Wann immer linken deutschen Intellektuellen die Politik der US-Administration nicht passt, suchen sie nach einer Verschwörung, die hinter jener Politik steht. Und landen regelmäßig beim emigrierten deutschen Juden Leo Strauss. Die Obsession deutscher Linker mit Strauss ist das Pendant zur Obsession deutscher Rechter mit den jüdischen Emigranten Horkheimer, Marcuse und der Frankfurter Schule. Beide Obsessionen sind, wie alle Obsessionen, abwegig.
In einem Artikel für die „Zeit“ – früher Leib- und Magenblatt deutscher Akademiker, inzwischen dank der eisern auf Harmlosigkeit getrimmten Linie Giovanni di Lorenzos eher Einschlafhilfe für Studienrätinnen – meint Thomas Assheuer die „Kaderschmiede“ hinter Trump entdeckt zu haben.
Trumps Programm „stammt in seinen Grundzügen aus einer kalifornischen Kaderschmiede, einem philosophischen Institut in der Kleinstadt Claremont“, schreibt Assheuer. „Dessen Mitglieder haben sich mit Haut und Haaren dem Denken des in die USA emigrierten deutschen Philosophen Leo Strauss (1899 bis 1973) verschrieben, und nicht einmal die zurückhaltende ‚New York Review of Books‘ lässt Zweifel daran, dass in Claremont „Trumps Hirne“ versammelt sind.“
Thomas Assheuer und die Tücken der Textanalyse
Nun, die „New York Review of Books” ist erstens nicht „zurückhaltend“, sondern in der Regel linksorientiert. Zweitens ist der Autor des Beitrags in jener Zeitschrift, aus dem Assheuer seine Erkenntnisse gewonnen (um nicht zu sagen: geklaut) hat, Jacob Heilbrunn, ein dezidiert linker Journalist und vormaliger leitender Redakteur der „New Republic“. Drittens behauptet Heilbrunn in besagtem Artikel zwar, dass die Leute aus Claremont – die „Claremonster“, wie sie sich selbst nennen – „Trumps Hirne“ seien. Diese Behauptung belegt er jedoch wie folgt: „At a gala dinner in February (2018), the (Claremont) Institute’s board chairman, Thomas D. Klingenstein, told some five hundred supporters, ‘Many Claremonsters [as they like to call themselves] have the ear of this administration and may help Trump take what he feels in his gut and migrate it to his head.’ He may be right.”
Also, der Chef eines Thinktanks behauptet vor Anhängern bei einem Gala-Diner, bei dem es bekanntlich um Geld, Geld, Geld geht, die Absolventen seines Instituts hätten das Ohr des Präsidenten. Das ist ungefähr so glaubwürdig wie die Geschichte der Bettler in der S-Bahn, die mein Geld haben wollen. Klingenstein ist immerhin ehrlich genug zu sagen, die Claremonster „könnten vielleicht“ – „may“ – Trump helfen, sein Bauchgefühl in Gedanken zu übersetzen. Also aus Scheiße Politik zu machen, was kaum dasselbe ist wie die Behauptung, sie seien „Trumps Hirne“. Heilbrunner schränkt weiter ein: „er könnte Recht haben“; und dann weiter ein: „This doesn’t mean that Claremont is setting administration policy.“
Genau das aber behauptet Assheuer: Trumps Programm „stammt in seinen Grundzügen aus einer kalifornischen Kaderschmiede“. Und gegen Ende seines Artikels verbindet Assheuer die Behauptung, die Claremonster seien Trumps „Vordenker“ mit einer antisemitischen Anspielung: „Es ist eine abgründige, noch gänzlich unbegriffene Ironie der Geschichte, dass völkische Intellektuelle weltweit ein ähnlich nationalegoistisches Programm verfolgen wie Trumps Vordenker.“ Die ja – das soll die Anspielung auf Strauss nahelegen – Juden seien.
Dabei nennt der Claremont-Kritiker (und Jude) Heilbrunn in dem Artikel, den gründlich noch einmal zu lesen man Assheuer nur empfehlen kann, folgende Ex-Claremonter, die in der Trump-Administration tätig sind, sämtlich übrigens in untergeordneter Funktion: Michael Anton, Marc Short, Brian Callanan, Steven Stafford und Neomi Rao. Keiner von ihnen ist Jude. Anton und Short haben die Administration schon wieder verlassen. So viel zu Trumps „Hirnen“ und „Vordenkern“ und zu Claremont als „Kaderschmiede“ der Trump-Administration.
