Eine Replik von Gretchen Dutschke-Klotz zu einem Essay von Alan Posener
Sehr geehrter Herr Alan Posener,
die Fähigkeit der 68er, die rassistische Geschichte ihres Landes zu erkennen und ihr entgegenzutreten, ist ein Erfolg der 1960er Revolte. Aber in den 1970er Jahren kam es zur Solidarität mit Palästina, ohne sich die Widersprüchlichkeit dieser Position in Bezug auf Israel klar zu machen.
Solidarität mit den Palästinensern war und ist notwendig, aber wir müssen fragen, wie zwei scheinbar widersprüchliche Dinge kombiniert werden können. Doch so widersprüchlich sind sie nicht. Wir sind gegen die Unterdrückung von Minderheiten, gegen ethnisch Säuberung, gegen Apartheid; wir sind für Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Damit löst sich der Widerspruch auf.
Wie auch immer Sie das Dilemma Ihrer Bearbeitung des Holocausts entscheiden, der Vorwurf des Antisemitismus traf immer wieder auf die 68er, auch wenn sie keine Antisemiten waren. Es gab Ausnahmen, Menschen, die antisemitische oder rassistische Aussagen und Handlungen machten. Diese wurde von den Medien herausgehoben und überspitzt dargestellt, wie die Medien das immer tun, denn übertriebener Klatsch verkauft sich gut. Das verzerrte die Wahrheit, führte zu absurden Anklagen. So ein Irrweg einzelner macht die Bewegung nicht antisemitisch. Es geht nicht, die gesamte Bewegung unter antisemitischen Generalverdacht zu stellen.
Das Israel-Palästina-Problem spielt in der Antisemitismus Diskussion eine große Rolle. Anti-Israel-Gefühle in den 1960er Jahren entstanden wegen Israels Behandlung der Palästinenser. Das wurde von einigen als Antisemitismus betrachtet. Aber ist das logisch? Eine bessere Erklärung der anti-israelischen Haltung, ist, dass wenn du verstehst, dass Unterdrückung einer ethnischen oder religiösen Gruppe anhand ihrer ethnischen oder religiösen Identität (was Nationalsozialismus tat) böse ist, dann musst du logischerweise israelische Unterdrückung der Palästinenser verurteilen. Das ist kein Antisemitismus, im Gegenteil.
Noch absurder war ein Angriff auf Dutschke, weil er Antisemitismus theoretisch nicht analysierte. Tilman Fichter schrieb:
„Dutschke meinte, dass es emotional unmöglich war, den Mord an den Juden in Nazi-Deutschland zu bewältigen; es würde uns völlig demoralisieren. Um die Konsequenzen aus dem Verbrechen der Nazis für unser politisches Handeln zu ziehen, sollten wir in die Zukunft schauen und durch in die Zukunft gerichtete Aktionen unsere Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der dritten Welt bauen. Gleichzeitig sollten wir unsere Beziehungen zu den linken Zionisten in Israel intensivieren, die Besatzungspolitik der israelischen Regierung in den palästinensischen Gebieten kritisieren. 1967 nach Gesprächen mit Helmut Gollwitzer und einigen Berliner SDS-Mitgliedern hatte Dutschke ein einseitiges Positionspapier des SDS-Vorstands gegen israelischen Chauvinismus verhindert und stattdessen eine genaue Analyse der Klasse und Machtstrukturen im Nahen Osten gefordert.“
Menschen als antisemitisch zu beschimpfen, ist eine beliebte Form der Denunziation geworden, die übermäßig von Israel-Lobby-Organisationen durchgeführt wird, um alle Kritik an der israelischen Apartheid-Politik zum Schweigen zu bringen. Sie wird vor allem gegen Juden benutzt, die Israel kritisieren, und in Deutschland funktioniert das wegen der anhaltenden Schuldgefühle auch besonders gut. Was heute getan werden muss, ist nicht nur, wie Dutschke vorschlug, Klasse und Machtstrukturen im Nahen Osten zu analysieren, sondern vor allem das Verhältnis zwischen humanistisch orientierten Juden und rechtsextremistischen rassistischen Juden in Israel, sowie zwischen Deutschland, den Juden und Israel zu analysieren.
