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„Du lass dich nicht verhärten…“ – Der Kampf gegen Corona braucht eine Ermutigung

Fotocredit: IMAGO / Jan Huebner

Ein Gastbeitrag von Friedrich Bockelmann

Seit dem Auftreten des Corona-Virus erleben wir einerseits einen rasanten medizinischen Fortschritt, andererseits in Teilen der Bevölkerung Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungsmythen und eine Abkehr von der Demokratie. Wie kann das weitergehen? Friedrich Bockelmann denkt nach.

Ein Blick in die jüngere Medizingeschichte und auf die Dimensionen der Pandemie zeigt: Wir stehen erst am Anfang einer langen Auseinandersetzung mit der Krankheit. Wir können sie aber gewinnen.

2012 wurde noch mit einer originellen Kampagne für die Masernschutzimpfung geworben. Jetzt geht es um den Kampf gegen Corona – und uns fällt nichts mehr ein. Zeit, eine alte Platte auszukramen und auf Wolf Biermann zu hören.

Du, lass dich nicht verhärten

In dieser harten Zeit

Die allzu hart sind, brechen

Die allzu spitz sind, stechen

Und brechen ab sogleich

Nach zwei Jahren der Pandemie macht sich öffentliche Erschöpfung breit: 2020 war geprägt von der verzweifelten Hoffnung auf erste medizinische Hilfe, im Jahr 2021 waren die Masken und die Impfstoffe endlich da, aber die Politik versagte vielfach bei der Administration der Impfkampagne, verstrickte sich im Klein-Klein föderaler Sonderwege und versackte zu Teilen im kriminellen Sumpf der Selbstbedienung. Zu Beginn des Jahres 2022 ist endlich fast genug von allem da, selbst die Ressourcen der Krankenhäuser scheinen auszureichen. Trotzdem Katerstimmung, denn die Impfungen erreichen bestenfalls drei Viertel der Gesellschaft, zu wenig, um einen allgemeinen Immunschutz zu erreichen. Besserung ist nicht in Sicht, ein Teil der Gesellschaft macht dicht – aus Misstrauen gegen die Medizin, Angst, Unwissenheit oder aus Feindschaft gegen die Demokratie.

Die Impfpflicht mag ein Weg sein, im kommenden Herbst, wenn es wieder ernst wird, einen weiteren Teil der Gesellschaft zu immunisieren. Allerdings sind Zweifel an der Umsetzbarkeit und Kontrollierbarkeit nicht von der Hand zu weisen.

Warum werden medizinische Zusammenhänge oft zu wenig akzeptiert?

Schwerer als die gesundheitlichen Risiken wiegt die Erfahrung, dass die Bereitschaft, medizinische Zusammenhänge zu akzeptieren so weit hinter dem wissenschaftlichen Fortschritt zurückbleibt. Was ist da schief gelaufen? Was ist da noch zu machen?

Die öffentliche Wahrnehmung der Corona-Krise wird vor allem von drei Bildern beherrscht: Balkendiagramme, die aktuell wieder eine Flut wachsender Infektionen zeigen, überlastete Mediziner und wehrlose Patienten auf Intensivstationen und – quasi als hilflose Gegenmacht gegen dieses geballte Unheil – Oberarme, die mit der Spritze gepickt werden. Dieses Szenario beflügelt nicht allein die zutiefst berechtigte Sorge, sondern macht Angst: So hohe Zahlen, ein unsichtbarer Gegner und kein Ende in Sicht! Die Menschen erscheinen in diesen Szenen als potentielle Opfer (was sie auch sind!) kaum aber als Handelnde (was sie auch sein könnten!), die ihr Schicksal auch selbst in die Hand nehmen können. Ratlose Opferhaltung auf der einen Seite, wütende Flucht in Ignoranz, Kräuterglaube aber auch Antisemitismus und Verschwörungswahn auf der anderen.

Der medizinische Fortschritt ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich für jede und jeden existenziell greifbar: Kaum jemand würde heute auf eine Narkose, eine rettende Transplantation, den Stop einer Infektion oder die Therapie gegen Krebs verzichten wollen.