Thomas Assheuer und die Mühen der Recherche
Und wie ist es mit Assheuers Behauptung, die Claremonster hätten sich „mit Haut und Haaren dem Denken des Philosophen Leo Strauss verschrieben“? Nun, abgesehen davon, dass die Wendung „mit Haut und Haaren“ aus einer intellektuellen Beziehung einer quasi-religiöse, kulthafte Anhängerschaft suggeriert: Zwar wurde das Institut von Harry V. Jaffa, einem Strauss-Schüler, gegründet, doch wird die Leitkultur der Claremonter von Charles R. Kesler wie folgt umrissen: „Some conservatives start, as it were, from Edmund Burke; others from Friedrich Hayek. While we respect both thinkers and their schools of thought, we begin instead from America, the American political tradition in all its genius and profundity …” Die Helden des Instituts sind Washington, Jefferson, Lincoln und Reagan; die Bösewichter Woodrow Wilson, Franklin Roosevelt und Barack Obama, die aus dem begrenzten Staat einen „Verwaltungsstaat“ gemacht hätten, den zu „dekonstruieren“ vornehmste Aufgabe des Konservatismus sei.
Strauss selbst war kein unmittelbar politischer Denker. Die Erfahrung der Weimarer Republik ließ ihn an der Überlebensfähigkeit der liberalen Demokratie zweifeln und nach jenen vorpolitischen Kräften suchen, die einer Gesellschaft Halt geben: Religion, Familie, Eigentum, Rechtsempfinden. Das machte den Emigranten zum Leitbild vieler Konservativer, die in der progressiv geprägten Roosevelt-Ära und in der Zeit danach, als selbst ein Richard Nixon mit der Bemerkung „Wir sind jetzt alle Keynesianer“ den Glauben an den Planungsauftrag und die Planungsallmacht des Staates formulierte, eher randständig waren. Von ihm aber eine direkte Linie zu Trump zu ziehen, das ist intellektuell so abenteuerlich wie der Versuch, in Herbert Marcuse den Stichwortgeber der Rot-Grünen Regierung 1998ff auszumachen.
Ultrarealisten und Neocons
In welche Widersprüche man sich dabei verwickelt, zeigt Assheuer, der die Begriffe „Straussianer“ und „Ultrarealisten“ als Synonme benutzt und deren Ideologie wie folgt umreißt: „Schon seit Langem predigen die ‚Claremonsters‘einen radikalen Isolationismus; jede Nation sei nur sich selbst verpflichtet und müsse in freier Wildbahn um ihr Überleben kämpfen. Leider werde Amerika bei diesem Kampf von innen behindert, ein linkes Kartell aus ‚Progressisten‘, Globalisten und politisch Korrekten nutze die Lücken des liberalen Rechts und falle der Nation in den Rücken.“ Wenig später schreibt der ‚Zeit‘-Mann: „Das wäre ein radikaler Bruch mit jenen neokonservativen Intellektuellen, die den völkerrechtswidrigen Irakkrieg seinerzeit als kühnen Vorgriff auf die künftige Weltordnung gerechtfertigt hatten – als selbstlose Tat des guten Hegemons, des Zugpferds des Weltgeistes, des Treuhänders von Demokratie und Menschenrechten.“
In der Tat. Die Neocons – heute die glühendsten Gegner Trumps – haben gehofft, Amerikas „unipolaren Moment“ zu nutzen, um die liberale Demokratie auszuweiten, ausgehend von Immanuel Kants Überlegung, dass nur ein Weltbund freier Republiken in der Lage wäre, den „ewigen Frieden“ zu garantieren, und dass die politische Unterdrückung etwa in der muslimischen Welt die Hauptursache des Terrors sei. Ob man nun diese Ideen überzeugend findet oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden. Der hier interessierende Punkt ist: damals, als die Neocons tatsächlich „das Ohr des Präsidenten – George W. Bush nämlich – hatten, wurde auch ihnen unterstellt, sie seien eine Art Kabale von Schülern – wessen wohl? Genau: des Juden Leo Strauss. So konnte man es etwa im „Spiegel“ lesen.
