Michael Theurer, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag teilte gerade mit, seine Fraktion beantrage noch in dieser Woche die „Abschaffung der Zeitumstellung“. Was für eine gute Nachricht! Den Umstand, dass wir Menschen die Zeit noch nie umstellen konnten und auch nie ändern werden, sondern immer nur unsere Uhren verstellen, übersehe ich wohlwollend. Doch der genaue Blick auf die FDP-Forderung löst allergrößtes Entsetzen und lautes Schrillen von Alarmglocken aus.
Die FDP möchte die jetzige Situation noch viel schlimmer machen, als sie ohnehin schon ist. Sie plädiert für eine ganzjährige Einführung der so genannten Sommerzeit! (siehe diesen Beitrag in der WELT) Einmal mehr offenbart die Partei damit ihre Eigenschaft, sich beliebig eines Modethemas zu bemächtigen und mit zielsicherer Hand genau die falsche Schlussfolgerung zu ziehen. Recherchiert in der FDP denn niemand? Werden hier keine Wissenschaftler oder andere Experten gefragt? Geht es nur ganz populistisch nach irgendeiner Meinungsmasse? Fakt ist: Selbstverständlich gehört die dämliche Uhren-Umstellung abgeschafft. Aber genauso klar ist auch, dass danach nur die Normalzeit als einzig gültige Zeit ganzjährig gelten darf. Deshalb heißt sie ja Normalzeit! Die Wissenschaft erklärt uns, warum das so ist. Und wir sind gut beraten, den WissenschaftlerInnen mehr zu glauben, als unserem Bauchgefühl.
Durch die so genannte Sommerzeit (MESZ; eigentlich Osteuropäische Zeit, OEZ) steigen vermutlich Gesundheitsrisiken bei vier Fünfteln der Bevölkerung. So lautet das Fazit aus jahrzehntelanger und jüngst nobelpreisgekrönter chronobiologischer Grundlagenforschung. Es erstaunt, dass sich in den Parlamenten der EU und Deutschlands dennoch keine Mehrheit für eine simple, rundum positive Maßnahme ohne negative Begleiterscheinungen findet: die Uhren-Umstellung endlich abzuschaffen. In zahlreichen Ländern der Europäischen Union (EU) haben sich mittlerweile Initiativen zur dauerhaften Beibehaltung der Normalzeit gegründet. Sehr viele Bürger und Politiker etwa aus Finnland, Polen, Ungarn, Tschechien, den Niederlanden, Belgien und Frankreich, aber natürlich auch aus Deutschland oder Österreich fordern im Rahmen dieser Initiativen eine Abschaffung der Uhren-Umstellung auf die so genannte Sommerzeit. Das EU-Parlament hat nicht zuletzt als Reaktion darauf im Februar 2018 beschlossen, die Folgen einer solchen Änderung eingehend zu prüfen. (Das kann dauern!)
Am kommenden Wochenende steht erneut eine Uhren-Umstellung an. Wir werden danach sieben Monate in einer Zeitzone leben (OEZ), die eigentlich für die Ukraine, Weißrussland oder Griechenland gedacht ist. Das bleibt nicht ohne Folgen, weshalb ich gemeinsam mit dem Erlanger Arzt und Initiator der bislang größten Petition gegen die Uhren-Umstellung, Hubertus Hilgers (bis heute mehr als 94.500 Unterzeichner) hier die wichtigsten Argumente für eine Rückkehr zur ganzjährigen Normalzeit anführen möchten. Begleitet wird unser Anliegen durch eine Stellungnahme des renommierten Chronobiologen Till Roenneberg von der Ludwig Maximilians Universität München, der den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Thema zusammenfasst.
Weite Teile der europäischen Bevölkerung leiden mehr oder weniger bewusst unter den negativen Folgen der Uhren-Umstellung. Grob geschätzt handelt es sich dabei um jene vier Fünftel der Menschen, die Werktags einen Wecker zum Aufstehen benötigen. Der einst erhoffte wirtschaftliche Nutzen der MESZ hat sich nicht eingestellt. „Gemessen an der Zielsetzung des Stromsparens ist die Sommerzeit ein Flop“, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ über die Resultate einer aktuellen Metaanalyse zum Thema.
Es mag wichtigere Probleme auf dieser Welt geben als die erzwungene Verstellung der Uhren. Aber es gibt auch nur wenige Dinge, die leichter zu ändern sind. Je nach Rechtsauffassung müssten die EU-Kommission und/oder die Regierungen der Mitgliedsländer lediglich beschließen, die Uhren nicht mehr zu verstellen. Es gäbe überhaupt keinen weiteren Aufwand. Nichts müsste zusätzlich geschehen. Diese Maßnahme sparte sogar Geld: Direkt, weil die Verstellungskosten wegfielen. Und indirekt, weil ein großer Teil der Bevölkerung nach den Vorhersagen der chronobiologischen Grundlagenforschung sehr wahrscheinlich gesünder, kreativer, besser gelaunt und ausgeschlafener wäre. (Der Rest der Bevölkerung hätte keinen Schaden.)
Chronischer Schlafmangel und ein Leben im falschen biologischen Rhythmus erhöhen vielen wissenschaftlichen Befunden zufolge das Risiko für fast alle Volkskrankheiten, darunter Depressionen und viele andere psychische Leiden, Stoffwechselkrankheiten wie Adipositas und Typ-2-Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Schlaganfall und Herzinfarkt. Allein die Kosten, die das Gesundheitssystem durch eine ganzjährige Beibehaltung der Normalzeit (Mitteleuropäische Zeit, MEZ) einsparte, wären logischerweise immens. Till Roenneberg, Professor für Chronobiologie an der LMU München, schreibt dazu in der Stellungnahme zur „Sommerzeit aus Sicht der chronobiologischen Medizin“: „Die Kosten, die sich aus dem Leben gegen die innere Uhr und aus Schlafproblemen ergeben, werden für Deutschland auf fast 60 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.“ Zumindest ein Teil dieser Kosten könnte durch die Abschaffung der MESZ eingespart werden.