Ein Punkt der Kritik gegen die 68er tauchte auf, der eine gewisse Gültigkeit hat. Sie hatten die Behandlung des Nationalsozialismus verallgemeinert; eine Analyse der Ursprünge des Faschismus statt des Nationalsozialismus ermöglichte, die Frage des spezifischen Antisemitismus im Nationalsozialismus, im Hintergrund stehen zu lassen. Dennoch meinte Cohn-Bendit, dass die 68er versucht haben, Theorien zu schaffen, die sie auf die gute Seite der Geschichte setzten (wo sie in der Tat waren), und sie haben sich immerhin mit ihren Eltern über Antisemitismus auseinandergesetzt. Aber es ging selten darum, wie der Antisemitismus aus der Kultur ausgelöscht werden konnte (sondern es ging, wie es von den jüdischen kritischen Philosophen gelernt wurde, autoritäre Strukturen auszulöschen).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Faschismus ein Phänomen war, das leichter zu bearbeiten war als der Antisemitismus, und die Scham über das was geschehen war, machte es schwierig, damit umzugehen. Es war eine unausgesprochene Annahme, dass eine demokratisch-sozialistische anti- nationalistische Gesellschaft nicht anfällig für Nazismus wäre und gleichzeitig Antisemitismus und Rassismus verbannen würde.
Es gab noch eine absurde Behauptung, die den verdeckten Antisemitismus der Rebellen zeigen sollte. Als Studierende von der Presse und Politik angegriffen wurden, verglichen sie ihre Lage als Sündenbock mit der der Juden als Sündenbock. Ihnen verdeckten Antisemitismus daraus zu unterstellten, ist abwegig, da es keineswegs gegen Juden gerichtet war. Zu behaupten, die 68er hätten so gedacht, um sich eine Rechtfertigung für Antisemitismus zu geben, ist nicht nur irreführend, sondern lächerlich. Es war auch kein Versuch, den Horror des Holocausts zu verharmlosen, denn für die 60er Generation war der Holocaust der Grundschock, der ihr Handeln überhaupt beflügelte mit der Absicht, dass sowas nie wieder geschehen konnte. Die jüdischen Seelen-Väter (Marcuse, Adorno, Bloch usw.) wurden nicht in erster Linie als Juden wahrgenommen, sondern als Menschen, die eine Einleitung für die Aufgabe dieser Erneuerung Deutschlands lehrten. Kritik an jüdischen Professoren, die sich gegen die Rebellion stellten, ist nicht Antisemitismus. Im Gegenteil, sie nicht zu kritisieren, eben weil sie Juden waren, wäre Antisemitismus.
Gretchen Dutschke-Klotz
Alles was zum Thema zu sagen ist hat Götz Aly in „Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück“ gesagt.
Im übrigen hatte die 68er- Bewegung nochmal gezeigt, was das Grundproblem des deutsch christlichen Antisemitismus ist. Das Kognitive Modell deutscher Christen über die Juden, das Daniel Goldhagen in „Hitlers willioge Vollstrecker“ beschrieben hat.
So kurze Zeit nach dem Holocaust, nachdem es in Europa kaum noch Juden gab, hatten die deutschen 68er nichts besseres zu tun, als die Juden über die halbe Welt nach Middle East zu verfolgen, um sich jenen an den Hals zu werfen, die mit aller Macht, die wenigen dem Holocaust entkommenen Juden ins Meer treiben wollten. Lesen wir die historischen Hintergründe in „Halbmond und Hakenkreuz:
Das „Dritte Reich“, die Araber und Palästina“ nach.
