avatar

„Rolling Stone“, Charles Manson, und die Beatles (Teil 1)

Die Zeitschrift „Rolling Stone“ hat in ihrer neuesten Ausgabe – ich rede von der amerikanischen, nicht der deutschen – wieder mal ein Gespräch mit dem Massenmörder Charles Manson:

 http://www.rollingstone.com/culture/news/charles-manson-today-the-final-confessions-of-a-psychopath-20131121

Die Faszination der Zeitschrift, die sich einmal als Sprachrohr der „Gegenkultur“ verstand, mit dem Mann, der dieser Gegenkultur ihre Unschuld nahm, ist einerseits verständlich; andererseits hat es „Rolling Stone“ nie vermocht, Manson sozusagen in die Augen zu sehen und seinem Blick auszuhalten. Wann immer die Zeitschrift auf Manson zu sprechen kommt, ist eine ähnliche Hemmung und Verklemmung zu erkennen wie in großen Teilen der alternden deutschen 68er Bewegung, wenn es um die RAF, die Bewegung 2. Juni und so weiter geht.

Erinnern wir uns: Charles Manson – Jahrgang 1934, selbst also kein Angehöriger der Generation, die in den USA als Babyboomer bezeichnet wird und Trägerin der Revolte der 60er Jahre war  – hatte als Heimkind und Kleinkrimineller den größeren Teil seines Lebens in Fürsorge- und Strafeinrichtungen verbracht, als er 1967, frisch aus dem Gefängnis, die Hippie-Szene Kaliforniens für sich entdeckte und bald eine kleine Schar von Anhängern um sich scharte – größtenteils junge Mädchen und Frauen, die von ihren meist bürgerlichen Elternhäusern weggelaufen waren, die große Freiheit in San Francisco oder Los Angeles suchten, und in Manson eine Art Ersatzvater, einen Guru und Liebhaber fanden.

Manson verfügte – und verfügt immer noch, wie der Bericht Erik Hedegaards in „Rolling Stone“ klarmacht – über ein erhebliches Charisma. Im Gefängnis war er mit der Church of Scientology in Verbindung gekommen, deren Kontrolltechniken er übernahm, um zusammen mit exzessiver Drogeneinnahme, sexueller Promiskuität und dem Kult um seine eigene Person das „Ego“ – sprich die Reste bürgerlicher Moralität und individuellen Verantwortungsgefühls – in seinen Anhängern auszulöschen. Diese Sektenstruktur garnierte er mit Bruchstücken des evangelikalen Christentums, des Satanismus, der rechtsextremen Rassenlehre und der Hippie-Terminologie; alles sei erlaubt, ja gut, wenn sie im Namen der Liebe geschehe; die Liebe aber sei Charles Manson. Teilweise hielt er sich für Jesus Christus.

Die Genese der Manson-Familie ist ein typisches Beispiel dafür, wie der Aus- und Aufbruch aus bürgerlicher Enge in die vermeintliche Freiheit in noch größere Enge und absolute Unfreiheit führen kann. Im Rahmen der Familie hatten die Frauen den Auftrag, die wenigen Männer sexuell und auch sonst zu bedienen, für sie zu betteln oder sich zu prostituieren, um weitere männliche Anhänger anzulocken, Kinder zu kriegen, zu putzen und zu kochen. Und schließlich auch zu morden.

 

In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 drangen Mitglieder der Familie auf Anweisung Mansons in ein Haus in Hollywood ein und ermordeten dort auf bestialische Weise fünf Menschen, darunter die im achten Monat schwangere Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau des Filmregisseurs Roman Polanski. In der nächsten Nacht drangen sie, diesmal von Manson geführt, in ein weiteres Haus ein und ermordeten das Ehepaar LaBianca. Die Opfer waren rein zufällig ausgewählt worden. 

Am Ort ihrer Verbrechen hinterließen die Mörder Botschaften: An die Tür des ersten Hauses schrieben sie „Pig“ mit dem Blut eines der Opfer. An die Wand des LaBianca-Hauses schrieben sie mit Blut „Death to Pigs“ und „Rise“; an die Kühlschranktür „Helter Skelter“ (eigentlich „Healter Skelter“); in den Bauch Leno LaBiancas ritzten sie das Wort „War“, außerdem stachen sie ihm eine Gabel in den Bauch und ein Messer in den Hals.

