Nichts ist schöner als ein ordentlicher Weltuntergang im Kino, und niemand inszeniert das besser als Hollywood. Unter den Meistern des Todes ist, wie es sich gehört, ein Deutscher der Großmeister: Roland Emmerich. Der Regisseur von „Das Arche-Noah-Prinzip“, „Independence Day“ und „The Day After Tomorrow” ließ die Erde von Amerikanern, Außerirdischen und von der Klimakatastrophe verwüsten.
In seinem neuesten Opus, „2012“, ist die Sonne schuld: mutierte Neutrinos vom Zentralgestirn heizen den Kern unseres Planeten so weit auf, dass die Erdkruste zu schmelzen beginnt und die Kontinente hin und her rutschen. Das Ergebnis sind gewaltige Erdbeben und schließlich eine neue Sintflut, die alles Leben auf Land vernichtet.
So weit, so wissenschaftlich absurd und filmisch hochgradig befriedigend: man bedauert nur, das ganze Zerstörungswerk nicht in 3-D sehen zu können. Das Vergnügen wird noch dadurch gestärkt, dass Stars wie John Cusack, Woody Harrelson und der unnachahmliche Oliver Platt zwischen einstürzenden Neubauten und abstürzenden Flugzeugen schauspielerisch die Sau rauslassen können, während Amanda Peet und Thandie Newton ausgesprochen hübsch anzusehen sind.
OK, Frauen haben in diesem Film nirgendwo eine größere Rolle, als an den Lippen der klugen Männer zu hängen, die Kinder zu beruhigen, während Pappi versucht, die Welt zu retten, oder sich von Girl zu Girl über Busenoperationen zu unterhalten, aber hey, müssen wir uns um Gender Mainstreaming kümmern, wenn es mit der Menschheit endgültig zu Ende geht?
Geht es aber nicht, und die Art, wie wenigstens ein Teil der Menschheit gerettet wird, hat mich bei allem Vergnügen am milliardenfachen Tod bedenklich gestimmt. „Wir waren gewarnt“, heißt es auf den Filmplakaten, aber das stimmt gerade nicht.
Die Führer der G-8 Staaten und Chinas, die in der Tat von den Wissenschaftlern gewarnt werden, kommen überein, der Menschheit das Wissen vorzuenthalten. Heimlich lassen sie im Himalaya riesige Archen bauen, die das wertvollste Menschenmaterial aufnehmen sollen – die politische Führung selbst, versteht sich, aber auch diverse Milliardäre, die mit dem Ticketpreis den geheimen Bau der riesigen Rettungsboote finanzieren. Wer nicht dicht hält, wird erschossen.
Zugegeben, die Einzelheiten dieses Plans, dessen eiskalte Logik – die menschenfeindliche Logik von Stanley Kubricks Dr. Strangelove – Oliver Platt als der Mad (Jewish?) Scientist „Dr. Anheuser“ mit sichtbarem Gusto vertritt, werden zuweilen in Frage gestellt: War es wirklich nötig, den Chef des Louvre umzulegen, der auf einer Pressekonferenz die Wahrheit ausplaudern wollte? Wäre es nicht netter gewesen, den indischen Wissenschaftler, der zuerst auf die Wirkung der mutierten Neutrinos hingewiesen hat, wie versprochen mit zu retten, statt ihn mitsamt seinen Landsleuten ertrinken zu lassen? Mussten die Kabinen auf der Arche auf Kosten der Kapazität so luxuriös ausfallen? Und sollte man den Menschen nicht irgendwann erzählen, dass sie dem Untergang geweiht sind, „damit Mütter ihre Kinder trösten können“?
Gute Fragen. Wie Dr. Anheusers Gegenspieler Adrian Helmsley (sympathisch: Chiwetel Ojiofor) in der Schlüsselszene des Films – also der obligatorischen kathartischen Szene, in der die Menschen die „Engel ihrer besseren Natur“ entdecken, wie Abraham Lincoln es formulierte – ausruft, darf die Menschheit ihren Neubeginn nicht durch Unmenschlichkeit kaputt machen.
Da sind allerdings fünf Sechstel der Menschheit schon tot, und es geht nur noch darum, ob – wie vorgesehen – die tibetanischen Arbeiter, die chinesischen Wachen und die Passagiere einer leider nicht startklaren Arche – zurückgelassen oder doch noch in buchstäblich letzter Sekunde an Bord geholt werden.
Was aber nicht in Frage gestellt wird, das ist der Plan selbst. Ein Plan, der davon ausgeht, dass allein den Regierungen etwas so Wichtiges wie die Rettung der Welt überlassen werden darf. Was bekanntlich Gott damals anders sah: Noah war kein Regierungsmitglied. Aber das nur nebenbei.
Was wäre in einem solchen Fall wirklich sinnvoll? Geheimes Regierungshandeln zur Rettung einer Elite – oder breite Öffentlichkeit zur Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte? Bei einer Vorlaufzeit von einigen Jahren, die der Film postuliert, wäre eindeutig der zweite Weg der richtige. Gewiss, es gäbe Panik, Verzweiflung und Chaos.