Sehr geehrter Herr Posener,
mit Verlaub, aber Gretchen Dutschke-Klotz derart in den mit Quellen reichlich belegten Antisemitismus eines erheblichen Teils der politischen Linken laufen zu lassen, war unsportlich.
Und, dann den wie mit einem Uhrwerk getakteten fatalen Satz, der kommen musste, zu zitieren, … unnoetig. Wie soll die Frau etwas erklaeren, was nicht zu erklaeren ist?
Zwischen der Position von Avigdor Lieberman, der grundsaetzlich alle Nichtjuden und den liberalen Teil der israelischen Bevoelkerung fuer antisemitisch haelt und der Resolution 181 aus dem Jahre 1947 ist genug Platz fuer Grautoene, und nicht alle erfuellen den Tatbestand des Antisemitismus. Es kommt, wie in der Liebe, allein auf die Wortwahl an.
Die 68er haben bereits gesprochen und haben es verkackt. Bekannt. Aber was gewinnt man, wenn man bekanntes Wissen wiederholt? Selbstbestaetigung? Geschenkt.
Die Autorin nimmt Kritiker Israels gegen Antisemitismusvorwürfe in Schutz, verwendet dann aber in ihrem Text die Formulierung „israelische Apartheid-Politik“.
Nanu. In einer Broschüre geht die Bildungsstätte Anne Frank davon aus, dass der Vergleich mit dem südafrikanischen Apartheidsregime nicht die Situation in Israel treffend beschreibt, sondern vielmehr der Dämonisierung Israels dient. Die dort aufgeführten Argumente überzeugen.
Zumindest mich.
Hallo Thorsten Haupts,
“… sondern Probleme konstruktiv und solidarisch zu diskutieren. ”
Meinen Ärger auf Grund der Art Ihrer Kritik an Gretchen Dutschke haben Sie registriert. Der Imperativ „Probleme konstruktiv und solidarisch zu diskutieren“, stelle ich selbstkritisch fest, gilt natürlich auch für mich. Bitte dies zu entschuldigen.
Deshalb ein neuer Anfang. Ich habe bereits im letzten Text darauf hingewiesen, dass jede Realpolitik einer Orientierung bedarf. Wohin soll politisch die Reise gehen? In China, Ungarn oder Polen orientieren die Regierungen sich offensichtlich an anderen Werten als beispielsweise in Deutschland. Der unterschiedliche historische Hintergrund spielt zwar auch eine Rolle. Politik ist aber auch immer die Kunst des Möglichen und damit gestaltbar. Politik sollte deshalb mehr sein als verwalten, sie sollte auch gestalten und dabei an demokratischen, liberalen und ökologischen Werten orientiert sein. Sie haben natürlich Recht. Gerade die Lage im Nahen-Osten ist kein Wunschprogramm. Fakt aber ist auch: Die bisherigen Politiken und Wege in Israel waren, gemessen am Wünschbaren und Möglichen, für alle daran Beteiligten, nicht besonders befriedigend. Vielleicht haben Hannah Arendt (auch Gretchen Dutschke), die in Israel von vielen wegen ihre Kritik am Zionismus und Nationalismus gehasst wird, doch recht. Die Zukunft wird es zeigen.
“… gilt es bis auf den heutigen Tag als der Gipfel der Lächerlichkeit, die Welt verbessern zu wollen. ”
… „Nur sollte sich die Verbesserungstheorie an den Menschen und Zuständen orientieren, die man in der freien Wildbahn findet, andernfalls ist die Theorie neben lächerlich auch noch hochgradig gefährlich.“
Ihrer Kritik stimme ich voll zu. Gleichwohl möchte ich auf meine obigen Anmerkungen hinweisen. Die Menschen wollen weder Krieg noch in Armut und ohne Rechte leben. Alle Menschen sehnen sich nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und sozialen Wohlstand. Die Verwirklichung von Menschenrechten ist kein sozialistisches Programm. Aufgabe von Politik ist, diesen Interessen nachzukommen. Diese Dinge können nur in Freiheit und in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft realisiert werden. Planwirtschaft und Diktatur erstickten Freiheit und verhindern soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand.