Die Feindschaft gegen das Impfen verwundert umso mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, was die Menschen so alles bedenkenlos zu sich nehmen: Zuckerbomben, Billigfleisch, Bierchen und Weinchen, vielleicht auch eine weiße Linie – der tägliche Drogenalltag. Aber beim der Impfung läuten die Alarmglocken!

Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft werden stets von der Aufklärung und Bildung der Bevölkerung begleitet. Das schließt natürlich auch eine kritisch-interessierte Einstellung von Verbrauchern und Patienten ein, die nach Nebenwirkungen, Langzeitfolgen und Behandlungsalternativen fragen. Aber eine Ablehnung der Schutzimpfungen kann das aufgeklärte Denken nicht für sich in Anspruch nehmen.

Positive Impfkampagnen: Die jüngste Medizingeschichte zeigt, wie es besser laufen könnte

Ein kurzer Blick in die jüngste Medizingeschichte liefert Hinweise, wie es besser laufen könnte:

In den 60er Jahren gelingt es – endlich nach tragischen Pannen – massenhaft gegen die Kinderlähmung zu impfen. Die grausame Krankheit wurde dadurch weitgehend zurückgedrängt; heutzutage sind über 90% gegen Polio geimpft. Unter dem Motto: Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ wurde den Schulkindern der Impfstoff auf einem Stück Zucker verabreicht. Der Leitspruch versprach nicht nur den Schutz vor der Krankheit, sondern eröffnete mit der Assoziation an das „süße Leben“ eine positive Perspektive für die nachwachsende Generation.

Positive Gefühle vermittelte auch, über Jahrzehnte hinweg, die Tabakindustrie mit ihren legendären erfolgreichen Kampagnen für das Rauchen. Weltbürgertum („Der Duft der großen weiten Welt“), Gelassenheit („Wer wird denn gleich in die Luft gehen…“), Französische Lebensart (Vive le Moment“) lauteten die Versprechen, die mit dem Zug aus der Zigarette verbunden wurden. Das hat sich grundlegend geändert. Ein Grund sind sicher die seit 2000 gestiegenen Steuern und die massiven Warnungen auf Zigarettenpackungen. Vor allem aber hat sich das Image des Rauchens grundlegend gewandelt: statt für Souveränität  steht die Zigarette jetzt für Abhängigkeit und soziale Bedürftigkeit. Rauchen wird immer teurer und es rauchen nur noch die, die es sich kaum leisten können.

Schluckimpfung und Zigarettenrauchen – bei allen offenkundigen Unterschieden zeigt sich, dass das Gesundheitsverhalten weitgehend mit einem Selbstverständnis der Menschen verbunden ist, das einflussreicher ist als reine medizinische Informationen.

Besonders deutlich wird dies, wenn man sich den Erfolg der „Antibabypille“ vergegenwärtigt: Zunächst wurde die Empfängnisverhütung nur als Nebenwirkung eines Hormonpräparats registriert; schlagartig beflügelte „die Pille“ dann eine ganze Generation. Sie ermöglichte Frauen die sexuelle Selbstbestimmung, auch wenn sie zugleich Männern einen Vorwand bot, sich ihrer Verantwortung für den Schutz vor unerwünschten Schwangerschaften zu entziehen.

Vorbild AIDS-Kampagne

Das eindrucksvollste Beispiel einer medizinischen Bewegung lieferte schließlich die AIDS-Kampagne. Dabei schienen die Voraussetzungen denkbar schlecht: Das HIV-Virus galt über mehrere Jahre als unbezwingbar (und eine „Heilung“ von AIDS ist auch heute noch nicht erreichbar), als Virusträger galt die ohnehin diskriminierte Gruppe der Homosexuellen. Trotzdem ist es gelungen, eine erfolgreiche „Bewegung“ zum „Kampf“ gegen die Krankheit zu initiieren und dabei tief sitzende Ressentiments, Ängste und Tabus zu überwinden. Man könnte meinen, dass die Begriffe „Kampf“ und „Bewegung“ aus einem Handbuch der Stadtguerilla entschlüpft wären. Sie belegen aber den Grund für den Erfolg der AIDS-Kampagne, die maßgeblich von Bundesbehörden getragen wird: Die Menschen werden als verantwortungsvoll Handelnde angesprochen, die ihr Schicksal und das ihrer Partner selbst steuern können.