Die „Tate-LaBianca-Morde“ waren zwar weder die ersten noch die letzten, die von Mitgliedern der Manson-Familie begangen wurden. Vincent Bugliosi, der als Staatsanwalt die Täter in diesen beiden Fällen vor Gericht brachte, schätzt, dass bis zu 35 Morden auf das Konto der Kommune gehen könnten. Für die meisten freilich haben die Indizien nicht einmal zur Anklagerhebung gereicht. Hinzu kommt der – gut dokumentierte, weil am helllichten Tag aus nächster Nähe erfolgte – Mordanschlag, den die inoffizielle Führerin der Familie nach Mansons Verurteilung, Lynette Fromme, 1975 auf den US-Präsidenten Gerald Ford verübte. Doch die Brutalität der Verbrechen und der Bekanntheitsgrad einiger der Opfer – neben Sharon Tate etwa der Promi-Friseur Jay Sebring und die Millionen-Erbin Abigail Folger – sorgten und sorgen dafür, dass vor allem diese beiden Fälle im Gedächtnis geblieben sind; sie waren außerdem Gegenstand des bi dato längsten und teuersten Prozesses der amerikanischen Geschichte. Bugliosi hat darüber das definitive Buch geschrieben: „Helter Skelter“.

 

Die Ermittlungen gestalteten sich – hauptsächlich infolge der unfassbar schlampigen Arbeit der Polizei – langwierig. Erst Monate nach dem Mord hatte die Polizei überhaupt die Manson-Familie im Visier. Doch selbst als die Anklage genügend Beweise in der Hand hatte, um vier der sechs Tatbeteiligten  – Charles Manson, Susan Atkins, Linda Krenwinkel und Leslie van Houten – wegen Verschwörung zum Mord und Mord in sieben Fällen vor Gericht zu stellen, fehlte das Motiv. (Warum nur vier der Sechs? Der männliche Tatbeteiligte, „Tex“ Watson, wurde zu spät vom Staat Texas an Kalifornien ausgeliefert und in einem abgetrennten Verfahren verurteilt; die vierte weibliche Tatbeteiligte, Linda Kasabian, die nur mitgefahren und Schmiere gestanden hatte, erhielt als Kronzeugin der Anklage Immunität. Warum „Verschwörung“? Verabredet eine Gruppe von Menschen ein Verbrechen, gilt das als „Verschwörung“, bei der alle Mitglieder der Verschwörung gleich schuldig sind; in diesem Falle auch Manson, der nur die Anweisungen gegeben hatte.)

Zwar muss einem Mörder kein Motiv nachgewiesen werden; jedoch ist das Vorhandensein eines Motivs als Puzzlestein beim Indizienbeweis hilfreich. Bugliosi entwickelte schließlich die These von „Helter Skelter“, die seinem Buch den Namen gab:

 

Manson war – ausgehend von neunten Kapitel des biblischen Buchs der Offenbarung („Revelation 9“) – zur Überzeugung gekommen, dass die dort beschriebene Endzeit gekommen sei. Dies würde nach seiner Meinung die Gestalt eines Aufstands „des schwarzen Mannes“ gegen „den weißen Mann“ annehmen, in dessen Verlauf alle Weißen ausgerottet würden – bis auf Manson und seine Anhänger, die sich in eine Höhle in der Wüste zurückziehen würden, wo sie sich vermehren würden, bis sie in der Bibel genannte Zahl von 144.000 erreicht hätten. Etwa um diese Zeit würden die rassisch unterlegenen Schwarzen erkennen, dass sie ohne den weißen Mann dessen Zivilisation nicht am Laufen halten können und dem Messias Manson – „Man’s Son“, Menschensohn – die Führung anbieten. Das in „Revelation 9“ angekündigte Tausendjährige Reich werde damit anbrechen.