Viele Grüße
Halo Herr Heidelberger,
„Bitte dies zu entschuldigen.“ Gerne. Versehen mit dem Nachsatz – war nicht nötig :-). Wir sind hier in einer öffentlichen Diskussion, nicht beim Kafeekränzchen. Gefolgt von einem schamlosen Selbstlob – ich gehöre zu den wenigen, die im Einstecken genausogut sind, wie im Austeilen.
„Vielleicht haben Hannah Arendt (auch Gretchen Dutschke), die in Israel von vielen wegen ihre Kritik am Zionismus und Nationalismus gehasst wird, doch recht.“
Nein, haben sie nicht. Von den Juden nach der zweitausendjährigen ununtewrbrochenen Geschichtskette von Progromen gegen sie zu verlangen, auf einen Staat mit einer explizit jüdischen Mehrheit zu verzichten, ist die Aufforderung zum Selbstmord mit Ansage. Dafür habe ich kein, absolut kein, Verständnis.
„Die Menschen wollen weder Krieg noch in Armut und ohne Rechte leben. Alle Menschen sehnen sich nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und sozialen Wohlstand. “
Auf genau diesem hohen Abstraktionslevel ist das – irgendwie – wahr. Nur auch nur ein bisschen näher hinsehen darf man dann nicht. Was sehr viele Menschen in verschiedenen Weltgegenden darunter genau verstehen, zu welchen Bedingungen sie diese Umstände für sich selbst und für andere (oder auch nicht) wollen. Sieht man doch genauer hin, relativiert sich dieser angeblich gemeinsame Wunsch ALLER Menschen denn doch stark.
„Aufgabe von Politik ist, diesen Interessen nachzukommen. “
Der Auftrag von Politik wird in nationalstaatlich verfassten Demokratien (also alle heute existierenden) von deren Wählern bestimmt. Gilt damit zwangsläufig folgend nicht für alle Menschen, sondern „lediglich“ für alle Bürger (mit viel Glück für alle Einwohner) ihrer jeweiligen Nationen. Und was dem einen sein Uhl ist dem anderen sein Nachtigall.
„Planwirtschaft und Diktatur erstickten Freiheit und verhindern soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand.“
Das trifft in dieser Schärfe nicht zu. Soziale Gerechtigkeit im Sinne von sozialer Gleichheit (das ist, was die meisten Gerechtigkeitsapostel meinen) ist mit Planwirtschaft und Diktatur durchaus vereinbar, nur eben auf niedrigem Niveau und ohne Zukunftsaussichten. Für die anderen Punkte haben Sie Recht, allerdings fehlt bezeichnenderweise das, was für mich das wichtigste Merkmal von Demokratien ist – grösstmögliche individuelle Freiheit, ohne anderen direkt zu schaden.
Nur hat uns das alles von der Frage, ob und wo es linken Antisemitismus gab und gibt, weit weg geführt …
Gruss,
Thorsten Haupts
Hallo Herr Thorsten Haupts,
Platons Republik, schreibt Kant in der Kritik der reinen Vernunft, sei ein „Beispiel von erträumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Platz haben kann […]. Allein, man würde besser tun, diesem Gedanken mehr nachzugehen […], als ihn, unter dem sehr elenden und schändlichen Vorwande der Untunlichkeit, als unnütz beiseite zu setzen“. Alle modernen ethischen und politischen Theorien wurden aus der gleichen Denkhaltung entworfen. Auch alle großen politischen und sozialen Reformer hatten so gedacht und gehandelt, anstatt sich bloß passiv in die gegebenen Zustände zu fügen. In der Geschichte der Zivilisation hat die Idee des Möglichen immer diese Aufgabe erfüllt. Nach Cassirer ist es das symbolische Denken, das den Menschen mit einer Fähigkeit ausstattet, „der Fähigkeit, sein Universum immerfort umzugestalten“. Rudi Dutschke verkörperte diesen Geist, wenn er 1960 in einer Klassenarbeit Kant zitierte:
Der Mensch kann nicht groß genug vom Menschen denken […]. Um aber diese vorhandene Größe voll entfalten zu können, bedarf der Mensch der Freiheit.
