In den Schubladen der Koalition ruht ein abgespeckter Entwurf eines Gesetzes zum Schutz Prostituierter (SZ-Politik, vom27.11.2015: „Schutz und Pflicht“). Federführend ist das Frauenministerium. Nun wollen ausgerechnet die Länder im Bundesrat nicht zustimmen, welche eine Reform angestoßen hatten (etwa NRW). Ziel müsste eine möglichst effektive Kontrolle der Bordellbetreiber sein, entstanden ist ein Entwurf, der das Gegenteil bewirkt: eine engmaschige und bürokratische Überwachung der Prostituierten. Statt „Schutz“ vor Übervorteilung sieht der Entwurf Anmeldepflichten und eine Pflichtuntersuchungen vor (früher hieß das „Bockschein“). Zuständig sollen die Gesundheitsämter sein. Diese können aber weder umfassend beraten noch werden sie eine bezahlbare HIV-Prävention anbieten. Schreibt man dennoch sanktionsbewehrte Pflichtuntersuchungen vor, schafft man eine völlig sinnlose Normenfalle.
Seit die Grünen im Jahre 2002 den Straftatbestand der „Förderung der Prostitution“ abgeschafft haben, wird in Deutschland eine außerstrafrechtliche Regulierung der Prostitution diskutiert. Interessant ist, dass sich die Grünen aus dieser Debatte verabschiedet haben. Dennoch gibt es runde Tische (NRW) und es gab Bund-Länder-Arbeitskreise, aber keine Ergebnisse. Auch die SPD interessiert sich nur mäßig für realistische Lösungen. Es fehlt der Rückenwind für eine angemessene Reform. Gegenwind hingegen gab es reichlich. Etwa an den Rändern der einst an Emanzipation interessierten Frauenbewegung. Sexkauf müsse verboten werden, Freier „von Zwangsprostituierten“ seien zu bestrafen, 90% der Prostituierten seien Opfer von Menschenhandel: Prostitution sei ein Angriff auf „die Würde der Frau“. Kaum zu glauben, dass sich emanzipiert dünkende Frauen solche Stellvertreterkämpfe führen. Durchgesetzt haben sie sich zwar nicht, aber geschadet haben sie dennoch. Dabei fing es 2014 noch ganz gut an.
Es solle nicht um Verbote gehen, sondern um rechtliche Garantien zum Schutz der Sexarbeiterinnen. Nicht die Prostituierten, sondern die Stätten der Prostitution sollten besser kontrolliert werden. Gemeint waren alle Einrichtungen, die Sex gegen Geld vermitteln oder tauschen. Zwar könne man sie nicht wie jedes andere Gewerbe behandeln; denn dafür wäre das Wirtschaftsministerium zuständig, das sicher nicht kooperieren wird, aber man überlege, wie eine Kontrolle aussehen könne, die sich an die Gewerbeaufsicht anlehnt? Angedacht war, dass die Aufsicht führende Behörde das jeweilige Sozialministerium der Länder werden sollte. Das ist vorstellbar, setzt aber ein klares Gesetz voraus, das ihnen vorgibt, was sie zu tun haben. Dieses Gesetz wird es nicht geben. Auch haben die Wirtschaftsministerien der Länder schon im Vorfeld jede Kooperation verweigert, mit den alten Sprüchen: Prostitution sei nun einmal kein Gewerbe, sondern eine Tätigkeit, die eher von der Polizei überwacht werden sollte. Diese sei ja auch bei der Ermittlung von Menschenhandel zuständig. Da war sie wieder, die fatale Gleichsetzung von Prostitution und Menschenhandel, der pauschalen Zuschreibung eines Opferstatus. Konsens bestand lediglich darin, dass Hilfen anzubieten seien, möglichst solche, die den Ausstieg aus der Prostitution erleichtern.
