Nach dem Pfingstsonntag, der ja den Beginn der Missionstätigkeit der Ur-Kirche markiert, möchte hier sozusagen als Advocatus Dei zwei Einwände gegen den Atheismus vorbringen, die meines Erachtens auch ein Gegner der Religion ernst nehmen muss, wenn er selber ernst genommen werden will.
Der erste Einwand ist der Einwand aus der Schönheit.
Wie viele wunderbare Werke hat die Religion hervorgebracht: Literarische Meisterwerke wie die Ilias und die Odyssee, die Bibel und den Koran; gotische Altarbilder und hinduistische Götterstatuen; Bauwerke wie Notre Dame, die Blaue Moschee, Angkor Wat; Musik wie Bachs Weihnachtsoratorium, die Gospelmusik von Mahalia Jackson und Elvis Presley, die kunstvollen Gesänge der Muezzin, die Reggae-Musik des Rasta-Kults und so weiter und so fort. Wenn man den Beitrag der Religionen zur Verschönerung des Lebens wegdenkt, müsste man sich unser Leben so vorstellen wie in einer riesigen Plattenbausiedlung, bei der aus jeder Wohnung das Geräusch von Dudelradio und Killerspielen drängt. Wer möchte in einer solchen hässlichen neuen Welt leben?
Der zweite Einwand ist der Einwand aus dem Totalitarismus: Hat nicht das 20. Jahrhundert gezeigt, dass explizit atheistische Regimes wie Nationalsozialismus und Kommunismus viel schlimmere Verbrechen begehen als wir es selbst von den Inquisitoren, Kreuzzüglern und Dschihadisten kennen? Ist die Religion nicht also zur moralischen Mäßigung des Menschen nötig?
Beide Argumente freilich berühren nicht die Frage, ob es Götter oder Göttinnen gibt; also nicht die Wahrheitsfrage. Es könnte ja sein, dass die Religionen lediglich eine kulturell nützliche, vielleicht sogar notwendige Fiktion sind. Aber sind sie das?
Auf den ersten Einwand gegen den Atheismus, den Einwand aus der Schönheit, würde ich folgendes antworten: dass die Kunst in der Vergangenheit an den Kultus gebunden war, ist unstreitig. Dass sie es nicht sein muss, haben die letzten 200 Jahre bewiesen. Die fast völlig areligiöse Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts braucht den Vergleich mit keinem anderen Jahrhundert zu scheuen. In der Musik hat das säkulare Europa die Oper und die Symphonie, das säkulare Amerika den Jazz, den Blues und den Rock’n’Roll hervorgebracht. Die vielgeschmähte moderne Architektur hat Häuser und Räume geschaffen, vom Chrysler Building in New York über die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart bis Zaha Hadids Museum für zeitgenössische Kunst in Rom, die einem den Atem so gut rauben wie irgendeine gotische Kathedrale. Und wenn ich eine solche Kathedrale betrete, bewundere ich wie in allen großen Werken der religiösen Kunst den menschlichen Geist, der so viel Schönheit hervorbringt. Übrigens vergesse ich bei der Kathedrale nicht, dass dieses Bauwerk auch der Einschüchterung und der Demonstration von Macht diente. Shock and awe. Kunst ist, wie Religion, Menschenwerk.
Der zweite Einwand ist gewichtiger. Und die erste Antwort darauf ist, dass nicht nur Religionen gefährlich sind, sondern auch – ja erst recht – Religionsersatz. Keiner kann ernsthaft leugnen, dass der Kommunismus des aus einer alten Rabbinerfamilie stammenden Christen Karl Marx seine ganze Struktur dem Mythos des Christentums verdankt – paradiesische Zustände im Urkommunismus, der Fall des Menschen durch die Erfindung des Privateigentums, die Ankunft des Messias mit einer Heiligen Schrift, dem Manifest, der Endkampf zwischen Gut und Böse in Gestalt der Weltrevolution und der Errichtung des wiedergewonnenen Paradieses in Gestalt des Kommunismus. Auch der Nationalsozialismus ist in seinem Kern eine gnostische Religion, bei der die Lichtmenschen, die Arier, gegen die Kräfte der Finsternis, angeführt durch die ganz und gar materialistischen Juden, den Kampf um die Rettung der Erde führen. Mit der wirklichen Religion teilen diese Ersatzreligionen den entscheidenden Zug der Nichtwiderlegbarkeit. Wenn es kein Leben nach dem Tod gibt, werden wir es erst nach dem Tod erfahren – oder vielmehr: dann werden wir es eben nicht erfahren. Wenn die Massen nicht für den Kommunismus kämpfen, dann leiden sie eben unter falschem Bewusstsein. Wenn die Arier unterliegen, dann beweist das ja nur, wie gefährlich das Weltjudentum ist. So sehr sich der marxistische Sozialdarwinismus und der moderne Antisemitismus einen wissenschaftlichen Anstrich geben: ihnen fehlt das entscheidende Kriterium der Wissenschaftlichkeit: die Überprüfbarkeit im Experiment, die Widerlegbarkeit durch die Praxis. Dagegen haben sie sich – von den Religionen lernend – immunisiert. Als Jesus in der Wüste weilt, schlägt ihm Satan ein Experiment vor: er soll sich von einem hohen Turm werfen. Wenn er Gottes Sohn ist, würden ihn die Engel schon auffangen. Jesus antwortet: Du sollst Gott nicht versuchen. Sprich: allein schon der Gedanke daran, die Aussagen der Religion einer Überprüfung zu unterzeihen, ist Sünde. Unsere Ehre heißt Treue hieß es bei den Nazis. Treue also statt Denken. Ähnlich geht es bei der kommunistischen Partei zu. Berüchtigt ist Brechts „Lob der Partei“:
Der Einzelne hat zwei Augen, / Die Partei hat tausend Augen. / Die Partei sieht sieben Staaten, / Der Einzelne sieht eine Stadt. / Der Einzelne hat seine Stunde, / Aber die Partei hat viele Stunden. Der Einzelne kann vernichtet werden, / Aber die Partei kann nicht vernichtet werden. / Denn sie ist der Vortrupp der Massen / Und führt ihren Kampf / Mit den Methoden der Klassiker, welche geschöpft sind / Aus der Kenntnis der Wirklichkeit.