Der „Spiegel“ entdeckt eine jüdische Verschwörung
„Ein geheimnisvoller Zirkel von Beratern und publizistischen Helfern um den US-Präsidenten George W. Bush gibt seit Wochen Anlass zu allerlei Verschwörungstheorien und Debatten“, so das Blatt vor 15 Jahren. „Das Idol der Clique, heißt es, sei der deutsch-jüdische Philosoph Leo Strauss.“
Geheimnisvoller Zirkel, Clique, Idol … Man kennt die Sprache. Die „Straussianer“, so die damalige „Spiegel“-Erzählung von den neuen Weisen von Zion, „gelten als eine neokonservative Verschwörergruppe, als kleiner, elitärer Orden, der der Regierung Bush die Wege weist – und wenn es krumme Wege sind, ihr das gute Gewissen besorgt. Sie finden sich unter den Richtern im Supreme Court, sie arbeiten im Weißen Haus und im Pentagon.“ Paul Wolfowitz wird in dem Artikel genannt, Abram Shulsky, William Kristol, Leon Kass, Richard Perle – sämtlich Juden. Die „Straussianer formieren sich zu einer Avantgarde der konservativen Revolution, die im Grunde genommen die Idee der liberalen Demokratie verachtet“, so der „Spiegel“. „Die Spinne im Netz ist bei alldem der kleine, exzentrische Professor aus dem Weimar-Deutschland, der ein Verächter der Aufklärung war und den demokratischen Liberalismus für einen Sündenfall der Politik hielt.“ Dass diese jüdische „Spinne“ da schon 30 Jahre tot war – was kümmert das ein Blatt, dessen Leser angeblich „mehr wissen“, und das Fake News längst verbreitete, als es den Begriff noch gar nicht gab.
Denn dass die Neocons die „liberale Demokratie verachten“, ist so verleumderisch wie leicht widerlegbar. Zu ihnen gehörte damals Francis Fukuyama, dessen Buch vom „Ende der Geschichte“ der wichtigste theoretische Leitfaden der Neocons war. Darin behauptete Fukuyama, das „Ende“, also das teleologische Ziel der Geschichte sei eben jene liberale kapitalistische Demokratie, die Wolfowitz und Co. angeblich verachteten. In der Europäischen Union sah Fukuyama dieses „Ende“ der Geschichte vorweggenommen.
Die politische Lüge als jüdische Erfindung
Das alles ficht den „Spiegel“ nicht an. Aus der angeblichen Tatsache, dass Strauss das Recht des Herrschers zur „frommen Lüge“ verteidigt habe, was übrigens von Macchiavelli über Luther bis Thomas de Maizière jeder getan hat, der je sich mit Politik befasst hat – schließt das deutsche „Nachrichten“-Magazin messerscharf: „Die zum Teil fingierten Gründe für den Krieg gegen Saddam Hussein sind, so gesehen, das philosophische Erbe des Emigranten aus Deutschland.“ Klar. Der Jude ist schuld. Grad so, als würden Politiker, wenn es Strauss nicht gegeben hätte, nie lügen. Mit scheinbarer Empörung registriert der „Spiegel“: „So entsteht eine Verschwörungstheorie, wonach Strauss der Marionettenspieler ist, an dessen Fäden die Regierung Bush hängt.“ Wie gesagt, 30 Jahre nach dessen Tod. „Dabei sind antisemitische Obertöne – Strauss als ‚Nazi-Jude‘ – kaum zu überhören, zumal viele seiner Schüler jüdische Namen tragen.“ Sie „tragen“ nicht jüdische Namen. Sie sind Juden. Und nirgends unternimmt der Spiegel auch nur den Versuch, den Vorwurf von den „Nazi-Juden“ zu entkräften. Im Gegenteil.
Wenn Es aus ihnen sprechen muss
Aber egal. Der Punkt ist dieser: wenn sich unter den „Ultrarealisten“ einerseits und den idealistischen Neocons andererseits Schüler von Strauß-Schülern befinden, so beweist das allenfalls, dass die Gedanken eines Philosophen manchmal merkwürdige und gegensätzliche Wege gehen. Wer sich je mit Marx oder Nietzsche, Adorno oder Foucault beschäftigt hat, weiß das. Hätte Assheuer mehr gelesen als die Überschrift des Artikels, dem er seine Thesen entnahm, er hätte eine interessante Passage über die erbitterten Kämpfe zwischen „Ostküsten-Straussianern“ und „Westküsten-Straussianern“ lesen können, aus denen hervorgeht, dass Strauss – wie jeder toter Denker – längst zum Steinbruch geworden ist, aus dem sich verschiedene Leute für ihre verschiedenen Gedankengebäude nach Gusto bedienen.
Wer freilich nach „Kaderschmieden“ und „Stichwortgebern“, nach „Vordenkern“ und „Cliquen“, nach Verschwörungen und geheimen Welterklärungen sucht, der landet meistens früher oder später beim Juden. Es denkt halt so in ihnen, rinks wie lechts.
Lieber AP,
das ist doch ein alter Hut. Spätestens seit Weimar macht diese Trennung keinen Sinn mehr.
