ganz konkret zu der oben offerierten Idee weiter herumschwafle, mögen sich die Interessierten einmal genau überlegen, was für Überlegungen hinter dieser Schnapsidee stehen könnten.

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    @ EJ

    Wollen wir unsere Zeit wirklich ernsthaft mit den wie auch immer motivierten Auslassungen des Herrn Dettling verschwenden?

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    Und mindestens in einem Nebenzweig der Pflegediskussion sollte auch eine Diskussion darüber geführt werden, wie man sich möglicherweise jahrelanger Pflege als Halbtoter halbwegs menschenwürdig entziehen kann, ohne mit (nicht verfügbaren) Schrotgewehren, mit (nicht mehr hoch genug zu befestigenden) Stricken und Sprügen von (nicht mehr erklimmbaren) Fensterbrettern experimentieren zu müssen. Mindestens denjenigen, die darüber noch mit Verstand entscheiden können, sollten – zur Entlastung der Kinder, zur Entlastung der Gesellschaft, vor allem aber zur Selbstentlastung – die Freiheit und die praktischen Möglichkeiten dazu gewährt werden. Wenn wir uns neuerdings angeblich schon am alten Rom orientieren – warum dann nicht darin?

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    Herr Dettling,

    Sie sprechen da ein sehr ernstes Thema an, dass gerade bei uns älteren Menschen sehr viel diskutiert wird. Meine Kinder sind, nach ihrem Studium leider nach München und Koblenz gezogen, so dass ich doch Sorgen habe, was passiert, wenn ich und meine Frau einmal zu Pflegefällen werden.

    Ehrlich gesagt kann ich es mir aber auch schwer vorstellen, in einem Pflegeheim auszuhelfen, da ich selbst berufsunfähig bin. Dass der Zivildienst und die Bundeswehr so verkürzt worden sind finde ich eigentlich auch gar nicht gut, da die jungen Menschen da doch viel lernen können und ein Gefühl dafür bekommen, dass man auch für die Gesellschaft etwas leisten kann.

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