Amen, möchte man sagen, und wenn man das Wort „Partei“ durch „Katholische Kirche“ ersetzt, würde Papst Benedikt vermutlich wenig an dem Gedicht auszusetzen haben. Apropos Benedikt. Er hat sein Pontifikat unter das Zeichen des Kampfs gegen die Diktatur des Relativismus gestellt. Also für die Diktatur der Wahrheit. Aber nur ein konsequenter Relativismus kann uns vor den Gefahren bewahren, die im angeblichen Wissen um die Wahrheit liegen. Dies ist das schlimmste Erbe der monotheistischen Religion: die Offenbarung der Wahrheit. Übrigens immer so, dass es die anderen Menschen nicht sehen und hören können: Auf dem Berg Sinai, in der Wüste Judäas, in der Höhle. Selbst auf dem Weg nach Damaskus sah nur Paulus das Licht, hörte nur Paulus die Stimme. Wer sagt, dass wir ohne Religionen besser dran wären, meint vor allem dies: Wir brauchen keine geoffenbarten letzten Wahrheiten; wir brauchen den Dialog über vorübergehende Regelungen. Wir brauchen die Bereitschaft, anzuerkennen, dass die Gegenseite recht haben könnte. Man komme mir nicht mit dem billigen Einwand, dann sei alles möglich, das sei eine Philosophie des „Anything Goes“.
Man komme mir nicht mit jener abstoßenden Parole, mit der die Kirchen letztes Jahr versuchten, die Freiwilligkeit des Religionsunterrichts in Berlin aufzuheben: „Werte brauchen Gott“. Quatsch. Fast all die Werte, die uns wichtig sind – Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gleichberechtigung der Rassen – und auch der Religionen! – Anerkennung des Werts der Sexualität einschließlich aller möglichen so genannten Perversionen – das alles ist gegen die Religion erkämpft worden und wird noch gegen die Religion erkämpft. Und was die private Moral angeht: Eheliche Treue? Ich sage nur: Seehofer. Aufrichtigkeit? Guttenberg. Schutz der Kinder? Ich sage nur: Sakristeien, Internate, Priesterseminare.
Ansonsten: dass man Leute nicht totschlagen, berauben, belügen und betrügen soll, das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Und wo er das nicht tut, hilft auch keine Religion, wie wir wissen.
Wir können die Schönheit der früheren religiösen Kunst bewundern, wir können die Gefühle respektieren, die Gläubige für ihre Götter hegen – müssen das aber nicht: wir können es auch reichlich albern oder zutiefst vermessen finden, dass der Schöpfer des Universums sich ärgert, wenn ich Schweinefleisch esse oder mit einem gleichgeschlechtlichen Partner Sex habe. Wir können anerkennen, dass im Kampf gegen die moderne Barbarei zwar nicht viele, aber doch eine Reihe religiös motivierter Menschen standen, während viele Barbaren sich als Atheisten verstanden. Aber wir müssen entschieden den Anspruch jeder Religion – und erst recht jeder Ersatzreligion – zurückweisen, im Namen der Wahrheit zu sagen, was richtig und was falsch ist. Wir sind alt genug, das selber zu wissen und aus unseren Fehlern selbst zu lernen. Jeder von uns wäre ein besserer Mensch, wenn er sich vornehmen würde, so zu leben, als ob es auf ihn selbst ankäme, also ohne die Krücke, die uns die organisierte Religion bietet.
Folge uns und like uns:
@derblondehans: Genau, als Gegenprogramm zur rein rationalen Erziehung habe ich an ‚Jenen Rabbi‘ gedacht.
Der menschlichen Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt. Auch Wissenschaftlichkeit schützt vor Torheit nicht. Unter „Eisberge und Tsunamis“ habe ich über die Träume von Ingenieuren und Wissenschaftlern des Sozialismus geschrieben. Kürzlich habe ich mir ein Buch von Arnold Künzli „Menschenmarkt – Die Humangenetik zwischen Utopie, Kommerz und Wissenschaft“ gelesen. Es war für mich erschreckend, was Wissenschaftler nach 1945 für Ideen und Vorstellungen von der Zukunft der Menschen haben konnten: der perfekte Mensch. An der Utopie des neuen Menschen ist schon der Sozialismus gescheitert. Dies sollte und soll mit Genetik und Biotechnologie erreicht werden?
Der wissenschaftsgläubige Mensch ist leichtes Opfer, vor allem wenn die Lösung als einfach und überzeugend daherkommt. Früher ging es doch auch ohne Ritalin.
Oh? Da hat jemand, weiter oben, ‚jenen Rabbi‘ ‚verschoben‘. Daher – Link noch einmal. 😉
http://www.livenet.ch/neuigkei....._sein.html
„Marx glaubte, er habe die Erklärung historischer Entwicklungen auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt, sodass die Menschheit nun die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft mit wissenschaftlicher Genauigkeit voraussagen könne.“ Bryan Magee: Geschichte der Philosophie
Diese Wissenschaftlichkeit war immer wichtig, sie wurde immer wieder betont.
Marx war offen religionsfeindlich („Die Religion ist das Opium des Volkes“ Karl Marx). Die Religion ein Instrument zur Ausübung von Herrschaft?
Über die Funktion der Kunst nach marxistischer Idee: Die wahre Funktion der Kunst ist die Gesellschaftskritik, ein revolutionäres Instrument. Wie sehr kann mich völlig unpolitische Kunst berühren: Farben, Töne, Worte, Tanz kombiniert in immer neuer Weise. Ist es purer Zeitvertreib, Sinnsuche, Ästhetik oder eine Sehnsucht nach Spiritualität?
