Von Günter Morsbach, Herausgeber „Reitender Bote“:
Es muss einfach mal an dieser Stelle laut gesagt werden, dieser Papst ist absolut bewundernswert. Die Abkehr von Prunk und Protz der Kirche, sein Selbstverständnis als bescheidener Diener, sein Rollenverständnis als Schutzherr der Mitmenschen, die sich selbst nicht helfen können und vor allen Dingen als Mentor derer, die glauben, dass die Katholische Kirche wie die evangelische
auch – sich neu erfinden muss.
Nun veröffentlichte Franziskus sein erstes apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“. Was für den Nichtlateiner erst mal lustig klingt heißt übersetzt „Freude des Evangeliums“. Er stößt die Tür weit auf für eine grundlegende Reform der Katholischen Kirche.
Im zweiten Teil seines Werks übt er offene KapitalismusKritik. Es geht ihm nicht mehr nur um Ausbeutung und Unterdrückung, er geißelt, dass zu viele Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen würden, Arm und Reich sich auseinander entwickelt hätten, dass in einem Teil der Welt Nahrungsmittel Müll würden, im anderen Hunger herrsche.
Und dass der Mensch Teil einer „Wegwerfkultur“ würde. Aber fühlt sich irgend jemand direkt angesprochen? Dann gehen wir doch mal richtig in das Thema rein. Die EU und die USA verschleudern ihre Nahrungsmittelüberschüsse zu subventionierten Preisen in die Dritte Welt, ruinieren dort die Bauern, die dann ihre Felder aufgeben und in die Slums der Großstädte ziehen. Die berechtigte Kritik an groben Fehlern der Internationalen Politik könnte Seiten füllen.
Mit der pauschalen Kapitalismuskritik wird Franziskus viel Beifall von Links bekommen, von der falschen Seite. Dort, wo von linken Machthabern Enteignungen durchgeführt wurden, haben lokale Diktatoren beispielsweise in Venezuela und Zimbabwe eine Volksverarmung angerichtet und die Wirtschaft zerstört.
Hier greift Franziskus zu kurz. Dort, wo marktwirtschaftliche Strukturen eingeführt wurden, Beispiele sind etwa China, Indien und Brasilien, blühen heute Wohlstand und Arbeitsplätze, wenn auch in unterschiedlicher Qualität, aber es geht aufwärts. Auch ist mit Kapitalismuskritik und ohne Geburtenkontrolle das Problem des globalen Bevölkerungswachstums mit täglich ca. 200.000 netto hinzukommender Menschen nicht zu lösen, auch nicht der Ausschlusses von Bildung für Mädchen und Frauen, um nur ein paar Fakten zu nennen, die nichts mit Kapitalismus und Umverteilung zu tun haben.
Aber, wer die Augen vor den großen Problemen dieser Welt verschließt, ist nicht gut beraten. Wir schauen darüber hinweg, dass die Verdienstspanne in unserer Welt heute zwischen 0,27 Euro und 35 Millionen Euro pro Tag liegt. Dass die Welt das so nicht mehr akzeptiert, ist täglich in Lampedusa oder an Mexikos Grenzen zu beobachten.
Advent ist die Zeit der Besinnlichkeit,deshalb hat unsere Redaktion entschieden, heute eine Auszeit von der Tagespolitik zu nehmen und dafür einen klugen Mann zu zitieren: „Es kommt nicht darauf an, das zu sehen, was noch niemand gesehen hat, sondern neu zu denken, was noch niemand gedacht hat über das, was alle sehen“.
Lieber Franziskus, das Thema haben Sie gut gewählt, danke dafür. Aber jetzt sollten Sie jenseits (in vielen Teilen ja berechtigter Kapitalismuskritik) Köpfe um sich scharen, die konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten und für deren Umsetzung weltweit kämpfen. Schöne Adventszeit!
Günter Morsbach: Ein bischen konkreter wäre es vom unfehlbaren Papst schon gut, statt den „Kapitalismus“ – was auch immer damit gemeint sei – pauschal in die Verantwortung zu nehmen. Welches Modell der gesellschaftlichen Veränderung findet er denn gut, da gibt es beispielsweise China, Russland, Nordkorea, Südkorea, Indien, Kuba, Südafrika, die deutsche Vereinigung oder Polen? Was sind seine Kriterien, die Beseitigung des Hungern, Schutz des Eigentums, der Gesundheit, die persönliche Freiheit oder was? Das Thema ist so wichtig, dass Franziskus schon nachlegen muss.
Stevanovic: Wenn 200 Regierungen, 500 Revolutionen, 1000 NGOs, 2000 Philosophen und eine UNO keine allgemeine Lösung finden, überfordern wir den kleinen Vatikan etwas.
… niemand und nix überfordert die Kirche Christi. … aber man/frau sollte wenigstens lesen!
Würde der Papst konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten, würde er seine Kompetenzen überschreiten. Das Oberhaupt einer Kirche, das eine bestimmte Gesellschaftsordnung aus theologischen Gründen fordert, klingt doch eher gruselig.
Wenn 200 Regierungen, 500 Revolutionen, 1000 NGOs, 2000 Philosophen und eine UNO keine allgemeine Lösung finden, überfordern wir den kleinen Vatikan etwas. Zumal ja 2000 Jahre Zeit und die Vorschläge nicht immer wirklich rund waren. Politik muss Lösungen finden, Theologen dürfen sich erlauben, nur zu kritisieren.