Die Zeit wird übrigens am kommenden Wochenende – anders als der üblicherweise verwendete Begriff „Zeitumstellung“ suggeriert – nicht verändert. Alle Menschen stehen wegen der verstellten Uhren eine Stunde früher auf. Am Abend fällt es ihnen aber wegen ihrer vom unveränderten Sonnenstand (da die Zeit ja nicht verändert wurde) justierten biologischen (inneren) Uhren schwer, eine Stunde früher einzuschlafen. Entweder gehen sie bezogen auf die Zeit auf ihren Uhren später zu Bett als während der Normalzeit oder sie liegen länger wach, bevor sie einschlafen – oder sogar beides. In jedem Fall ist die Folge, dass sie weniger Schlaf bekommen als wenn die Uhren nicht verstellt worden wären. Und das gilt übrigens nicht nur für die Tage nach der Uhren-Umstellung sondern letztlich für die folgenden sieben Monate bis zur Rückkehr in die Normalzeit. So lauten einige der logischen Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Chronobiologie – jener Disziplin, deren Vertreter sicher nicht ohne Grund im Jahr 2017 den Medizin-Nobelpreis erhalten haben (PM des Nobelkomitees). Ich habe an dieser Stelle im Beitrag „Hochverdient und überfällig“ bereits darüber geschrieben.
Chronobiologen fanden heraus, dass unsere inneren Uhren sich darauf einstellen, wann die Sonne ungefähr am Höchststand steht. (Tageslicht am Morgen stellt die inneren Uhren vor, Tageslicht am Abend stellt sie zurück.) Daran ändert sich durch die Uhren-Umstellung nichts. Was sich ändert, ist, wie bereits erwähnt, dass wir in der MESZ eine Stunde früher aufstehen und abends nur selten eine Stunde früher einschlafen können. Genau das nennt man einen sozialen Jetlag, und der ist schlafraubend und ungesund (siehe dazu die Stellungnahme von Till Roenneberg oder auch sein Buch Wie wir ticken, Dumont 2012). Letztlich verstärkt die Uhren-Umstellung im März also die ohnehin schon negativen Folgen des schlafgefährdenden Lebens in der modernen 24/7-Gesellschaft wie Schicht- und Nachtarbeit, zu frühe und unflexible Schul- und Arbeitszeiten sowie mangelhafte Pausen- und Freizeitkultur. (Siehe dazu auch mein Buch Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft, Hanser oder dtv)
Hinzu kommen die direkten Folgen der Uhren-Umstellung: In den Tagen danach häufen sich Verkehrsunfälle, Arztbesuche und Herzinfarkte. Vermutlich ist im März hauptsächlich der Schlafmangel wegen der verkürzten Nacht daran schuld, denn es gibt Hinweise, dass die Umstellung im Oktober sogar positive Effekte hat, etwa eine Verringerung der Herzinfarktrate in den kommenden Tagen.
Von Befürwortern der Uhren-Umstellung wird häufig argumentiert, wir würden uns ja auch auf Fernreisen sehr schnell an eine Umstellung um eine Stunde oder mehr anpassen. Doch dabei handelt es sich tatsächlich um eine biologisch gewollte und äußerst sinnvolle Anpassung unserer inneren Uhren an die äußere Zeit, vorgegeben durch den Lauf der Sonne. Genau der Umstand, dass uns das so gut gelingt, belegt deshalb das Gegenteil von dem, was er belegen soll: Er zeigt, wie schwer es vielen Menschen fallen muss, sich an die so genannte Sommerzeit zu gewöhnen. Diese ist nämlich eine Verstellung der Uhren, ohne dass die Sonne Ihren Lauf verändert. Die jetzige Situation entspricht letztlich einer Flugreise in eine andere Zeitzone, bei der man leider vergessen hat, die Uhr umzustellen und deshalb permanent zur falschen Zeit aufsteht und zu Bett geht.
Ein zweites Argument vieler Befürworter der MESZ lautet, wir hätten wegen des früheren Aufstehens abends eine Stunde mehr Freizeit, die wir zum Teil am Tageslicht verbringen, was wiederum gesund sei. Leider geht diese Rechnung wie bereits beschrieben zulasten unseres Schlafs. (Noch viel schlimmer als der jetzige Zustand wäre deshalb auch die ganzjährige Einführung der MESZ, wie sie derzeit wieder von manchen Politikern – allen voran aus der FDP – gefordert wird.) Einzig sinnvoll scheint hingegen, die Uhren in der Normalzeit, MEZ, zu belassen, und vermehrt während Pausen am Vormittag oder vor der Arbeit bzw. der Schule ans Tageslicht zu gehen. Denn Licht am Morgen und Vormittag hat biologisch gesehen die gegenteilige Wirkung als Licht am Nachmittag und Abend.
Chronobiologe Roenneberg schreibt dazu: „Wir sollten den chronobiologischen Stress nicht verdoppeln sondern schlicht abschaffen.“ Das ist ein Satz, den sich die FDP genau durchlesen sollte, denn sie hat exakt das Gegenteil vor, nämlich den chronobiologischen Stress durch eine ganzjährige „Somnmerzeit“ zu verdoppeln. Vermutlich wird das aber niemand in der Fraktion des Michael Theurer hören wollen. Dabei lohnt es sich außerordentlich, im Statement des Experten weiter zu lesen. Dort steht auch: „Die Sommerzeit sattelt für sieben Monate bei den meisten Menschen eine weitere Stunde auf den bereits bestehenden sozialen Jetlag drauf“. Diese Aussage sei „untermauert“ durch „begutachtete wissenschaftliche Literatur“. Dass diese Tatsachen noch keine politischen Folgen hätten, lasse vermuten, dass „Politiker diese Zusammenhänge nicht kennen oder nicht begreifen“.
