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Nur „vergossene Milch“? Wie die FDP zwei Jahre später mit Kemmerich umgeht

Foto: IMAGO / Karina Hessland

Ein Gastbeitrag von Dorothee von Hoff

“Es interessiert einfach außerhalb Thüringens niemanden mehr. Niemand redet mehr darüber und das ist schon ziemlich lange so. Den meisten ist gar nicht klar, dass Kemmerich immer noch da ist.”, schrieb mir zum 5. Februar ein Parteifreund. Der 5. Februar, das war der zweite Jahrestag der Wahl des sechsten Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, der zweite FDP Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der wiedergewählte Landesvorsitzende traf sich mit dem renommierten thüringischen Journalisten Martin Debes zu einem Gespräch für die „ZEIT“. Die Lektüre lohnt sich und schmerzt den beteiligten Beobachter aber gleichermaßen. Kemmerich sagt: „Ich habe damit schon vor einer geraumen Weile meinen emotionalen Frieden gemacht.“ Alles also halb so wild, lediglich vergossene Milch? In der Landespartei möchte man nicht darüber reden.

Eigentlich wollte man noch nie über das reden, was am 5. Februar 2020 geschah. Allenfalls später, demnächst und noch später. Oder es heißt, das Ganze sei doch schon recht lang her. Fast aggressiv kann der Ton werden, wenn dieser Tag zur Sprache kommt. Oder hämisch. Austrittsempfehlungen lassen nicht lange auf sich warten.

Die Eiweißflecken sind noch sichtbar

Doch die Eiweißflecken der vergossenen Milch sind noch sichtbar. Geht man näher an sie heran, so kann man sie auch riechen: die Milch, die vor zwei Jahren verschüttet wurde.

Da ist einerseits die Grüne Jugend, die sich selbst in ihrem Antifaschismus vergewissern will und Faktentreue dabei offenbar eher störend findet. Sie twitterte jüngst: „KEIN PAKT MIT FASCHIST:INNEN – Vor 2 Jahren ließ sich der FDP Abgeordnete Thomas Kemmerich durch die faschistische AfD und die CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen. Tatsächlich aber hat es eine Kooperation zwischen AfD und FDP/Kemmerich es nie gegeben. Keiner der journalistischen Beobachter hat etwas zu Absprachen zu Tage gefördert.

Andererseits gibt es die Erzählungen aus dem, so formuliert es Thomas Kemmerich selbst, „Resonanzraum“, also seinen Anhängern in der Partei. Erzählungen bei denen Thomas Kemmerich vor allem Unrecht angetan wurde. Unrecht durch die Nichtunterstützung von der Bundespartei. Unfair behandelt von den Protestierenden auf der Straße. Diese Argumente werden in der Partei immer wieder zur Relativierung von Kritik eingesetzt. Nicht wenige Unterstützer sind gute Bekannte von ihm. Ein kleines Land, eine kleine Partei.

Auch Erzählungen aus dem Niemandsland zwischen CDU, FDP und AfD gehen in diese Richtung. So schrieb der Publizist Klaus Kelle am 10. Februar 2022, also zwei Jahre und fünf Tage nach dem Ereignis unter dem TitelDer Fall Kemmerich ist eine Schande für die Demokratieso, als sei das alles immer noch hochaktuell.

Klaus Kelle ist nicht irgendwer, sondern etwa Schöpfer der „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“, die im Jahre 2020 in Erfurt tagte. Mit Rednern wie Markus Krall, Hans-Georg Maaßen, Gerhard Papke oder David Engels, die zu der Veranstaltungsreihe eingeladen und gefeiert wurden. Auch die, mittlerweile aus der FDP-Fraktion und auch der Partei ausgetretene und in einer eigenen „Querdenken“-Kleinstpartei verankerte Ute Bergner bekam dort Gehör. Hört man sich um, so erfährt man schnell, dass Kelle jahrelang nach einem Parteiprojekt rechts der CDU gesucht hat.

Für Kelle ist die etablierte Politik die Schuldige an den Ereignissen. Er beklagt die

Einmischung der Bundespolitik. „Der immense politische Druck auf den FDP-Chef Christian Lindner, der charakterlos sofort einknickte. SPD und Union, die im Koalitionsausschuss festlegten, wenn Kemmerich nicht binnen 48 Stunden zurückträte, würden alle Länderregierungen mit FDP-Beteiligung explodieren – was faktisch das Ende der FDP hätte bedeuten können. Lindner, der seinen Parteifreund in Erfurt bekniete, doch bloß schnellstmöglich zurückzutreten…Bananenrepublik pur“.

Dem ist zu entgegen, dass laut Parteisatzung der FDP sich Landesparteien vor Koalitionsbildung mit der Bundespartei ins Benehmen zu setzen haben.

Kurz zurück auf Anfang: auch als Minderheitsregierung benötigt man Mehrheiten in Abstimmungen. Wenn man in Thüringen dazu nicht mit der AfD arbeiten will, braucht man zwingend die LINKE. Kelle klagt wie einige, die sich gegen den politischen Mainstream positionieren wollen, über mangelndes Rückgrat. Dabei kann ein Rücken aus Kruppstahl die Mathematik im Zahlenraum nicht besiegen.

Um die Abläufe nochmals chronologisch darzustellen: Kemmerich erhielt am 6. Februar 2020 vormittags Besuch aus Berlin. Noch bevor die Kanzlerin etwas sagte, war Christian Lindner in Erfurt angekommen. Es dauerte Stunden, aber schließlich gab Kemmerich nach und kündigte seinen Rücktritt an.