Angenommen, die Gesetzgebung wäre an einer rationalen und langfristig tragfähigen Problemlösung und nicht an moralisierenden Scheindebatten interessiert, was wäre das Ziel einer effektiven gewerberechtlichen Regulierung? Technisch würde man Bordelle als erlaubnispflichtige Gewerbe einstufen, die eine Zulassung benötigen. Diese muss an Mindestanforderungen geknüpft werden. Ihre Einhaltung kann fortwährend überprüft werden. Erfahrene Behörden könnten flexibel reagieren, wenn die Betreiber die Mindeststandards unterschreiten, die mit ihnen festgelegt worden sind. Die dort Tätigen (Selbstständige) können Akteneinsicht in die Gewerbeakte nehmen und sehen, ob die einbehaltenen Betriebskosten realistisch sind. Mieter haben ja auch das Recht auf Kontrolle und sie haben Mietervereine, die sie dabei unterstützen. Wieso soll das im Bordell nicht möglich sein? Erst wenn sie mit den dort tätigen Personen zusammen arbeitet, hätte die zuständige Gewerbeaufsicht die Chance, zu erkennen, ob und wo es Ausbeutung gibt (eigentlich strafbar nach § 180a StGB, aber ohne Rechte der Gewerbeaufsicht nicht beweisbar). Vor der zurzeit leeren Drohung mit einem Strafverfahren kämen sehr viel flexiblere Instrumente zum Tragen. Erfüllen die Betreiber ihre Auflagen nicht, kann ihnen und ihren Vertretern (oder Strohmännern) jede weitere Tätigkeit in dieser Branche untersagt werden. Gewerbeaufsicht wäre also die Lösung, aber das Frauenministerium konnte sich gegen die diffusen Widerstände nicht durchsetzen und hatte auch nicht vor, dieses Thema ernsthaft zu diskutieren. So gesehen wundert niemand, dass das geplante Prostituiertenschutzgesetz immer noch auf die Polizei setzt und damit erneut in eine Sackgasse eilt. Der rest ist nur noch öde: Prostituierten müssen sich melden, ansonsten begehen sie eine Ordnungswidrigkeit. Sie müssen das regelmäßig wiederholen und immer dann, wenn sie in einer neuen Stätte arbeiten, was häufig der Fall ist. Außerdem müssen sie die Bescheinigung der rechtzeitig durchgeführten Pflichtuntersuchung (Gesundheitsamt) bei sich führen.
Bürokratie, aber keine Musterverträge. Bescheinigungen, aber keine Kostenkalkulationen. Selbst für das dezente Massengeschäft der nicht öffentlich sichtbaren Wohnungsprostitution gibt es keinen Mieterschutz. Es gilt die völlig unpassende Regel, dass dies gewerbliche Mietverträge seien. Kein Schutz, sondern Wildwuchs. Nicht einmal ein Konzept für die abgestufte Besteuerung existiert. Die Betreiber können deshalb immer noch mit unversteuertem Schwarzgeld arbeiten. Auch die dort Tätigen werden das imitieren. Sie haben sogar einen verständlichen Grund. Sie legen nämlich Wert auf Datenschutz, und den kann ihnen die jetzige (Schein)Lösung nicht garantieren. Ihre Arbeit müsste pauschal besteuert werden, so dass nur diejenigen, die sich namentlich zu ihrem Beruf bekennen, über eine individuelle Einkommenssteuer das zurückfordern können, was sie meinen bei der Pauschalierung zu viel bezahlt zu haben.
Wenn es aber weder eine effektive Preiskontrolle gibt noch sonst irgendeine Transparenz, wie soll dann Ausbeutung verhindert werden? Es ist schlicht abwegig, diese – wie gehabt – über den bizarren Umweg des Vorwurfs des Menschenhandels, eines Straftatbestandes, der bis vor kurzem regelmäßig auf Veranlassung der EU erweitert wurde, zu verfolgen. Dass dieser Weg zu nichts führt und auch zu nichts führen kann, wissen alle Beteiligten seit Jahren. Wieso soll dann in der Zukunft wiederholt werden, was schon in der Vergangenheit nicht durchdacht, sondern nur ideologische motiviert war? Die Ideologie ist bekannt: Menschenhandel ist immer Zwangsarbeit, Prostitution ist fast immer Zwangsprostitution (bis auf ein paar Exoten). Wie kommen Frauenpolitikerinnen auf diese schlichte Gleichung? Viele Menschen arbeiten unter ökonomischen Zwängen. Bordellbetreiber und Vermittler zwingen (bis auf extreme Ausnahmen) niemanden nicht in die Prostitution. Es gibt Zwang. Ein Grund ist ein Überangebot an Anbieterinnen. Wie so oft, leiden die dort Tätigen unter einem wachsenden Druck der Billig-Konkurrenz und überbieten sich deshalb mit Billigangeboten. Ökonomisch schwache Selbstständige gibt es nicht nur in dieser Branche. So gesehen sind sexuelle Dienstleistungen ein Gewerbe wie jedes andere auch. Nicht nur dort sind die Verdienste oft zu niedrig – Ausnahmen bestätigen lediglich die Regel. Die Anbieter, häufig Frauen, müssen nicht nur sozial, sondern ganz brutal mit Altersarmut die Folgen der fehlenden Regulierung bezahlen.
Ein „Prostituiertenschutzgesetz“ könnte also Sinn machen. Aber dieser Entwurf leistet dies nicht. Statt über zu niedrige Preise wird ausgerechnet bei der Prostitution über „Zwang“ und „Freiwilligkeit“ geredet. Nicht die Tätigkeit also solche ist schädlich, sondern der unkontrollierte ökonomische Zwang, zu viele Kunden abfertigen zu müssen, um die zu hohe Miete und Zusatzkosten zahlen zu können. Was geplant ist, erschwert die Arbeit der dort Tätigen ohne jeden Nutzen für sie. Bordellbetreiber werden nicht kontrolliert, sondern müssen sich künftig nur mit den Finanzämtern herum schlagen. Aber die Finanzbehörden interessieren sich nicht für den Schutz der Prostituierten. Was für eine Fehlplanung.