Reicht eine rein rationale Erziehung?
Den Wunsch des Menschen als soziales Wesen nach Einbindung können Religionen auch erfüllen. Die Gemeinsamkeit im Glauben, Rituale, Meditation, die Versicherung das gleiche Ziel zu haben, die Solidarität mit Gleichgesinnten schafft das Gefühl von Sicherheit und Stabilität.
@Roland Ziegler
Ich weiß es nicht. Es gibt aber offensichtlich eine tief eingewurzelte Überzeugung, es zu wissen. Vielleicht ist diese Überzeugung ja ein evolutionärer Vorteil. Wäre ein Lebewesen ohne diese Überzeugung überhaupt überlebensfähig? Wahrscheinlich nicht.
Man kann einen Anspruch auf Wahrheit erheben, ohne zu wissen was Wahrheit ist. Der Tausendfüssler kann laufen, ohne zu wissen wie das geht.
@Hänschen klein: Wenn Sie nicht wüssten, was Wahrheit ist, wäre Ihr Alltagsleben noch beschwerlicher. Mit jedem Aussagesatz, den Sie äußern (und wie viele kommen da pro Tag zusammen?) erheben Sie einen Anspruch auf Wahrheit. Wenn Sie zu jemanden sagen: „Nein, das stimmt nicht, Sie täuschen sich!“ oder, ein paar Stufen härter: „Das ist eine niederträchtige Lüge!“, dann wenden Sie Ihr Wissen um Wahrheit explizit an. Nur wenn Sie anfangen, über eine trennscharfe Definition nachzudenken, haben Sie das Gefühl, dass Ihnen der Begriff entgleitet. Dass es unentscheidbare, selbstwidersprüchliche Äußerungen gibt, beschädigt den robusten Wahrheitsbegriff keineswegs. Es gibt eben – für ihn wie für jeden anderen Begriff auch – Grenzfälle.
@Roland Ziegler
„Jede Sprache lässt sich erkären, sonst wäre sie nicht mal demjenigen verständlich, der sie vorgeblich beherrscht.“
Seit ca. 2500 Jahren versuchen Philosophen zu erklären, was das Wort „wahr“ bedeutet. Bis heute ohne Erfolg. Im 20.Jahrhundert haben sie dann gemerkt, dass solch eine Erklärung gar nicht möglich ist, denn sie wäre sebstreferentiell, das heißt sie wäre von der Art: „Der Kreter sagt, alle Kreter sind Lügner.“
Wir werden damit leben müssen, nicht zu wissen, was Wahrheit ist. Ich finde das eigentlich ganz interessant. Wenn es Gott geben würde, wäre das seine bisher beste Idee gewesen.
@Hänschen klein: Einverstanden, wenn man die „gewisse gemeinsame kulturelle Basis“ sehr weit fasst. Jede Sprache lässt sich erkären, sonst wäre sie nicht mal demjenigen verständlich, der sie vorgeblich beherrscht. Unsere Kinder müssen unsere Sprache ja auch irgendwie lernen; prinzipiell exklusive Privatsprachen gibt es nicht.
Ich denke, es geschieht den monotheistischen Religionen ganz recht, wie Roland Ziegler sie auf konsensfähige konventionelle Wahrheiten abklopft. Möglicherweise ist das der Weg, so man denn irgendwann zufrieden und „gesättigt mit Wahrheit“ ist, sie zu entschärfen, gewissermaßen zu Haustieren zu domestizieren, wie die alten Römer Hausgötter hatten, und mit diesen schönen, etwas enigmatischen, durch ihr Alter geadelten Katzen gemütlich und ganz entspannt zu schnurren (pistein, auf sie zu vertrauen).
Berücksichtigen sollte man dabei, dass diese Katzen/Religionen nie den Konsens, sondern den Dissens (mosaische Unterscheidung) suchten, dass sie nie mit Wahrheiten gesättigt sind, sondern hungrig nach ewiger „Wahrheit“ durch den Allmächtigen. Ihre Triebkraft ist nicht die Erfüllung, sondern der Mangel.
Ich möchte hier zwei Beispiele bringen, wo der „Enthusiasmus“ noch heiss ist, brennt. Ein Video http://www.youtube.com/watch?v=qzwB4_P5ak4 und Textauszüge aus dem Brevier des Chaos (Matthes & Seitz 1986) des in Deutschland zu Unrecht übersehenen französisch-sephardischen Philosophen Albert Caraco (http://albertcaraco.free.fr/):
„Einige Jahre vor seinem Tod wollte der große protestantische Theologe von Harnack mit dem Alten Testament brechen und letzten Endes auf Marcion zurückkommen, der christliche Glaube erschien ihm als neuer Glaube und nicht als Erfüllung des Judaismus; ein Luther seinerseits fühlte, dass das Gesetz Moses´ DER JUDEN SACHSEN-SPIEGEL sei, aber er wagte nicht, seinen Gedanken zu Ende zu denken, und um die Bibel vollständig zu erhalten – und sie den Deutschen zu erhalten -, träumte er davon, sie den Juden wegzunehmen, indem er ihnen das Studium derselben verbot. … Was die Wünsche Harnacks betrifft, so werden sie Gestalt annehmen und uns eine Metaphysik ohne Wurzeln eintragen, die