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Schlechte Theologie

Ich bekomme ja als gelegentlicher Buchrezensent regelmäßig Werbematerial von den Verlagen. Das meiste werfe ich ungelesen weg. Ab und zu jedoch sind Perlen darunter, zum Beispiel diese Ankündigung: „Es ist wissenschaftlich betrachtet methodisch richtig, an die Existenz von (Weihnachts)-Engeln zu glauben. Ungewöhnlich klingt das nur beim ersten Hinhören. Denn Johannes Huber, Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Allgemeinen Krankenhaus Wien, zieht diesen Schluss in seinem Buch ‚Es existiert – Die Wissenschaft entdeckt das Unsichtbare‘ aus modernen Forschungsergebnissen.

‚So würde die Wissenschaft etwa über Photone, also jene Elementarteilchen, aus denen elektromagnetische Strahlung besteht, das gleiche sagen, wie das Alte und das Neue Testament über Engel: Für Photone existieren Zeit und Raum nicht, genauso wie für die Engel. Photone sind reine Energie, Engel sind reine Lichtgestalten, und Photone kommen aus dem Hintergrund des Weltalles, genauso wie Engel, die himmlischer Herkunft wären.‘

 ‚Immer mehr Forschungsergebnisse zeigen, dass es Dinge gibt, die wir berechnen können, die aber mit unserer Logik dennoch nicht verständlich sind‘, sagt Huber. ‚Engel, oder wenn Sie so wollen, Weihnachtsengel, könnten eines Tages auch dazu gehören.‘

Wenn Sie von Prof. Dr. Huber mehr über die physikalische Dimension der Weihnachtsengel und die erstaunlichen Fortschritte der Wissenschaft bei der Entdeckung des Unsichtbaren erfahren wollen, stelle ich gerne einen Kontakt zu ihm her und sende Ihnen ein Presse-Exemplar seines Buches zu.“

Nun könnte man antworten, man werde erst dann an Weihnachtsengel glauben, wenn Photonen sich einer vierzehnjährigen Jüdin nähern und ihr eine wundersame Schwangerschaft ankündigen; aber das hieße ja in die Falle laufen, die Dr. Huber aufgestellt hat. Er ist ja nicht irgendwer. Laut Auskunft seines Verlages „studierte Johannes Huber Medizin und katholische Theologie an der Universität Wien und war von 1973 bis 1983 persönlicher Sekretär von Kardinal Franz König. Nach seiner Zulassung als Arzt spezialisierte er sich auf Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Huber, der lange als Professor an der Universität Wien wirkte, ist vorwiegend als Endokrinologe (Hormonspezialist) bekannt. Bis Oktober 2007 war er Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission.“

Nein, der Punkt ist ja nicht, dass Huber hier lächerliche Physik betreibt, mit der man ja auch die Existenz der Hölle – etwa in Gestalt von schwarzen Löchern – und die Möglichkeit der Auferstehung – dank der Relativität der Zeit – zu belegen versuchen könnte. Grundsätzlich stimmt ja, dass in den Naturwissenschaften – anders als in den Religionen – alles als möglich gelten muss, bis deren Unmöglichkeit bewiesen ist; dass nur das als wissenschaftliches Dogma gilt, was als Theorie so formuliert wird, dass es theoretisch und experimentell widerlegbar wäre.

In den Religionen ist es umgekehrt: Dort gilt als Dogma, was mit Autorität verkündet wird, und es kann auch nicht widerlegt werden; und als unmöglich gilt, was das Dogma ausschließt – im Christentum etwa die Existenz eines Elefantengottes, was die Wissenschaft allenfalls für höchst unwahrscheinlich erklären kann; oder im Hinduismus die Nichtexistenz weiterer Götter außer dem dreifaltigen Gott der Christen, was in der Wissenschaft ebenfalls als sehr unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen gilt.

Darum ist das Empörende an den Ausführungen des Dr. Huber nicht seine Billig-Physik, sondern seine Billig-Theologie. Was soll der Vergleich von Engeln mit Photonen? Photonen sind Erscheinungen der natürlichen Welt; Engel sind Bewohner des Himmels. Wenn ich Christ bin, glaube ich, dass Gott nicht an die Naturgesetze gebunden ist; sonst wäre er nicht allmächtig. Ich mag bezweifeln, dass es diese Gesetze überhaupt gibt, und dass jeder Apfel, der vom Baum fällt, es deshalb tut, weil Gott ihm das befiehlt; ich darf aber nicht bezweifeln, dass Gott in der Lage wäre, wenn er es denn wollte, den Apfel nach oben fallen zu lassen. Das nennt man denn Wunder, und das Wesen eines Wunders besteht darin, dass es den Naturgesetzen widerspricht und gerade dadurch die Existenz eines allmächtigen  Wesens beweist, das über jedem Gesetz steht.