(Ergänzung vom 21. März 2018: Erfreulicherweise lesen sogar die erwähnten Entscheidungsträger Beiträge auf diesen Internetseiten, weshalb ich hier eine Anmerkung wiedergeben möchte, die mich per E-Mail aus dem Büro des MdBs Theurer erreichte: „In diversen Medienberichten wurde der Eindruck erweckt, die FDP werde die Einführung der Sommerzeit als Normalzeit beantragen. Dies ist nicht der Fall. Im ursprünglichen Begründungstext des Antrags wurden Argumente dafür aufgeführt, um eine Diskussion zu starten. Dadurch wurde bei einigen Journalisten offenbar der falsche Eindruck erweckt, die FDP beantrage das auch. Aus diesem Grund wurde der entsprechende Absatz für die beim Bundestag eingereichte Fassung gestrichen.“
Ich nehme das jetzt als äußerst positive und erfreuliche Reaktion auf die intensivierte Auseinandersetzung im Rahmen der Diskussion um die Uhren-Umstellung, und freue mch riesig darüber, dass auch die FDP nachdenklicher in dieser Sache wird.)
Wenn Fliegen um Scheiße kreisen……..
Bin Krankenschwester der Psychiatrie gewesen und dankbar nun endlich nicht mehr
dieser Zeitumstellung ausgesetzt zu sein.
Mein Mann ist Kunstmaler, an keine Zeiten gebunden, hat Tageslichtröhren im Atelier
und aus meiner Sicht einen gestörtes Schlafverhalten, wirkt ständig übermüdet und ist in den letzten Jahren massiv gealtert….
Selbst kenne ich Untersuchungen aus dem Schlaflabor…….
Peter Spork, sie haben einfach recht, basta.
Liebe Frau Brunner,
auch ich kenne einen befreundeten Künstler, der früher bis spät in die Nacht mit Tageslichtlampen gezeichnet hat, und sich über seine Schlafstörungen beschwerte. Er hat das auf mein Anraten hin heute geändert und wird viel früher schläfrig. Im Buch „WAke up!“ habe ich darüber sogar am Rande berichtet.
Alle Sonnenscholastik hin oder her – Empirie schlägt Theorie: ich saß gerade eine Stunde in der Sonne, er Vergnügen, das es ohne Zeitumstellung nicht gegeben hätte!
Um 14:21 h MESZ bzw. 13:21 h MEZ scheint die Sonne. Kaum zu glauben.
Offensichtlich hat man h i e r die Zeit noch nicht umgestellt – ich habe meine Botschaft halb Fünf Ortszeit abgesetzt! Und Sie, Herr Spork, können Sie ja auch frühestens erst dann empfangen haben und kommentiert haben – Ihr Zynismus bleibt somit … seltsam.
… ich erhalte keine Nachricht, wenn neue Kommentare eingehen. Ich muss mich hin und wieder aktiv einwählen und schauen, ob was Neues da ist. Da ich auch sonst eine Menge zu tun habe, mache ich das natürlich nicht ständig und verlasse mich deshalb auf die Uhrzeit, zu der ein Kommentar angeblich laut System eingegangen ist. Ich wusste nicht, dass diese offenbar verkehrt ist.
ach so: es ist jetzt 19:55!
Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole, lieber Seidwalk: Es ist schön, dass Sie das abendliche Licht um 16:30 h MESZ genießen. Sie hätten das auch tun können, wenn wir alle weiterhin in der MEZ lebten, Sie aber eine Stunde früher zur Arbeit gegangen wären (so wie heute auch :-), mit dem kleinen Unterschied, dass sich nicht der Rest der Bevölkerung Ihnen hätte anschließen müssen). Für Sie wäre der einzige Unterschied gewesen, dass Ihre Uhr dann 15:30 h angezeigt hätte.
Lieber Herr Spork,
folgendes Gedankenexperiment: Angenommen, es gäbe keine Sommerzeit (sondern ganzjährig die ‚Normalzeit‘). Aber um des Tageslichtes willen (oder von mir aus auch aus anderen Gründen), würde alle (also einvernehmlich Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Politiker, Beamte, etc.) sich darauf einigen, alles (Arbeitszeiten, Schulzeiten und alles weitere) ab Ende März eine Stunde früher beginnen und enden zu lassen. Dann hätten wir doch 1:1 die Bedingungen der Sommerzeit (bei gleichzeitiger ‚Normalzeit‘ auf allen Uhren). Oder nicht?
Was wäre dann? Würde das auch zu Unfällen und Depressionen führen? Oder soll ernsthaft der Unterschied zwischen 12°° Sonnenhöchststand vs. 13°° Sonnenhöchststand eine Rolle spielen? Die Uhrzeiten und Zeiteinteilungen in Stunden und Minuten sind doch Erfindungen des Menschen, die der Organismus gar nicht kennt (kein Tier kann Uhren lesen).
Ich gehe zweimal wöchentlich mit Gleichgesinnten im Grünen laufen, jeweils um 19°°. Und bin heilfroh, dass jetzt wieder ‚Sommerzeit‘ ist, damit wir im Hellen laufen können (und würde deshalb auch eher für die Abschaffung der Winterzeit bzw. ‚Normalzeit‘ stimmen).
Im Rahmen des obigen Gedankenexperimentes würden wir stattdessen natürlich einfach um 18°° laufen. Aber warum das gesünder/besser sein sollte, müssten Sie mir erstmal erklären.
Lieber Herr Mörschbach, bitte entschuldigen Sie, aber können Sie nicht lesen? Ich habe ausführlich erklärt, warum es einen Unterschied macht, ob man in der MESZ lebt oder in der MEZ. Außerdem habe ich zu der Stellungnahme eines weltweit anerkannten Chronobiologen verlinkt, der es auch noch mal mit einer Erklärung versucht. Bitte lesen Sie beides doch einfach noch mal. Ich habe keine Lust, mich hier zu wiederholen.
Und was Ihr Gedankenexperiment betrifft. genau das habe ich in meinem Buch „Wake up!“ auch schon durchgespielt. Im Unterkapitel „Warum die Sommerzeit ein Fehler ist“ heißt es dort ab Seite 127: „Es ist der 7. April 1980, als durch Deutschland eine Welle riesiger spontaner Demonstrationen wogt. Statt wie jeden Montag in die Schule zu gehen, stürmen Millionen Kinder die Rathausmärkte der Republik. Sie schreien, pfeifen und toben: „Gebt uns unsren Schlaf zurück!“ Viele Eltern kommen mit. Sie demonstrieren nicht nur für die Rechte der Kleinen sondern auch für sich. Holen die Schüler Luft, skandieren die Eltern voller Wut: „Wo ist nur der Morgen geblieben? Ihr habt ihn uns gestohlen.“
Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf. Tags darauf kommt das gesellschaftliche Leben völlig zum Erliegen. Eine endlos lange Woche ziehen sich die Proteste hin. Dann lenken die Politiker ein. Bundeskanzler Helmut Schmidt tritt vor die Presse und verkündet, ab sofort werde die neue Regelung zurückgenommen. Kein Bürger müsse mehr eine Stunde früher als gewohnt zur Arbeit oder in der Schule erscheinen.
