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Aus meinem Songbuch (1): Backstage Blues

Als Klaus Kluge Anfang der 1980er Jahre die „Berlin Blues Band“ gründete, hatte er Großes vor. Wir wollten nicht nur die Berliner Club-Szene aufmischen, sondern auch deutschlandweit Eindruck schinden. Gut, Klaus konnte sich und anderen viel einreden, übertroffen in der Hinsicht allenfalls von unserem damaligen Drummer George Kanne, aber dennoch: Wir haben einiges erreicht: spielten in den meisten Berliner Clubs und Kneipen, mehrfach im Hamburger „Kaffee Kaputt“, machten eine Tournee durch Deutschland („Westdeutschland“, wie es damals hieß) und sogar einen Abstecher nach London, wo wir im legendären „Dingwalls“ als Vorgruppe für Ruby Turner auftraten, und nahmen sogar eine – wie man damals sagte – LP auf, eine „Langspielplatte“, also ein Album.

George hatte einem weiblichen Fan eingeredet, er habe tolle Connections in der Musikszene (anderen Frauen imponierte er mit der Geschichte, er sei Mossad-Agent oder habe in der israelischen Luftwaffe einen Starfighter geflogen), das Album werde also bestimmt ein Hit, und die arme Frau, die etwas geerbt hatte, gab das Geld für die Produktion im Kreuzberger Studio unseres Gitarristen Peter Gentsch, mit dem ich heute noch (oder vielmehr wieder) Musik mache. Das Album hieß „Backstage Blues“, genannt nach diesem Song, den ich mit Klaus Kluge geschrieben hatte.

Geklaut hatte ich die Akkorde von Jimmy Cox‘ „Nobody Knows You When You’re Down And Out“, glaube ich. Aber der Text ist nicht geklaut, es sind keine Erfahrungen aus zweiter Hand, sondern, natürlich amerikanisiert und zugespitzt, die Erlebnisse zahlloser Clubauftritte, insbesondere auf der ziemlich desaströsen Tournee, die uns von Kiel bis hinunter an den Titisee und in die Schweiz führte, wo wir einmal in einem völlig leeren, riesigen Bierzelt für die Kellner und Kellnerinnen spielten.

Ich sage „amerikanisiert und zugespitzt“, weil die Figur des abgewrackten Möchtegern-Stars, der sich dem Suff ergibt – „See my reflection in the whisky glass / Boy, you ain’t going nowhere“ – aus vielen Countrysongs bekannt ist und mich – auch mich damals – doch nicht ganz trifft. Ich hatte während der ganzen Zeit bei der Blues Band einen Job als Oberstudienrat – oder war beurlaubt, um mich um mein Kind zu kümmern oder Bücher zu schreiben, was ich auch beides tat. Aber das Ende der Band ist denn doch bezeichnend. Ich war mit Klaus unterwegs, um Gigs aufzutun, und als wir das „Quasimodo“ – wo das Coverfoto unseres Albums aufgenommen worden war – betraten, sagte der Wirt: „Ach, da kommt die Berlin Saufband“. Klaus und ich guckten uns an und beschlossen da und dort, die Band aufzulösen.

Später zog mich Klaus in andere Projekte hinein: „The Nuggets“ etwa, eine Nachspielband, die die besten Teile vieler Songs zu einer Art symphonischer Endlosnummer, wie „the long one“ auf „Abbey Road“ zusammenfügte. Kurzfristig holte er mich auch zu „Blues & Loose“, als deren Sänger Pause machte. Und immer wieder, bis zu seinem unerwarteten Tod vor einigen Jahren, verführte er mich dazu, in seinem Heimstudio Songs aufzunehmen, manche mehr, manche weniger für meine Stimme geeignet: „Du kannst das. Also noch mal. Da war schon viel Schönes drin.“ Aber keines dieser Unternehmen hatte die Intensität der „Berlin Blues Band“, für die Klaus und ich viele Songs komponierten, so dass unser Album fast ausschließlich Selbstgeschriebenes enthielt. Manche dieser Songs waren nicht einmal schlecht, wie dieser.

Schön finde ich, wie in der ersten Strophe knapp die Szene der leeren Kneipe nach dem Auftritt skizziert wird; das Bühnenlicht ist ausgeknipst, es ist Zeit für noch einen Absacker. Die Figur „Wein, Weib, Gesang“ wird beschworen – nur dass die Frauen, bis man alles abgebaut und verpackt hat, schon weg sind. Was ja ein Segen ist, aber das schreibe ich hier nicht, das wäre ein anderer Song, den Mick Jagger und Keith Richards schon geschrieben haben: „The Spider And the Fly“.

Denn es gab in diesen Kneipen immer wieder einsame Frauen, die den einen oder anderen von uns in den Pausen angebaggert haben, und ich hatte meistens das Gefühl, es ginge ihnen vor allem darum, einem ungetreuen Freund eins auszuwischen. Jedenfalls war das „einsame Hotelzimmer“ mit den MTV-Videos bestimmt einem fremden Schlafzimmer auf der Lonely Avenue vorzuziehen. Und übrigens wäre ein Hotelzimmer ein Luxus: Zuweilen haben wir zu fünft bei Fans im Wohnzimmer geschlafen, in Abstellkammern, auf Billardtischen, und auf Sylt einmal in den gerade nicht benutzten Arbeitszimmern eines Puffs.

Darum ist die Zeile „You say you envy me and you want to be in my shoes“ eigentlich an mich selbst gerichtet: Wollte ich wirklich Vollzeit-Rockmusiker sein, von Kneipe zu Kneipe ziehen, selbst wenn sie voll gewesen wären, was selten genug de Fall war, immer einem Erfolg hinterher, der bestenfalls darin bestanden hätte, noch öfter zu spielen, noch mehr zu reisen, noch endlosere Stunden im Auto oder Bus auf dem Weg von Gig zu Gig bei geistlosen Gesprächen zu verbringen?

Nein.

Willie Nelson singt in „On The Road Again“, dass er dieses Leben liebt, und ich glaube es ihm sogar. Ich mochte es nie, und neben den nicht ganz unwichtigen Fragen der Begabung und des Fleißes (Übung macht auch beim Rock’n’Roll den Meister) war es schlicht so, dass die Musik mir nie wichtig genug war, um dafür die Familie infrage zu stellen und meine anderen beruflichen Interessen aufzugeben. Und was man nicht 100 Prozent macht, wird nie 100 Prozent gut. „Backstage Blues“ also ist ein Dialog mit mir selbst: Willst du das wirklich? Denn das ist die Zukunft, wenn du „alles aufgibst, um deinen Rock and Roll zu spielen“: Der Kater nach dem Kick des Auftritts, der Backstage Blues.

Hier ein TV-Auftritt mit dem Song:

Und hier der Text:

Show is over and the lights are out

Sitting here all by myself

Had a lot of wine, sang a lot of songs

The women all went off with someone else

 

It’s way past midnight and there’s nowhere to go

Hotel room’s so lonely, just me and the video

You say you envy me and you want to be in my shoes

But boy, you don’t know nothing about those mean old backstage blues

 

See my reflection in the whisky glass

Boy, you ain’t going nowhere

Will I sing in dumps like this for the rest of my life

Last night a woman told me, popp, you’rer losing your hair

 

Late night feeling won‘t leave me alone

Take off your mask, face the truth

You gave up eveything to play your rock and roll

And now you’ve got he backstage blues

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