so lange währen wird wie sie währt, der von den jüdischen Hypothek befreite christliche Glaube wird sich unweigerlich auflösen und der, der sich weigern wird zu brechen – ob er will oder nicht – in einen gemäßigten Judaismus münden: Unsere berühmten katholischen Progressisten leiten diese Rückkehr formal ein. So halten wir uns auf dem Fels, und mit dem Schlüssel in der Hand wird der Judaismus, der während des Exisls keine Altäre und Priester hatte, mit Pristern – dem wiedererrichteten Tempel – und mit Altären versehen sein, er wird somit wieder Universalität erlangen, das Erbe des Islam und der Kirche einsammelnd, wie es schon Maimonides voraussah. … Ah! Was für ein Trümmerfeld sich vorbereitet! Welche erstaunlichen Stöße und schrecklichen Erschütterungen! Wieviel Stoff zu Gelächter für die, die schon seit so vielen Jahrhunderten weinten! JETZT WIRD ES EINE LUST ZU LEBEN, WIR JUDEN WISSEN, WAS DA KOMMEN MUSS, WIR SIND DAS SCHICKSAL SELBST, DAS ALLE GEGNER TRIFFT, DIE WELT IST ENG, AUF DASS KEIN FEIND ENTWEICHE, KEIN STERN IST DA, WELCHER DIE HENKER BIRGT.“
Ist nicht Religion ein Operation am geöffneten Herzen? Es ist natürlich albern, sich kontrahistorisch eine Alternativgeschichte auszumalen. Welche Alternative zu einem bestimmten Zeitpunkt noch möglich gewesen wäre
„Julianus Apostata [6] hatte einen Brief an die Galiläer geschrieben, die Christen, einen offenen, einen kaiserlichen Brief. Da schreibt er zwei wahnsinnig schöne Gedanken. Erstens: “Ihr dürft predigen, Kirchen bauen, ich baue Euch gerne selber eine große Kirche, schenke sie Euch, Ihr seid so frei wie alle anderen in meinem Reich. Ihr dürft nur eines nicht, Ihr dürft unsere Dichter nicht vor den jungen Leuten auslegen mit dem ständigen Begleitkommentar, das sei alles nur allegorisch, weil es ja keine Götter und Nymphen gibt und für diese Auslegung, die die Dichtungen leugnet, noch Geld verlangen. Das verbiete ich Euch.” Das ist der erste schöne Gedanke, finde ich, den wir heute reaktualisieren sollten, und der zweite schöne Gedanke ist: “Nicht alles haben wir Griechen erfunden, das Rechnen mit den Zahlen stammt von den großen Kaufleuten aus Phönizien, haben wir aber von denen gelernt. Die Astronomie stammt von den Babyloniern, die haben wir aber von ihnen gelernt. Die Geometrie stammt von den ägyptischen Feldvermessern, bei den Nilüberschwemmungen, das haben wir auch von ihnen gelernt, wir Griechen. Und dann haben wir was Viertes selbst entdeckt und das hat die anderen drei, Arithmetik, Geometrie und Astronomie überhaupt erst zu dieser schönen Vierheit gerundet, nämlich die Musik, an der wir das alles beweisen können, dass die Gesetze gelten.” Und dann fragt er: “Und ihr Christen, was habt Ihr an der Stelle anzubieten? Nichts.” Also, die Griechen sind nicht so chauvinistisch zu sagen, alles ist erst griechisch. Sie sind schon dankbar für ihre Vorgänger.“ (http://www.mediale-aufmerksamk.....aphrodite/)
Von diesem Moment aus, von diesem Blickwinkel gesehen, ist nicht der semitische Monotheismus, mit dem wir durch das Christentum infiziert wurden, um die Provokation auf die Spitze zu treiben, nicht unser Unglück? Jetzt suchen wir mühsam nach Auswegen aus einem Schlamassel, die wir ohne nicht gehabt hätten. Oder doch ein Segen?
@ Alt68er
Genau. Sie legen den Finger in die Wunde. Entweder jedem seine Privatoffenbarung – Idiotie, in griechischem Sinne – oder Vertrauen in Gott ist Vertrauen in Menschen.
Der Scherz mit dem katholischen (/ christlichen/ muslimischen/ jüdischen) Agnostiker, der den nötigen Spagat umschreibt – eigentlich: zu schließen versucht, hat einen ernsten Kern. Das religiöse „Spitzenprodukt“ ist/ wäre Behutsamkeit: Sei kein Idiot, weder was dich selbst, nocht was deine Mitmenschen betrifft.
@Roland Ziegler
„Nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern weil die Umstände (Wahrheitsbedingungen) eben irgendwann geklärt sind.“
Was aber nur möglich ist, wenn es eine gewisse gemeinsame kulturelle Basis unter den Beteiligten gibt. Die Kultur ist sozusagen auch eine Wahrheitsbedingung (die aber in den Logiklehrbüchern nicht als solche vorkommt; es wäre ja auch zu kompliziert). Das heißt aber: Die Wahrheit ist so wandlungsfähig und veränderlich wie die Kultur.
