Einige Leser waren ein wenig verstört, als ich letzte Woche den sarkastischen Verriss eines Waschzettels – einer Buchankündigung, die als Text selbstverständlich ein genauso legitimer Gegenstand der Kritik ist wie etwa ein Beipackzettel – dazu benutzte, einige harsche Dinge über einen Kollegen zu sagen. Das gehöre sich nicht, meinten einige; eine Krähe habe der anderen kein Auge auszuhacken.
Es meldeten sich auch gleich zwei Journalisten der FAZ zu Wort, Claudius Seidl (auf meiner Facebook-Seite) und Rainer Hank (hier); allerdings nicht, um Frank Schirrmacher zu verteidigen. Seidl verwahrte sich gegen die Unterstellung, eine „Kreatur“ Schirrmachers zu sein; Hank gegen die Unterstellung, der Wirtschaftsteil jener Zeitung rede „Bankern nach dem Mund“. Beide Unterstellungen nehme ich hiermit gern zurück.
Was nun die Frage persönlicher Angriffe angeht, so hat zeitgleich mit meiner kleinen Satire Schirrmacher – ein Meister, wo ich allenfalls Lehrling bin – vorgemacht, wie das geht. Und zwar hat er die Diskussion um die Vorgänge im Hause Suhrkamp benutzt, um den Journalisten Richard Kämmerlings (von 2001 bis 2010 Literaturredakteur der FAZ, seitdem leitender Redakteur im Feuilleton der „Welt“) persönlich aufs Gröbste zu diffamieren.
Ich muss vorweg schicken, dass ich von der Sache selbst nicht die geringste Ahnung habe. Ich weiß also nicht, wer von beiden in seiner Interpretation der Ereignisse Recht hat. Kämmerlings hatte jedenfalls – aufgrund seiner Bekanntschaft mit einigen Autoren bzw. früheren Autoren des Hauses sowie mit dem Sohn des verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld – der herkömmlichen Deutung des Streits als Kampf zwischen Geist (vertreten durch Unselds Witwe Ulla Berkéwicz) und Geld (vertreten durch den Investor Hans Barlach) zu widersprechen gewagt und die Genese des Problems in einem Familiendrama im Hause Unseld selbst vermutet. Wie gesagt, das mag oder mag nicht stimmen; mir ist das herzlich gleichgültig. Wie aber reagierte Schirrmacher auf den Artikel des Mannes, der ihm neun Jahre lang als Literaturredakteur gedient hat? Am 20. Dezember schrieb der Mit-Herausgeber in der FAZ:
Wer wissen will, wo heute noch „Herz“ auf „Schmerz“ und „Liebe“ auf „Triebe“ gereimt werden, lese nach, wie mancher Journalist sich seinen Reim auf den Zwist im Hause Suhrkamp macht. Dann kann man erkennen, wie ein ernster Verlagskonflikt in die Version fürs Poesiealbum zurechtgestutzt wird: Das Falsche wird passend gemacht, weil es gut klingt. Banale psychologische Deutungen von Mensch und Welt, die Literaturkritiker in keinem Gedicht, in keinem Drama, in keinem Roman durchgehen lassen würden, fließen aus ihrem übervollen Herzen, wenn sie selbst in die Tasten greifen. Weil Kitsch immer auch perfide ist, verbirgt sich dahinter nicht nur ein ästhetischer sondern auch ein moralischer Defekt.
Das ist gut gegeben und sehr witzig: Bis auf den letzten Satz. Für die Unterstellung, der Journalist, der nicht der Deutung Schirrmachers folgt, leide unter einem „moralischen Defekt“ gibt es nur ein zutreffendes Wort, und Schirrmacher liefert es selbst: Das ist „perfide“.
Nun, Kämmerlings verteidigte seine Deutung, ohne mit einem Wort auf den moralischen Charakter Schirrmachers zu rekurrieren. Schirrmacher antwortete am 27. Dezember mit einer Hasstirade, die man in der deutschen Presse selten in dieser Schärfe zu lesen bekommt.
Kämmerlings sei „zu bequem zum Recherchieren oder auch nur zum Anrufen“. Gleichzeitig freilich wirft ihm Schirrmacher einen „indiskreten Rechercheeifer“ vor, weil Kämmerlings „die Hausnummer des Hauses (sic), in dem die Verlegerin wohnt“, genannt hat. (Es handelt sich wohlgemerkt um ein Haus, in dem öffentliche Veranstaltungen des Verlags stattfinden sollen, der deshalb an die Besitzerin Miete zahlt. Um die Höhe dieser Miete und die Verwendung von Verlagsgeldern im Haus geht es ja im Prozess, den Barlach gegen Berkéwicz führt.) Weil ihm ein Brief Joachim Unselds vorlag, der die Sache anders darstellt als Schirrmacher, sei Kämmerlings „blind geworden“. Als Motiv für dessen unbotmäßige Interpretation der Suhrkamp-Geschichte unterstellt Schirrmacher zunächst, Kämmerlings wolle „sich mit der Deutung der Suhrkamp-Querelen einen Namen machen“. Als habe ein Literaturkritiker vom Range Kämmerlings das nötig. Aber nicht nur das. Die „Hexenjagd“ gegen Frau Berkéwicz habe in Wirklichkeit vermutlich das Ziel, sie zu nötigen, dem Gesellschafter Hans Barlach seine Anteile zu überhöhten Preisen abzukaufen, damit endlich Ruhe sei. Es handele sich also um eine „psychologische Kriegsführung mit willigen Helfern.“ Die Anspielung auf jene „willigen Vollstrecker“, von denen einst Daniel Goldhagen sprach, darf man bei einem derart sublimen Stilisten wie Schirrmacher durchaus als gewollt annehmen; auch dafür gilt das Adjektiv: perfide.
