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Banker als geliebte Gangster: wie wir unseren großen Geld-Ganoven verzeihen

Im Zentrum der Weltwirtschaftskrise stehen nicht nur die Gebrüder Lehman, deren Bank der amerikanische Staat, Gott strafe ihn, fallen ließ, sondern auch Bernard Madoff, der die Gierigsten der Gierigen an der Wall Street um ihr Vermögen brachte.

Für 150 Jahre hat man ihn hinter Gitter geschickt, den Liebling der amerikanischen Finanzwelt, den geachteten Bürger gehobener jüdischer Kreise, weil er vorgegaukelt hatte, deren Vermögen in Höhe von 65 Milliarden Dollar läge sicher in seinem Safe und würde nächtens von Heinzelmännchen vermehrt.

Geprellt hat er seine Anleger am Ende um 15 Milliarden, ein bitteres Ende nach einem jahrelangen Rausch, in dem Madoff  den Seinen die dicksten Rendite bescherte. Er konnte sein Schnellballsystem in einer Art Vertrauensschutz durch die Börsenaufsicht durchziehen, die es ihm wohl dankte, durch Konkurrenz die Handelskosten so erfreulich gedrückt zu haben. Madoff hat auch das Geld seiner eigenen Familie herangezogen, vergoldet und am Ende vernichtet; man darf bezweifeln, dass er überhaupt ein Schuldbewusstsein hatte.

Was aber trieb den Mann? Mein amerikanischer Freund Jeff Kornblum, neuerdings etwas knapper Investmentbanker, sagt dazu mit dem Ausdruck allfälliger Abscheu: „Zu Fall gebracht hat den Juden dann eine gottverdammte Irin.“ Ich erschrecke. So redet man in New York als amerikanischer Jude über Madoff und die Journalistin Erin Arvedlund? Sein vordergründiger Rassismus richtet sich gegen die vermeintlich irisch-stämmige Schmutzaufwirblerin, die der guten alten Regel „Nichts fragen, nichts erzählen“ einfach nicht gehorchen wollte. Eine linke Hündin sei das, sagt er. Ich werde Zeuge des unbeholfenen Versuchs, sich das eigene Unglück zu erklären und die Schuld bei anderen zu suchen. In einem Stakkato von Platituden und Ressentiments  werden die Täter zu Opfern.

15 Milliarden Dollar, das sind übrigens 15.000 mal eine Million Dollar, eine stolze Zahl. Der Engländer Nick Leeson („the Rogue Trader“) hatte ab 1993 nur knapp eine Milliarde Pfund Sterling in Singapur verspekuliert und in London ging 1995 die altehrwürdige Barings Bank über die Themse. Ich erinnere mich noch gut an die Fernsehbilder, wie der arme Kerl in Frankfurt verhaftet wurde. Sein französischer Kollege Jérôme Kerviel brachte es fünfzehn Jahre später im Investment Banking der  Société Générale immerhin auf fünf Milliarden Miese.  In einer repräsentativen Umfrage im Februar 2008 sahen fast 80 Prozent der Franzosen ihren Jérôme eher als Opfer denn als Täter.

Der Berliner Tagesspiegel verglich ihn folglich mit der Lokalgröße Dagobert, einem allseits geliebten Erpresser. Beide Banker werden in ihren Ländern  als Helden verehrt und in Volkes Stimme ganz und gar nicht gesteinigt. Und wenn schon die Schuldfrage gestellt wird, dann hören wir von netten jungen Männern, die dem System zum Opfer gefallen seien.

Die christliche Welt steht in der Tradition des neutestamentarischen Vergebungsgedankens. Man verzeiht und dreht das Täter-Opfer-Karussell. Der Philosoph Hans-Georg Deggau spricht als Ausdruck des Zeitgeistes von der Beliebtheit des Opferstatus, die bis zu einer „Selbststilisierung als Opfer“ reiche. „Die Gesellschaft stellt für die Opfer moralische und ökonomische Gratifikationen zur Verfügung.