Rudi Dutschke war überzeugt, dass der Mensch nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt seiner Geschichte sein kann: „Geschichte ist machbar.“
Wer sich ein wenig mit dem Nahen-Osten beschäftigt macht sich keine Illusionen über die Verzwicktheit der Problemlage. So paradox es klingen mag, in der Erfahrung dieser Problemlage liegt auch ein Moment großer Hoffnung. Ohne diese Hoffnung wäre z.B. Camp-David nicht möglich gewesen. Hannah Arendt hat schon kurz nach Gründung Israels in ihrer Schrift Der Zionismus aus heutiger Sicht darauf hingewiesen, dass eine Politik, die auf ethnischem Nationalismus und Ausgrenzung der Araber beruht, sich den guten Willen der Nachbarn verscherzt, nur auf Torheit beruhen kann. Juden müssten wissen, so Arendt, dass dies unvermeidlich zum Wiederaufflammen von Judenhass führen wird. Sie hatte leider recht. Genau an diesen Gedanken knüpft Gretchen Dutschke mit dem von Ihnen lächerlich gemachten Zitat an. Wie man unter den dortigen Verhältnissen „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“ umsetzt ist Aufgabe der dortigen Politiker.
Kant hält Hoffnung für eine moralische Pflicht. Gäbe es diesen Glauben an eine mögliche Verbesserung nicht, dann bliebe uns nur noch Zynismus und die Aufgabe von uns als Personen und die der Welt. Zynismus ist wie ein Gift, er verhindert, dass ein Mensch handelt, was er aber faktisch kann. Jeder kann etwas beitragen. Um Handeln zu können, müssen wir in der Lage sein zu hoffen. Für Kant war die Französische Revolution ein Zeichen der Hoffnung. Also „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“. Dabei hat er ganz sicher nicht an Robespierre gedacht.
Dass Sie sich in dieser Form gegenüber Frau Dutschke-Klotz aufblasen, und sich erdreisten, das noch als „sehr freundlich ausgedrückt“ zu bezeichnen, dann auch noch eines draufsetzen, indem Sie eine noch „unfreundlichere Betrachtungsweise“ in abstracto nachschieben, aus „Rücksicht auf die Gastgeber“ aber nicht ausführen und die ganze inhaltsleere Beschimpfung zynischer Weise auch noch mit einem Gruss beschließen, ist überaus unanständig; zudem Sie inhaltlich überhaupt nichts Nennenswertes oder gar Konstruktives beisteuern. Dabei haben Sie sich zum eigentlichen Schwerpunkt des Textes erst gar nicht geäußert, sondern nur zu einem Nebensatz, den Sie für sich zum Hauptsatz des Ganzen machten. Sinn und Zweck eines Debatten Blogs ist nicht andere fertig zu machen und zu triumphieren, sondern Probleme konstruktiv und solidarisch zu diskutieren.
Die Sichtweise auf Problemfelder ist vielfältig. Sicher ist ihnen nicht entgangen, dass es auch in Deutschland einen Widerspruch zwischen der normativen Verfasstheit unseres Gemeinwesens und der Wirklichkeit gibt. Wenn ich Ihren Einwand auf andere Verhältnisse anwende, dann könnte man das Grundgesetz oder gleich die Charta der Vereinten Nationen einstampfen. Ist denn jeder, der die Verwirklichung von menschenrechtlicher Normativität einklagt, „naiv und intellektuell schwachbrüstig“? Ohne diese Normativität keine Orientierung, keine Humanisierung, kein moralischer und menschlicher Fortschritt. Es gibt Leute (Carl Schmitt), die halten Menschenrechte für eine Lüge und das Grundgesetz für eine „Eselei“. Klar ist, die Verhältnisse sind nicht allein im Nahen-Osten ungleich komplizierter als in Deutschland, umso mehr braucht man einen Kompass. Nationalismus und Rassismus jeder Couleur, ist es nicht. Auch wenn Sie anderer Meinung sind, ist es nicht zu viel verlangt, respektvoll miteinander umzugehen.