Zum Schluss nur eine kleine Anmerkung. Schirrmacher wirft Kämmerlings nicht nur charakterliche Defekte, sondern auch einen Bruch journalistischer Konventionen vor, weil er sich zur Stützung einiger Vermutungen auf Joachim Unseld berufen hat:
Da es aber in allem stets noch eine Stufe tiefer geht, bricht der „Welt“-Redakteur einen stillschweigenden Konsens des Journalismus jenseits der Regenbogenpresse, der, bis heute jedenfalls, mit guten Gründen darauf achtet, in Familienkriegen den Beteiligten nicht den Status von Zeugen zu geben.
Man fragt sich natürlich, welchen Status Familienmitglieder bei Familienkriegen sonst haben sollten: Staatsanwälte? Verteidiger? Geschworene? Richter? Natürlich sind sie höchstens Zeugen, Zeugen zudem in eigener Sache, und als solche – und nur als solche – wertvoll. Wenn aber schon von einem „stillschweigenden Konsens“ die Rede ist: woher hat Schirrmacher seine Einblicke in diesen Familienkrieg? Darüber gab er, sieben Tage, bevor er jenen „stillschweigenden Konsens“ aus dem Hut zauberte, bereitwillig Auskunft: Der verstorbene Siegfried Unseld habe mit ihm, Schirrmacher, oft über die Zukunft des Verlags geredet und seinen Willen bekundet, Ulla Berkéwicz als Nachfolgerin einzusetzen:
Er (Siegfried Unseld, A.P.) führte seinerzeit viele solcher Gespräche. Wir trafen uns oft … Eines Tages bat er mich (und gewiss auch andere), auf sie (Ulla Berkéwicz, A.P.) einzuwirken. Sie sah voraus, dass ihre Karriere als Schriftstellerin unweigerlich Schaden nehmen würde, und sie sah voraus, dass der Betrieb sie als Usurpatorin attackieren würde. Es war ein langer Prozess, bis sie sich dazu überreden ließ.
Schirrmacher ist also Partei im Familienkrieg, denn die Einsetzung von Ulla Berkéwicz als Verlegerin, zu der sie Schirrmacher (und andere) „überreden“ mussten, ging ja einher mit der Entmachtung des Sohns.
Quod licet Jovi, non licet bovi?
Noch einmal: ich bin hier nicht Partei. Ich wurde einmal bei irgendeiner Preisverleihung Frau Berkéwicz vorgestellt, fand sie reizend, und mir fehlt jede Möglichkeit, selbst wenn ich die Neigung verspüren würde, die Hintergründe dieses Familien- und Verlagsdramas aufzuhellen.
Mir geht es nur darum, in der Art, wie ein Kollege in seiner ehemaligen Zeitung fertig gemacht wird, das aufzuzeigen, was Frank Schirrmacher, sich selbst so gut treffend, „die Mechanik einer Rufschädigung“ nennt.
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Arabellist Mursi erklärt
Daraufhin:
Bundeskanzlerin Angela Merkel sandte dem gewählten Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten, Mohammed Mursi, folgendes Glückwunschschreiben:
Sehr geehrter Herr Dr. Mursi,
zur Wahl zum Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten gratuliere ich Ihnen herzlich.
Ägypten steht vor großen Herausforderungen. Dazu zählen insbesondere die Fortführung des demokratischen Wandels und die Förderung der nationalen Einheit. Außerdem gilt es, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzubringen und den inneren und äußeren Frieden zu garantieren.
Deutschland wird die Arabische Republik Ägypten bei der Bewältigung dieser Aufgaben begleiten und weiterhin tatkräftig unterstützen.
Für Ihr neues Amt wünsche ich Ihnen viel Erfolg und eine glückliche Hand.
Mit freundlichen Grüßen
Angela Merkel
Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland
@EJ: Hinsichtlich Optimismus würde ich sagen, dass der beste Weg nicht mehr der wahrscheinlichste und sicherste ist. Man muss selber irgendwie den Karren aus den Dreck ziehen, von selber geschieht nichts. Unsere Modelle sind inzwischen so komplex, dass sie ihre eigene Unzulänglichkeit miteinbeziehen müssen. (Das spricht allerdings für sie.) Tatsächlich wissen wir nicht, was da für eine Entwicklung in Ägypten im Gange ist und wohin sie führt; wir können nur Evidenzen sammeln und hoffen. Wie Sie sagen. Auf der anderen Seite greifen wir mit unseren Modellen in das Geschehen ein und verändern die Ereignisse. Je mehr wir z.B. von einer ultimativen Großkonfrontation zwischen „der islamischen Welt“ und uns, „dem Westen“, ausgehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass es genau so kommt. Nicht nur wir, auch unsere weltanschaulichen Gegner richten sich dementsprechend aus. Von daher ist Optimismus auch als Mittel zum Zweck geboten.
Schade, dass Sie hier so selten geworden sind; bis zum nächsten Besuch!
… wie kommen die Genossen nur darauf, der Mohammedanismus-Gründungsmythos, EJ, ;-)) wird sich auf ‚Palästina‘ beschränken?
… können die Genossen erklären, warum die ‚BRD‘ in Syrien Islamisten an die Macht bombt, in Mali bekämpft und im eigenen Land Hartz IV gewährt?
Links-Pirouetten. Oder?