Man habe sich durch die Maßnahme, die Arbeits- und Schulzeiten nach vorne zu verlegen, erhofft, das Tageslicht während der Sommermonate besser auszunutzen und Energie zu sparen. Dass dieses Ansinnen auf derart hartnäckigen Widerstand stoße, habe man nicht erwartet. „Wir regieren niemals gegen das Volk“, sagt Schmidt und kündigt an, das neue Gesetz baldmöglichst außer Kraft zu setzen.
Natürlich ist dies eine fiktive Geschichte. Die Wirklichkeit sah anders aus: In der Nacht vom 5. auf den 6. April 1980 wurde nach langer Pause erneut die Sommerzeit in Deutschland eingeführt. Am folgenden Montag, den 7. April, standen Abermillionen Menschen eine Stunde früher auf als sonst. Protestiert haben sie nicht. Denn ihre Wecker zeigten ihnen das Problem nicht an. Die Aufstehzeit war rein äußerlich die Gleiche geblieben. Dennoch waren die meisten Menschen hundemüde. Ihre innere Zeitmessung ließ sich nämlich nicht so leicht überlisten. …“
Das gesamte Unterkapitel können Sie übrigens hier als Lesprobe lesen. Noch besser wäre natürlich, Sie gönnten sich das Buch, kostet bei dtv nur 9,90 EUR. Gut investierters Geld, denke ich. Das Kapitel 4 beginnt auf Seite 103 und heißt „Schafft die Sommerzeit endlich ab!“. Sie werden dort eine Menge neues entdecken. Und auch in den anderen Kapiteln finden Sie reichliche Antworten. Ich wünsche stets einen erholsamen, ausreichenden Schlaf und grüße herzlich, Ihr Peter Spork
Lieber Herr Spork,
vielleicht habe ich mich nicht verständlich ausgedrückt. Mein Gedankenexperiment ist nicht identisch mit Ihrem. Denn bei Ihnen streiken alle, während sich bei mir alle im Vorfeld geeinigt haben – sodass es nicht rückgängig gemacht wird.
Ich formuliere, worum es mir geht, nochmal als Fragen:
Gesetzt in Land X wird die ganzjährige Sommerzeit eingeführt – dann wären Sie ein entschiedener Gegner, mit allen Argumenten, die Sie haben. So weit, so gut.
Nun will man in Land Y (gleicher Breitengrad, gleiches Klima) bei der Normalzeit bleiben. Aber man beschließt, alle Ereignisse/Termine um eine Stunde nach vorne zu verlegen.
Für mich wären beide Varianten (fast) identisch und (noch) begrüßenswert. Die eine Stunde Schlaf würde ich gerne einmalig opfern (entweder wie in Land X mit der ganzjährigen Sommerzeit oder wie in Land Y durch Vorverlegung aller Ereignisse – wäre mir egal). Na gut, ich arbeite eh in wöchentlich wechselnden Schichten, habe also sowieso dauernd ‚Zeitumstellung‘. Bin aber ein begnadeter Schläfer und interessiere mich nur für das Mehr an Tageslicht.
Und wie würden Sie das sehen? Wären Sie in Land Y ein ebenso entschiedener Gegner der genannten Maßnahme? Weil ja auch hier einmalig allen Menschen eine Stunde Schlaf für immer geraubt würde? Oder läge der Fall für Sie hier anders – weil ja die Normalzeit erhalten bliebe? Das würde ich gerne wissen/verstehen. Wenn mir das gelingt, bestelle ich vielleicht Ihr Buch.
Lieber Herr Mörschbach,
auch für mich sind beide von Ihnen angeführten Varianten nahezu identisch. Nur für solche Menschen, die an keine sozialen Zeiten gebunden wären und sich ihre Schlaf-Wach-Phasen unabhängig von der äußeren Uhrzeit wählen können, also vor allem viele Rentner und Kleinkinder, gäbe es vielleicht Unterschiede. Aber diese Menschen leiden auch nicht unter dem sozialen Jetlag. Es würde sich also an der Situation praktisch nichts ändern, außer dass die Wahrnehmung durch die Menschen eine andere wäre, nämlich dass viele auf einmal merken würden, dass sie eine Stunde früher aufstehen und arbeiten und allein deshalb ihr „Feierabend“ eine Stunde früher beginnt (es am Abend also in Wahrhheit nicht wirklich länger hell ist).
Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung hilft also auch nicht weiter, da sie den sozialen Jetlag, unter dem der überwiegende Teil der Bevölkerung leidet, nicht verringern hilft. Was tatsächlich hülfe, wäre eine zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeiten, sprich sehr viel größere Gleitzeitfenster sowie eine Abnahme des Präsentismus am Arbeitsplatz (beides gilt auch für die Schule :-). Dann könnten die frühen Chronotypen (Lerchen und Lerchenhafte) früher arbeiten und früher Feierabend machen während die durchschnittlichen und späten Chronotypen (Eulen und Eulenhafte) länger schlafen könnten. Sehr viel weniger Menschen müssten den Wecker stellen, die Gesellschaft insgesamt wäre ausgeschlafener.
…und noch eine kleine Ergänzung: Sie glauben doch nicht wirklich, dass sich alle Bürger auf Ihre Variante einigen würden? Meinen Sie wirklich, Jugendliche wollten noch eine Stunde früher zur Schule gehen (sie müssten dann zumindest im ländlichen Raum mitunter um 4:30 h nachts aufstehen) oder Bäcker noch eine Stunde früher mit der Arbeit beginnen? Oder die Menschen, die in Frühschichten arbeiten. Oder Lehrer würden das befürworten, die schon heute sehen, dass der Unterricht in den ersten Schulstunden meist vergebens ist?