Kelle berichtet in seinem oben zitierten Kommentar wie gesehen von der Drohung der FDP-Bundesebene, alle Landesregierungen unter FDP-Beteiligung zum Platzen zu bringen. Das Gerücht hält sich hartnäckig. Offiziell bestätigt wurde es zwar aber nie, es ist aber auch möglich, dass Kelle hier die historische Wahrheit erfahren hat. Am Samstagnachmittag traf sich der Koalitionsausschuss, beriet und schaltete den Linken Bodo Ramelow per Telefon zu. Kemmerich ist am Samstagnachmittag sodann tatsächlich zurückgetreten. Von allen Seiten war dieser Rücktritt jedoch so schlecht vorbereitet, dass man eine Feinheit in der Landesverfassung übersah. Nach einem Rücktritt kann man keine Vertrauensfrage mehr stellen und so wurde der Weg zu Neuwahlen verbaut. Eine Neuwahl, die Kemmerich im Februar 2020 versprach, verhinderte u.a. er so selbst. Die zerfallende FDP-Fraktion war nicht bereit, die vier fehlenden Stimmen zur Auflösung des Landtags zu liefern.

So ist das mit der verschütteten Milch, wenn sie niemand aufwischt. Sie riecht noch lange. Welcher Aspekt dieses freistaatlichen Polittheaters nun den großen Schaden für die Demokratie darstellt, darüber gehen die Bewertungen immer weiter auseinander. Auch das ein Schaden. Klaus Kelle hält die Einmischung der Bundesparteien, den politischen Druck auf Kemmerich für den Schaden an der Demokratie. Dass neben einer formal korrekten Wahl zur Ausfüllung eines Ministerpräsidentenamtes auch eine Idee gehört wie diese Regierung geführt werden soll und mit wem, scheint in dieser Lesart unwichtig zu sein. Andere, wie der CDU-Alt-Ministerpräsident Althaus, halten hingegen das Hereinfallen auf den Trick der “Leimrute” der AfD für den eigentlichen Schaden. „Absolut politischer Dilettantismus“, bescheinigt er CDU und FDP in einem internen Schreiben, aus dem die „Thüringer Allgemeine“ zitierte

Kemmerich, der selbst gern betont, wie weit diese zwei Jahre doch schon Vergangenheit liegen würden und wie übertrieben die Aufregung damals gewesen sei, scheint ein Ziel zu verfolgen: seine persönliche Rehabilitierung. Angekündigt hat er im letzten November, wieder als Spitzenkandidat zur Landtagswahl antreten zu wollen. Das Bundespräsidium und alle damaligen Landesvorsitzenden hatten ihm dafür ihre Unterstützung verweigert. Die Bundespartei hat das bis heute nicht revidiert. In Thüringen tut die FDP indes so, als störe sie dies nicht.

Am Wochenende tagt die Bundesversammlung. Aus Thüringen werden fünf Ministerpräsidenten teilnehmen. Bernhard Vogel (CDU), Dieter Althaus (CDU), Christiane Lieberknecht (CDU), Bodo Ramelow (Linke) und Thomas L. Kemmerich (FDP). Die Teilnahme kann auch als ein Schritt auf dem Weg zur politischen Rehabilitierung des Thomas L. Kemmerich gesehen werden.

Sollte ihm die Fortsetzung der politischen Karriere gelingen, was keineswegs ausgeschlossen ist, so verweist dies vor allem auf die Schwäche der politischen Parteien vor allem in den östlichen Bundesländern. Nur wenige Menschen sind in Parteien engagiert. Ohne Einmischung der Bundeszentralen der Parteien ist eben nicht alles besser.

Dorothee von Hoff ist 42 Jahre und lebt in Erfurt. Nach dem Studium der Angewandten Medienwissenschaft betreibt sie seit 2007 ein Holzhandelsunternehmen in vierter Generation. Seit 2018 Mitglied der FDP und deutlich länger schon politisiert. Das Jahr 2020 richtete den Fokus auf die Thüringer Verhältnisse.

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3 Gedanken zu “Nur „vergossene Milch“? Wie die FDP zwei Jahre später mit Kemmerich umgeht;”

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    In Thüringen sind ja Wahlen jetzt abgeschafft, von Ihrem SED-Landesvater. Also die liberalen Träume der BRD-FDP werden von Ihrem Genossen Ramelow exekutiert.
    Wie grauslig sind doch Demokratie, Meinungsfreiheit und AfD.

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    Sie schreiben, Frau von Hoff: Die Grüne Jugend twitterte jüngst: „KEIN PAKT MIT FASCHIST:INNEN – Vor 2 Jahren ließ sich der FDP Abgeordnete Thomas Kemmerich durch die faschistische AfD und die CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen. Tatsächlich aber hat es eine Kooperation zwischen AfD und FDP/Kemmerich es nie gegeben. Keiner der journalistischen Beobachter hat etwas zu Absprachen zu Tage gefördert. Und Sie setzen Anführungs, aber keine Abführungszeichen.

    Wie man an dieser Stelle nachrecherchieren muss, um zu erkennen, was die Grüne Jugend gesagt und was sie nicht gesagt hat, muss man an dieser Stelle und insgesamt Ihren Text dreimal lesen, um dann doch nicht zu wissen, worauf genau sie eigentlich hinaus wollen.

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      Um meinerseits deutlich zu sein: Kemmerich hat die mit den Stimmen der AFD erfolgte Wahl angenommen und sich damit auch von AFD-Abgeordneten zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen lassen. Von einer sonstigen, wie Sie schreiben, „Kooperation zwischen AfD und FDP/Kemmerich“ ist bei der Grünen Jugend überhaupt nicht die Rede. Sie „widerlegen“, was nicht behauptet wurde.

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