Wo Philosophie und Ideologie noch mit Blut and Feuer gebraut werden: Waehrend sich die Deutschen graemen weil die Griechen nicht mehr Geld haben um die guten deutschen U-Boote und „starken“ deutschen Panzer zu bezahlen, kaempfen im „Sueden“ die Philosophen der kapitalistischen Rechten und kommunistischen Linken als Aliierte, vereinigt, gegen die theologischen „Schirmherren“ welche von geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen in Europa und USA „gefoerdert“ werden. In Brasilien ringen die Nationalisten gegen die von Europa und USA vorgeschobenen NROs und Kirchen welche die „unabhaengige“ Entwicklung Brasiliens(wirtschaftlich und geopolitisch) begrenzen versuchen, und auch weil Brasilien die NATO „Partnerschaft“ ablehnt und ungenehmigte Weltdiplomatie betreibt. Der konservative Philosophieprofessor Denis Lerrer-Rosenfield (ein perfekter anti-Marxist) verteidigt in der Presse den kommunistischen Abgeordneten Aldo Rebelo – weil beide von den katholischen Theologen und NROs der NATO Staaten angegriffen werden: Die Kirche will keine Wirtschaftsentwicklung weil damit Bildung die Glaubenverdummung vermindert, und die NROs haben den Auftrag die Wirtschaftsentwicklung zu bekaempfen mit dem Vorwand „Umweltschutz“ und
„Indigenenrechte“ – denn sie die NROs von Europa, vertreten die „Moral“ (finanziert von EU Steuerzahlern damit die subvensionierte Landwirtschaftsexporte der EU nicht von den unsubvensionierten Landwirtschaftsexporten Brasilien vom Weltmarkt verdraengt werden). Also – Philosphie ist noch ein nuetzliches Handwerk in der wirklichen Welt – auch wenn man das beim Lesen der tiefsinnigen Beitraege zu diesen Aufsatz kaum vermuten koennte… Aber der Philosphieprofessor Lerrer-Rosenfield (sogar Titel von Paris) – versteht nicht, warum der Heilige Vater als anti-Kommunist genehmigt dass seine „Befreiungtheologen“ in Brasilien eigentlich einen Primitivkommunismus fuer die Indigenen und armen Landbewohner vertreten. Da da kommt die Philosophie nicht mehr mit: Um Geopolitik zu verstehen muss haben was man in USA „street smarts“ nennt – Strassenhelle: Der Heilige Vater spielt „Good Cop“ fuer die Bourgeoisie gegen die Kommunisten- und seine primitivkommunistischen Befreiungtheologen greifen die Kommunisten von „ueberkommunistischen“ (ultra)Positionen an, um damit Indigene und Arme unter ihrer Kontrolle zu halten ( auch als Streichelzoo – in USA mussten die Jesuiten jetzt $166 Millionen zahlen fuer Sexualvergehen gegen 504 Indianerkinder). So spielen die „Befreiungstheologen“ die Rolle „Bad Cop“. „God Cop“ Vatikan, „Bad Cop“ Befreiungstheologen – katholische Theisten welche beide fuer die „Kirche“ und ihre „Moral“ wirken: Dafuer findet sich eine geeignete Philosophie in der Waffenkammer der Geopolitik. Auch 2011!
@ EJ
„Obwohl wir das Vertrauen “natürlich” auch haben könnten.“
„natürlich“. Wie meinen Sie das? Es dreht sich doch um „geoffenbarte“, d.h. von einem anderen Ort als aus meiner Existenz kommenden Wahrheiten. Vielleicht könnten Sie das erläutern.
@Hänschen klein: Nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern weil die Umstände (Wahrheitsbedingungen) eben irgendwann geklärt sind. Wer fragt, hat ja ein gewisses Ziel; wenn das erreicht ist, hört er auf zu fragen. Dann ist er wie gesättigt mit Wahrheit.
Wenn wir über Wahrheiten nachdenken – egal ob erste, letzte oder die in der Mitte – empfiehlt es sich, nicht gleich die kompliziertesten Fälle zu betrachten (z.B. „Gott existiert“ oder „Alles ist relativ“), sondern erstmal etwas bescheidener anzufangen: „Heute ist Donnerstag.“ Das ist ein prima Satz, der unter bestimmten Umständen so wahr werden kann, dass es wahrer nicht mehr geht. Wenn wir wissen, unter welchen Umständen ein solcher Satz wahr wird, dann können wir vielleicht in Erfahrung bringen, wie es sich mit den komplizierteren Sätzen verhält. Das ist jedenfalls aussichtsreicher als einfach so, durch Grübeln im Lehnstuhl, z.B. zu entscheiden, ob Gott existiert oder nicht.
@Roland Ziegler
„Die Frage, zu der “Donnerstag” eine Antwort gibt, wird ja in einer konkreten Situation gestellt. Der Kontext (z.B. die Zeitzone) ist über diese Situation normalerweise gegeben. Man kann ihn natürlich problematisieren; auf Nachfrage könnte er dann explizit gemacht werden (z.B. “Meinst du mitteleuropäische Zeit?” – “Ja.”).
Nachfragemöglichkeiten bestehen immer, insb. in Grenzfällen (z.B. wenn man nicht weiß, wo auf der Welt sich der Frager gerade aufhält). Aber irgendwann hören die Nachfragen auf, und dann bleibt eine geklärte und wunderbar wahre Aussage. Meistens jedenfalls. Wäre es anders, wäre alles ganz schön verwirrend.“
Das Nachfragen hört nicht auf, sondern man hört aus pragmatischen Gründen auf nachzufragen, WEIL man zu einer „geklärten und wunderbar wahren Aussage“ kommen will. Der Indianer aus dem Amazonasgebiet würde vielleicht weiterfragen: „Was ist mitteleuropäisch? Was ist Zeit? Was ist Montag?“
wünschte, katholisch werden zu können
Kluger Wunsch! Wie ich schon mal sagte: Nix geht über die Existenz eines (frommen) katholischen Agnostikers.
http://kath.net/detail.php?id=18297
Link noch einmal. 😉
Alan Posener: Ich stehe mitten im Leben und schwebe nicht im siebten Himmel. Als Journalist bin ich vor allem mit handfesten Alltagssachen befasst und nicht mit irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen. Ich bin ja nicht über Nacht vom Atheisten zum Katholiken geworden, ganz abgesehen davon, dass ich ja noch gar nicht katholisch bin, obwohl ich mir wünschte, katholisch werden zu können.
@Alan Posener: Sie sagen:
„Wir brauchen die Bereitschaft, anzuerkennen, dass die Gegenseite Recht haben könnte.“
Es geht nicht nur darum. Der Gegenüber kann Unrecht haben. Ich kann Unrecht haben.
Sondern es mangelt überall an der Bereitschaft zu hinterfragen, warum denkt mein Gegenüber anders als ich. Haben ihn seine Eltern oder die Schule beeinflusst? Sind das überhaupt noch seine Überzeugungen? Welche Lebenserfahrungen hat er und hatten eventuell seine Eltern? Welche Vorurteile und welches Wissen hat er?
Habe ich ihn eigentlich verstanden? Das Sende- und Empfängermodell sollte man kennen.
Unterstellungen und Verdächtigungen, gegen die man keine Chance hat, sind keine Gesprächsgrundlage. Gesinnungstests schon gar nicht.