‚Flexible Arbeitszeiten‘ sind – letztendlich – Disziplinlosigkeit. Meine ich. Komm ich heut nicht, komm ich morgen. Und, wie Sie es, werter Dottore, begründen, die Natur lässt sich eben nicht austricksen.
Nur zwei Beispiele, weshalb Sie m.E. Unrecht haben, werter Hans:
1. Beginnt die Schule 20 Minuten später (8:oo h statt 7:40 h), bekommen Schüler im Schnitt 15 Minuten mehr Schlaf pro Schultag, ihre Leistung und Stimmung verbessert sich (Studie aus der Schweiz).
2. Beginnt die Schule 30 Minuten später (8:30 h statt 8:oo h), bekommen Schüler im Schnitt 20 Minuten mehr Schlaf pro Schultag, ihre Leistung, Gesundheit und Stimmung verbessert sich (Studie aus den USA).
Ein Glück, dass nicht alle Unternehmen und Schulkonferenzen so denken wie Sie. Denn es ändert sich derzeit in diesem Gebiet eine Menge!
… nun ja Dottore, wenn alle denken wie ich … puuuh, zur Studie: Sollte sich aus einem späteren Schulbeginn, 30 Minuten, ein natürlich-biologischer Rhythmus bestätigen, habe ich doch gar nix dagegen. Anderenfalls, warum sollten die Kinder nicht einfach 30 Minuten früher zu Bette gehen. Um Disziplin kommt niemand herum.
…Disziplinlosigkeit wird den Schülern immer vorgeworfen, mit dem Satz „Wenn die Schule später begänne, gingen sie ja doch nur noch später zu Bett und machten noch länger Party.“ Dass sie aber in Wahrhheit fast die ganze gewonnene morgendliche Zeit zum Schlafen nutzen, zeigt ja gerade, dass dieser Rhythmus ihrem biologischen Rhythmus näher kommt, als der Versuch, früher zu Bett zu gehen. Da liegen die Jugendlichen nämlich nur länger wach, bevor sie einschlafen, weil ihr Melatoninspiegel noch zu niedrig ist. Auch das wurde bereits untersucht. Wissenschaft hat halt einen längeren und stabileren Atemn als der Ruf nach Disziplin. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Spruch: „Wir haben das doch früher auch geschafft.“ Zum Glück geht es uns (zum großen Teil wohl dank der Wissenschaft) immer besser, wir sind im Schnitt intelligenter, gesünder und leben länger. Und das soll bitte auch so weiter gehen.
Jugendliche ticken biologisch übrigens anders als Kinder und ältere Menschen. Sie dürfen hier deshalb nicht von Ihrer jetzigen Situation ausgehen. Mit zunehemendem Alter werden wir immer lerchenhafter. Man nennt das auch „senile Bettflucht“. Jugendliche sind dagegen fast alle Eulen bis „Monstereulen“.
… klar, Menschen verhalten sich nicht gleich, das behauptet die Ideologie, jeder Mensch hat seinen eigenen ‚biologischen Rhythmus‘, aaaber mehr als die ‚Erde untertan‘ machen, geht nicht. Können wir uns darauf einigen, dass – letztendlich – die Natur den Menschen zu Disziplin zwingt?
… naja, so kann man es sicher sehen. Aber in Wahrheit ist es weniger die Natur, die uns diszipliniert, als das im Vergleich zu unserem technischem Fortschritt arg langsame Tempo der Evolution. Wir haben nunmal kein Sinnesorgan für chronischen Schlafmangel oder das Leben im korrekten Rhythmus, also benöltigen wir mehr Disziplin (oder noch mehr technische Innovation in die richtige Richtung), damit unsere Zeitkultur sich wieder vermehrt an unsere Biologie anpasst.
Sicher sollte das ein leicht umzusetzendes Vorhaben sein, eine überflüssige, bzw. wie Sie ja schreiben, sogar schädliche Regelung abzuschaffen, also weg damit. Den FDP-Vorschlag halte ich jedoch nicht für schädlich, weil ich die Stunde Unterschied zur (mehr oder weniger, je nach Lage in der Zeitzone) ‚idealen‘ Zeit für marginal halte – eben weil so viele Faktoren den Schlafmangel verursachen. Allerdings ist der FDP-Vorschlag nicht mehr, als ein ‚lifestyle‘ – Thema und damit als Politik-Thema völlig überflüssig. Mich würde interessieren, warum es dann doch so schwierig ist, überflüssige bzw. sogar schädliche Gesetze abzuschaffen. Viel schwieriger jedenfalls, als neue zu beschließen.
Naja, nur weil es ohnehin schon so schlecht ist, nicht wenigstens eine Verbesserung zu versuchen, erscheint mir etwas zynisch. In Russland gab es zwei oder drei Jahre lang die ganzjährige „Sommerzeit“. Das wurde dann korrigiert in die ganzjährige Normalzeit. Der Grund: ansteigende Deppressions- und Suizidrate, sinkende Geburtenrate und haufenweise Proteste, weil die Menschen sich so mies fühlten. Offenbar geht es den Menschen nun besser, denn man hört nichts mehr von Protesten.
Hmm.. Ich hatte geschrieben und gemeint, daß man den Wechsel Sommer-/Winterzeit endlich abschaffen soll (aus Gründen, die Sie auch thematisiert haben) und daß der FDP-Vorschlag ein überflüssiger Lifestile-Vorschlag ist.
Darüber hinaus ist der Effekt des West-Ost Umzugs noch wesentlich höher, je mehr man nach Norden geht, weil die Längengrade zum Nordpol zusammen laufen und damit immer enger werden. gleichermaßen die Zeitzonen. Am Nordpol wechseln Sie die Zeitzone mit ein paar Schritten.
Mit dem Vorschlag der Abschaffung der Zeitumstellung rennen Sie und die FDP bei mir offene Türen ein.