Nicht zuletzt geschah dies weniger mit dem erhobenen Zeigefinger als mit Humor. Der TV-Spot „Was kosten die Kondome“ mit Hella von Sinnen ist Kult geworden, weil er wie eine Pointe den grauen Schleier von Angst und Ausgrenzung zerrissen hat. Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ erschien 1980 quasi zeitgleich mit dem Aufkommen von AIDS. Es geht in der Kriminalhandlung um die Suche nach der verborgenen zweiten Poetik des Aristoteles über die Komödie. Die Sprengkraft dieser Schrift bringt der Gralshüter des Bestehenden, der Abt Jorge auf den Punkt: “Lachen tötet die Furcht und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben. Wer keine Furcht vor dem Teufel hat, der braucht auch keinen Gott mehr”.

Vorsicht statt Angst und ein selbstbewusstes Lachen sind gerade auch dann wegweisend, wenn es um die öffentliche Gesundheit geht.

Flankiert wurde die AIDS-Kampagne durch diverse Elemente einer quasi politischen Bewegung: seien es das Symbol der Aids-Schleife, die Einrichtungen der AIDS-Hilfe oder auch die zahlreichen öffentlichen Solidaritäts- und Spendenveranstaltungen. Die Befreiung von Furcht und die Begründung eines gerechtfertigten Selbstvertrauens sind die Kernelemente der AIDS-Kampagne. Dabei spielte und spielt im Kampf gegen AIDS immer der doppelte Nutzen des Krankheitsschutzes eine zentrale Rolle: Schütze dich selbst und zugleich deine Partner/innen!

Die Defizite des gegenwärtigen Corona-Diskurses

Der gegenwärtige Corona-Diskurs ist von diesen richtungweisenden Erfahrungen weit entfernt. Wer sich gegen die Infektionsgefahr impfen lässt (und das ist immerhin die Mehrheit der Bevölkerung), tut dies in der Hoffnung, sich selbst zu schützen und endlich wieder zum „normalen Leben“ zurückkehren zu können. Die lautstarke Schar der Impfgegner dagegen ist aktivistisch, ihre Haltung geht über ein „Lasst mich in Ruhe“ weit hinaus. Deshalb können auch die wohlmeinenden Skeptiker unter den Impfgegnern leicht zu Mitläufern und -tätern einer antiliberalen Bewegung von „Systemgegnern“ werden.

Das Corona-Virus ist längst nicht besiegt. Im Herbst werden die Infektionszahlen jedenfalls wieder steigen. Vor allem aber wird das Virus auch in den armen Teilen der Welt endgültig ankommen und auf eine weitgehend ungeschützte Bevölkerung treffen. Neue Mutationen werden nicht ausbleiben und die sozialen Folgen der weltweiten Pandemie werden auch Europa in Form politischer Instabilität und neuer Migrationsbewegungen treffen.

Das heißt, dass die Pandemie als kleine Schwester der Klimakrise die nationale und internationale Politik und Wirtschaft auf lange Zeit beschäftigen wird. Zu den Erfahrungen im 21. Jahrhundert gehört heute schon, dass ein aufgeklärtes Bürgertum Verantwortung für den Schutz unserer Ressourcen, des Klimas und der öffentlichen Gesundheit übernehmen muss. Mit einer Bratwurst als Dreingabe zur Impfung ist es nicht getan.

Beim Übergang von der Notfallmedizin in Krankenhäusern und Arztpraxen zur Präventivmedizin kommen Umwälzungen auf die Wirtschaft, die Bildung, die Städteplanung zu. Einen Vorgeschmack erleben wir heute schon bei den Diskussionen um das Homeoffice, die Finanzierung der Krankenhäuser, die Einkommen im Gesundheitswesen, die Ausstattung der Schulen. Die Außenpolitik muss neben dem Klimaschutz auch die Gesundheit weltweit in den Blick nehmen und Lösungen für die Medikamenten- und Impfstoffversorgung in den armen Ländern finden (Die Freigabe von Patenten dürfte allerdings nicht der richtige Weg sein).

