Als ich im Sommersemester 1968 an der Universität Tübingen mit dem Studium der Germanistik begann, besuchte ich die Vorlesung des hochgerühmten Hölderlinspezialisten Friedrich Beißner. Da das Sommersemester von schweren Turbulenzen der Studentenbewegung geprägt war (Auslöser war das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968), konnte es nicht ausbleiben, dass Aktivisten vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in die Vorlesung stürmten, um über die Hintergründe des Attentats – die Hetze der Springer-Presse – zu diskutieren. Der Professor, damals schon hochbetagt, verlangte eine Abstimmung des vollbesetzten Auditoriums. Da die SDS-Studenten ahnten, dass sie keine Mehrheit bekommen würden (Tübingen war eben nicht Berlin), lehnten sie die Abstimmung ab, drängten den Professor vom Vorlesungspult und begannen ihre spontanen Reden. Als die Studenten „ab-stim-men! ab-stim-men!“ skandierten, führte ein „Genosse“ aus, eine Abstimmung sei „nur formaldemokratisch“, während sie eine „inhaltliche Demokratie“ verträten. Als Neuling im akademischen Betrieb und mit der linken Sprachregelung noch nicht vertraut war mir der Unterschied zwischen „Inhalt“ und „Form“ bei demokratischen Abstimmungen noch nicht geläufig. Weiterlesen