@Hänschen Klein: Die Frage, zu der „Donnerstag“ eine Antwort gibt, wird ja in einer konkreten Situation gestellt. Der Kontext (z.B. die Zeitzone) ist über diese Situation normalerweise gegeben. Man kann ihn natürlich problematisieren; auf Nachfrage könnte er dann explizit gemacht werden (z.B. „Meinst du mitteleuropäische Zeit?“ – „Ja.“).
Nachfragemöglichkeiten bestehen immer, insb. in Grenzfällen (z.B. wenn man nicht weiß, wo auf der Welt sich der Frager gerade aufhält). Aber irgendwann hören die Nachfragen auf, und dann bleibt eine geklärte und wunderbar wahre Aussage. Meistens jedenfalls. Wäre es anders, wäre alles ganz schön verwirrend.
@KJM: Erstaunlich, was Hawking da von dem Papst aus unserer Zeit berichtet! Sollte ausgerechnet der Papst von seinem eigensten Thema nichts verstehen? Sein Reich ist doch – ganz im Gegensatz zum Urknall und den Spekulationen zu einem Davor oder Daneben – nicht von dieser Welt.
Fuer den Atheisten Apo:
http://itunes.apple.com/us/app.....9676?mt=8#
🙂
Das ist überhaupt kein Mumpitz, Herr Ziegler, sondern Philosophie, die auch ich verstehen kann. Wir beide teilen z.B. die Wahrheit, daß morgen Freitag ist. Christen teilen die Wahrheit, daß Jesus von Nazareth der Messias ist und kein anderer. Gut so. Viele Traditionalisten meinen, nur die alte Form der Messe ist der geeignete Weg, dem Erlöser zu huldigen. Auch das finde ich gut. (Deutsche) Protestanten, @derblondehans, wissen nicht mehr so genau, wie sie ihre Messe feiern sollen und an was sie nun wirklich glauben – sehe ich auch so. Alles das juckt mich, z.B., aber überhaupt nicht. Meine Beitrag zu dieser Diskussion sollte nur darauf abzielen, daß Religiöse oft Dinge für ihre Wahrheitsbeweise nutzen, deren Bedeutung sie überhaupt nicht verstehen: Der Astrophysiker Steven Hawking berichtete in einem seiner (wie ich finde) tollen Bücher von einem Symposium auf der vatikanischen Sternwarte, wo der Papst in seiner Begrüßungsansprache die Physiker dazu ermahnte, die Zeit vor dem* Urknall nicht weiter zu hinterfragen. Das ist reichlich abgehoben, muß mich also eigentlich auch nicht jucken. Dennoch: Mit dem „Naturrecht“, auf das sich das katholische Christentum beruft, kommen – z.B. – Vorstellungen über menschengerechte Sexualität ins Spiel, die nicht nur jucken, sondern richtig weh tun können. Ich kritisiere aber nur, wenn Schach nach Regeln von „Dame“ gespielt wird, also wenn Erkenntnisse der Wissenschaft so interpretiert werden, also z.B. im Sinne des Naturrechtes, daß sie in das Denksystem der katholischen Kirche (->Scholastik) passen.
Ich finde es gut, derblondehans, wenn die katholische Kirche sich mit ihren umumstößlichen Werten um Erkennbarkeit bemüht, ich finde es aber nicht gut, wenn sie anderen, die nach anderen Werten leben, (wieder) das Befolgen ihrer Gesetze aufzwingen würde.
Ich selber halte es übrigens mit den Freimaurern, die einen dann aufnehmen, wenn sie einen Glauben haben.
Nicht nur daher können Sie in mir getrost einen erbitterten Kritiker von Wissenschaftsgläubigkeit sehen.
* Dieser Papst schien seinen Augustinus nicht zu kennen, der bereits im 5. Jh. darauf hinwies, daß sich diese Frage gar nicht stellt, weil der Schöpfer die Zeit mit Welt (dem Raum) gleich mit erschaffen hat. Eine Erkenntnis in verblüffender Übereinstimmung mit aktuellem physikalischen Denken.
Hier erkennt man „das Schöne“ an Religion, nämlich das Inspirierende.
@ derblondehans
nein, Jan, auch der aus der Otto-Stadt, bin ich nicht. Hat der ähnliches geäußert? Dann wäre ich nicht allein.
P.S. Ihren Link, dass der Messias dann erscheint, wenn Sharon das Zeitliche gesegnet hat, finde ich wunderbar. Schön, wenn sich das ereignen würde. Wie lange, glauben Sie, wird Sharon noch am Leben gehalten, das Erscheinen des Messias hinausgezögert?
@Roland Ziegler
„“Donnerstag” wäre die richtige Antwort.“
Das hängt von der Zeitzone ab. Heute abend werden wir noch Donnerstag haben und woanders hat man schon Freitag. Auch diese Wahrheit ist nicht unumstößlich.
@ KJN
Sie zitieren den Christen Posener. Den Wahrheitsbegriff, den er meint, gibts „auf christlich“. Keine Frage. Das ist dann aber kein genuin religiöser. Sondern ein philosophischer. Der genuin religiöse Wahrheitsbegriff ist kein philosophischer oder irgendwie erkenntnistheoretischer (um so’n Scheiß schert der sich nicht).
Der geniuin religiöse Wahrheitsbegriff ist ein existentieller, zu übersetzen mit: glauben, pisteuein, vertrauen auf/ in … Gott. Die nicht-missionierenden Juden haben den existentiellen Wahrheitbegriff. Die wollen keine Wahrheit beweisen und verkünden. Du sollst dir kein Bildnis machen: Das existentielle Vertrauen auf/ in ihren Gott ist nicht „argumentativ“ übertragbar. Du hast das Vertrauen oder du hast es nicht.
Dafür werden die Juden dann von denen, die auf den Ersatzkaffee „Philosophie“ angewisen sind, neidisch bei jeder Gelegenheit ’n Kopf kürzer gemacht. Obwohl wir das Vertrauen „natürlich“ auch haben könnten. Aber dafür sind wir zu philosophisch, ein Frommer würde vielleicht sagen: zu verdorben.