Da die Opferperspektive die moralisch überlegene ist, empfiehlt es sich, sich auf der Seite der Opfer zu situieren. Die Täter oder Systeme sind die Bösen, von denen man sich durch Bekenntnis zum Opfer unterscheidet.“ Wir leiden an einem zwanghaften Sehnen, aus allem und jedem ein Opfer zu machen. Und sei es, dass wir Verbrechen auf ein körperliches Handikap zurückführen, für das der Arme nun wirklich nichts kann.

Die populärste Erklärung für das Wirken des Wall-Street-Schurken Bernard Madoff liefert in den USA gegenwärtig Sheryl Weinstein. Die Dame ist nach eigenem Bekunden die ehemalige Geliebte des verheirateten Anlagebetrügers. Sie äußert sich über etwas, das amerikanische Zeitungen „eine einzelne Tatsache seiner Anatomie“ nennen. „Madoff has a very, very small penis“, heißt es in den Gazetten. Dazu erzählt Weinstein von dem ersten gemeinsamen Frühstück, bei dem Madoff sein Coming Out mit einem „So, now you know about me.“ begonnen hätte. Natürlich wusste sie da schon, was er meinte. Damit ist ihr und der Nation das verborgene Motiv des edlen Ganoven klar.

Die Story heißt: „the little man who screwed the big boys“.  So erklären sich die US of A das Platzen einer Spekulationsblase im „Ponzi scheme“, das Motiv zur Auflage eines Schneeballsystems? Die Natur hatte ihn benachteiligt. Size matters.

Und da fragt  ein Horst Köhler, ob wir was aus der Krise gelernt haben. Madoff war auch nur ein Opfer, ein zu kurz gekommenes, sozusagen.  Wenn das die Ursache der letzten Krise war, steht die nächste bevor.

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4 Gedanken zu “Banker als geliebte Gangster: wie wir unseren großen Geld-Ganoven verzeihen;”

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    @Sven Jan Arndt

    Gegenposition aufbauen? Inwiefern?
    Ich meine: Aufklärung!
    Und da sind wir beim Problem: Will dies die Bevölkerung? Unterwerfung unter den Willen der Herrschenden bringt natürlich auch Geborgenheit und Sicherheit – ganz unbewußt natürlich. Wenn man sich in einer Schafherde befindet, sieht man letztendlich nur Ärsche vor sich.
    Einstein sagte, glaube ich: „Um ein wertvolles Mitglied einer Schafherde zu sein, muß man zuallererst ein Schaf sein“.

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    @Wolfgang Hörner

    Sie haben nicht ganz unrecht. Aber sowohl Sie als auch ich als auch die Macher diese m.E. sehr guten Blogs stemmen sich doch gegen diesen Trend. Ergo sehe ich Hopfen und Malz noch nicht verloren. Wir sollten uns doch mal an die eigene Nase fassen und mal den Hintern hochkriegen und Gegenpositionen aufbauen oder?

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    @Sven-Jan Arndt,

    Sie schreiben vom „Systemwandel“ oder „Ersetzung der Führungspersonen durch anders strukturierte Persönlichkeiten“.
    Dies ist alles richtig.
    Wer soll aber dies tun, wenn sich die Bürger abschlachten lassen wie Lämmer, indem sie Brandstifter zu Feuerwehrleute erklären und den modernen Raubrittern bei der Plünderung der Haushalte teilweise sogar zustimmen.
    Meinen Sie, die schaffen sich selbst ab?
    Das große Problem dieses Landes:
    Der Wilhelminismus sowie die geglückte Strategie der Verdummung in den Medien.

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    Lieber Herr Klocks,
    eine sehr schöne Analyse. Vor allem auch der noch und wieder agierenden Banker, die immer noch nicht verstanden haben, dass das System und nicht einzelne Verräter, wie Mrs. Arvedlund, Schuld an der Krise sind. Aber wahrscheinlich können sie es auch garnicht verstehen, denn sie sind ja ein Produkt dieses Systems und durch das System sozialisiert worden. Vielleicht wäre es auch mal Zeit darüber nachzudenken, ob vielleicht neben einem Systemwandel auch der Austausch der kompletten Spitzen durch anders strukturierte Persönlichkeiten notwendig wäre. Das alte und noch bestehende System hat höchst risikofreudige Protagonisten gezeugt – bräuchten wir nicht jetzt vielleicht eher risikoavers Handelnde?

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