Nicht nachvollziehen kann ich allerdings Ihre Kritik an dem Vorschlag, die jetzige Sommerzeit als zukünftige Normalzeit zu nehmen. Vielleicht haben Sie recht, und meine innere Uhr eicht sich tatsächlich am Sonnenhöchststand. Die Problematik, daß dann die Zeit bei jedem Breitengrad eine andere sein müßte wurde schon angesprochen, daher werden verschiedene Breitengrade in Zeitzonen zusammengefaßt.
Letztlich ist es doch eine rein willkürliche Entscheidung, den Tageshöchststand der Sonne 12 Uhr Mittags zu nennen. Ebenso ist es eine willkürliche Entscheidung, den Kalendertag in 24 Zeiteinheiten zu unterteilen. Vor Erfindung der entsprechenden Zeitmeßeinrichtungen wurde der Zeitraum zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in zwölf Stunden geteilt, ebenso der Zeitraum zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.
Dementsprechend waren die Stunden nur an einem einzigen Tag im Jahr gleich lang, ansonsten waren mal die Tagesstunden und mal die Nachtstunden länger.
Man könnte also auch die Zeitmessung auf ein metrisches Meßsystem umstellen, ohne daß dies Auswirkungen auf den Biorhythmus haben würde. Es wäre nur eine Veränderung, und die Menschen wollen keine Veränderung, zumal wenn sie keinen erkennbaren Nutzen erbringt.
Eine ganzjährige Sommerzeit dagegen würde einen Nutzen bringen, jeder Berufstätige könnte auch an einem Werktag nach der Arbeit ein bißchen Zeit im Sonnenlicht verbringen.
Lieber Don Geraldo, Sie haben recht, dass es rein willkürlich ist, wie wir unsere Uhr stellen, es ist aber alles andere als willkürlich und von Lauf der (sozialen) Uhr völlig unabhängig, wie die Sonne unsere biologische, innere Uhr stellt. Das ist ja das Problem! Ihre innere Uhr eicht sich vermutlich gar nicht mehr auf den Sonnenhöchststand sondern auf die Tageszeit, zu der Sie am meisten im Freien (am Tageslicht) sind, also vermutlich auf den späten Nachmittag oder frühen Abend. Das ist ja das Kernproblem. Und um es etwas abzumildern, soltle man zunächst die „Sommerzeit“ abschaffen. Lesen Sie doch bitte noch mal gründlich meinen Beitrag udn dann auch das Statement von Till Roenneberg. Und dazu, warum es kein Nutzen sondern eher ein Schaden ist, wenn wir überwiegend abends mehr Licht tanken, lesen Sie bitte meine Diskussion mit Seidwalk.
… ein Leben im biologischen Rhythmus ist natürlich. Warum ich widernatürlich leben soll oder muss, kann ich nicht nachvollziehen.
… p.s., ich stimme P.S. zu.
Lieber Herr Spork,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort. Bringt mich zum Denken.
Vermutlich würde ich diese Umstellung nicht durchstehen. Wie nahezu alle „Geistesarbeiter“ tendiere ich immer wieder zum spät zu Bett gehen. Früher war das gegen 4 Uhr morgens,, heute versuche ich immerhin um 2 Uhr im Bett zu liegen. Dann schlafe ich bis 10 Uhr und kann mir sogar einen Mittagsschlaf leisten – von mangelndem Schlaf kann keine Rede sein.
Ich habe in meiner Militärzeit den Rhythmus 5.30 – 22 kennen- und hassen gelernt. Was ich Ihnen hier beschreibe bin einfach ich nach jahrzehntelanger Erfahrung.
Übrigens beobachtet man auch bei Rentnern oder Arbeitslosen, die der Meinung waren, sie müßten natürlicherweise 6 Uhr morgens aufstehen, daß sie sich sehr schnell an „normale“ Zeiten gewöhnen, wenn der Wecker nicht mehr klingelt. Ich halte das „Mit-dem Hahn-Aufstehen“ oder „Morgenstund…“ oder „Land der Frühaufsteher“-Gerede für Ideologie im Dienste der Industrie- und Leistungsgesellschaft. Und Sie machen sich letztlich – wissenschaftlich verbrämt – zu deren Handlanger, ob Sie das wollen oder nicht.
Im Übrigen ermitteln diese „wiss. Untersuchungen“ einen Mittelwert – der kann jedoch noch immer von der realen Lebenssituation der Mehrheit der Menschen abweichen. Daraus kann man keine verallgemeinernden Schlußfolgerungen ziehen.
Sollte Ihre Fraktion gewinnen, dann kann ich nur flüchten – entweder in die Depression oder nach Westspanien … Wo die Leute nun keineswegs unglücklich sind und sie essen auch nicht wegen des Lichtes so spät, sondern wegen der Hitze und als kulturelle Tradition. Niemand ist gezwungen, es ihnen gleich zu tun. Finis.
Lieber Seidwalk, was ich nicht verstehe: Wenn Sie keinen Wecker stellen müssen und offenbar schlafen können, wann Sie wollen, wenn Sie also einfach Ihrem biologischen Rhythmus (vorgegeben durch die innere, biologische Uhr) folgen können ohne einem sozialen Rhythmus (zB Arbeitszeiten, vorgegeben durch die Uhr am Arm oder an der Wand) unterworfen zu sein, wo ist dann Ihr Problem?
Lieber Herr Spork,
immerhin erkennen Sie jetzt an, daß das meine biologische Uhr ist.
Das Problem ist doch offensichtlich. Von Ende März bis Ende Oktober steht mir jeden Tag eine Stunde mehr Licht und Wärme zur Verfügung. Ihre Variante würde mir sie nehmen, die FDP-Variante würde mir 150 Stunden schenken und zwar zur Zeit meiner Hochleistungsfähigkeit.
Es wäre übrigens auch ein Gewinn für meine Frau. Die geht im Dunkeln auf Arbeit und kommt im Dunkeln zurück. Hätten wir jetzt „Sommerzeit“ dann hätte sie seit Februar immerhin im Hellen nach Hause gehen können. Was ist daran so schwer zu verstehen?