Wir werden sehen, wann Arbeitgeber und Gewerkschaften sich an die präventive Umgestaltung der Arbeitsplätze machen. Die Schulträger und Kultusminister werden vermutlich erst dann praktische und didaktische Gesundheitskonzepte für die Schulen umsetzen, wenn Fridays for Future genug Druck macht. Vielleicht erleben wir ja eine Überraschung und die siechenden Kirchen entdecken einen Auftrag zur praktischen Nächstenliebe und machen die Gottesdienste zu Impf-Events. Die Reihe lässt sich fortsetzen; die PandDemie ist eben ein Ereignis, das, der Name verrät es, die ganze Gesellschaft erfasst und nicht von Spezialeinrichtungen erledigt werden kann. Wenn es gut läuft, wird der nächste Bundestagswahlkampf auch im Zeichen einer vorausschauenden Gesundheitspolitik stehen und nicht mehr von kleinmütigen Versprechen geprägt sein.

Ein erster Schritt, sofort machbar, wäre vielleicht eine frech-provokante Kampagne zum Impfschutz, die sich Erfahrungen aus der AIDS-Bekämpfung zunutze macht. Die Experten dafür sind ja da.

Und dann, wenn das alles wirklich in Gang gekommen ist, dann kann man sich berechtigte Gedanken darüber machen, ob eine allgemeine Impfpflicht auch die letzten noch für eine schützende Spritze gewinnt.

 

 

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Über Friedrich Broeckelmann

Friedrich Broeckelmann, Jg. 1952, war Gymnasiallehrer und Bildungsbeamter bei der Kultusministerkonferenz (KMK). Sein Arbeitsschwerpunkt lag an Deutschen Auslandsschulen und bei der Deutschförderung im Ausland. Bis zu seiner Pensionierung war er als Fachberater für den Osten Kanadas in Toronto ansässig. Heute betreut er als „Senior Experte“ in NRW Sprachprüfungen für jugendliche Zuwanderer.

5 Gedanken zu “„Du lass dich nicht verhärten…“ – Der Kampf gegen Corona braucht eine Ermutigung;”

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    Ja, die Liste der Ausgestoßenen ist lang, auch die Liste der überzeugten Gegner aller Kritiker, die sich zu Unrecht einbilden „auf die Wissenschaft zu hören“. Beide Ränder (leider gehörte die abgewählte frühere Regierung auch dazu) repräsentieren nicht die „bürgerliche Mitte“, auch wenn sie das glauben, sondern sie demonstrieren eine immer wieder aufbrechende Neigung zur Polarisierung und zum Populismus. Frau Merkel zeigte eine fatale Seite einer autoritären Konformitätspolitik. Doch glaubt das nun fast niemand mehr. Immerhin: eine kluge Linie hielten über die ganze Zeit hinweg einige Virologen, zu denen jedoch der Berliner Charité-Vertreter Drosten nicht gehört hat.

  2. avatar

    Vor kurzem war es eine Pandemie der Ungeimpften und ohne Ungeimpfte, so hieß es, wäre die Pandemie besiegt. Einen Monat später wissen wir, dass sich Geimpfte infizieren können und auch andere anstecken. Nun hilft die Impfung gegen einen üblen Verlauf der Krankheit und Ungeimpfte sind unsozial, weil sie die Krankenhäuser verstopfen. Ein paar Wochen später wissen wir, dass dies nicht so ist, Ungeimpfte sind härter betroffen, gefährden aber nicht das Gesundheitssystem.

    Allen Meldungen werden mit inbrünstiger Überzeugung vorgetragen und es wird nie vergessen zu erwähnen, dass jeder, der die aktuelle Wendung hinterfragt, für Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungsmythen und eine Abkehr von der Demokratie steht. Mithin ein Gegner der Aufklärung sei. Die Liste der Ausgestoßenen ist lang und beinhaltet von rechten Esoterikern bis zu Ärzten und Forschern eine so bunte Truppe, dass man hoffen könnte, dass die Mitte der Gesellschaft merkt, dass die Ränder nicht wachsen, weil die Leute verrückt geworden sind, sondern dass der Putztrieb immer weitere Kreise zieht. Nun ist die Tante, die Zuckerkügelchen bei einer Erkältung lutscht, irgendwie esoterisch, Nazis sind auch esoterisch, also ist die Tante wohl irgendwie rechts und wer nicht gegen rechts aufsteht, tötet Anne Frank ein zweites Mal. Schachmatt. Auf einmal wimmelt es in der Republik vor „Rechten“.