Aber es könnten die gewaltigen Ressourcen der Marktwirtschaft ins Spiel gebracht werden, um die Nachfrage nach dem plötzlich knappsten Gut der Erde für möglichst viele Menschen zu befriedigen: das Überleben. Die einen würden für den Tag X Mini-U-Boote anbieten, die anderen Zeppeline, wieder andere Plätze auf Raumstationen und so weiter und so fort. Humanitäre Organisationen würden die Regierungen zwingen, in Konkurrenz zum privaten Sektor Archen für die Armen zu bauen.
Mit Sicherheit jedenfalls würden durch das Vertrauen auf die demokratische Öffentlichkeit und den Markt sehr viel mehr Menschen gerettet werden als durch ein Regierungsprojekt, das sich – wie in Emmerichs Film – die Diktatur der KP in Tibet zunutze macht, um die Geheimhaltung zu garantieren. (Ist ja nicht alles schlecht…)
Wie Emmerichs Szenario zeigt, sind ökonomische Fragen letztlich moralische Fragen. Das Vertrauen auf den Markt bedeutet Vertrauen in die einzelnen Menschen und ihre Fähigkeit, auf der Grundlage ausreichender Informationen am Ende richtige Entscheidungen zu treffen und führt am Ende zu menschlicheren Lösungen, einer menschlicheren Welt.
Das Vertrauen in die Allmacht des Staates bedeutet Misstrauen in das Individuum und seine Kreativität und führt in letzter Instanz zur totalitären Versuchung. Gerade in existenziellen Krisen schlägt die Stunde des Markts, nicht des Staats. Leider zieht Emmerichs Film nicht selbst diese Konsequenz. Denn der Meister ist eben ein Linker aus Deutschland.
mutierte Neutrinos? Setzt Mutation nicht DNA voraus?
Sie schreiben: „Gerade in existenziellen Krisen schlägt die Stunde des Markts, nicht des Staats. Leider zieht Emmerichs Film nicht selbst diese Konsequenz. Denn der Meister ist eben ein Linker aus Deutschland.“
Das möchte ich mal sehen, wie die Kräfte des Marktes eine Katastrophe wie die Oderflut bewältigen. Die Kräfte des Marktes können ja nicht einmal simple Immobilienpreiskrisen ohne Staat bewältigen.
Übrigens verstehe ich die Einordnung von Herrn Emmerich als Linker nicht. Allerdings ist Herr Emmerich kein ehemaliger Maoist, der bei den verschwurbelt argumentierenden Rechten untergekrochen ist.
Keine Angst, ich habe Adam Smith gelesen. Gehört zu meinem Studium dazu. Nur – wer sagt, dass Adam Smith recht hat mit seinen Behauptungen? Sie sind ebenso umstritten wie fragwürdig, aber vor allem nicht die Regel.
Sie suggerierten (mit der von mir zitierten Stelle), dass der Mensch zu Krisenzeiten an die Gemeinschaft denkt. Nun, sie habens ja recht luftig formuliert, bleibt also Platz für die wildeste Interpretationen übrig. Dann muss ich meine Kritik halt anders formulieren.
Das Gemeinwohl, was sie hier beschreiben ist aber ein Durchschnittswert und sagt nichts über die Bedürfnisse des Einzelnen aus. Das bedeutet, über und unter dem Durchschnitt gibt es eine Menge, die mehr, bzw. weniger dieses Gemeinwohls besitzt, denn logischerweise frisst der Stärkere am freien Markt den Schwächeren. Demnach müssten sie ein Verfechter der These sein, dass, solange das Gemeinwohl so einigermaßen hinhaut, die hohe Lebensqualität der wenigen zu Lasten von vielen gehen darf. Liege ich da falsch? Aber solch ein Utilitarismus hat zurecht genug Gegner.
Aber, in Deutschland besitzt man selbst in der Unterschicht noch eine gewisse Lebensqualität, die viel schlechter sein könnte. Immer wieder gern angebrachter Punkt der Kapitalismus-Befürworter.
Aber wissen Sie wie diese Unterschicht diesen Standart halten kann? Es werden eben an anderer Stelle Menschen dafür ausgebeutet. Oder warum meinen Sie kann sich die Unterschicht bei Kik noch deren Klamotten leisten?
Das Lebensprinzip des Kapitalismus ist nun einmal, dass die Lebensqualität der einen, immer auf die Kosten von anderen gehen wird. Und dass Krisen zum Korrektiv dazu gehören, das bezweifle ich an keiner Stelle. Ich frage mich allerdings nur, und jetzt komme ich zum Hauptkritikpunkt an ihrer Behauptung, Wie groß muss denn nun endlich die Krise sein, dass der Kapitalismus „menschliche“ Züge annimmt.