Ich habe von Anfang an anerkannt, dass Ihre biologische Uhr wohl eher eulenhaft tickt. Das ist überwiegend genetisch bedingt und Sie können daran vermutlich wenig ändern – außer eben gezielt vormittags mehr Licht zu suchen. Und die Lösung für Ihre Frau wären andere Arbeitszeiten oder mehr (bezahlte) Pausen am Tag, bei denen Sie ans freie gehen kann. (Auch darüber habe ich in „Wake up! geschrieben.) Die „Sommerzeit“ ist leider keine sinnvolle Lösung, weil zu viele andere Menschen darunter leiden.
Streß – das sind für mich die fünf Monate Normalzeit – bald ist es überstanden, bald kann ich wieder leben!. Als „Eule“ ist die Stunde mehr Licht am Abend essentiell für mein Wohlbefinden – daher meine volle Unterstützung für den FDP-Vorschlag. Wenn die das durchsetzen, dann wähle ich sie dafür!
Tatsächlich wird der Streß nicht durch die Sommerzeit, sondern durch die Umstellung erzeugt. Wenn Ihre Argumentation stimmig wäre, dann lebten alle Menschen nördlich Hamburg und südlich Palermo per se im Streß. Und wer bitte schön braucht früh halb Drei Vogelgezwitscher und Sonnenschein als Schlafkiller? Dagegen kümmert sich kein Mensch darum – außer Puristen, Ordnungsfetischisten und Astrologen vielleicht – ob die Sonne 12 Uhr im Zenit steht.
Nein! Ich traue lieber meinem Gefühl als der Wissenschaft und jeder normal denkende Mensch tut das auch. Wieso sollte ich mein Wohlbefinden von wissenschaftlichen Meinungen abhängig machen?
Lieber Seidwalk, selbstverständlich ist es Ihnen gestattet, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu ignorieren. Aber wozu benötigen wir dann die Wissenschaft? Und wo wären wir ehrlich gesagt ohne Sie? Noch immer in der Steinzeit, Lebenserwartzung ca. 20 Jahre? Nicht so schön. Eigentlich stehen alle Antworten zu Ihren Kommentaren bereits in meinem Beitrag: 1. Die innere Uhr justiert sich auf den Sonnenhöchsttand ist also weitgehend unabhängig von Breitengrad und Jahreszeit. 2. Gerade für Sie als Eule ist Licht am Abend schädlich. Sie haben noch mehr Probleme, morgens früh genug aufzustehen, wenn Sie nur abends ans Licht gehen. Sie benötigen in Wahrheit mehr Licht am Morgen. Dennoch verstehe ich Ihre Sehnsucht nach Licht sehr gut und ich verstehe, dass sie die vermeintlich längeren Sommerabende schätzen. Es geht vielen Menschen genau wie Ihnen. Aber alle, die gelernt haben, mehr Licht morgens und weniger Licht abends zu suchen, sind davon mittlerweile überzeugt. Man muss es halt mal ausprobieren. Und sollten Sie das nicht wollen: Dann ist es Ihnen unbenommen, auch nach der Abschaffung der „Sommerzeit“ von Ende März bis Ende Oktober einfach eine Stunde früher aufzustehen. Nur bitte zwingen Sie nicht den Rest der Mitmenschen, es Ihnen gleichzutun.
Herr Spork, ich fürchte, Sie verstehen nicht! Diese Stunde Licht im Sommerhalbjahr ist essentiell – basta! Und meine innere Uhr – wie die vieler anderer Millionen Menschen – justiert sich nicht nach der Übereinstimmung Zenit/Mittag, bzw. ist die Karenzzeit des Organismus, der ja keine Uhr mit Minutenzeiger hat, groß genug, um das abzufedern („wann die Sonne u n g e f ä h r am Höchststand steht), wenn es kontinuierlich durchgehalten wird. Noch mal: das Problem ist der dauernde Wechsel.
Der Gedanke, es gäbe morgens eine Stunde mehr Licht, ist unsinnig für jemanden, der eben nicht sechs Uhr aufstehen k a n n oder nur unter großen Anstrengungen und ganztägiger Müdigkeit. Dazu brauche ich keine Belehrungen, weder von Ihnen noch von „der Wissenschaft“.
Bitte zwingen Sie nicht den Rest der Mitmenschen, es I h n e n gleichzutun.
Letztlich wäre das eine Frage für einen Volksentscheid, nicht wahr?
Ich zwinge niemanden, es mir oder sonstwem gleichzutun, lieber Seidwalk. Ich plädiere nur dafür, dass wir endlich wieder ganzjährig in der Zeitzone leben, in die wir gehören, und dass innerhalb dieser Zeitzone möglichste alle Menschen dann aufstehen können, wann sie wollen. Das kommt gerade auch ihnen als Eule zugute. (Nicht ohne Grund ziert eine Eule das Cover meines Buches „Wake up!“.) Dass Sie Probleme mit der Umstellung haben, zeigt eher, dass sie unter chronischem Schlafmangel leiden, was wiederum eine logische Folge Ihrer Eulenhaftigkeit sein könnte. Ein Mittel dagagen wäre, morgens mehr Licht zu suchen (was für Sie als Eule auch erst 11 oder 12 Uhr sein kann, weil es ist ihr biologischer Morgen gemeint, nicht der Morgen auf Ihrer Uhr). Dass Ihnen das in der MESZ besonders schwer fällt, ist logisch, denn Sie stehen in Wirklichkeit eine Stunde früher auf als Ihre Uhr anzeigt. Ich an Ihrer Stelle würde das ändern wollen.
Noch eine Ergänzung: Wenn ich von „morgens mehr Licht“ rede, meine ich nicht, dass die Sonne morgens eine Stunde früher aufgeht. Das ist im Sommer tatsächlich irrelevant, weil wir es fast alle verschlafen. Ich meine, dass wir morgens mehr Zeit haben, ans Tageslicht zu gehen, wenn wir in Bezug zu unserer inneren Uhr eine Stunde später aufstehen und deshalb etwas wacher sind. Wenn Sie den ganzen Tag im dunklen Büro sitzen und nur Abends ans Licht gehen, dann ist der „Sonnenhöchststand“ für Ihre innere Uhr der Abend und nicht der Mittag. Und dann verstellt sich Ihre innere Uhr noch weiter nach hinten und Sie werden immer Eulenhafter. Das ist das Problem. (Man nennt das auch den sozialen Jetlag.) Und das wird durch die MESZ um eine weitere Stunde verstärkt.