    Ich bin geboostert und werde mir auch die vierte und fünfte geben. Trotzdem gehe ich lieber mit der Homöopathin für ihre Rechte demonstrieren, als mir weiter die Bestrafungsfantasien der „Aufgeklärten“ anzuhören. Die bürgerliche Mitte ist weniger durch Corona oder Kryptofaschisten bedroht, als vielmehr durch die eigene politische Tollwut. Offene Gesellschaft bedeutet, auch blanken Unsinn ertragen zu müssen. Die „Aufgeklärten“ untergraben gerade das, was sie zu schützen vorgeben. Wie konnte es passieren, dass Homöopathen und Naturheilkundler nun im selben Boot sitzen wie Atilla Hildmann oder Ken Jebsen? Da ist was furchtbar schiefgelaufen und wir sind noch lange nicht am Ende der Geschichte.

    1. avatar

      Tollwut? Ja. Bürgerliche Mitte? Nein, lieber Stevanovic. – Mindestens während der Corona-Hochphasen, sagen einschlägige Umfragen, war das Einverständnis der gesellschaftlichen Mehrheit mit strengen und womöglich noch strengeren Maßnahmen weit deutlicher, als die institutionalisierte Politik bereit und in der Lage war, sie zu verordnen. (Im Verlauf der Pandemie zeigte sich die etablierte Politik – rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – als sehr viel unsicherer und widersprüchlicher, als die unbeirrt diszipliniert Maske tragende, Distanz haltende und impfwillige Mehrheit der Bürger es war und noch immer ist.)

      Eine Tollwut der bürgerlichen Mitte kann ich darin nicht sehen. (Auch deshalb nicht, weil ich beispielweise keinerlei bürgerliche oder „wutbürgerliche“ Demonstrationen oder ähnliches gegen „Homöopathen und Naturheilkundler“ erkennen kann. Die gibt es nicht.) Und ich denke, das meinen Sie auch nicht, lieber Stevanovic. Zweifellos ist Ihr Blick ganz anders gerichtet: Was Sie hier nicht nur gekonnt, sondern auch exemplarisch eröffnen, ist ein meta-medialer Diskurs. In den Medien, in den „neuen“ und auch in den klassischen Medien, gibt es das, was Sie „Tollwut“ nennen. Und ganz zu Recht so nennen. Das ist keine Frage. Ist deshalb aber die von Ihnen so genannte Tollwut die der bürgerlichen Mitte? Ich glaube nicht.

      In der Reaktion auf Corona waren plötzlich politische Entscheidungen, politische Beschränkungen des öffentliche Lebens, des privaten Lebens, der Wirtschaft und der persönliche Freiheit möglich (wie sonst eigentlich nur für den Kriegsfall denkbar). Und sie waren möglich, weil die verordneten Beschränkungen von einer großen Mehrheit der bundesrepublikanischen Bürger bereitwillig akzeptiert und praktiziert wurden (und werden). – Für mich definiert sich die bürgerliche Mitte über die Antworten auf zwei Fragen: Handelt es sich bei der mehrheitlichen Akzeptanz der Corona-Maßnahmen um die (demonstrative und paradigmatische) Wiedergewinnung der (in den letzten neoliberalen Jahrzehnten zurückgedrängten) politischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit? Oder handelt es sich dabei (wie vor allem in den von Ihnen zitierten „neuen“ Medien gern behautet) um die finale Selbst-Etablierung der traumwandlerisch-folgsamen „bürgerlichen“ Schlafschafe?

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      Lieber Stefanovic, ich bin inzwischen auch Fan ihres Gunnar Kaisers. Der ist ja inzwischen ein Ausgestoßener aus dem liberalen BRD-Zirkel. Und er hat seinen Staatsjob gekündigt, also Hochachtung vor seiner Haltung.

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