Gerade unter Konservativen, von den sogenannten konservativen Revolutionären ganz zu schweigen, gilt es bis auf den heutigen Tag als der Gipfel der Lächerlichkeit, die Welt verbessern zu wollen. Von den einen werden sie abfällig „Gutmenschen“ oder „Traumtänzer“ genannt, von anderen, wie z.B. von Peter Sloterdijk, bedeutet das Einfordern von Solidarität und Menschenrechten entweder „Hypermoralismus“ oder ein „in Latenz gehaltener Jacobinismus“ oder gleich die Einführung des Kommunismus. Die konträre Anstrengung darf hingegen, bei Nörglern, Fatalisten, Zynikern, Pessimisten oder Nihilisten, immer auf eine gewisse Hochachtung rechnen. Davon gibt es genug, auch mit einschlägigen Blogs. Das Schüren von Ressentiments, das Wecken von niederen Instinkten, verkauft sich bekanntlich gut. Von anderen wird es als Mittel der Politik systematisch eingesetzt, mit den uns bekannten katastrophalen Folgen. Mit Lächerlichkeit, die der Verdrängung dienen soll, sieht sich besonders gestraft, wer Lehren aus der Geschichte ernst nehmen möchte. Zum Glück: „Lächerlichkeit allein tötet indessen nicht mehr.“ (H.M. Enzensbeger)
„… sondern Probleme konstruktiv und solidarisch zu diskutieren. “
Jau. Nachdem jemand angelaufen kam und ein ernsthaftes Problem wegdefinierte, weil „wir sind für Freiheit, Gleichheit und Solidarität.“ Ihr und mein Begriff von Höflichkeit und Zurückhaltung unterscheiden sich offensichtlich fundamental – unter halbwegs intelligenten und gebildeten Menschen war diese Eröffnung eine Unverschämtheit.
„… gilt es bis auf den heutigen Tag als der Gipfel der Lächerlichkeit, die Welt verbessern zu wollen. “
Mitnichten! Nur sollte sich die Verbesserungstheorie an den Menschen und Zuständen orientieren, die man in der freien Wildbahn findet, andernfalls ist die Theorie neben lächerlich auch noch hochgradig gefährlich. Der real existierende Sozialismus ist im Kern daran gescheitert, dass er einen Menschen voraussetzte, der nicht existierte und der auch durch Erziehung nicht geschaffen werden konnte.
Gruss,
Thorsten Haupts
Liebe Gretchen Dutschke,
Sie wehren sich gegen die Behauptung, „die 68er“ seien Antisemiten gewesen. Aber diese Behauptung stelle ich nicht auf. Ich behaupte erstens, dass die Bewegung anfällig gewesen sei für Antisemitismus in Gestalt des Antizionismus; und dass sie sich zweitens nie wirklich mit den Ursachen des Antisemitismus auseinandergesetzt hat.
Meiner zweiten Behauptung geben Sie Recht, und da hat auch Ihr ermordeter Mann keine rühmlich Rolle gespielt, wie der von Ihnen zustimmend zitierte Tilman Fichter belegt:
„Dutschke meinte, dass es emotional unmöglich war, den Mord an den Juden in Nazi-Deutschland zu bewältigen; es würde uns völlig demoralisieren. Um die Konsequenzen aus dem Verbrechen der Nazis für unser politisches Handeln zu ziehen, sollten wir in die Zukunft schauen und durch in die Zukunft gerichtete Aktionen unsere Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der dritten Welt bauen.“
Zu diesen „Befreiungsbewegungen“ zählte bekanntlich die PLO, die damals die Auslöschung des „zionistischen Gebildes“ forderte.