Lieber Peter Spork, das stimmt doch auch nicht, was Sie schreiben:
Gucken sie sich doch bitte mal die Zeitzonen (z.B. hier http://www.sternwarte-eberfing.....zonen.html) an (24 sollte es wohl geben). 40000 Km (Erdumfang) geteilt durch 24 = etwa 1667 Km. Oft sind die willkürlich festgelegten Zeitzonen räumlich breiter und damit auch die zeitliche Verschiebung des Sonnenaufgangs innerhalb einer Zeitzone z.B. von der spanisch-portugiesischen Grenze bis zur polnisch ukrainischen Grenze. Sie wollen mir jetzt bitte nicht erzählen, daß Ostpolen aufgrund des folgerichtig um mehr als eine Stunde früheren Sonnenaufgangs innerhalb der gleichen Zeitzone chronobiologisch krank werden und nur wir Deutschen aufgrund der etwa mittleren Lage chronobiologisch weniger gestesst werden. Es geht mir hier nicht um die Verteidigung der FDP, sondern um die Verteidigung des gesunden Menschenverstandes (gegen Teile der Wissenschaft, was mir immer nötiger erscheint).
Lieber Klaus J. Nick, Sie sprechen hier ein weiteres Problem an: Die unzulängliche Einteilung der Zeitzonen. Bis weit ins 19. Jahrhudnert hinein gab es bei uns noch die Kirchturmzeit. Jeder Ort stellte seine Kirchturmuhr danach, dass Mittags um 12 die Sonne am höchsten stand. Überall gingen die Uhren also anders. Das geht heute natürlich nicht mehr und das will auch niemand. Deshalb die Einteilung in einstündige Zeitzonen. Diese sollten idealerweise so aussehen, dass die Sonne ganz im Westen einer Zeitzone um 12:30 h am höchsten ist und ganz im Osten um 11:30 h. Das stellt für die inneren Uhren kein Problem dar, wir sind ja biologische Organismen und deshalb sehr anpassungsfähig. Schlimm wird es nur, wenn wie bald wieder in der MESZ, die Menschen teilweise 2,5 h verkehrt im Bezug zur Sonne leben, wie zB in Spanien oder Westfrankreich. (Kein Wunder, dass man dort erst um 22 Uhr zu Abend isst und eine lange Siesta braucht :-)). Selbst im Saarland sind es noch mehr als 1,5 Stunden. Theoretisch müssten das Saarlanbd, Frankreich und Spanien in der gleichen Zeitzone sein wie Großbritannien. Und Portugal müsste noch eine Stunde später dran sein. So gesehen haben zB die Menschen in (Ost-)Polen tatsächlich weniger Probleme mit der MESZ als wir in Deutschland. In beiden Ländern steht man aber dummerweise auch vergleichsweise früh auf, weshalb trotzdem so viele Menschen einen Wecker benötigen. Würden wir alle viel später arbeiten und zur Schule gehen, und vorher vielleicht noch ein wenig Freizeit am Tageslicht verbringen, wäre es auch weniger schlimm. Menschen in Spanien beherzigen das übrigens intuitiv viel mehr als wir. Sie hätten sonst auch überhaupt keine Chance, sich mit der einstündig (im Winter) bzw. zweistündig (im Sommer) verschobenen Zeitzone zu arrangieren.
O.K., wenn unsere ‚innere Uhr‘ also durch den Sonnenstand synchronisiert wird, sollten wir nicht ständig gezwungen sein, dagegen anzukämpfen, d’accord. Das ist ein Faktor für Gesundheit. Finde ich gut, daß Sie das thematisieren. Der FDP-Vorschlag aber würde den Menschen, die 8 h und mehr arbeiten müssen, ermöglichen, im sonnenarmen Deutschland noch etwas Licht abzubekommen, wg. Vitamin D, Psyche und so. Auch ein Faktor. Oder warum nicht endlich mehr Heimarbeit statt Großraumbüro – für die Leute, die nicht ständig das Rudel brauchen und diszipliniert genug sind, ohne ständig präsenten Chef zu arbeiten… Aber wir diskutieren gerade, können damit Argumente sammeln und selbständig abwägen, statt zu glauben, was andere vorbeten. Gut so.
Lieber Herr Nick, Vitamin D produziert Ihre Haut auch, wenn Sie vormittags nach Draußen gehen. Und Ihre Psyche freut sich morgens mehr über das Licht als abends, da es rascher Melatonin aus dem Blut vertreibt und anregendes Serotonin bildet. Abendliches Licht verstellt Ihre innere Uhr nach hinten und – zumindest wenn Sie keine extreme oder moderate Lerche sind (chronobiologischer Frühtyp / „Frühausfsteher“, etwa 20 % der Bevölkerung) und morgens mit Hilfe eines Weckers aufstehen müssen (etwa 80 % der Bevölkerung müssen das!), raubt es Ihnen Schlaf. Lebten wir noch in einer Agrargesellschaft (oder in der Steinzeit) hielten wir uns tagsüber größtenteils im Freien (am Tageslicht) auf und besäßen noch kein störendes künstliches Licht am Abend/in der Nacht. Unter solchen Bedingungen hätten wir all diese Probleme (den „sozialen Jetlag“) nicht. (Wir hätten aber auch keine MESZ.) Im Übrigen gibt es Untersuchungen, dass die Menschen während der MESZ nur unwesentlich länger am Tageslicht sind.
Letztlich sind es sehr viele Faktoren, die hier ineinander greifen (Arbeits- und Schulzeiten, Präsentismus, Nacht- und Schichtarbeit, fehlende Pausen- und falsche Freizeitkultur u.v.m.) und den sozialen Jetlag verstärken. Ich habe das ausführlich in „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“ geschildert. Die Abschaffung der „Sommerzeit“ ist nur einer dieser Faktoren, aber es ist derjenige, der am allerleichtesten umzusetzen wäre.