Zu guter Letzt möchte ich zu ihrem Beispiel zurückkommen. Sollte wirklich ein Untergang wie in dem von Ihnen beschrieben Film drohen, ist es stark zu bezweifeln, dass der Markt dafür sorgt, dass eine gerechtere Verteilung der Überlebenschance stattfindet. Es werden sich Gruppen bilden die sich um die wenigen Ressourcen, die nötig zum Überleben sind, streiten. Und es wird nicht etwa die Gruppe gewinnen, die mit den besten Strategien aufwartet, sondern die Gruppe, die die meiste Kampfkraft in sich vereint. Der Staat hingegen wird entweder machtlos, oder mehr damit beschäftigt sein, die öffentliche Ruhe zu bewahren, als sich um Überlebensmöglichkeiten zu sorgen.
Alan Posener: Wobei man bei der jetzigen Krise immer noch fragen muss, ob der Staat, der jetzt rettend eingriff, durch falsch gesetzte Anreize (Niedrigzinsen, Förderung des Hauskaufs auch für Leute ohne Kapital usw.) die Entstehung der Krise entschieden befördert hat.
Herrlich! Genau diese Argumentation habe ich meinen Kindern auf den Seiten der FDP (und der von Hayek-Gesellschaft) vorgeführt. Und in nuce mit ihnen besprochen – vor der Bundestagswahl, als Beispiel für ideologische Verblendung, die nicht mal mehr bei der Partei Die Linke eine Entsprechung findet.
Wie bei Ihnen, Herr Posener, kommen in der FDP-liberalen Argumentation die Banker als Handelnde überhaupt nicht vor. Als Handelnde werden nur die „staatlich gelenkten“ Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, amerikanische Rating-Agenturen und deutsche staatliche bzw. staatsnahe Banken genannt.
Ist ja auch klar. Private Banker handeln nicht, sie reagieren nur. Im Reflex. Auf Reize. Die brauchen nicht mal zu wissen, dass niedrige Zinsen auch mal wieder steigen können. Die FDP behauptet deshalb auch nicht, dass die privaten Banker irgendwie vom Staat gezwungen worden wären, den Hypothekenramsch massenhaft aufzukaufen und zu verbriefen. Das haben die, man muss es gar nicht erwähnen, ganz ohne Zwang getan – in marktkonformer Reaktion auf den gegebenen Reiz. Und deshalb haben sie mit allem, was sie (nicht) hatten, alles auf eine Karte gesetzt. (Risikostreuung? Pah! Das setzte ja Erfahrung, Reflexion – Hayek, wir hören dir trapsen – angemaßtes Wissen voraus.)
Tja, und damit hätten wir dann auch schon die Exposition für Ihren marktbasierten Weltuntergangs-Film: Wie seit immer und ewig – welche Weisheit liegt doch im Kopftuch!: Falsche Reize sind der Grund allen Übels.
@ Captain: Ja, Sie verstehen das wohl nicht. Lesen Sie Adam Smith. Der Markt setzt nicht darauf, dass dem Menschen das Gemeinwohl am Herzen liegt. Sondern darauf, dass aus der Summe der Egoismen das Gemeinwohl resultiert. Und das ist in der Regel auch der Fall. Wer dagegen die jetzige Krise in Amschlag bringt, ist – sorry – geschichtsblind: Krisen gehören nun einmal als Korrektiv dazu. Kapitalismus ohne Krisen ist ein Widerspruch in sich. Wobei man bei der jetzigen Krise immer noch fragen muss, ob der Staat, der jetzt rettend eingriff, durch falsch gesetzte Anreize (Niedrigzinsen, Förderung des Hauskaufs auch für Leute ohne Kapital usw.) die Entstehung der Krise entschieden befördert hat.
Ich verstehe das nicht ganz. Bitte erklären Sie mir das näher. Sie stellen, so kommt es mir zumindest vor, das Individuum als ein rationales und wohl überlegendes Geschöpf dar, dem in der Krise das Wohl der Gemeinschaft am Herzen liegt.
Ich zitiere Sie:
„Das Vertrauen auf den Markt bedeutet Vertrauen in die einzelnen Menschen und ihre Fähigkeit, auf der Grundlage ausreichender Informationen am Ende richtige Entscheidungen zu treffen und führt am Ende zu menschlicheren Lösungen, einer menschlicheren Welt.“
Jetzt frage ich mich, wie groß diese Krise sein muss, bis die Menschlichkeit der Marktwirtschaft heraus kommt. Finanz- und Wirtschaftskrise, sowie die immer größer klaffende Lücke zwischen Arm und Reich scheinen dafür nicht auszureichen.
Ach, lieber Herr Posener, was Emmerich die Physik ist, ist Ihnen die Metaphysik. Oder?
Gerade in existenziellen Krisen schlägt die Stunde des Markts, nicht des Staats. Genau! Gerade dann, wenn es um die Wurst geht, versammeln wir uns zur friedlichen Aussprache mit anschließender freier Abstimmung. Und ganz nebenbei bekräftigen wir auch noch den Schutz fremden Eigentums (der sich aber ohnehin von selbst versteht). Demokratische Öffentlichkeit und Markt sind Ordnungen, die apriorisch, aus dem Nichts heraus existieren – würden. Wenn der Staat sie nur ließe.
OK. Physik? Metaphysik? Dem Trickstudio Friedman & Hayek ist nichts unmöglich. „Weltuntergang, demokratisch und auf Marktbasis“ – auch ein sehr, sehr schöner Film!