Gott hat es also nicht nötig, dass seine Engel physikalisch möglich wären. Sie gehören zu den wundersamen Wesen, deren Eigenschaften – darunter Unsterblichkeit, Bedürfnislosigkeit (jedenfalls was Speisen betrifft, die Bibel berichtet allerdings von sexuellen Abenteuern von Engeln mit Menschen), Fähigkeit, sich an jedem Ort in jedweder Gestalt zu zeigen und in jeder Sprache zu sprechen – für die Menschen zum Beleg der Existenz Gottes dienen. Wenn sie nun reduziert werden auf eine mögliche Naturerscheinung, von der wir nach der neuesten Physik annehmen müssen, dass sie, wenn nötig, auch wirklich werden muss, dann haben sie ihren wundersamen Charakter als Boten und Zeugen Gottes verloren.

Wie sagte Galileo Galilei: Die Theologie soll den Menschen erklären, wie sie in den Himmel kommen; nicht, wie die Himmel beschaffen sind. Das bleibt auch heute wahr.

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18 Gedanken zu “Schlechte Theologie;”

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    Wenn ich zugebe ein Roboter zu sein, muss ich dann immer noch diesen Test machen, bei dem ich jede zweite Mal durchfalle und Panik bekomme, dass mein literarischer Geniestreich im Daten-Nirvana verschwunden ist? Und was heißt überhaupt ein Roboter sein, als gender oder als sex? Ohne Brille kann das Ding als Pizza durchgehen, ich spüre Mikroagressionen…

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    „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist.“

    „Wir glauben an den einen Gott,
    den Vater, den Allmächtigen,
    den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.“

    Die Theorie von der Messbarkeit Gottes überfährt einen ganzen Wald von Stoppschildern.

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    Ich kenne ein paar gute theologische Bücher: Einige hat der vorige Papst geschrieben, eins Alan Posener. Letzteres hat neben einem hervorragenden Text so gute Bilder, dass man es zu Weihnachten verschenken kann (Maria). Beide Autoren in einem Atemzug, oh je.

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      Danke für die Blumen, lieber Oleander. Sie sollten sich ein paar „Maria“-Bücher auf Vorrat kaufen. Der Titel wird verramscht.

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    Möglich wäre auch jederzeit, dass der Vater ein Rabbiner war. Und sie schwieg und ließ sich mit Josef verheiraten, der keine weiteren außergewöhnlichen Kinder gezeugt zu haben scheint.
    In dieser Welt heute von Anklagen, darunter erfundenen Anklagen, gegen Männer ist es nahezu unvorstellbar geworden, dass Frauen schweigen können. Aber hier muss man an das Buch bzw. den Film „Die Dornenvögel“ erinnern, in dem eine Frau, die schweigt, liebt und leidet, plausibel genug dargestellt wurde.
    Für das Schweigen bekommt sie den Erzengel Gabriel als Zeugen zugesellt, und Meister Tizian lässt sie königlich in den Himmel aufsteigen (Santa Maria Gloriosa dei Frari).

    Photonen, herrje. Aber wir haben heute ja auch eine Physikerin, die wegen eines Tsunami im Pazifik die Atomkraft abstellt. Und die andererseits reelle Gefahren beschleunigt und exportiert hat und meint, dagegen würde das Vortragen von Weihnachtsliedern zum Flötespielen helfen. Der Mischmasch des frühen 21. Jahrhunderts, über den später Witze gerissen werden könnten wie über die Katholische Kirche zu Zeiten von Galilei: Postfaktisch und postwissenschaftlich und posttheologisch, alles zusammen.

    So jemanden kann ich nicht wählen, Herr Posener. Ursula von der Leyen, die sich korrekt ausdrücken kann, gern gestaltet und Politik auch zuweilen erklärt, könnte ich eher wählen.

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        Och, ich fand’s fast genial.
        Zumindest kann man mir nicht vorwerfen, dass ich die CDU/CSU nicht warne.
        Außerdem heißt die Dame ja Engel und hat Photonen studiert.