Sinnvoller ist eine Unterscheidung in Humanisten und Sozialisten. Während Humanisten den Menschen in den Mittelpunkt stellen, ist für den Sozialisten der Mensch nur ein Produkt seiner Umwelt. Deshalb gibt es auch nur im Sozialismus Umerziehungslager, um sich den idealen Menschen zu formen. Ebenso wichtig für das sozialistische Weltbild ist aber auch der innere Feind, wie Herr Gedeon schreibt, nur dieser eignet sich für die Projektion allen Übels ohne den man in einer perfekten Welt leben könnte.
Wir sollten uns lieber aktuellen Themen widmen.
Ich persönlich bringe selbst Autoren wie Gehlen u. Adorno unter eine Haube, oder Böll und Jünger. Und ja, Verschwörungen halte ich ebenfalls für eine Schwäche, das Multifaktorielle oder auch das Triviale als Erklärung großer Dinge auszuhalten. Sind die Naturwissenschaften nicht die Erfolgsgeschichte, große Dinge an kleine als ihre Ursache zu knüpfen? Am Beispiel „Verschwörung“: auf den Dr. No bzw den Jooden zu verzichten und lieber noch Adorno zu folgen, daß sich vieles aus der Schwächlingsnatur des Menschen erklärt (Studien zum autoritären Charakter). Ich denke das meiste erklärt sich aus der Grundtriebkraft des Menschen, den Neid und die Feigheit. Bzgl. der Kategorie „Kulturpessimismus“…..man nenne mir ein Werk von Rang ohne einen Sockel soliden Kulturpessimismus..
„Adorno war natürlich Kulturpessimist, wie Strauss.“ Nicht ganz zu Unrecht wie es mir scheint. Ich hoffe nur, daß im Menschen doch Kräfte arbeiten, die seine Neigung zur Selbstdestruktivität daran hindern werden, daß sie mal wirklich zum Tragen kommen. Ich war zeit meines Lebens eher optimistisch. Aber die Realität zwingt mich auf meine alten Tage, die Welt, die menschliche ein wenig anders zu sehen. Das ist zwar nicht lustig, doch notwendig. Und doch will ich meine Hoffnung nicht aufgeben.
Das ist vielleicht ein wenig(?) verrückt, aber dann bin ich halt verrückt. Mit meinen 87 Jahren werde ich sicher nicht mehr normaler.
lg
caruso
Immerhin Leo Strauss mal kurz und knapp erklärt, sodass man es sich merken kann.
… jo, man, und ich bin Philosemit seit meinem 6.n Lebensjahr. In etwa. 😉
Wie schrecklich.
… Levi’s schrecklich? … puuuh, das kann nur ein Schotte/a> behaupten. 😉
Nix für ungut, hans, eine boombastische Werbung macht noch keine bequeme Jeans. Mir sind Wrangler und Lee lieber. Aber das ist Geschmackssache.
@Opa, (ein wenig o.t., möge APo mir vergeben.)
… Goethe zum ‚Geschmack‘, hatten wir schon – Parabase.
Freudig war vor vielen Jahren
Eifrig so der Geist bestrebt,
Zu erforschen, zu erfahren,
Wie Natur im Schaffen lebt.
Und es ist das ewig Eine,
Das sich vielfach offenbart.
Klein das Große, groß das Kleine,
Alles nach der eignen Art. (Muddy Waters ist ’ne Wucht.)
Immer wechselnd, fest sich haltend,
Nah und fern und fern und nah;
So gestaltend, umgestaltend –
Zum Erstaunen bin ich da.
„Die Helden des Instituts sind Washington, Jefferson, Lincoln und Reagan; die Bösewichter Woodrow Wilson, Franklin Roosevelt und Barack Obama, die aus dem begrenzten Staat einen „Verwaltungsstaat“ gemacht hätten, den zu „dekonstruieren“ vornehmste Aufgabe des Konservatismus sei.“
Adorno also ein Konservativer – er war es der auch schon vorm Verwaltungsstaat warnte. Vielleicht hat er ja bei dem älteren Strauss etwas abgeguckt.
Um auf ein anderes Thema umzuleiten: ein BGE oder eine negative Einkommenssteuer könnte den innenpolitischen Frieden und Moral sichern. Und Deutschland nicht noch weiter zum Flegelstaat werden lassen, der neuen Einwohnern, wie in Bayern passiert, das Geld wegnimmt.
Interessanter Hinweis. Adorno war natürlich Kulturpessimist, wie Strauss.
Auf diesem Planeten mit dem ganzen Gülle-Diebstahl kann man ja auch nur noch Kulturpessimist werden…
Sehr interessant. Vielen Dank!