Es ist, wie sie sagen: „Zu Kritisieren ist nur der Wahrheitsanspruch, nicht die Religion.“ Christen (und Muslime) müssen ihren Wahheitsanspruch (weil’s „philosophisch“ dann doch nicht geht) in ihren Mit-Gläubigen, in der Zahl der Gläubigen, im Erfolg ihrer Religion beweisen
Jede Religion, die etwas auf sich hält, muss sich für die einzig wahre halten, da sie ansonsten qua Selbstaufgabe überflüssig ist – was dem deutschen Protestantismus faktisch schon widerfahren ist.
@ „Wahrheitsanspruch“: Geoffenbarte „letzte Wahrheiten“ brauchen wir nicht, schreibt A. Posener. Dem kann ich zustimmen, aber „erste Wahrheiten“ können wir schon brauchen. „Ist heute Mittwoch oder Donnerstag?“ Das wäre so eine Frage. „Donnerstag“ wäre die richtige Antwort. Sie liefert eine Wahrheit, die so uunumstößlich ist, wie man es sich als Fundamentalist nicht schöner wünschen könnte. Eine Wahrheit, die auch morgen noch wahr bleibt, wenn Freitag ist, und die auch dann noch wahr ist, wenn sie vor einem Indianer oder einem Eskimo geäußert wird (sollte der sie nicht verstehen, z.B. weil er keine Wochentage kennt, dann kann man sie ihm verständlich machen).
Aber dies geht in Richtung Mumpitz.
(@) Alan Posener schreibt
„Dies ist das schlimmste Erbe der monotheistischen Religion: die Offenbarung der Wahrheit. Übrigens immer so, dass es die anderen Menschen nicht sehen und hören können: Auf dem Berg Sinai, in der Wüste Judäas, in der Höhle. Selbst auf dem Weg nach Damaskus sah nur Paulus das Licht, hörte nur Paulus die Stimme.“
Woraus sich der Machtanspruch begründen soll. Das Gleiche aber auch bei unseren Wissenschaften und Ideologien, die auch diesen Religionscharakter (Wahrheitsanspruch) mitbringen. Endlich zu akzeptieren, daß menschliches Denken (und Fühlen) immer nur eine Reaktion auf die Wirklichkeit ist und nur einen Ausschnitt davon zeigt, würde diese ganzen Antagonismen auflösen.
Zu Kritisieren ist nur der Wahrheitsanspruch, nicht die Religion (und Wissenschaft). Beide sind ein Streben danach – nicht mehr und nicht weniger.
@ Alt 68 er
Mal so o.t., Sie sind der ‚Jan‘ aus dem ‚alten apo-Blog‘. Oder? der ‚Jan‘ – aus Ottos Geburtsstadt.
Wenn Sie auf die mosaische Unterscheidung aller Gotteseiferer „Du sollst keinen anderen Gott/keine andere Wahrheit NEBEN mir haben“ (und ihn/sie vernichten) zielen, stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Wenn Sie jedoch mit dem Popperschen Instrumentarium „Gott“ auf den Leib rücken, wirkt das etwas komisch; „Gott“ kann nur als Unbedingtes, Absolutes gedacht werden; soweit ich orientiert bin würde auch Ihr Gott-sei-bei-uns, der deutsche Papst, nicht soweit gehen, „Gott“ als empirisch erfaßbare Tatsache oder als res extensa zu definieren. Außerdem scheint mir Ihr optimistischer Humanismus, dass „jeder von uns“ erwachsen, „alt genug“ sein könne, um zu wissen, was ihm und seiner Umwelt frommt, naiver als die pessimistische Anthropologie des deutschen Papstes, in der das „eigene Ich und seine Wünsche“ als letztes Maß gesehen wird; da brauche ich nicht an solche Kronen der Schöpfung zu denken wie Berlusconi und Strauss-Kahn, da reicht mir der Blick in den alltäglichen Menschenzoo mit Legionen von Kindsköpfen.
Religion ist wie Volk, Kultur ein Memo-, Übungs- und Identifikationssystem, eine Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten. Wenn Sie allerdings die monotheistischen Nachfolgereligionen des Judentums (Sie haben noch nie gegen die Wiedereroberung des gelobten Landes nach den Buchstaben der Verheißungen der Thora gemuckst) für obsolet ansehen, welche Re-ligio, Rückbindung, Bestätigung, Beglaubigung braucht „jeder von uns“ Ihres Erachtens? Mir scheint, Sie können zwar ganz gut ohne Gott auskommen und argumentieren, nicht jedoch ohne Religion. Zur Erinnerung: Sie empfehlen „jedem von uns“ den Finanzkapitalismus, in dem wie wir wissen, die Hände Gottes im Spiel sind, zu lieben, das eigene Volk zu verabscheuen („Warum soll ich aber Deutschland (oder Großbritannien) mehr lieben als den Kapitalismus? Man kann einwenden, mit “Deutschland” sei nicht das Land gemeint, sondern das Volk. Umso weniger Grund, es zu lieben.“ Quelle: http://starke-meinungen.de/blo.....mment-7974). Darüber hinaus scheinen Sie ein warmer Befürworter einer „Zivilreligion“ zu sein, in deren sakralen Zentrum Ausschwitz steht. In dieser Religion gibt es einen unstrittigen, nicht verhandelbaren kanonischen Text; wenn sich jemand nicht an diesen hält, würden Sie ihn am liebsten mit Kirchenbann belegen (Quelle: http://www.welt.de/politik/deu.....ollte.html).
Das ist m.E. ein Reich der Freiheit, vor dem es einen Gott, sofern es einen gibt, grausen müßte. Hoffentlich ist er barmherzig; auf Sie und Ihre Religion kann ich noch weniger als auf das Christentum bauen, eine Danaergabe, an der sich das Abendland verschluckt hat.