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        Eher ist es politisch als obsessiv. Immerhin bringe ich nie diese FDJ-Leier, sondern ich bringe die CDU-Leyen statt dessen, auch eine Frau, eine Transatlantikerin und eine Vollblutpolitikerin von Haus aus. Mir fallen auch diverse Männer ein, Seehofer, de Maiziere, Strobl. Jens Spahn erscheint mir zu jung.
        Aber wenn es denn eine Frau sein soll, haben wir noch eine, die heißt nicht wie Engel, sondern wie der Petrus, nicht wahr.
        Jedenfalls ist es nicht so, dass die CDU/CSU kein Personal hätte.
        Vorbilder diese Woche: Francois Hollande, der offenbar den Parti Socialiste nicht ruinieren will, und Nico Rosberg.
        Und ehrlich gesagt habe ich mich gefragt, ob der Dienst an Deutschland darin bestehen soll, die CDU auf Grundeis zu fahren.
        Also, dass Sie mich nicht missverstehen: Wenn das politisch sein sollte, ist es ein Appell an die CDU/CSU, die nicht zu wissen scheint, dass sie auch ohne Merkel auskommt. Der Verlust für die Formel 1 ist ungleich schwerwiegender.

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    @ KJN

    Mir ist beides nicht vollkommen verschlossen. Ich meine aber, das Eine ist nicht das Andere.
    Statt Schwein gehabt, sagen manche Leute: Schutzengel gehabt.
    In Zukunft sagt man dann: Photon gehabt.

    Versuchen Sie das. Ich schätze, Ihr Gegenüber wird perplex sein, und fragen: Was meintest du mit dem Futon?

    1. avatar

      @Oleander
      „Futon“
      Nein, das And’re ist nicht das eine
      doch wenn ich jetzt was Reime
      will ich Ihnen sagen
      in diesen düst’ren Tagen
      die Sehnsucht nach dem Lichte
      erzeugt in uns Gerüchte
      daß Engel und Photonen
      uns Weihnachten belohnen.

      Selbst Käpt’n Kirk der Weltraum-Recke
      im Clinch mit den Klingonen
      hat hin und wieder richtig ‚Böcke‘
      und feuert mit Photonen.

      Drum, lieber Oleander
      das Eine gleicht dem Ander‘
      gesehen in diesem Lichte
      nicht zu hart geh’n ins Gerichte

      und schießen mit Matratzen
      auf Spatzen.

      1. avatar

        Oh danke. Facebook hat mit Matratzen auf Boris (P.) geschossen, wobei er nicht der Spatz ist. Das ist seine Bemerkung. Ich bin noch aufgewachsen mit N….k….., und was hat das mit mir gemacht?: Es hat nichts gemacht. Wir lasen „To Kill a Mockingbird“ im Englischunterricht, und zu Geburtstagen gab es das viersilbige Wort, das nichts in unseren Köpfen ausrichtete, absolut nichts. Es ist Pille-Palle. Das Verbot von dem Pille-Palle aber richtet das Gegenteil aus, vor allem, wenn es einen Sympathieträger trifft. Und irgendwann kehrt sich das um, denn dann kommt der Krieg gegen die dicken Matratzen. Dieser Wahnsinn, den man auf zwei Namen reduzieren kann, wird die SPD mindestens fünf Prozent kosten, schätze ich. Was meinen Sie?

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    Es mag ja so gewesen sein: Die vierzehnjährige Jüdin wurde in dem entscheidenden Moment zur Marquise von O. von Kleist und erlitt einen wundersamen Gedächtnisverlust, den sich jeder Vergewaltiger bei seinem Opfer wünscht. Oder sie mochte den Mann und schwieg wie eine Auster, während sie eine Perle trug. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand von dieser Perle außer ihr selbst. Sagen wir, sie liebte das Kind schon ungeboren, was häufig vorkommt, und schwieg.

    Später musste eine Erklärung gefunden werden, da die Perle groß und bekannt wurde. Was bot sich da eher an als derselbe Engel, der mit Jakob gekämpft hatte?: Er war die beste und würdigste Erklärung, und so wird er von den Malern dargestellt, repräsentativ und königlich, nichts mit niedlich. Und von Photonen ist er so weit weg wie ich, wenn ich so ein Bild betrachte: An Photonen denkt man da zuletzt.