 

 Woher aber wusste Manson, dass die biblische Endzeit angebrochen war? Ganz einfach. In „Revelation 9“ werden vier Engel beschrieben, die mit lauter Stimme den Anbruch der Endzeit verkünden. Diese vier Engel waren für Manson die vier Beatles, die in ihrer Musik – besonders aber mit dem Ende 1968 erschienenen „Weißen Album“  – deutlich, für jeden, der Ohren zu hören hatte, überdeutlich – die Zeitenwende verkündeten. Herrgottnochmal, da gab es sogar eine Nummer auf dem Album, die „Revolution 9“ hieß! Revelation 9 – Revolution 9! Und diese Nummer war ja eine Soundcollage, die das Chaos des Rassenkriegs nur zu genau beschreibt: Schweinegrunzen, Maschinengewehrsalven, Gemurmel von Messerstechereien, Schreie, darunter ein Mann, der ständig „Rise!“ ruft. Dieses Endzeit-Chaos bezeichnete Manson als „Helter Skelter“, nach dem gleichnamigen Song auf dem selben Album, einer Proto-Heavy-Metal-Nummer, bei der es heißt, dass das Unterste zu oberst gekehrt werde: „When I get to the bottom I go back to the top …“ Ja, das Weiße Album steckte voller Botschaften. Allein schon die Farbe oder Nichtfarbe des Covers,: Weiß! Eine Botschaft an den weißen Mann. Da war „Blackbird“, in dem es heißt, der schwarze Vogel – der schwarze Mann also – habe nur auf diesen Augenblick gewartet, um frei zu sein, um aufzustehen („You were only waiting for this moment to arise!“). Da war „Honey Pie“, in dem Paul McCartney direkt Manson anspricht, der sich als Popsänger versucht hatte, mit seinen eigenen Songs jedoch bei Hollywood-Größen wie dem Beach Boy Dennis Wilson und dem Produzenten Terry Melcher abgeblitzt war: „Come and show me the magic of your Hollywood songs“. Die Botschaft war sonnenklar.

 

Mehr morgen … 


Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

4 Gedanken zu “„Rolling Stone“, Charles Manson, und die Beatles (Teil 1);”

  1. avatar

    @ Jean-Luc. Ja.
    @ Aron Sperber: Die Mörderinnen wirken auf mich nicht „völlig vernünftig“. Auffällig viele AnhängerInnen Mansons sind wiedergeborene Christen geworden. Sie haben nur eine Gewissheit gegen eine andere eingetauscht.

  2. avatar

    So wie in Deutschland die RAF zu einem krankhaften Auswuchs der Studentenbewegung pervertierte, war die “Manson Family” der schlimmste Auswuchs der am Anfang so jugendlich-unschuldigen Hippie-Bewegung.

    http://aron2201sperber.wordpre.....r-skelter/

    Heute wirken die Mörderinnen im Gegensatz zum Anstifter wieder völlig vernünftig – sie haben sich mit ihren Taten auseinandergesetzt und den faulen Zauber der “Family” abgeschüttelt.

    Trotzdem wird ihnen bis heute die Begnadigung versagt. Das Rache-Bedürfnis der Opfer-Angehörigen, die die Mörder ihrer Lieben für immer hinter Gittern sehen wollen, wiegt in den USA schwerer als das Recht der Täter, bei echter Reue staatliche Vergebung zu finden.

    Völlig anders als in Deutschland, wo RAF-Mörder trotz ihrer Weigerung, die genauen Umstände ihrer Verbrechen endlich aufzuklären (also einem wohl schweren Mangel an Reue), begnadigt wurden:

    Beides für mich keine idealen Systeme.

  3. avatar

    Cher Alan Posener,

    gehoeren sie nicht auch zu 68 er Generation, die nostalgisch sich zuruecklehnt, wenn sie von den Gespraechen mit den miners in Manchester und von ihrer Fliessband arbeit bei Opel berichten??

    >Wann immer die Zeitschrift auf Manson zu sprechen kommt, ist eine ähnliche Hemmung und Verklemmung zu erkennen wie in großen Teilen der alternden deutschen 68er Bewegung, wenn es um die RAF, die Bewegung 2. Juni und so weiter geht.<

  4. avatar

    Mit Revolution Nr. 9 haben Sie einen Volltreffer gelandet. Gratulation. Das Thema geistiges Lumpenproletariat bleibt trotzdem spannend. mfg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top