Man kann es auf die Spitze treiben. Man kann alles auf die Spitze treiben. Man verwendet ´Latein` um intelligent zu erscheinen. Man vergißt dabei, daß die Hälfte der Menschheit weder lesen noch schreiben kann. Es wäre ein großer Fehler zu glauben, daß es darunter keine Menschen gäbe, die ´nicht intelligent` wären. Die haben ihren “ advocatus angeli“, versuchen ihr Leben zu meistern und ihrem Leben einen Sinn zu geben. Nach dieser Definition, würde manch´ deutscher „Schrift-Gelehrter“ durch den Rost fallen….ob mit, oder ohne Religion.
@Roland Ziegler:“Der Advocatus Dei würde der Wahrheitsfrage mit der Offenbarung der Schönheit begegnen und daraus ein Gegenkonzept, ein eigentlich unausführbares Konzept der verborgenen Wahrheit, des ultimativen Zusammenhangs, destillieren.“
Sehr interessante Überlegung; lohnt sich darüber mal länger nachzudenken.
@Lieber Posener: Ich bewundere aufrichtig die Ästhetik des Agnostikers, bzw. des Atheisten im obigen Kommentar von Ihnen. Vom Advocatus Diaboli zum Advocatus Dei!
Ein erfrischendes Novum.
„Wir brauchen den Dialog über vorübergehende Regelungen. Wir brauchen die Bereitschaft, anzuerkennen, dass die Gegenseite recht haben könnte.“
Mit dieser tollen Passage von Ihnen wäre das „Notstandsgesetz“ für die Gegenwart und kommende Generationen voll abgedeckt.
Toleranz und Freiheit!!
Mehr bräuchte es tatsächlich nicht.
Man kann ohne weiteres die Behauptung umdrehen:
Nicht die Religion hat die Schönheit, sondern die Schönheit hat die Religion hervorgebracht.
Das schoenste Bauwerk welches wir alle kennen ist die Klinik in welcher uns der Spezialist sagt: „Keine Veraenderung, dass sitzt einfach da und macht nichts. Komm zurueck in einem Jahr!“ Keine schoene Kirche welche mit dem Schweiss und Hunger der Bauern finanziert wurde, kann etwas praktisches fuer dein Leben beitragen. Die schoensten Bauwerke – das Taj Mahal und das Partenum wurden nicht fuer Glaubenswahn gebaut. Die Azteken bauten ihre Pyramiden himmelwaerts damit Huitzipotli besser die Herzen sehen konnten welche die Priester den Opfern aus dem Leib rissen. (Heute dienen die Pyramiden fuer die romantische Kunst: Sieh youtube: „placido domingo armando manzanero mia“). Die katholischen Missionare welche nach 1519 die Azteken zum Katholizismus umdrehten – beschaeftigten ihre aztekischen Priesterkollegen als „Sacristans“ (Kuester) – man verstand doch das Geschaeft und beide wunderten sich ueber die gemeinsame Bedeutung des „Blutes“ in beiden Religionen! Die „Goettinen“ und „Goetter“ erlebt man doch im eigenen Leben: Menschen welche uns vor uns selbst retten, oder wie im Gemaelde von Michelangelo vorbeifliegen (im Leben) und uns bei der Hand zum Flug durch die Wolken mitnehmen. Ein Zapotec-Indianer welcher als Kind nur das Zapotec sprach (grammatisch hochentwickelt – wie viele „Indianersprachen“ – weit genauer als das primitive Englisch), wurde spaeter Praesident, stutzte die Katholische Kirche, schlug die Fremdenlegion Frankreichs und fusilierte Maximillian von Hapsburg. Benito Juarez hinterlies uns den Rat: „Dem Menschen sollte man zwei Dinge wegnehmen – den Alkohol und die Religion!“ Amen, brother Alan!
diesen Rabbi Link noch einmal. … ooops?
… eben nicht. Sie können behaupten, dass Sie die Wahrheit für sich beanspruchen, aber nicht den Anspruch anderer zurückweisen, oder schlimmer Ihren Anspruch mit Gewalt, wie immer die auch geartet ist, durchsetzen. So etwas nennt man Toleranz.
Es kann nur eine Wahrheit geben, das ist ‚Konsens der Vernunft‘. Oder?
Zum Islam habe ich hier geschrieben. Das Judentum ist schwieriger zu beschreiben. Ich versuch ’s trotzdem ganz kurz: es gibt diesen Rabbi und es gibt jenen Rabbi; und zwischen den beiden ist das ‚en gros‘.
Ich stimme ‚jenen Rabbi‘ zu. 😉
Vielfältige und angenehm inspirierende Überlegungen, finde ich. Mir fallen dazu drei Repliken ein:
Zum ersten kann man die Schönheit der zeitgenössischen säkularen Kunst als raffiniertere, verwandelte Religiösität deuten, ganz nach dem Muster, wie Sie es beim zweiten Aspekt, dem Totalitarismus als Verwandtem der Religion, selber getan haben.
Zum zweiten könnte man sagen, dass die Gefährlichkeit des Totalitarismus während seiner Verwandlung aus der ursprünglichen Gestalt (der Religiösität) potenziert wurde. Dann wäre die Religiösität aus dem Schneider.
Zum dritten erscheint mir die Schönheit durchaus als wichtigstes Argument für einen Advocatus Dei; ich würde also umgekehrt gewichten. Der wichtigste Einwand des Atheisten bliebe demgegenüber m.E. die Wahrheitsfrage. Der Advocatus Dei würde der Wahrheitsfrage mit der Offenbarung der Schönheit begegnen und daraus ein Gegenkonzept, ein eigentlich unausführbares Konzept der verborgenen Wahrheit, des ultimativen Zusammenhangs, destillieren.
Faschismus und Stalinismus waren nicht explizit atheistische Regime, sondern als Quasireligionen weltlicher Art Konkurrenzideologien zu anderen religiösen Ideologien.