    Die Geburt wurde später auf eine Zeit sternenklarer Nächte verlegt, angereichert durch einen Kometen. Hier finden sich die himmlischen Heerscharen der Hirten. Diese wahrhaft großen kosmischen Erscheinungen zu Photonen zu reduzieren, dürfte nicht ankommen.
    Aber ich halte die heutigen Katholiken, ein liebenswürdiges Völkchen, im Bereich Engel nicht für Spezialisten, haben sie doch geschafft, sie einige wesentliche Jahrzehnte im Barock auf dekorative Putten zu reduzieren. Daher meine ich, dass die Renaissancemalerei das Kosmische am besten transponiert.
    Marc Chagall war mehr bei den Putten angesiedelt, aber das muss man nicht so ernst nehmen, füllte er doch seine Leinwände mit allem, in dem er Farbe und Leben sah und vor allem mit der Farbe Blau, wie Else Lasker-Schüler ihre Gedichte.

    Der Schutzengel dagegen ist etwas vollkommen Immatierielles, etwas an das Leute glauben, die nicht schnöde sagen wollen: Nochmal Schwein gehabt.
    Engel gehabt ist insgesamt schöner.

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    Das mit dem Apfel, der nach oben fällt, ist unbezahlbar.
    Engel haben den Vorteil, dass sie manchen Künstler inspririert haben, so natürlich Humperdinck, Chagall, Leonardo, überhaupt die Renaissancemaler, sehr schön auch die Verkündigung im Polittico di Perugia von Piero della Francesca.
    Nur: Dafür müssen sie nicht existieren, im Gegenteil.

  8. avatar

    @ APo
    Bezieht sich auf das Vorige: kann man so nicht sagen, weil ich mit neuem Kandidaten/neuer Kandidatin vermutlich die CDU/CSU wählen würde. Um das Double AM/KGE werde ich einen Riesenbogen machen.
    Halte es für einen Fehler, wenn die CDU/CSU nicht mit neuem Kandidaten antreten.

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    Err.: „Die Analogie im Denken bei der Suche nach Erkenntnis ist bei ‚Engeln‘ und ‚Photonen‘ tatsächlich ähnlich..“ -> „das Denken, das zur Vorstellung von ‚Photonen‘ führt ist ähnlich dem Denken, daß zur Vorstellung von ‚Engeln‘ führt“

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    Klar, die Bezugnahme oder, schlimmer noch, Rechtfertigung von Theologie durch Naturwissenschaft lässt wohl darauf schließen, daß deren beider Aussagen, bzw. deren Bedeutung noch nicht mal ansatzweise reflektiert wurden. Ich empfinde das als Vulgärphilosophie. Dennoch möchte ich versuchen, einen Aspekt in Dr. Hubers Einlassungen zu retten: Die Analogie im Denken bei der Suche nach Erkenntnis ist bei ‚Engeln‘ und ‚Photonen‘ tatsächlich ähnlich – nur die Assoziationen und Inhalte sind andere. Naturwissenschaftler sind also nicht schlauer.
    Leider hat der Naturwissenschaftler Huber aber vergessen, welcher Art die Objekte seiner Forschung sind, nämlich experimentell verifizierbar, mindestens statistisch fassbar. Der Begriff ‚Photon‘ ist innerhalb des experimentell verifizierbaren Wahrnehmungs’raumes‘ sinnvoll, der Begriff ‚Engel‘ innerhalb spiritueller Welten, die mir persönlich leider (!) verschlossen sind. Die Absicht solcher Vermischungen scheint klar: Vordergründige Kritik an der Moderne, dahinter stecken aber Enttäuschung und Leere nach der jahrzehntelangen Hoffnung auf tiefere Erkenntnis. Die Erkenntnis, daß Naturwissenschaft ein einfaches Handwerk ist (eine sehr gute Sache) und nicht mehr. In der Naturwissenschaft spielt das Denken eben nur in so fern eine Rolle, als das es zum den sinnlich Wahrnehmbaren passt. Theologen müssen Gläubige sein. Und sog. Gottesbeweise sind scholastischer Unsinn (Hybris), der auf Überbewertung von Begriffen basiert.

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      Bei den physischen Messungen des Göttlichen geht es nicht darum, anderen Menschen das Göttliche näher zu bringen, sie durch Fakten zu überzeugen, es geht darum, den schweigenden Gott Schachmatt zu setzen und ihn zur Offenbarung zu zwingen. Als wenn Moses den Busch selbst angezündet hätte. Wenn man es messen kann, kann man es auch einkreisen, sehen und fest machen, genau: experimentell verifizieren, ohne von Gott autorisiert worden zu sein. Götzenbilder durch die Hintertür. Und die halbe Bibel geht es nur um eine Sache: Leg dich nicht mit ihm an. Für mich ist er als Theologe noch schlechter denn als Wissenschaftler.

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