Womit ich bei meinem ersten Punkt bin. Sie schreiben im Zusammenhang mit Israel von „ethnischer Säuberung“ und „Apartheid“; von „Unterdrückung einer ethnischen oder religiösen Gruppe anhand ihrer ethnischen oder religiösen Identität (was Nationalsozialismus tat)“; Sie unterstellen eine mächtige „Israel-Lobby“, die „alle Kritik an der israelischen Apartheid-Politik zum Schweigen bringen“ wolle, wobei das in Deutschland „wegen der anhaltenden Schuldgefühle auch besonders gut“ funktioniere.
Damit belegen Sie genau das, was ich der Bewegung damals und vielen Linken heute vorwerfe. Ihr Antizionismus hat, was mich sehr betrübt, eindeutig antisemitische Züge.
Und zwar nicht, weil ich als Mitglied der „Israel-Lobby“ das sage. Sondern gemäß der Arbeitsdefinition des Antisemitismus des International Holocaust Remembrance Alliance.
https://www.holocaustremembrance.com/working-definition-antisemitism
Lieber Thorsten Haupts, ich verstehe, was Sie meinen. Aber Sie strapazieren auch einen sinnlosen Begriff: „Die Linken“. Wer bitte soll das sein und wen nehmen Sie aus.
M.F.. ‚Lieber Thorsten Haupts, ich verstehe, was Sie meinen. Aber Sie strapazieren auch einen sinnlosen Begriff: “Die Linken”. Wer bitte soll das sein und wen nehmen Sie aus.‘
… werte Fr. Prof, zunächst pardon, dass ich mich ungefragt an dieser Diskussionsorgie (Merkel) hier beteilige. ‚Die Linken‘, das ist zunächst ein von denen selber postulierter Begriff. Eine Kurzfassung für ‚Sozialistische Ideologie‘; das ist eine ‚antikapitalistische Bewegung‘.
Oder etwa wie Orwell es kurz gefasst hat; ‚gleichere Schweinchen‘ die verteilen wollen, was anderen gehört, ihnen selber dann aber das Meiste ‚zusteht‘.
Daher ist auch Antisemitismus, fast ausschließlich, antikapitalistisch motiviert. Aus dieser Nummer kommen ‚Die Linken‘, also Sozialisten aller Couleur, dank Marx/Engels und andere, trotz Gegenrede, nicht heraus.
Aber das wissen Sie doch. 😉
Hallo Frau Frommel,
auch wenn der Begriff ein wenig verkürzend sein sollte, fasst er er für mich treffend die zwei beherrschendenn Strömungen der achtziger/Neunziger und der 2000er wider, die man umgangssprachlich unter „links“ subsumiert: Neo-Marxisten/Anti-Imperialisten für die Vergangenheit, heute abgelöst durch Social Justice Warriors (die Melange aus intersektionellen Feministen, Anti-Rassisten und Anti-Kolonialisten).
Und zu ihrer Ehrenrettung muss man feststellen, dass die radikale Linke der Vergangenheit intellektuell überzeugender und theoretisch konsistenter argumentierte. Sie hatte damals auch noch eine in sich schlüssige Basistheorie (Marxismus) statt jener intellektuell armseligen Blähungen, die man heute ernsthaft als „Theorie“ adelt.
Gruss,
Thorsten Haupts
“ … wir sind für Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Damit löst sich der Widerspruch auf.“
Intellektuell schwachbrüstig, vollständig a-historisch und den real existierenden Menschen völlig ignorierend. Sehr freundlich ausgedrückt kindlich-naiv, die unfreundlichere Betrachtungsweise erspare ich diesem Blog aus Rücksicht auf die Gastgeber.
Macht aber klar, warum Linke – ernsthaft – glauben, sie KÖNNTEN gar nicht antisemitisch sein. Selbstbetrug galore …
Gruss,
Thorsten Haupts